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Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838.

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seliger Mensch, was hast Du gethan? ach, wer hat Dir
denn Dein Elend erzählt, o, warum habe ich Dich von
mir gelassen, ehe ich Dir alles gesagt! Gott, was wird
Dein armer Vater, Dein Bruder sagen, wenn sie Dich
so finden. Ich wußte nicht, daß er sich wegen diesen
das Leid angethan, ich glaubte, es habe eine ganz andere
Ursache. Da kam es noch ärger; der Gerichtshalter
und die Bauern brachten den alten Finkel und seinen
Sohn mit Stricken gebunden, der Jammer erstickte mir
die Stimme in der Kehle, ich konnte kein Wort sprechen;
der Gerichtshalter fragte mich, ob ich meinen Enkel nicht
gesehn? Ich zeigte hin, wo er lag, er trat zu ihm, er
glaubte, er weine auf dem Grabe, er schüttelte ihn, da
sah er das Blut niederstürzen. Jesus Marie! rief er
aus, der Kasper hat Hand an sich gelegt. Da sahen
die beiden Gefangenen sich schrecklich an; man nahm
den Leib des Kaspers und trug ihn neben ihnen her
nach dem Hause des Gerichtshalters, es war ein Weh¬
geschrei im ganzen Dorfe, die Bauerweiber führten mich
nach. Ach, das war wohl der schrecklichste Weg in mei¬
nem Leben!

Da ward die Alte wieder still und ich sagte zu ihr:
Liebe Mutter, Euer Leid ist entsetzlich, aber Gott hat

ſeliger Menſch, was haſt Du gethan? ach, wer hat Dir
denn Dein Elend erzählt, o, warum habe ich Dich von
mir gelaſſen, ehe ich Dir alles geſagt! Gott, was wird
Dein armer Vater, Dein Bruder ſagen, wenn ſie Dich
ſo finden. Ich wußte nicht, daß er ſich wegen dieſen
das Leid angethan, ich glaubte, es habe eine ganz andere
Urſache. Da kam es noch ärger; der Gerichtshalter
und die Bauern brachten den alten Finkel und ſeinen
Sohn mit Stricken gebunden, der Jammer erſtickte mir
die Stimme in der Kehle, ich konnte kein Wort ſprechen;
der Gerichtshalter fragte mich, ob ich meinen Enkel nicht
geſehn? Ich zeigte hin, wo er lag, er trat zu ihm, er
glaubte, er weine auf dem Grabe, er ſchüttelte ihn, da
ſah er das Blut niederſtürzen. Jeſus Marie! rief er
aus, der Kasper hat Hand an ſich gelegt. Da ſahen
die beiden Gefangenen ſich ſchrecklich an; man nahm
den Leib des Kaspers und trug ihn neben ihnen her
nach dem Hauſe des Gerichtshalters, es war ein Weh¬
geſchrei im ganzen Dorfe, die Bauerweiber führten mich
nach. Ach, das war wohl der ſchrecklichſte Weg in mei¬
nem Leben!

Da ward die Alte wieder ſtill und ich ſagte zu ihr:
Liebe Mutter, Euer Leid iſt entſetzlich, aber Gott hat

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[37/0047] ſeliger Menſch, was haſt Du gethan? ach, wer hat Dir denn Dein Elend erzählt, o, warum habe ich Dich von mir gelaſſen, ehe ich Dir alles geſagt! Gott, was wird Dein armer Vater, Dein Bruder ſagen, wenn ſie Dich ſo finden. Ich wußte nicht, daß er ſich wegen dieſen das Leid angethan, ich glaubte, es habe eine ganz andere Urſache. Da kam es noch ärger; der Gerichtshalter und die Bauern brachten den alten Finkel und ſeinen Sohn mit Stricken gebunden, der Jammer erſtickte mir die Stimme in der Kehle, ich konnte kein Wort ſprechen; der Gerichtshalter fragte mich, ob ich meinen Enkel nicht geſehn? Ich zeigte hin, wo er lag, er trat zu ihm, er glaubte, er weine auf dem Grabe, er ſchüttelte ihn, da ſah er das Blut niederſtürzen. Jeſus Marie! rief er aus, der Kasper hat Hand an ſich gelegt. Da ſahen die beiden Gefangenen ſich ſchrecklich an; man nahm den Leib des Kaspers und trug ihn neben ihnen her nach dem Hauſe des Gerichtshalters, es war ein Weh¬ geſchrei im ganzen Dorfe, die Bauerweiber führten mich nach. Ach, das war wohl der ſchrecklichſte Weg in mei¬ nem Leben! Da ward die Alte wieder ſtill und ich ſagte zu ihr: Liebe Mutter, Euer Leid iſt entſetzlich, aber Gott hat

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838/47>, abgerufen am 25.04.2024.