Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.fromme Sitte des finstern Mittelalters war; er schob sich Urgockel werde ich genannt, Zog weit umher im Morgenland Und schlief einst dorten auf dem Mist, Wo Job versuchet worden ist. Da träumte mir, der Dulder fromm Heiß' mich auf seinem Mist willkomm Und schenk' mir einen schwarzen Hahn Und spräch': "es hat des Hahnen Ahn Bei mir auf diesem Mist gekräht, Zu Gott geklagt, zu Gott gefleht, So klug, daß ich den Spruch erfand: Wer giebt dem Hahnen den Verstand? Leb wohl -- er heißt Alektryo." Da weckte mich auf meinem Stroh Ein ritterlicher Hahnenschrei; Ich sah, daß es derselbe sey, Den mir Herr Job im Traume gab, Er saß auf meinem Pilgerstab Und weckt' mit Schrei und Flügelschlag Sich, mich und auch den jungen Tag. Ich theilt' mit ihm mein Sorgenbrod Und zog mit ihm durch Morgenroth, Durch Mittagsgluth und Abendschein, Durch Mond- und Sternennacht, allein, Ach so allein, allein, allein, Als Mann und Hahn kann jemals seyn! fromme Sitte des finſtern Mittelalters war; er ſchob ſich Urgockel werde ich genannt, Zog weit umher im Morgenland Und ſchlief einſt dorten auf dem Miſt, Wo Job verſuchet worden iſt. Da traͤumte mir, der Dulder fromm Heiß' mich auf ſeinem Miſt willkomm Und ſchenk' mir einen ſchwarzen Hahn Und ſpraͤch': „es hat des Hahnen Ahn Bei mir auf dieſem Miſt gekraͤht, Zu Gott geklagt, zu Gott gefleht, So klug, daß ich den Spruch erfand: Wer giebt dem Hahnen den Verſtand? Leb wohl — er heißt Alektryo.“ Da weckte mich auf meinem Stroh Ein ritterlicher Hahnenſchrei; Ich ſah, daß es derſelbe ſey, Den mir Herr Job im Traume gab, Er ſaß auf meinem Pilgerſtab Und weckt' mit Schrei und Fluͤgelſchlag Sich, mich und auch den jungen Tag. Ich theilt' mit ihm mein Sorgenbrod Und zog mit ihm durch Morgenroth, Durch Mittagsgluth und Abendſchein, Durch Mond- und Sternennacht, allein, Ach ſo allein, allein, allein, Als Mann und Hahn kann jemals ſeyn! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0080" n="54"/> fromme Sitte des finſtern Mittelalters war; er ſchob ſich<lb/> auch die Muͤtze ein wenig hin und her und nießte ſehr hef¬<lb/> tig, und Graf Gockel ſagte ernſthaft: „wohl bekomm's!“<lb/> und er erwiederte: „ſchoͤnen Dank!“ — Dann aber ſtellte<lb/> er ſich ruhig in Poſitur, deutete der Reihe nach auf die<lb/> Bilder an der Mauer hin und las dabei aus ſeinem ABC-Buch<lb/> ſchoͤn deutlich wie ein verſtaͤndiger Knabe, aber freilich, wie<lb/> es von ſeiner Zeit nicht anders zu erwarten war, ohne Ge¬<lb/> fuͤhl, ohne Betonung, ohne Ausdruck, ohne Deklamation,<lb/> etwas eintoͤnig folgende Reime ab:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Urgockel werde ich genannt,</l><lb/> <l>Zog weit umher im Morgenland</l><lb/> <l>Und ſchlief einſt dorten auf dem Miſt,</l><lb/> <l>Wo Job verſuchet worden iſt.</l><lb/> <l>Da traͤumte mir, der Dulder fromm</l><lb/> <l>Heiß' mich auf ſeinem Miſt willkomm</l><lb/> <l>Und ſchenk' mir einen ſchwarzen Hahn</l><lb/> <l>Und ſpraͤch': „es hat des Hahnen Ahn</l><lb/> <l>Bei mir auf dieſem Miſt gekraͤht,</l><lb/> <l>Zu Gott geklagt, zu Gott gefleht,</l><lb/> <l>So klug, daß ich den Spruch erfand:</l><lb/> <l>Wer giebt dem Hahnen den Verſtand?</l><lb/> <l>Leb wohl — er heißt Alektryo.“</l><lb/> <l>Da weckte mich auf meinem Stroh</l><lb/> <l>Ein ritterlicher Hahnenſchrei;</l><lb/> <l>Ich ſah, daß es derſelbe ſey,</l><lb/> <l>Den mir Herr Job im Traume gab,</l><lb/> <l>Er ſaß auf meinem Pilgerſtab</l><lb/> <l>Und weckt' mit Schrei und Fluͤgelſchlag</l><lb/> <l>Sich, mich und auch den jungen Tag.</l><lb/> <l>Ich theilt' mit ihm mein Sorgenbrod</l><lb/> <l>Und zog mit ihm durch Morgenroth,</l><lb/> <l>Durch Mittagsgluth und Abendſchein,</l><lb/> <l>Durch Mond- und Sternennacht, allein,</l><lb/> <l>Ach ſo allein, allein, allein,</l><lb/> <l>Als Mann und Hahn kann jemals ſeyn!</l><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [54/0080]
fromme Sitte des finſtern Mittelalters war; er ſchob ſich
auch die Muͤtze ein wenig hin und her und nießte ſehr hef¬
tig, und Graf Gockel ſagte ernſthaft: „wohl bekomm's!“
und er erwiederte: „ſchoͤnen Dank!“ — Dann aber ſtellte
er ſich ruhig in Poſitur, deutete der Reihe nach auf die
Bilder an der Mauer hin und las dabei aus ſeinem ABC-Buch
ſchoͤn deutlich wie ein verſtaͤndiger Knabe, aber freilich, wie
es von ſeiner Zeit nicht anders zu erwarten war, ohne Ge¬
fuͤhl, ohne Betonung, ohne Ausdruck, ohne Deklamation,
etwas eintoͤnig folgende Reime ab:
Urgockel werde ich genannt,
Zog weit umher im Morgenland
Und ſchlief einſt dorten auf dem Miſt,
Wo Job verſuchet worden iſt.
Da traͤumte mir, der Dulder fromm
Heiß' mich auf ſeinem Miſt willkomm
Und ſchenk' mir einen ſchwarzen Hahn
Und ſpraͤch': „es hat des Hahnen Ahn
Bei mir auf dieſem Miſt gekraͤht,
Zu Gott geklagt, zu Gott gefleht,
So klug, daß ich den Spruch erfand:
Wer giebt dem Hahnen den Verſtand?
Leb wohl — er heißt Alektryo.“
Da weckte mich auf meinem Stroh
Ein ritterlicher Hahnenſchrei;
Ich ſah, daß es derſelbe ſey,
Den mir Herr Job im Traume gab,
Er ſaß auf meinem Pilgerſtab
Und weckt' mit Schrei und Fluͤgelſchlag
Sich, mich und auch den jungen Tag.
Ich theilt' mit ihm mein Sorgenbrod
Und zog mit ihm durch Morgenroth,
Durch Mittagsgluth und Abendſchein,
Durch Mond- und Sternennacht, allein,
Ach ſo allein, allein, allein,
Als Mann und Hahn kann jemals ſeyn!
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