die Zöpfe von ihr um den Kopf unter ein Netz binden, denn ich wollte mich bald schlafen legen. Als sie mir so nahe war, stockte sie plötzlich in ihrer Arbeit, schloß die Augen und näherte wie träumend ihre Stirne meiner rechten Schulter. Ich stand auf mit den Worten: "was willst du, wer bist du, wer ich?" Da sprach sie gar demüthig: "O meine Herrinn! deine Magd hat ein Anliegen, höre mich an, Morgen ist es zu spät." -- Ich erwiederte: "Schweige, daß ich die Schallmeien höre, ja Morgen ists zu spät, das scheinen sie zu klagen und reißen drum mich hin." -- Da eilte ich wieder an den Zaun und lauschte hinüber. -- Klareta schlich mir nach und sprach: "O wär es doch vorüber, es thut mir großes Leid!" -- "Welch Leid?" fragte ich und sie antwortete nicht, sondern sang das Lied des Webers Jürgo mit irrer Weise in die Nacht hinein:
"Das Seelchen auf der Heide Hat nicht genug zum Kleide Und friert durch Mark und Bein, Ich hab in heißer Sonnen Mein Leben aufgesponnen Zu einem Faden fein, Den hab ich treu gewebet, Mein Schifflein ist geschwebet In stäter Noth und Pein. Mit Thränen ich's erweichte, Mit Thränen ich es bleichte In Mond und Sternenschein. Todtwund lag ich zum Sterben, Der Seele Kleid zu färben Mit rother Farbe Schein. Ich trug es ohn Verweilen Hin viele, viele Meilen, Da war mein Tuch zu klein, Das Seelchen zu bedecken, Da zuckt an allen Ecken Heraus das Flämmelein,
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die Zoͤpfe von ihr um den Kopf unter ein Netz binden, denn ich wollte mich bald ſchlafen legen. Als ſie mir ſo nahe war, ſtockte ſie ploͤtzlich in ihrer Arbeit, ſchloß die Augen und naͤherte wie traͤumend ihre Stirne meiner rechten Schulter. Ich ſtand auf mit den Worten: „was willſt du, wer biſt du, wer ich?“ Da ſprach ſie gar demuͤthig: „O meine Herrinn! deine Magd hat ein Anliegen, hoͤre mich an, Morgen iſt es zu ſpaͤt.“ — Ich erwiederte: „Schweige, daß ich die Schallmeien hoͤre, ja Morgen iſts zu ſpaͤt, das ſcheinen ſie zu klagen und reißen drum mich hin.“ — Da eilte ich wieder an den Zaun und lauſchte hinuͤber. — Klareta ſchlich mir nach und ſprach: „O waͤr es doch voruͤber, es thut mir großes Leid!“ — „Welch Leid?“ fragte ich und ſie antwortete nicht, ſondern ſang das Lied des Webers Juͤrgo mit irrer Weiſe in die Nacht hinein:
„Das Seelchen auf der Heide Hat nicht genug zum Kleide Und friert durch Mark und Bein, Ich hab in heißer Sonnen Mein Leben aufgeſponnen Zu einem Faden fein, Den hab ich treu gewebet, Mein Schifflein iſt geſchwebet In ſtaͤter Noth und Pein. Mit Thraͤnen ich's erweichte, Mit Thraͤnen ich es bleichte In Mond und Sternenſchein. Todtwund lag ich zum Sterben, Der Seele Kleid zu faͤrben Mit rother Farbe Schein. Ich trug es ohn Verweilen Hin viele, viele Meilen, Da war mein Tuch zu klein, Das Seelchen zu bedecken, Da zuckt an allen Ecken Heraus das Flaͤmmelein,
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die Zoͤpfe von ihr um den Kopf unter ein Netz binden,
denn ich wollte mich bald ſchlafen legen. Als ſie mir ſo
nahe war, ſtockte ſie ploͤtzlich in ihrer Arbeit, ſchloß die
Augen und naͤherte wie traͤumend ihre Stirne meiner rechten
Schulter. Ich ſtand auf mit den Worten: „was willſt
du, wer biſt du, wer ich?“ Da ſprach ſie gar demuͤthig:
„O meine Herrinn! deine Magd hat ein Anliegen, hoͤre mich
an, Morgen iſt es zu ſpaͤt.“ — Ich erwiederte: „Schweige,
daß ich die Schallmeien hoͤre, ja Morgen iſts zu ſpaͤt, das
ſcheinen ſie zu klagen und reißen drum mich hin.“ — Da
eilte ich wieder an den Zaun und lauſchte hinuͤber. —
Klareta ſchlich mir nach und ſprach: „O waͤr es doch
voruͤber, es thut mir großes Leid!“ — „Welch Leid?“
fragte ich und ſie antwortete nicht, ſondern ſang das Lied
des Webers Juͤrgo mit irrer Weiſe in die Nacht hinein:
„Das Seelchen auf der Heide
Hat nicht genug zum Kleide
Und friert durch Mark und Bein,
Ich hab in heißer Sonnen
Mein Leben aufgeſponnen
Zu einem Faden fein,
Den hab ich treu gewebet,
Mein Schifflein iſt geſchwebet
In ſtaͤter Noth und Pein.
Mit Thraͤnen ich's erweichte,
Mit Thraͤnen ich es bleichte
In Mond und Sternenſchein.
Todtwund lag ich zum Sterben,
Der Seele Kleid zu faͤrben
Mit rother Farbe Schein.
Ich trug es ohn Verweilen
Hin viele, viele Meilen,
Da war mein Tuch zu klein,
Das Seelchen zu bedecken,
Da zuckt an allen Ecken
Heraus das Flaͤmmelein,
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/327>, abgerufen am 16.02.2025.
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