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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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Reim vom Abend, von welchem sie aus früherer Zeit wu߬
ten, daß er mir ungemein lieb war:

"O Stunde, da der Schiffende bang lauert
Und sich zur Heimath sehnet an dem Tage,
Da er von süßen Freunden ist geschieden,
Da in des Pilgers Herz die Liebe trauert
Auf erster Fahrt, wenn ferner Glocken Klage
Den Tag beweinet, der da stirbt in Frieden!"

Nun kehrten meine Gespielinnen nach der Stadt. Ich
saß mit den Schwestern um ein Feuerchen, wir redeten gute
Dinge. Mein Herz aber war schwer und sehnte sich, wenn
ich in die Flamme sah, mußte ich immer leise singen:

Feuerrothe Blümelein,
Aus der Erde springt der Wein,
und selbst der klare Sternhimmel von dem der kühle Thau
auf mich sank, gab mir keinen rechten Frieden. Es war
aber Klareta in dem Wahn, nur ich könne sie heilen, und
war sie den weiten Weg hieher gereiset und hatte Alles ver¬
lassen und vergessen, um in meiner Nähe zu seyn. Ich
wußte das Alles, weil ich aber gehört hatte, sie habe den
Wahnsinn durch Mitleid von einem andern Menschen über¬
nommen, hatte ich eine Scheu vor ihrer Annäherung, fürch¬
tend, ihr Wahnsinn möge auf mich kommen. Es war aber
ein Weber, ein Diener ihres seligen Vaters, um den sie
litt. Er hatte für die drei Schwestern, die verarmt waren,
so mühselig gearbeitet, daß er den Verstand darüber verlo¬
ren, und da er gewohnt war, Klareta das Seelchen zu nen¬
nen, und für sie zu weben, so sang er immer Weberlieder
von dem Seelchen, und sprach andere unweise Reden. Alle
solche Reden sprach nun auch Klareta, und war mir immer
bang bei ihr, da meine Natur gar geneigt ist, solche Dinge
aufzunehmen. -- Ich wußte dieses aus den Reden der
Schwestern; wie ich aber Klareta heilen sollte, sagten mir
diese nicht, schienen es auch nicht recht zu wissen. Klareta sehnte

Reim vom Abend, von welchem ſie aus fruͤherer Zeit wu߬
ten, daß er mir ungemein lieb war:

„O Stunde, da der Schiffende bang lauert
Und ſich zur Heimath ſehnet an dem Tage,
Da er von ſuͤßen Freunden iſt geſchieden,
Da in des Pilgers Herz die Liebe trauert
Auf erſter Fahrt, wenn ferner Glocken Klage
Den Tag beweinet, der da ſtirbt in Frieden!“

Nun kehrten meine Geſpielinnen nach der Stadt. Ich
ſaß mit den Schweſtern um ein Feuerchen, wir redeten gute
Dinge. Mein Herz aber war ſchwer und ſehnte ſich, wenn
ich in die Flamme ſah, mußte ich immer leiſe ſingen:

Feuerrothe Bluͤmelein,
Aus der Erde ſpringt der Wein,
und ſelbſt der klare Sternhimmel von dem der kuͤhle Thau
auf mich ſank, gab mir keinen rechten Frieden. Es war
aber Klareta in dem Wahn, nur ich koͤnne ſie heilen, und
war ſie den weiten Weg hieher gereiſet und hatte Alles ver¬
laſſen und vergeſſen, um in meiner Naͤhe zu ſeyn. Ich
wußte das Alles, weil ich aber gehoͤrt hatte, ſie habe den
Wahnſinn durch Mitleid von einem andern Menſchen uͤber¬
nommen, hatte ich eine Scheu vor ihrer Annaͤherung, fuͤrch¬
tend, ihr Wahnſinn moͤge auf mich kommen. Es war aber
ein Weber, ein Diener ihres ſeligen Vaters, um den ſie
litt. Er hatte fuͤr die drei Schweſtern, die verarmt waren,
ſo muͤhſelig gearbeitet, daß er den Verſtand daruͤber verlo¬
ren, und da er gewohnt war, Klareta das Seelchen zu nen¬
nen, und fuͤr ſie zu weben, ſo ſang er immer Weberlieder
von dem Seelchen, und ſprach andere unweiſe Reden. Alle
ſolche Reden ſprach nun auch Klareta, und war mir immer
bang bei ihr, da meine Natur gar geneigt iſt, ſolche Dinge
aufzunehmen. — Ich wußte dieſes aus den Reden der
Schweſtern; wie ich aber Klareta heilen ſollte, ſagten mir
dieſe nicht, ſchienen es auch nicht recht zu wiſſen. Klareta ſehnte

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[270/0324] Reim vom Abend, von welchem ſie aus fruͤherer Zeit wu߬ ten, daß er mir ungemein lieb war: „O Stunde, da der Schiffende bang lauert Und ſich zur Heimath ſehnet an dem Tage, Da er von ſuͤßen Freunden iſt geſchieden, Da in des Pilgers Herz die Liebe trauert Auf erſter Fahrt, wenn ferner Glocken Klage Den Tag beweinet, der da ſtirbt in Frieden!“ Nun kehrten meine Geſpielinnen nach der Stadt. Ich ſaß mit den Schweſtern um ein Feuerchen, wir redeten gute Dinge. Mein Herz aber war ſchwer und ſehnte ſich, wenn ich in die Flamme ſah, mußte ich immer leiſe ſingen: Feuerrothe Bluͤmelein, Aus der Erde ſpringt der Wein, und ſelbſt der klare Sternhimmel von dem der kuͤhle Thau auf mich ſank, gab mir keinen rechten Frieden. Es war aber Klareta in dem Wahn, nur ich koͤnne ſie heilen, und war ſie den weiten Weg hieher gereiſet und hatte Alles ver¬ laſſen und vergeſſen, um in meiner Naͤhe zu ſeyn. Ich wußte das Alles, weil ich aber gehoͤrt hatte, ſie habe den Wahnſinn durch Mitleid von einem andern Menſchen uͤber¬ nommen, hatte ich eine Scheu vor ihrer Annaͤherung, fuͤrch¬ tend, ihr Wahnſinn moͤge auf mich kommen. Es war aber ein Weber, ein Diener ihres ſeligen Vaters, um den ſie litt. Er hatte fuͤr die drei Schweſtern, die verarmt waren, ſo muͤhſelig gearbeitet, daß er den Verſtand daruͤber verlo¬ ren, und da er gewohnt war, Klareta das Seelchen zu nen¬ nen, und fuͤr ſie zu weben, ſo ſang er immer Weberlieder von dem Seelchen, und ſprach andere unweiſe Reden. Alle ſolche Reden ſprach nun auch Klareta, und war mir immer bang bei ihr, da meine Natur gar geneigt iſt, ſolche Dinge aufzunehmen. — Ich wußte dieſes aus den Reden der Schweſtern; wie ich aber Klareta heilen ſollte, ſagten mir dieſe nicht, ſchienen es auch nicht recht zu wiſſen. Klareta ſehnte

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/324>, abgerufen am 23.11.2024.