beschenkte, wofür sie bei Braut- und Leichenzügen ein Pfingst¬ huhn zu entrichten hat. -- Wir zogen hinaus auf das Feld und die Kinder steckten Zweige umher, wo die Taube flog, und da wurden Marksteine aufgerichtet; es war ein schönes Stück Feldes.
Also habe ich meine acht Ordensgespielen vom weißen Sonntag bis heute alle mit Gütern beschenkt.
St. Silverinstag. -- Entschlummert träumte mir, die Lilien meines Gartens hätten sich erschlossen, und ich sähe zwei leuchtende Frauengestalten in den Garten treten, eine gekrönte Matrone mit einem Kreuz in der Hand und eine schlanke, rührend bewegliche Jungfrau mit langen niederfließenden Haa¬ ren, sie war in eine Decke von Roßhaaren eingehüllt, und mit einem blühenden Zweig weißer Dornrosen gegürtet. Ich hatte nie diese Frauen gesehen. Ich aber stand bei einem Ro¬ senstrauch; und als sie vorüber giengen, gab ich ihnen ein neu¬ aufgegangenes Röslein, das war äußerlich ganz schön und gesund, aber ich fühlte, daß es mit tödtlichem Mehlthau be¬ steckt war und sprach zu den Frauen: "laßet es reinigen und heilen." Als sie nun mit dem Röslein zu den Lilien kamen, sah ich zwischen denselben einen schimmernden Jüngling erschei¬ nen, von unaussprechlicher Reinheit und Jungfräulichkeit, er hatte eine leuchtende Lilie in der Hand, die Lilien um ihn her sahen trüb aus, gegen ihn und sie. Er sah nicht auf, er schlug die Augen nieder. -- Die Frauen hielten ihm das Rosenknöspchen auf den Händen hin, und er goß aus dem Kelch der Lilie, die er trug, einen Lichtthau über dasselbe und sprach Namen aus; -- da war das Röschen ganz heil, ganz rein und licht, und mir war, als gehöre es nun auch noch zu einem viel schönern Rosenstrauch mit fünf blutrothen Ro¬ sen, den ich über dem ganzen Bilde erscheinen sah. Da ver¬ schwanden der Jüngling und auch die beiden Frauen, nachdem sie mir das Röschen zurückgebracht, welches ich wieder an den Rosenstrauch heftete, dem ich die ganze Zeit nahe stehend Al¬
17 *
beſchenkte, wofuͤr ſie bei Braut- und Leichenzuͤgen ein Pfingſt¬ huhn zu entrichten hat. — Wir zogen hinaus auf das Feld und die Kinder ſteckten Zweige umher, wo die Taube flog, und da wurden Markſteine aufgerichtet; es war ein ſchoͤnes Stuͤck Feldes.
Alſo habe ich meine acht Ordensgeſpielen vom weißen Sonntag bis heute alle mit Guͤtern beſchenkt.
St. Silverinstag. — Entſchlummert traͤumte mir, die Lilien meines Gartens haͤtten ſich erſchloſſen, und ich ſaͤhe zwei leuchtende Frauengeſtalten in den Garten treten, eine gekroͤnte Matrone mit einem Kreuz in der Hand und eine ſchlanke, ruͤhrend bewegliche Jungfrau mit langen niederfließenden Haa¬ ren, ſie war in eine Decke von Roßhaaren eingehuͤllt, und mit einem bluͤhenden Zweig weißer Dornroſen geguͤrtet. Ich hatte nie dieſe Frauen geſehen. Ich aber ſtand bei einem Ro¬ ſenſtrauch; und als ſie voruͤber giengen, gab ich ihnen ein neu¬ aufgegangenes Roͤslein, das war aͤußerlich ganz ſchoͤn und geſund, aber ich fuͤhlte, daß es mit toͤdtlichem Mehlthau be¬ ſteckt war und ſprach zu den Frauen: „laßet es reinigen und heilen.“ Als ſie nun mit dem Roͤslein zu den Lilien kamen, ſah ich zwiſchen denſelben einen ſchimmernden Juͤngling erſchei¬ nen, von unausſprechlicher Reinheit und Jungfraͤulichkeit, er hatte eine leuchtende Lilie in der Hand, die Lilien um ihn her ſahen truͤb aus, gegen ihn und ſie. Er ſah nicht auf, er ſchlug die Augen nieder. — Die Frauen hielten ihm das Roſenknoͤspchen auf den Haͤnden hin, und er goß aus dem Kelch der Lilie, die er trug, einen Lichtthau uͤber dasſelbe und ſprach Namen aus; — da war das Roͤschen ganz heil, ganz rein und licht, und mir war, als gehoͤre es nun auch noch zu einem viel ſchoͤnern Roſenſtrauch mit fuͤnf blutrothen Ro¬ ſen, den ich uͤber dem ganzen Bilde erſcheinen ſah. Da ver¬ ſchwanden der Juͤngling und auch die beiden Frauen, nachdem ſie mir das Roͤschen zuruͤckgebracht, welches ich wieder an den Roſenſtrauch heftete, dem ich die ganze Zeit nahe ſtehend Al¬
17 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0313"n="259"/>
beſchenkte, wofuͤr ſie bei Braut- und Leichenzuͤgen ein Pfingſt¬<lb/>
huhn zu entrichten hat. — Wir zogen hinaus auf das Feld<lb/>
und die Kinder ſteckten Zweige umher, wo die Taube flog,<lb/>
und da wurden Markſteine aufgerichtet; es war ein ſchoͤnes<lb/>
Stuͤck Feldes.</p><lb/><p>Alſo habe ich meine acht Ordensgeſpielen vom weißen<lb/>
Sonntag bis heute alle mit Guͤtern beſchenkt.</p><lb/><p><hirendition="#g">St</hi>. <hirendition="#g">Silverinstag</hi>. — Entſchlummert traͤumte mir, die<lb/>
Lilien meines Gartens haͤtten ſich erſchloſſen, und ich ſaͤhe zwei<lb/>
leuchtende Frauengeſtalten in den Garten treten, eine gekroͤnte<lb/>
Matrone mit einem Kreuz in der Hand und eine ſchlanke,<lb/>
ruͤhrend bewegliche Jungfrau mit langen niederfließenden Haa¬<lb/>
ren, ſie war in eine Decke von Roßhaaren eingehuͤllt, und<lb/>
mit einem bluͤhenden Zweig weißer Dornroſen geguͤrtet. Ich<lb/>
hatte nie dieſe Frauen geſehen. Ich aber ſtand bei einem Ro¬<lb/>ſenſtrauch; und als ſie voruͤber giengen, gab ich ihnen ein neu¬<lb/>
aufgegangenes Roͤslein, das war aͤußerlich ganz ſchoͤn und<lb/>
geſund, aber ich fuͤhlte, daß es mit toͤdtlichem Mehlthau be¬<lb/>ſteckt war und ſprach zu den Frauen: „laßet es reinigen und<lb/>
heilen.“ Als ſie nun mit dem Roͤslein zu den Lilien kamen,<lb/>ſah ich zwiſchen denſelben einen ſchimmernden Juͤngling erſchei¬<lb/>
nen, von unausſprechlicher Reinheit und Jungfraͤulichkeit, er<lb/>
hatte eine leuchtende Lilie in der Hand, die Lilien um ihn<lb/>
her ſahen truͤb aus, gegen ihn und ſie. Er ſah nicht auf,<lb/>
er ſchlug die Augen nieder. — Die Frauen hielten ihm das<lb/>
Roſenknoͤspchen auf den Haͤnden hin, und er goß aus dem<lb/>
Kelch der Lilie, die er trug, einen Lichtthau uͤber dasſelbe und<lb/>ſprach Namen aus; — da war das Roͤschen ganz heil, ganz<lb/>
rein und licht, und mir war, als gehoͤre es nun auch noch<lb/>
zu einem viel ſchoͤnern Roſenſtrauch mit fuͤnf blutrothen Ro¬<lb/>ſen, den ich uͤber dem ganzen Bilde erſcheinen ſah. Da ver¬<lb/>ſchwanden der Juͤngling und auch die beiden Frauen, nachdem ſie<lb/>
mir das Roͤschen zuruͤckgebracht, welches ich wieder an den<lb/>
Roſenſtrauch heftete, dem ich die ganze Zeit nahe ſtehend Al¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">17 *<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[259/0313]
beſchenkte, wofuͤr ſie bei Braut- und Leichenzuͤgen ein Pfingſt¬
huhn zu entrichten hat. — Wir zogen hinaus auf das Feld
und die Kinder ſteckten Zweige umher, wo die Taube flog,
und da wurden Markſteine aufgerichtet; es war ein ſchoͤnes
Stuͤck Feldes.
Alſo habe ich meine acht Ordensgeſpielen vom weißen
Sonntag bis heute alle mit Guͤtern beſchenkt.
St. Silverinstag. — Entſchlummert traͤumte mir, die
Lilien meines Gartens haͤtten ſich erſchloſſen, und ich ſaͤhe zwei
leuchtende Frauengeſtalten in den Garten treten, eine gekroͤnte
Matrone mit einem Kreuz in der Hand und eine ſchlanke,
ruͤhrend bewegliche Jungfrau mit langen niederfließenden Haa¬
ren, ſie war in eine Decke von Roßhaaren eingehuͤllt, und
mit einem bluͤhenden Zweig weißer Dornroſen geguͤrtet. Ich
hatte nie dieſe Frauen geſehen. Ich aber ſtand bei einem Ro¬
ſenſtrauch; und als ſie voruͤber giengen, gab ich ihnen ein neu¬
aufgegangenes Roͤslein, das war aͤußerlich ganz ſchoͤn und
geſund, aber ich fuͤhlte, daß es mit toͤdtlichem Mehlthau be¬
ſteckt war und ſprach zu den Frauen: „laßet es reinigen und
heilen.“ Als ſie nun mit dem Roͤslein zu den Lilien kamen,
ſah ich zwiſchen denſelben einen ſchimmernden Juͤngling erſchei¬
nen, von unausſprechlicher Reinheit und Jungfraͤulichkeit, er
hatte eine leuchtende Lilie in der Hand, die Lilien um ihn
her ſahen truͤb aus, gegen ihn und ſie. Er ſah nicht auf,
er ſchlug die Augen nieder. — Die Frauen hielten ihm das
Roſenknoͤspchen auf den Haͤnden hin, und er goß aus dem
Kelch der Lilie, die er trug, einen Lichtthau uͤber dasſelbe und
ſprach Namen aus; — da war das Roͤschen ganz heil, ganz
rein und licht, und mir war, als gehoͤre es nun auch noch
zu einem viel ſchoͤnern Roſenſtrauch mit fuͤnf blutrothen Ro¬
ſen, den ich uͤber dem ganzen Bilde erſcheinen ſah. Da ver¬
ſchwanden der Juͤngling und auch die beiden Frauen, nachdem ſie
mir das Roͤschen zuruͤckgebracht, welches ich wieder an den
Roſenſtrauch heftete, dem ich die ganze Zeit nahe ſtehend Al¬
17 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/313>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.