und wie ich sonst mit ihr umgehen muß, damit sie mir nicht krank wird, und bis ich sie in den Händen habe, dann kannst du geschwind in den Ring gucken, denn ich muß ihn schnell in die Laube zurück bringen, ehe der Vater aufwacht."
Der Alte, der nach dem Ring noch gieriger hin sah, als das Kind nach der Puppe, nahm diese, steckte ihr das Schlüßelchen, welches sie anhängen hatte, in das Ohr und sagte: "Comteßchen! links müssen Sie leise drehen, bis Sie Widerstand fühlen, sonst könnte die Figur überschnappen. Sie müssen sich nicht wundern, daß man die Kunstfigur durch das Ohr aufzieht, man zieht ja auch die Kinder auf durch das Gehör. Man schraubt auch die Jugend auf und ver¬ schraubt sie eben so leicht, daß kein Uhrmacher mehr helfen kann, nur knarrt es ein bischen mehr bei der Kunstfigur. Aber ich hoffe, die Comtesse werden ihr dieses wegen anderer treff¬ licher Eigenschaften zu Gute halten. Wenn ich nun aufge¬ zogen, knirr, knirr, knirr, nickt sie ein Weilchen gar lieblich mit dem Kopf und winkt mit den Händchen, ja läuft auch auf ebenem Boden, weil aber Berg und Thal zusammen kommen, so wird ihr das Laufen beschwerlich, und muß da¬ rum die Natur der Kunst zu Hülfe kommen, wie umgekehrt bei Menschen die Kunst der Natur oft nachhelfen muß. Was nun die Kunst dieser Figur betrifft, so lassen ihr die Comtesse, so sie harthörig würde, manchmal ein Tröpfchen Mandelöl ins andere Ohr laufen; dann geht sie wieder wie geschmiert. Was die Natur betrifft, habe ich schon gesagt, was sie gern ißt: braune Semmelrinde, auch hartes Zucker¬ brod und Knackmandeln; ich rathe nicht zu vielen fetten Spei¬ sen, weil sie sich leicht dadurch ihre Garderobe beflecken könnte. Sie trinkt nicht viel, und setzt Comteßchen ihr alle Tage ihr Fingerhütchen voll Wasser in den Korb, ist es zum Trin¬ ken, Mundausspühlen und Waschen genug. In das Körb¬ chen machen Sie ihr Bettchen, Sie brauchen sie nicht schla¬ fen zu legen, sie legt sich von selbst. Morgens den Finger¬
und wie ich ſonſt mit ihr umgehen muß, damit ſie mir nicht krank wird, und bis ich ſie in den Haͤnden habe, dann kannſt du geſchwind in den Ring gucken, denn ich muß ihn ſchnell in die Laube zuruͤck bringen, ehe der Vater aufwacht.“
Der Alte, der nach dem Ring noch gieriger hin ſah, als das Kind nach der Puppe, nahm dieſe, ſteckte ihr das Schluͤßelchen, welches ſie anhaͤngen hatte, in das Ohr und ſagte: „Comteßchen! links muͤſſen Sie leiſe drehen, bis Sie Widerſtand fuͤhlen, ſonſt koͤnnte die Figur uͤberſchnappen. Sie muͤſſen ſich nicht wundern, daß man die Kunſtfigur durch das Ohr aufzieht, man zieht ja auch die Kinder auf durch das Gehoͤr. Man ſchraubt auch die Jugend auf und ver¬ ſchraubt ſie eben ſo leicht, daß kein Uhrmacher mehr helfen kann, nur knarrt es ein bischen mehr bei der Kunſtfigur. Aber ich hoffe, die Comteſſe werden ihr dieſes wegen anderer treff¬ licher Eigenſchaften zu Gute halten. Wenn ich nun aufge¬ zogen, knirr, knirr, knirr, nickt ſie ein Weilchen gar lieblich mit dem Kopf und winkt mit den Haͤndchen, ja laͤuft auch auf ebenem Boden, weil aber Berg und Thal zuſammen kommen, ſo wird ihr das Laufen beſchwerlich, und muß da¬ rum die Natur der Kunſt zu Huͤlfe kommen, wie umgekehrt bei Menſchen die Kunſt der Natur oft nachhelfen muß. Was nun die Kunſt dieſer Figur betrifft, ſo laſſen ihr die Comteſſe, ſo ſie harthoͤrig wuͤrde, manchmal ein Troͤpfchen Mandeloͤl ins andere Ohr laufen; dann geht ſie wieder wie geſchmiert. Was die Natur betrifft, habe ich ſchon geſagt, was ſie gern ißt: braune Semmelrinde, auch hartes Zucker¬ brod und Knackmandeln; ich rathe nicht zu vielen fetten Spei¬ ſen, weil ſie ſich leicht dadurch ihre Garderobe beflecken koͤnnte. Sie trinkt nicht viel, und ſetzt Comteßchen ihr alle Tage ihr Fingerhuͤtchen voll Waſſer in den Korb, iſt es zum Trin¬ ken, Mundausſpuͤhlen und Waſchen genug. In das Koͤrb¬ chen machen Sie ihr Bettchen, Sie brauchen ſie nicht ſchla¬ fen zu legen, ſie legt ſich von ſelbſt. Morgens den Finger¬
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und wie ich ſonſt mit ihr umgehen muß, damit ſie mir nicht
krank wird, und bis ich ſie in den Haͤnden habe, dann kannſt
du geſchwind in den Ring gucken, denn ich muß ihn ſchnell
in die Laube zuruͤck bringen, ehe der Vater aufwacht.“
Der Alte, der nach dem Ring noch gieriger hin ſah,
als das Kind nach der Puppe, nahm dieſe, ſteckte ihr das
Schluͤßelchen, welches ſie anhaͤngen hatte, in das Ohr und
ſagte: „Comteßchen! links muͤſſen Sie leiſe drehen, bis Sie
Widerſtand fuͤhlen, ſonſt koͤnnte die Figur uͤberſchnappen. Sie
muͤſſen ſich nicht wundern, daß man die Kunſtfigur durch
das Ohr aufzieht, man zieht ja auch die Kinder auf durch
das Gehoͤr. Man ſchraubt auch die Jugend auf und ver¬
ſchraubt ſie eben ſo leicht, daß kein Uhrmacher mehr helfen
kann, nur knarrt es ein bischen mehr bei der Kunſtfigur. Aber
ich hoffe, die Comteſſe werden ihr dieſes wegen anderer treff¬
licher Eigenſchaften zu Gute halten. Wenn ich nun aufge¬
zogen, knirr, knirr, knirr, nickt ſie ein Weilchen gar lieblich
mit dem Kopf und winkt mit den Haͤndchen, ja laͤuft auch
auf ebenem Boden, weil aber Berg und Thal zuſammen
kommen, ſo wird ihr das Laufen beſchwerlich, und muß da¬
rum die Natur der Kunſt zu Huͤlfe kommen, wie umgekehrt
bei Menſchen die Kunſt der Natur oft nachhelfen muß.
Was nun die Kunſt dieſer Figur betrifft, ſo laſſen ihr die
Comteſſe, ſo ſie harthoͤrig wuͤrde, manchmal ein Troͤpfchen
Mandeloͤl ins andere Ohr laufen; dann geht ſie wieder wie
geſchmiert. Was die Natur betrifft, habe ich ſchon geſagt,
was ſie gern ißt: braune Semmelrinde, auch hartes Zucker¬
brod und Knackmandeln; ich rathe nicht zu vielen fetten Spei¬
ſen, weil ſie ſich leicht dadurch ihre Garderobe beflecken koͤnnte.
Sie trinkt nicht viel, und ſetzt Comteßchen ihr alle Tage
ihr Fingerhuͤtchen voll Waſſer in den Korb, iſt es zum Trin¬
ken, Mundausſpuͤhlen und Waſchen genug. In das Koͤrb¬
chen machen Sie ihr Bettchen, Sie brauchen ſie nicht ſchla¬
fen zu legen, ſie legt ſich von ſelbſt. Morgens den Finger¬
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/155>, abgerufen am 27.11.2024.
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