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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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ber alter Mann sage mir geschwind, was ich dir zu Gefal¬
len thun soll, daß du mir die Kunstfigur giebst!" -- Da
steckte der Mann die Kunstfigur wieder in seinen Gürtel und
sprach: "O Comteßchen! es ist nur eine Miniatur von einer
Kleinigkeit von einer Bagatelle; ach! ich bin ein armer,
betrübter, verlassener Mann, ich habe nicht Vater nicht Mut¬
ter, nicht Schwester nicht Bruder, nicht Kind nicht Rind,
nicht Kuh und nicht Kalb, nicht ganz und nicht halb, mir
fehlet Alles, was man nicht begehren darf, seines Nächsten
Weib, Knecht, Magd, Ochs, Esel und Alles, was sein ist,
ach! ich habe selbst keine Puppe, sondern nur diese schöne
Kunstfigur nach der Uhr und nach der Schnur und ein Mäus¬
chen von Natur; aber mein Kummer ist so groß, daß auch
sie mich nicht trösten kann. Doch Sie können es, o Exzellenz¬
chen, daß ich lustig werde wie ein Lämmerschwänzchen."

Nach diesen Worten fieng der wunderliche Alte so zu weinen
und zu wimmern an, daß Gackeleia mit Thränen in den Au¬
gen zu ihm sprach: "ach weine nur nicht so, du armer Mann!
ich will dir ja Alles thun, was dich trösten kann, wenn du
mir die schöne Kunstfigur giebst; sage mir doch um Gottes¬
willen, was dich trösten kann." -- Da erwiederte der Alte:

"Dein Vater hat ein Ringelein
Mit einem grünen Edelstein,
Der hat gar einen schönen Schein,
Laß mich nur einmal sehn hinein,
So werd ich gleich durch Mark und Bein
Froh wie ein Lärmmerschwänzchen seyn,
Dann soll das Kunstfigürchen fein
Zu dir ins Gärtchen gleich hinein;
Es bleibt mit allen Kleidern sein
O lieb Comteßchen! immer dein,
Damit die Gackeleia klein
Nicht so allein, allein, allein!"

"Ei!" sagte Gackeleia, "den Ring kenne ich wohl, er
hat auch mich manchmal schon fröhlich gemacht, wenn ich ihn

8 *

ber alter Mann ſage mir geſchwind, was ich dir zu Gefal¬
len thun ſoll, daß du mir die Kunſtfigur giebſt!“ — Da
ſteckte der Mann die Kunſtfigur wieder in ſeinen Guͤrtel und
ſprach: „O Comteßchen! es iſt nur eine Miniatur von einer
Kleinigkeit von einer Bagatelle; ach! ich bin ein armer,
betruͤbter, verlaſſener Mann, ich habe nicht Vater nicht Mut¬
ter, nicht Schweſter nicht Bruder, nicht Kind nicht Rind,
nicht Kuh und nicht Kalb, nicht ganz und nicht halb, mir
fehlet Alles, was man nicht begehren darf, ſeines Naͤchſten
Weib, Knecht, Magd, Ochs, Eſel und Alles, was ſein iſt,
ach! ich habe ſelbſt keine Puppe, ſondern nur dieſe ſchoͤne
Kunſtfigur nach der Uhr und nach der Schnur und ein Maͤus¬
chen von Natur; aber mein Kummer iſt ſo groß, daß auch
ſie mich nicht troͤſten kann. Doch Sie koͤnnen es, o Exzellenz¬
chen, daß ich luſtig werde wie ein Laͤmmerſchwaͤnzchen.“

Nach dieſen Worten fieng der wunderliche Alte ſo zu weinen
und zu wimmern an, daß Gackeleia mit Thraͤnen in den Au¬
gen zu ihm ſprach: „ach weine nur nicht ſo, du armer Mann!
ich will dir ja Alles thun, was dich troͤſten kann, wenn du
mir die ſchoͤne Kunſtfigur giebſt; ſage mir doch um Gottes¬
willen, was dich troͤſten kann.“ — Da erwiederte der Alte:

„Dein Vater hat ein Ringelein
Mit einem gruͤnen Edelſtein,
Der hat gar einen ſchoͤnen Schein,
Laß mich nur einmal ſehn hinein,
So werd ich gleich durch Mark und Bein
Froh wie ein Laͤrmmerſchwaͤnzchen ſeyn,
Dann ſoll das Kunſtfiguͤrchen fein
Zu dir ins Gaͤrtchen gleich hinein;
Es bleibt mit allen Kleidern ſein
O lieb Comteßchen! immer dein,
Damit die Gackeleia klein
Nicht ſo allein, allein, allein!“

„Ei!“ ſagte Gackeleia, „den Ring kenne ich wohl, er
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[115/0153] ber alter Mann ſage mir geſchwind, was ich dir zu Gefal¬ len thun ſoll, daß du mir die Kunſtfigur giebſt!“ — Da ſteckte der Mann die Kunſtfigur wieder in ſeinen Guͤrtel und ſprach: „O Comteßchen! es iſt nur eine Miniatur von einer Kleinigkeit von einer Bagatelle; ach! ich bin ein armer, betruͤbter, verlaſſener Mann, ich habe nicht Vater nicht Mut¬ ter, nicht Schweſter nicht Bruder, nicht Kind nicht Rind, nicht Kuh und nicht Kalb, nicht ganz und nicht halb, mir fehlet Alles, was man nicht begehren darf, ſeines Naͤchſten Weib, Knecht, Magd, Ochs, Eſel und Alles, was ſein iſt, ach! ich habe ſelbſt keine Puppe, ſondern nur dieſe ſchoͤne Kunſtfigur nach der Uhr und nach der Schnur und ein Maͤus¬ chen von Natur; aber mein Kummer iſt ſo groß, daß auch ſie mich nicht troͤſten kann. Doch Sie koͤnnen es, o Exzellenz¬ chen, daß ich luſtig werde wie ein Laͤmmerſchwaͤnzchen.“ Nach dieſen Worten fieng der wunderliche Alte ſo zu weinen und zu wimmern an, daß Gackeleia mit Thraͤnen in den Au¬ gen zu ihm ſprach: „ach weine nur nicht ſo, du armer Mann! ich will dir ja Alles thun, was dich troͤſten kann, wenn du mir die ſchoͤne Kunſtfigur giebſt; ſage mir doch um Gottes¬ willen, was dich troͤſten kann.“ — Da erwiederte der Alte: „Dein Vater hat ein Ringelein Mit einem gruͤnen Edelſtein, Der hat gar einen ſchoͤnen Schein, Laß mich nur einmal ſehn hinein, So werd ich gleich durch Mark und Bein Froh wie ein Laͤrmmerſchwaͤnzchen ſeyn, Dann ſoll das Kunſtfiguͤrchen fein Zu dir ins Gaͤrtchen gleich hinein; Es bleibt mit allen Kleidern ſein O lieb Comteßchen! immer dein, Damit die Gackeleia klein Nicht ſo allein, allein, allein!“ „Ei!“ ſagte Gackeleia, „den Ring kenne ich wohl, er hat auch mich manchmal ſchon froͤhlich gemacht, wenn ich ihn 8 *

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/153>, abgerufen am 26.04.2024.