Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Schiebe solche Dingerchen
Leis auf deines Tellers Rand,
Heb' das kleine Fingerchen
Fein dabei an rechter Hand,
O, das steht dir ganz scharmant!
Niemals hör' ein Mensch dich schmatzen
Wie die Teller-Lecker-Katzen,
Die unehrbar unter'm Tisch
Hörbar fressen Fleisch und Fisch.
Nein, mit stäts geschloss'nen Lippen
Mußt du knuppern, und bei'm Trinken
Läßt du sanft die Aeuglein sinken,
Mußt du wie ein Vöglein nippen.
Wie man leckt und schmeckt und kaut,
Werde nie durch einen Laut
Irgend Jemand anvertraut,
Eben so, wie man verdaut --
Alles still, gleich wie es thaut.
Gar Nichts lass' zu Grunde geh'n,
Was nicht soll zum Munde geh'n,
Jedes Krümchen noch so klein,
Streue aus den Vögelein!"

Gackeleia hatte ihre Lektion hergesagt und erwartete eine
Antwort von der Puppe, indem sie fortfuhr:

"Wie ich esse sagt' ich dir,
Wie du ißt, auch sage mir,
O! du Puppe, o du nur
Eine schöne Kunstfigur
Nach der Uhr und nach der Schnur
Und ein Mäuschen von Natur!

So plauderte Gackeleia mit der Puppe, welche mit
Kopf und Aermchen in der Hand des Alten wackelte.

Der Alte aber sagte: "Comtesse Gackeleia, sie wird es Ih¬
nen nicht sagen, Sie sollen sie auch nicht fragen, ich habe
es nie gewagt; es giebt Geheimnisse im kunstfigürlichen Her¬
zen, es ist gefährlich da eindringen zu wollen nach den Wor¬
ten des großen Abulfeda:

8
Schiebe ſolche Dingerchen
Leis auf deines Tellers Rand,
Heb' das kleine Fingerchen
Fein dabei an rechter Hand,
O, das ſteht dir ganz ſcharmant!
Niemals hoͤr' ein Menſch dich ſchmatzen
Wie die Teller-Lecker-Katzen,
Die unehrbar unter'm Tiſch
Hoͤrbar freſſen Fleiſch und Fiſch.
Nein, mit ſtaͤts geſchloſſ'nen Lippen
Mußt du knuppern, und bei'm Trinken
Laͤßt du ſanft die Aeuglein ſinken,
Mußt du wie ein Voͤglein nippen.
Wie man leckt und ſchmeckt und kaut,
Werde nie durch einen Laut
Irgend Jemand anvertraut,
Eben ſo, wie man verdaut —
Alles ſtill, gleich wie es thaut.
Gar Nichts laſſ' zu Grunde geh'n,
Was nicht ſoll zum Munde geh'n,
Jedes Kruͤmchen noch ſo klein,
Streue aus den Voͤgelein!“

Gackeleia hatte ihre Lektion hergeſagt und erwartete eine
Antwort von der Puppe, indem ſie fortfuhr:

„Wie ich eſſe ſagt' ich dir,
Wie du ißt, auch ſage mir,
O! du Puppe, o du nur
Eine ſchoͤne Kunſtfigur
Nach der Uhr und nach der Schnur
Und ein Maͤuschen von Natur!

So plauderte Gackeleia mit der Puppe, welche mit
Kopf und Aermchen in der Hand des Alten wackelte.

Der Alte aber ſagte: „Comteſſe Gackeleia, ſie wird es Ih¬
nen nicht ſagen, Sie ſollen ſie auch nicht fragen, ich habe
es nie gewagt; es giebt Geheimniſſe im kunſtfiguͤrlichen Her¬
zen, es iſt gefaͤhrlich da eindringen zu wollen nach den Wor¬
ten des großen Abulfeda:

8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0151" n="113"/>
          <l>Schiebe &#x017F;olche Dingerchen</l><lb/>
          <l>Leis auf deines Tellers Rand,</l><lb/>
          <l>Heb' das kleine Fingerchen</l><lb/>
          <l>Fein dabei an rechter Hand,</l><lb/>
          <l>O, das &#x017F;teht dir ganz &#x017F;charmant!</l><lb/>
          <l>Niemals ho&#x0364;r' ein Men&#x017F;ch dich &#x017F;chmatzen</l><lb/>
          <l>Wie die Teller-Lecker-Katzen,</l><lb/>
          <l>Die unehrbar unter'm Ti&#x017F;ch</l><lb/>
          <l>Ho&#x0364;rbar fre&#x017F;&#x017F;en Flei&#x017F;ch und Fi&#x017F;ch.</l><lb/>
          <l>Nein, mit &#x017F;ta&#x0364;ts ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;'nen Lippen</l><lb/>
          <l>Mußt du knuppern, und bei'm Trinken</l><lb/>
          <l>La&#x0364;ßt du &#x017F;anft die Aeuglein &#x017F;inken,</l><lb/>
          <l>Mußt du wie ein Vo&#x0364;glein nippen.</l><lb/>
          <l>Wie man leckt und &#x017F;chmeckt und kaut,</l><lb/>
          <l>Werde nie durch einen Laut</l><lb/>
          <l>Irgend Jemand anvertraut,</l><lb/>
          <l>Eben &#x017F;o, wie man verdaut &#x2014;</l><lb/>
          <l>Alles &#x017F;till, gleich wie es thaut.</l><lb/>
          <l>Gar Nichts la&#x017F;&#x017F;' zu Grunde geh'n,</l><lb/>
          <l>Was nicht &#x017F;oll zum Munde geh'n,</l><lb/>
          <l>Jedes Kru&#x0364;mchen noch &#x017F;o klein,</l><lb/>
          <l>Streue aus den Vo&#x0364;gelein!&#x201C;</l><lb/>
        </lg>
        <p>Gackeleia hatte ihre Lektion herge&#x017F;agt und erwartete eine<lb/>
Antwort von der Puppe, indem &#x017F;ie fortfuhr:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;Wie ich e&#x017F;&#x017F;e &#x017F;agt' ich dir,</l><lb/>
          <l>Wie du ißt, auch &#x017F;age mir,</l><lb/>
          <l>O! du Puppe, o du nur</l><lb/>
          <l>Eine &#x017F;cho&#x0364;ne Kun&#x017F;tfigur</l><lb/>
          <l>Nach der Uhr und nach der Schnur</l><lb/>
          <l>Und ein Ma&#x0364;uschen von Natur!</l><lb/>
        </lg>
        <p>So plauderte Gackeleia mit der Puppe, welche mit<lb/>
Kopf und Aermchen in der Hand des Alten wackelte.</p><lb/>
        <p>Der Alte aber &#x017F;agte: &#x201E;Comte&#x017F;&#x017F;e Gackeleia, &#x017F;ie wird es Ih¬<lb/>
nen nicht &#x017F;agen, Sie &#x017F;ollen &#x017F;ie auch nicht fragen, ich habe<lb/>
es nie gewagt; es giebt Geheimni&#x017F;&#x017F;e im kun&#x017F;tfigu&#x0364;rlichen Her¬<lb/>
zen, es i&#x017F;t gefa&#x0364;hrlich da eindringen zu wollen nach den Wor¬<lb/>
ten des großen Abulfeda:</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">8<lb/></fw>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0151] Schiebe ſolche Dingerchen Leis auf deines Tellers Rand, Heb' das kleine Fingerchen Fein dabei an rechter Hand, O, das ſteht dir ganz ſcharmant! Niemals hoͤr' ein Menſch dich ſchmatzen Wie die Teller-Lecker-Katzen, Die unehrbar unter'm Tiſch Hoͤrbar freſſen Fleiſch und Fiſch. Nein, mit ſtaͤts geſchloſſ'nen Lippen Mußt du knuppern, und bei'm Trinken Laͤßt du ſanft die Aeuglein ſinken, Mußt du wie ein Voͤglein nippen. Wie man leckt und ſchmeckt und kaut, Werde nie durch einen Laut Irgend Jemand anvertraut, Eben ſo, wie man verdaut — Alles ſtill, gleich wie es thaut. Gar Nichts laſſ' zu Grunde geh'n, Was nicht ſoll zum Munde geh'n, Jedes Kruͤmchen noch ſo klein, Streue aus den Voͤgelein!“ Gackeleia hatte ihre Lektion hergeſagt und erwartete eine Antwort von der Puppe, indem ſie fortfuhr: „Wie ich eſſe ſagt' ich dir, Wie du ißt, auch ſage mir, O! du Puppe, o du nur Eine ſchoͤne Kunſtfigur Nach der Uhr und nach der Schnur Und ein Maͤuschen von Natur! So plauderte Gackeleia mit der Puppe, welche mit Kopf und Aermchen in der Hand des Alten wackelte. Der Alte aber ſagte: „Comteſſe Gackeleia, ſie wird es Ih¬ nen nicht ſagen, Sie ſollen ſie auch nicht fragen, ich habe es nie gewagt; es giebt Geheimniſſe im kunſtfiguͤrlichen Her¬ zen, es iſt gefaͤhrlich da eindringen zu wollen nach den Wor¬ ten des großen Abulfeda: 8

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/151
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/151>, abgerufen am 23.11.2024.