Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Herzliche Zueignung.
ckerfasses und beweinte die Blindheit der Menschen, welche nicht fühl¬
ten, daß jenes Land nothwendig das Ländchen Vadutz seyn müsse.
Alle Wundergebirge der Geschichte, Fabel- und Mährchenwelt, Him¬
melaya, Meru, Albordi, Kaf, Ida, Olymp und der gläserne Berg
lagen mir im Ländchen Vadutz. Alle seltsamen, merkwürdigen und
artigen Dinge von den Reichskleinodien bis zum Nürnberger Guck¬
gläschen a 4 kr., in dem Erbsen, Goldblättchen und blauer Streu¬
sand unter einem Vergrößerungsglas geschüttelt, alle Schätze der Welt
darstellen, schienen mir aus Vadutz zu seyn. In der sogenannten
Schachtelkammer des Hauses voll abentheuerlichen Gerümpels war
mir das Archiv von Vadutz, ja das goldne Zeichen über unserem Haus¬
thor selbst schien mir aus diesem gelobten Ländchen, als es in wirrer
Zeit den Kopf verloren, zu uns emigrirt. Auf der Gallerie aber,
einem schon vornehmeren Bewahrungsraum, war mir die Schatz-
und Kunstkammer. Hier war das Arsenal verflossener Christfeste,
hier wurden die Dekorationen und Maschinerien der Weihnachtskrip¬
pen bewahrt; hier stand eine Prozession allerliebster kleiner Wachs¬
püppchen, alle geistlichen Stände, alle Mönche und Nonnen vom
Pabste bis zum Eremiten, nach der Wirklichkeit gekleidet, und gleich
neben ihnen das Modell eines Kriegsschiffes. O Schatzkammer von
Vadutz, was botst du Alles dar? Vor allem aber entzückte mich ein
kunstreicher Besatz von den Braut- und Festkleidern meiner Großmut¬
ter. Nie kann ich die Bauschen und Puffen von Seide und Spitzen
vergessen, gleich Berg und Thal eines Feenlandes, gleich den Zau¬
bergärten der Armida von den Gewinden feiner, allerliebster, bun¬
ter Seidenblümchen labirinthisch durchirrt. -- Ich will dir es nur ge¬
stehen, liebes Großmütterchen, oft, wenn ich so glücklich war, den
Gallerieschlüssel zu erwischen, stellte ich mich krank, um Sonntags
nicht mit den Eltern nach Gockelsruh oder auf die stille Mühle fah¬
ren zu müssen, und sperrte mich dann, wenn alle andern weg waren,
zwischen diesen Herrlichkeiten ein. Das Kriegsschiff war mir zu höl¬
zern, klapperig und wirr mit den vielen Stricken, Flaschenzügen und
Segeln, und man konnte auch nicht zu dem Kapitän in die Kajüte
hinein, man sah ihn nur durch ein Fensterchen am Tisch vor einer
Landkarte und dem Kompaß unbeweglich sitzen. Ich konnte nichts
mit dem Schiffe anfangen, es war kein Wasser da; -- die Prozession
der geistlichen Wachspüppchen war so delikat und zerbrechlich, daß ich
sie kaum anzuschauen wagte; wäre sie von buntem Zuckerwerke gewe¬

Herzliche Zueignung.
ckerfaſſes und beweinte die Blindheit der Menſchen, welche nicht fuͤhl¬
ten, daß jenes Land nothwendig das Laͤndchen Vadutz ſeyn muͤſſe.
Alle Wundergebirge der Geſchichte, Fabel- und Maͤhrchenwelt, Him¬
melaya, Meru, Albordi, Kaf, Ida, Olymp und der glaͤſerne Berg
lagen mir im Laͤndchen Vadutz. Alle ſeltſamen, merkwuͤrdigen und
artigen Dinge von den Reichskleinodien bis zum Nuͤrnberger Guck¬
glaͤschen à 4 kr., in dem Erbſen, Goldblaͤttchen und blauer Streu¬
ſand unter einem Vergroͤßerungsglas geſchuͤttelt, alle Schaͤtze der Welt
darſtellen, ſchienen mir aus Vadutz zu ſeyn. In der ſogenannten
Schachtelkammer des Hauſes voll abentheuerlichen Geruͤmpels war
mir das Archiv von Vadutz, ja das goldne Zeichen uͤber unſerem Haus¬
thor ſelbſt ſchien mir aus dieſem gelobten Laͤndchen, als es in wirrer
Zeit den Kopf verloren, zu uns emigrirt. Auf der Gallerie aber,
einem ſchon vornehmeren Bewahrungsraum, war mir die Schatz-
und Kunſtkammer. Hier war das Arſenal verfloſſener Chriſtfeſte,
hier wurden die Dekorationen und Maſchinerien der Weihnachtskrip¬
pen bewahrt; hier ſtand eine Prozeſſion allerliebſter kleiner Wachs¬
puͤppchen, alle geiſtlichen Staͤnde, alle Moͤnche und Nonnen vom
Pabſte bis zum Eremiten, nach der Wirklichkeit gekleidet, und gleich
neben ihnen das Modell eines Kriegsſchiffes. O Schatzkammer von
Vadutz, was botſt du Alles dar? Vor allem aber entzuͤckte mich ein
kunſtreicher Beſatz von den Braut- und Feſtkleidern meiner Großmut¬
ter. Nie kann ich die Bauſchen und Puffen von Seide und Spitzen
vergeſſen, gleich Berg und Thal eines Feenlandes, gleich den Zau¬
bergaͤrten der Armida von den Gewinden feiner, allerliebſter, bun¬
ter Seidenbluͤmchen labirinthiſch durchirrt. — Ich will dir es nur ge¬
ſtehen, liebes Großmuͤtterchen, oft, wenn ich ſo gluͤcklich war, den
Gallerieſchluͤſſel zu erwiſchen, ſtellte ich mich krank, um Sonntags
nicht mit den Eltern nach Gockelsruh oder auf die ſtille Muͤhle fah¬
ren zu muͤſſen, und ſperrte mich dann, wenn alle andern weg waren,
zwiſchen dieſen Herrlichkeiten ein. Das Kriegsſchiff war mir zu hoͤl¬
zern, klapperig und wirr mit den vielen Stricken, Flaſchenzuͤgen und
Segeln, und man konnte auch nicht zu dem Kapitaͤn in die Kajuͤte
hinein, man ſah ihn nur durch ein Fenſterchen am Tiſch vor einer
Landkarte und dem Kompaß unbeweglich ſitzen. Ich konnte nichts
mit dem Schiffe anfangen, es war kein Waſſer da; — die Prozeſſion
der geiſtlichen Wachspuͤppchen war ſo delikat und zerbrechlich, daß ich
ſie kaum anzuſchauen wagte; waͤre ſie von buntem Zuckerwerke gewe¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0014" n="VI"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Herzliche Zueignung.</hi><lb/></fw>ckerfa&#x017F;&#x017F;es und beweinte die Blindheit der Men&#x017F;chen, welche nicht fu&#x0364;hl¬<lb/>
ten, daß jenes Land nothwendig das La&#x0364;ndchen Vadutz &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
Alle Wundergebirge der Ge&#x017F;chichte, Fabel- und Ma&#x0364;hrchenwelt, Him¬<lb/>
melaya, Meru, Albordi, Kaf, Ida, Olymp und der gla&#x0364;&#x017F;erne Berg<lb/>
lagen mir im La&#x0364;ndchen Vadutz. Alle &#x017F;elt&#x017F;amen, merkwu&#x0364;rdigen und<lb/>
artigen Dinge von den Reichskleinodien bis zum Nu&#x0364;rnberger Guck¬<lb/>
gla&#x0364;schen à 4 kr., in dem Erb&#x017F;en, Goldbla&#x0364;ttchen und blauer Streu¬<lb/>
&#x017F;and unter einem Vergro&#x0364;ßerungsglas ge&#x017F;chu&#x0364;ttelt, alle Scha&#x0364;tze der Welt<lb/>
dar&#x017F;tellen, &#x017F;chienen mir aus Vadutz zu &#x017F;eyn. In der &#x017F;ogenannten<lb/>
Schachtelkammer des Hau&#x017F;es voll abentheuerlichen Geru&#x0364;mpels war<lb/>
mir das Archiv von Vadutz, ja das goldne Zeichen u&#x0364;ber un&#x017F;erem Haus¬<lb/>
thor &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chien mir aus die&#x017F;em gelobten La&#x0364;ndchen, als es in wirrer<lb/>
Zeit den Kopf verloren, zu uns emigrirt. Auf der Gallerie aber,<lb/>
einem &#x017F;chon vornehmeren Bewahrungsraum, war mir die Schatz-<lb/>
und Kun&#x017F;tkammer. Hier war das Ar&#x017F;enal verflo&#x017F;&#x017F;ener Chri&#x017F;tfe&#x017F;te,<lb/>
hier wurden die Dekorationen und Ma&#x017F;chinerien der Weihnachtskrip¬<lb/>
pen bewahrt; hier &#x017F;tand eine Proze&#x017F;&#x017F;ion allerlieb&#x017F;ter kleiner Wachs¬<lb/>
pu&#x0364;ppchen, alle gei&#x017F;tlichen Sta&#x0364;nde, alle Mo&#x0364;nche und Nonnen vom<lb/>
Pab&#x017F;te bis zum Eremiten, nach der Wirklichkeit gekleidet, und gleich<lb/>
neben ihnen das Modell eines Kriegs&#x017F;chiffes. O Schatzkammer von<lb/>
Vadutz, was bot&#x017F;t du Alles dar? Vor allem aber entzu&#x0364;ckte mich ein<lb/>
kun&#x017F;treicher Be&#x017F;atz von den Braut- und Fe&#x017F;tkleidern meiner Großmut¬<lb/>
ter. Nie kann ich die Bau&#x017F;chen und Puffen von Seide und Spitzen<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;en, gleich Berg und Thal eines Feenlandes, gleich den Zau¬<lb/>
berga&#x0364;rten der Armida von den Gewinden feiner, allerlieb&#x017F;ter, bun¬<lb/>
ter Seidenblu&#x0364;mchen labirinthi&#x017F;ch durchirrt. &#x2014; Ich will dir es nur ge¬<lb/>
&#x017F;tehen, liebes Großmu&#x0364;tterchen, oft, wenn ich &#x017F;o glu&#x0364;cklich war, den<lb/>
Gallerie&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el zu erwi&#x017F;chen, &#x017F;tellte ich mich krank, um Sonntags<lb/>
nicht mit den Eltern nach Gockelsruh oder auf die &#x017F;tille Mu&#x0364;hle fah¬<lb/>
ren zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;perrte mich dann, wenn alle andern weg waren,<lb/>
zwi&#x017F;chen die&#x017F;en Herrlichkeiten ein. Das Kriegs&#x017F;chiff war mir zu ho&#x0364;<lb/>
zern, klapperig und wirr mit den vielen Stricken, Fla&#x017F;chenzu&#x0364;gen und<lb/>
Segeln, und man konnte auch nicht zu dem Kapita&#x0364;n in die Kaju&#x0364;te<lb/>
hinein, man &#x017F;ah ihn nur durch ein Fen&#x017F;terchen am Ti&#x017F;ch vor einer<lb/>
Landkarte und dem Kompaß unbeweglich &#x017F;itzen. Ich konnte nichts<lb/>
mit dem Schiffe anfangen, es war kein Wa&#x017F;&#x017F;er da; &#x2014; die Proze&#x017F;&#x017F;ion<lb/>
der gei&#x017F;tlichen Wachspu&#x0364;ppchen war &#x017F;o delikat und zerbrechlich, daß ich<lb/>
&#x017F;ie kaum anzu&#x017F;chauen wagte; wa&#x0364;re &#x017F;ie von buntem Zuckerwerke gewe¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[VI/0014] Herzliche Zueignung. ckerfaſſes und beweinte die Blindheit der Menſchen, welche nicht fuͤhl¬ ten, daß jenes Land nothwendig das Laͤndchen Vadutz ſeyn muͤſſe. Alle Wundergebirge der Geſchichte, Fabel- und Maͤhrchenwelt, Him¬ melaya, Meru, Albordi, Kaf, Ida, Olymp und der glaͤſerne Berg lagen mir im Laͤndchen Vadutz. Alle ſeltſamen, merkwuͤrdigen und artigen Dinge von den Reichskleinodien bis zum Nuͤrnberger Guck¬ glaͤschen à 4 kr., in dem Erbſen, Goldblaͤttchen und blauer Streu¬ ſand unter einem Vergroͤßerungsglas geſchuͤttelt, alle Schaͤtze der Welt darſtellen, ſchienen mir aus Vadutz zu ſeyn. In der ſogenannten Schachtelkammer des Hauſes voll abentheuerlichen Geruͤmpels war mir das Archiv von Vadutz, ja das goldne Zeichen uͤber unſerem Haus¬ thor ſelbſt ſchien mir aus dieſem gelobten Laͤndchen, als es in wirrer Zeit den Kopf verloren, zu uns emigrirt. Auf der Gallerie aber, einem ſchon vornehmeren Bewahrungsraum, war mir die Schatz- und Kunſtkammer. Hier war das Arſenal verfloſſener Chriſtfeſte, hier wurden die Dekorationen und Maſchinerien der Weihnachtskrip¬ pen bewahrt; hier ſtand eine Prozeſſion allerliebſter kleiner Wachs¬ puͤppchen, alle geiſtlichen Staͤnde, alle Moͤnche und Nonnen vom Pabſte bis zum Eremiten, nach der Wirklichkeit gekleidet, und gleich neben ihnen das Modell eines Kriegsſchiffes. O Schatzkammer von Vadutz, was botſt du Alles dar? Vor allem aber entzuͤckte mich ein kunſtreicher Beſatz von den Braut- und Feſtkleidern meiner Großmut¬ ter. Nie kann ich die Bauſchen und Puffen von Seide und Spitzen vergeſſen, gleich Berg und Thal eines Feenlandes, gleich den Zau¬ bergaͤrten der Armida von den Gewinden feiner, allerliebſter, bun¬ ter Seidenbluͤmchen labirinthiſch durchirrt. — Ich will dir es nur ge¬ ſtehen, liebes Großmuͤtterchen, oft, wenn ich ſo gluͤcklich war, den Gallerieſchluͤſſel zu erwiſchen, ſtellte ich mich krank, um Sonntags nicht mit den Eltern nach Gockelsruh oder auf die ſtille Muͤhle fah¬ ren zu muͤſſen, und ſperrte mich dann, wenn alle andern weg waren, zwiſchen dieſen Herrlichkeiten ein. Das Kriegsſchiff war mir zu hoͤl¬ zern, klapperig und wirr mit den vielen Stricken, Flaſchenzuͤgen und Segeln, und man konnte auch nicht zu dem Kapitaͤn in die Kajuͤte hinein, man ſah ihn nur durch ein Fenſterchen am Tiſch vor einer Landkarte und dem Kompaß unbeweglich ſitzen. Ich konnte nichts mit dem Schiffe anfangen, es war kein Waſſer da; — die Prozeſſion der geiſtlichen Wachspuͤppchen war ſo delikat und zerbrechlich, daß ich ſie kaum anzuſchauen wagte; waͤre ſie von buntem Zuckerwerke gewe¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/14
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/14>, abgerufen am 29.03.2024.