kann das Urtheil, das Alle in religiös-sittlichen Dingen aussprechen, falsch sein"1).
Doch vielleicht ist der Glaube an Gott nur die Wirkung der Furcht gewesen, welche gewaltige Natur- erscheinungen, wie Blitz und Donner, Sturm und Erd- beben manchen Menschen einflößen? Aber haben denn bloß schüchterne Kinder, furchtsame Frauen, haben bloß Unwissende und Kleinmüthige an Gott geglaubt? Waren es nicht gerade die besten und muthigsten Männer, die größten Naturforscher, die tiefsten und gelehrtesten Philosophen, welche den Glauben an das Dasein Gottes hegten? Bei ihnen kann doch unmöglich kindische Furcht diesen Glauben erzeugt haben. Zudem ist die religiöse Furcht ganz verschieden von jener sinnlichen Furcht, welche Manche bei gewaltigen Naturerscheinungen em- pfinden; die religiöse Furcht ist Ehrfurcht, sie ist heilige Gottesfurcht. Und die Religion ist nicht bloß Furcht Gottes, sie ist vor Allem Liebe zu Gott. Die größten und edelsten Thaten, zu denen die Religion an- gespornt, die reichsten Ströme von Segen, welche sie über die Gesellschaft ausgebreitet hat, sind hervorge- gangen aus jener innigen und starken Liebe zu Gott, welche sie im Herzen der Menschen anzündete. Was hat diese Liebe zu thun mit jener feigen Furcht, welche Kinder und Frauen bei Blitz und Donner an den Tag legen?
Doch dann haben vielleicht die Priester und Staats- männer den Glauben an das Dasein Gottes erfunden,
1)Hettinger, Beweis des Christenthums. I. S. 112 ff.
kann das Urtheil, das Alle in religiös-sittlichen Dingen aussprechen, falsch sein“1).
Doch vielleicht ist der Glaube an Gott nur die Wirkung der Furcht gewesen, welche gewaltige Natur- erscheinungen, wie Blitz und Donner, Sturm und Erd- beben manchen Menschen einflößen? Aber haben denn bloß schüchterne Kinder, furchtsame Frauen, haben bloß Unwissende und Kleinmüthige an Gott geglaubt? Waren es nicht gerade die besten und muthigsten Männer, die größten Naturforscher, die tiefsten und gelehrtesten Philosophen, welche den Glauben an das Dasein Gottes hegten? Bei ihnen kann doch unmöglich kindische Furcht diesen Glauben erzeugt haben. Zudem ist die religiöse Furcht ganz verschieden von jener sinnlichen Furcht, welche Manche bei gewaltigen Naturerscheinungen em- pfinden; die religiöse Furcht ist Ehrfurcht, sie ist heilige Gottesfurcht. Und die Religion ist nicht bloß Furcht Gottes, sie ist vor Allem Liebe zu Gott. Die größten und edelsten Thaten, zu denen die Religion an- gespornt, die reichsten Ströme von Segen, welche sie über die Gesellschaft ausgebreitet hat, sind hervorge- gangen aus jener innigen und starken Liebe zu Gott, welche sie im Herzen der Menschen anzündete. Was hat diese Liebe zu thun mit jener feigen Furcht, welche Kinder und Frauen bei Blitz und Donner an den Tag legen?
Doch dann haben vielleicht die Priester und Staats- männer den Glauben an das Dasein Gottes erfunden,
1)Hettinger, Beweis des Christenthums. I. S. 112 ff.
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kann das Urtheil, das Alle in religiös-sittlichen Dingen
aussprechen, falsch sein“ 1).
Doch vielleicht ist der Glaube an Gott nur die
Wirkung der Furcht gewesen, welche gewaltige Natur-
erscheinungen, wie Blitz und Donner, Sturm und Erd-
beben manchen Menschen einflößen? Aber haben denn
bloß schüchterne Kinder, furchtsame Frauen, haben bloß
Unwissende und Kleinmüthige an Gott geglaubt? Waren
es nicht gerade die besten und muthigsten Männer, die
größten Naturforscher, die tiefsten und gelehrtesten
Philosophen, welche den Glauben an das Dasein Gottes
hegten? Bei ihnen kann doch unmöglich kindische Furcht
diesen Glauben erzeugt haben. Zudem ist die religiöse
Furcht ganz verschieden von jener sinnlichen Furcht,
welche Manche bei gewaltigen Naturerscheinungen em-
pfinden; die religiöse Furcht ist Ehrfurcht, sie ist
heilige Gottesfurcht. Und die Religion ist nicht bloß
Furcht Gottes, sie ist vor Allem Liebe zu Gott. Die
größten und edelsten Thaten, zu denen die Religion an-
gespornt, die reichsten Ströme von Segen, welche sie
über die Gesellschaft ausgebreitet hat, sind hervorge-
gangen aus jener innigen und starken Liebe zu Gott,
welche sie im Herzen der Menschen anzündete. Was hat
diese Liebe zu thun mit jener feigen Furcht, welche Kinder
und Frauen bei Blitz und Donner an den Tag legen?
Doch dann haben vielleicht die Priester und Staats-
männer den Glauben an das Dasein Gottes erfunden,
1) Hettinger, Beweis des Christenthums. I. S. 112 ff.
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Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/53>, abgerufen am 16.02.2025.
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