1. Wir glauben unerschütterlich fest an einen un- endlichen Gott und sind bereit für diesen Glauben unser Leben hinzugeben; denn wir finden Gott überall in den Geschöpfen außer uns. Es ist ein un- umstößliches Gesetz unserer Vernunft, daß es keine Er- scheinung ohne hinreichenden Grund, keine Wirkung ohne hinreichende Ursache geben kann. Gibt man uns ein herrliches Buch, das uns in Staunen setzt durch seine schönen, erhabenen Gedanken, seine schlagenden Beweise, seine glühende und hinreißende Sprache, so fragen wir gleich nach Demjenigen, der dieses bewun- derte Buch versaßt hat. Halten wir es für möglich und denkbar, daß dasselbe durch bloßen Zufall entstan- den sei? ist uns folgende Erklärung seiner Entstehung annehmbar? Eines Tages wehte der Wind eine große Anzahl weißer Blätter zusammen; sie waren ganz un- beschrieben; kein Mensch nahm eine Feder, um nur ein einziges Wort darauf zu schreiben. Ein Knabe ging zufällig mit seinem vollen Tintenfasse vorüber, stürzte zufällig, als er bei den weißen Blättern ankam, sein Tintenfaß zerbrach, dessen schwarzer Inhalt ergoß sich schleunigst auf die Papierblätter und siehe, in wenigen Augenblicken war das herrliche Buch vollendet. Denn die Tinte vertheilte sich von selbst auf die einzelnen Blätter, doch nicht als häßliche Flecken und Kleckse, sondern als schöne Buchstaben. Von diesen waren die einen größer, die anderen kleiner; doch ein jeder fand
1.
1. Wir glauben unerschütterlich fest an einen un- endlichen Gott und sind bereit für diesen Glauben unser Leben hinzugeben; denn wir finden Gott überall in den Geschöpfen außer uns. Es ist ein un- umstößliches Gesetz unserer Vernunft, daß es keine Er- scheinung ohne hinreichenden Grund, keine Wirkung ohne hinreichende Ursache geben kann. Gibt man uns ein herrliches Buch, das uns in Staunen setzt durch seine schönen, erhabenen Gedanken, seine schlagenden Beweise, seine glühende und hinreißende Sprache, so fragen wir gleich nach Demjenigen, der dieses bewun- derte Buch versaßt hat. Halten wir es für möglich und denkbar, daß dasselbe durch bloßen Zufall entstan- den sei? ist uns folgende Erklärung seiner Entstehung annehmbar? Eines Tages wehte der Wind eine große Anzahl weißer Blätter zusammen; sie waren ganz un- beschrieben; kein Mensch nahm eine Feder, um nur ein einziges Wort darauf zu schreiben. Ein Knabe ging zufällig mit seinem vollen Tintenfasse vorüber, stürzte zufällig, als er bei den weißen Blättern ankam, sein Tintenfaß zerbrach, dessen schwarzer Inhalt ergoß sich schleunigst auf die Papierblätter und siehe, in wenigen Augenblicken war das herrliche Buch vollendet. Denn die Tinte vertheilte sich von selbst auf die einzelnen Blätter, doch nicht als häßliche Flecken und Kleckse, sondern als schöne Buchstaben. Von diesen waren die einen größer, die anderen kleiner; doch ein jeder fand
<TEI><text><body><divn="2"><divn="1"><pbfacs="#f0042"xml:id="B836_001_1901_pb0030_0001"n="30"/><headrendition="#c">1.</head><lb/><p>1. Wir glauben unerschütterlich fest an einen un-<lb/>
endlichen Gott und sind bereit für diesen Glauben unser<lb/>
Leben hinzugeben; denn <hirendition="#g">wir finden Gott überall<lb/>
in den Geschöpfen außer uns</hi>. Es ist ein un-<lb/>
umstößliches Gesetz unserer Vernunft, daß es keine Er-<lb/>
scheinung ohne hinreichenden Grund, keine Wirkung<lb/>
ohne hinreichende Ursache geben kann. Gibt man uns<lb/>
ein herrliches Buch, das uns in Staunen setzt durch<lb/>
seine schönen, erhabenen Gedanken, seine schlagenden<lb/>
Beweise, seine glühende und hinreißende Sprache, so<lb/>
fragen wir gleich nach Demjenigen, der dieses bewun-<lb/>
derte Buch versaßt hat. Halten wir es für möglich<lb/>
und denkbar, daß dasselbe durch bloßen Zufall entstan-<lb/>
den sei? ist uns folgende Erklärung seiner Entstehung<lb/>
annehmbar? Eines Tages wehte der Wind eine große<lb/>
Anzahl weißer Blätter zusammen; sie waren ganz un-<lb/>
beschrieben; kein Mensch nahm eine Feder, um nur ein<lb/>
einziges Wort darauf zu schreiben. Ein Knabe ging<lb/>
zufällig mit seinem vollen Tintenfasse vorüber, stürzte<lb/>
zufällig, als er bei den weißen Blättern ankam, sein<lb/>
Tintenfaß zerbrach, dessen schwarzer Inhalt ergoß sich<lb/>
schleunigst auf die Papierblätter und siehe, in wenigen<lb/>
Augenblicken war das herrliche Buch vollendet. Denn<lb/>
die Tinte vertheilte sich von selbst auf die einzelnen<lb/>
Blätter, doch nicht als häßliche Flecken und Kleckse,<lb/>
sondern als schöne Buchstaben. Von diesen waren die<lb/>
einen größer, die anderen kleiner; doch ein jeder fand<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[30/0042]
1.
1. Wir glauben unerschütterlich fest an einen un-
endlichen Gott und sind bereit für diesen Glauben unser
Leben hinzugeben; denn wir finden Gott überall
in den Geschöpfen außer uns. Es ist ein un-
umstößliches Gesetz unserer Vernunft, daß es keine Er-
scheinung ohne hinreichenden Grund, keine Wirkung
ohne hinreichende Ursache geben kann. Gibt man uns
ein herrliches Buch, das uns in Staunen setzt durch
seine schönen, erhabenen Gedanken, seine schlagenden
Beweise, seine glühende und hinreißende Sprache, so
fragen wir gleich nach Demjenigen, der dieses bewun-
derte Buch versaßt hat. Halten wir es für möglich
und denkbar, daß dasselbe durch bloßen Zufall entstan-
den sei? ist uns folgende Erklärung seiner Entstehung
annehmbar? Eines Tages wehte der Wind eine große
Anzahl weißer Blätter zusammen; sie waren ganz un-
beschrieben; kein Mensch nahm eine Feder, um nur ein
einziges Wort darauf zu schreiben. Ein Knabe ging
zufällig mit seinem vollen Tintenfasse vorüber, stürzte
zufällig, als er bei den weißen Blättern ankam, sein
Tintenfaß zerbrach, dessen schwarzer Inhalt ergoß sich
schleunigst auf die Papierblätter und siehe, in wenigen
Augenblicken war das herrliche Buch vollendet. Denn
die Tinte vertheilte sich von selbst auf die einzelnen
Blätter, doch nicht als häßliche Flecken und Kleckse,
sondern als schöne Buchstaben. Von diesen waren die
einen größer, die anderen kleiner; doch ein jeder fand
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/42>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.