bewegenden Formenkreise -- wir kennen ja zahlreiche Beispiele davon -- sein Bewenden hätte, sondern wo der Organismus zu einer über sein Bereich weit hinausgehenden Kraftanstrengung befähigt würde und durch seine Erzeugnisse in einen anderen Typus überspränge. Der Schlauch wurde unter der mächtig arbeitenden Phantasie des großen Naturforschers zu einem Organ der Synapta und der Fund war ihm um so willkommener, als er nun einen Weg gefunden zu haben glaubte, aus der ihm im Grunde widerstrebenden Annahme wiederholter Schöpfungen aus dem Nichts herauszukommen. Wie oft hörten wir den Ausspruch Johannes Müller's in Vor- lesungen und Privatgespräch: der Eintritt jeder einzelnen Thierart sei supranaturalistisch, über- natürlich, d. h. der Beobachtung und Erklärung der Naturforschung entzogen. Nun war hier ein Fall, zwar unerhört, aber doch nicht absolut gegen die Natur, vielmehr, wie es schien, vor- bereitet durch die vielen anderen Beispiele des regelmäßigen Generationswechsels, welcher das Erscheinen einer neuen thierischen Grundform an schon Vorhandenes anknüpfte. Johannes Müller glaubte also eine Erweiterung des Generationswechsels vor sich zu haben und sagte: "Wir sind auf diesem Felde schon an viel Wunderbares gewöhnt, welches sich doch demselben Gesetze fügen muß, und wir mußten noch auf starke Stücke gefaßt sein". Allein dieser Sprung war doch zu stark und so machte die Hypothese über das räthselhafte Binnenwesen der Kletten- holothurie von Muggia zwar großes Aufsehen, fand aber keine Gläubigen.
Mehrere Zoologen versuchten sich an der Aufgabe, den wahren Zusammenhang zu entdecken, unter ihnen am ausdauernsten Albert Baur, welcher Monate lang in Triest und in einem Gasthaus am Strande der Bai sich aufhielt, die Naturgeschichte der Synapta selbst vollständig aufklärte, das Verhältniß des fertigen Schlauches zu jener und die Erzeugung der jungen Schnecken in ihm ebenfalls alles Wunderbaren entkleidete, die Einwanderung der parasitischen Schnecke aber, denn eine solche ist der Schlauch, den Nachfolgern zu ergründen übrig ließ. Bis heute ist dieser letzte Theil der Aufgabe unerledigt, welche von der Berliner Akademie als Preisaufgabe gestellt war.
Die im Schlamme lebenden Synapten werden vom Grunde heraufgebracht, indem man einen Anker, dessen 4 oder 6 Spitzen mit Werg umwickelt sind, vom Boote aus gleich einem Schleppnetz nach sich zieht. Die Thiere, deren Haut mit ankerförmigen Widerhaken gespickt ist, bleiben am Werg hängen. Man erhält jedoch nie eine ganze Synapta. Dieselben schnüren sich durch einen vom Nervensystem hervorgerufenen Krampf in ein bis zwei Zoll lange Stücke der Quere nach ab, und man hat nun die Kopfenden oder, wenn der Kopf zu kurz abgeschnürt ist, die die Magen- region enthaltenden Stücke zu mustern, um auf die Schneckenschläuche zu stoßen. Die Arbeit ist eine höchst mühsame, da, wie gesagt, ungefähr auf 100 Synapten eine mit dem Schlauch behaftete kommt. Ausnahmsweise fand Baur in einer Synapta 2 oder 3, ja 4 Schläuche; es passirte aber auch, daß 500 bis 600 Kopfenden vergeblich durchsucht wurden. "Man hat kein anderes Mittel", sagt Baur in seiner, von der Leopoldinischen Akademie herausgegebenen trefflichen Arbeit, "um den Schlauchkörper auch nur einmal zu beobachten, als daß man eine große Anzahl von Synapten-Jndividuen, beziehungsweise Synaptenstücken, sich verschafft und diese auf Anwesenheit des Körpers durchmustert. Bei der Durchsichtigkeit der Synapta erkennt man aber sofort, ohne sie zu öffnen, ob der gesuchte Körper darin enthalten ist oder nicht. Jch beauftragte aufangs dieselben Fischer, welche für Johannes Müller die Thiere gefangen hatten, mir eine möglichst große Menge davon herbeizuschaffen. Jch ließ mir die Ausbeute jedes Fanges nach Triest bringen. Jch überzeugte mich bald, daß auch zu einer vorläufigen Untersuchung das so erhaltene Material nicht genügen konnte. Jch nahm deßhalb während zweier Monate meinen Aufenthalt in Zaule. Während desselben wurden die Thiere von einer, wenn es das Wetter erlaubte, täglich und nur zu diesem Zweck auslaufenden Fischerbarke gefangen. Die Barke mußte mehrere Stunden in der Mitte der Bucht von Muggia unter abwechselndem Auswerfen und Einziehen des Eisens kreuzen. Sie mußte, um das Segeln oder Rudern und zugleich das Aus- werfen und Aufziehen des Eisens zu besorgen von wenigstens zwei Mann bedient sein. Je
Schnecken. Hinterkiemer. Nacktkiemer.
bewegenden Formenkreiſe — wir kennen ja zahlreiche Beiſpiele davon — ſein Bewenden hätte, ſondern wo der Organismus zu einer über ſein Bereich weit hinausgehenden Kraftanſtrengung befähigt würde und durch ſeine Erzeugniſſe in einen anderen Typus überſpränge. Der Schlauch wurde unter der mächtig arbeitenden Phantaſie des großen Naturforſchers zu einem Organ der Synapta und der Fund war ihm um ſo willkommener, als er nun einen Weg gefunden zu haben glaubte, aus der ihm im Grunde widerſtrebenden Annahme wiederholter Schöpfungen aus dem Nichts herauszukommen. Wie oft hörten wir den Ausſpruch Johannes Müller’s in Vor- leſungen und Privatgeſpräch: der Eintritt jeder einzelnen Thierart ſei ſupranaturaliſtiſch, über- natürlich, d. h. der Beobachtung und Erklärung der Naturforſchung entzogen. Nun war hier ein Fall, zwar unerhört, aber doch nicht abſolut gegen die Natur, vielmehr, wie es ſchien, vor- bereitet durch die vielen anderen Beiſpiele des regelmäßigen Generationswechſels, welcher das Erſcheinen einer neuen thieriſchen Grundform an ſchon Vorhandenes anknüpfte. Johannes Müller glaubte alſo eine Erweiterung des Generationswechſels vor ſich zu haben und ſagte: „Wir ſind auf dieſem Felde ſchon an viel Wunderbares gewöhnt, welches ſich doch demſelben Geſetze fügen muß, und wir mußten noch auf ſtarke Stücke gefaßt ſein“. Allein dieſer Sprung war doch zu ſtark und ſo machte die Hypotheſe über das räthſelhafte Binnenweſen der Kletten- holothurie von Muggia zwar großes Aufſehen, fand aber keine Gläubigen.
Mehrere Zoologen verſuchten ſich an der Aufgabe, den wahren Zuſammenhang zu entdecken, unter ihnen am ausdauernſten Albert Baur, welcher Monate lang in Trieſt und in einem Gaſthaus am Strande der Bai ſich aufhielt, die Naturgeſchichte der Synapta ſelbſt vollſtändig aufklärte, das Verhältniß des fertigen Schlauches zu jener und die Erzeugung der jungen Schnecken in ihm ebenfalls alles Wunderbaren entkleidete, die Einwanderung der paraſitiſchen Schnecke aber, denn eine ſolche iſt der Schlauch, den Nachfolgern zu ergründen übrig ließ. Bis heute iſt dieſer letzte Theil der Aufgabe unerledigt, welche von der Berliner Akademie als Preisaufgabe geſtellt war.
Die im Schlamme lebenden Synapten werden vom Grunde heraufgebracht, indem man einen Anker, deſſen 4 oder 6 Spitzen mit Werg umwickelt ſind, vom Boote aus gleich einem Schleppnetz nach ſich zieht. Die Thiere, deren Haut mit ankerförmigen Widerhaken geſpickt iſt, bleiben am Werg hängen. Man erhält jedoch nie eine ganze Synapta. Dieſelben ſchnüren ſich durch einen vom Nervenſyſtem hervorgerufenen Krampf in ein bis zwei Zoll lange Stücke der Quere nach ab, und man hat nun die Kopfenden oder, wenn der Kopf zu kurz abgeſchnürt iſt, die die Magen- region enthaltenden Stücke zu muſtern, um auf die Schneckenſchläuche zu ſtoßen. Die Arbeit iſt eine höchſt mühſame, da, wie geſagt, ungefähr auf 100 Synapten eine mit dem Schlauch behaftete kommt. Ausnahmsweiſe fand Baur in einer Synapta 2 oder 3, ja 4 Schläuche; es paſſirte aber auch, daß 500 bis 600 Kopfenden vergeblich durchſucht wurden. „Man hat kein anderes Mittel“, ſagt Baur in ſeiner, von der Leopoldiniſchen Akademie herausgegebenen trefflichen Arbeit, „um den Schlauchkörper auch nur einmal zu beobachten, als daß man eine große Anzahl von Synapten-Jndividuen, beziehungsweiſe Synaptenſtücken, ſich verſchafft und dieſe auf Anweſenheit des Körpers durchmuſtert. Bei der Durchſichtigkeit der Synapta erkennt man aber ſofort, ohne ſie zu öffnen, ob der geſuchte Körper darin enthalten iſt oder nicht. Jch beauftragte aufangs dieſelben Fiſcher, welche für Johannes Müller die Thiere gefangen hatten, mir eine möglichſt große Menge davon herbeizuſchaffen. Jch ließ mir die Ausbeute jedes Fanges nach Trieſt bringen. Jch überzeugte mich bald, daß auch zu einer vorläufigen Unterſuchung das ſo erhaltene Material nicht genügen konnte. Jch nahm deßhalb während zweier Monate meinen Aufenthalt in Zaule. Während deſſelben wurden die Thiere von einer, wenn es das Wetter erlaubte, täglich und nur zu dieſem Zweck auslaufenden Fiſcherbarke gefangen. Die Barke mußte mehrere Stunden in der Mitte der Bucht von Muggia unter abwechſelndem Auswerfen und Einziehen des Eiſens kreuzen. Sie mußte, um das Segeln oder Rudern und zugleich das Aus- werfen und Aufziehen des Eiſens zu beſorgen von wenigſtens zwei Mann bedient ſein. Je
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[876/0924]
Schnecken. Hinterkiemer. Nacktkiemer.
bewegenden Formenkreiſe — wir kennen ja zahlreiche Beiſpiele davon — ſein Bewenden hätte,
ſondern wo der Organismus zu einer über ſein Bereich weit hinausgehenden Kraftanſtrengung
befähigt würde und durch ſeine Erzeugniſſe in einen anderen Typus überſpränge. Der Schlauch
wurde unter der mächtig arbeitenden Phantaſie des großen Naturforſchers zu einem Organ der
Synapta und der Fund war ihm um ſo willkommener, als er nun einen Weg gefunden zu haben
glaubte, aus der ihm im Grunde widerſtrebenden Annahme wiederholter Schöpfungen aus dem
Nichts herauszukommen. Wie oft hörten wir den Ausſpruch Johannes Müller’s in Vor-
leſungen und Privatgeſpräch: der Eintritt jeder einzelnen Thierart ſei ſupranaturaliſtiſch, über-
natürlich, d. h. der Beobachtung und Erklärung der Naturforſchung entzogen. Nun war hier
ein Fall, zwar unerhört, aber doch nicht abſolut gegen die Natur, vielmehr, wie es ſchien, vor-
bereitet durch die vielen anderen Beiſpiele des regelmäßigen Generationswechſels, welcher das
Erſcheinen einer neuen thieriſchen Grundform an ſchon Vorhandenes anknüpfte. Johannes
Müller glaubte alſo eine Erweiterung des Generationswechſels vor ſich zu haben und ſagte:
„Wir ſind auf dieſem Felde ſchon an viel Wunderbares gewöhnt, welches ſich doch demſelben
Geſetze fügen muß, und wir mußten noch auf ſtarke Stücke gefaßt ſein“. Allein dieſer Sprung
war doch zu ſtark und ſo machte die Hypotheſe über das räthſelhafte Binnenweſen der Kletten-
holothurie von Muggia zwar großes Aufſehen, fand aber keine Gläubigen.
Mehrere Zoologen verſuchten ſich an der Aufgabe, den wahren Zuſammenhang zu entdecken,
unter ihnen am ausdauernſten Albert Baur, welcher Monate lang in Trieſt und in einem
Gaſthaus am Strande der Bai ſich aufhielt, die Naturgeſchichte der Synapta ſelbſt vollſtändig
aufklärte, das Verhältniß des fertigen Schlauches zu jener und die Erzeugung der jungen Schnecken
in ihm ebenfalls alles Wunderbaren entkleidete, die Einwanderung der paraſitiſchen Schnecke aber,
denn eine ſolche iſt der Schlauch, den Nachfolgern zu ergründen übrig ließ. Bis heute iſt dieſer
letzte Theil der Aufgabe unerledigt, welche von der Berliner Akademie als Preisaufgabe geſtellt war.
Die im Schlamme lebenden Synapten werden vom Grunde heraufgebracht, indem man einen
Anker, deſſen 4 oder 6 Spitzen mit Werg umwickelt ſind, vom Boote aus gleich einem Schleppnetz
nach ſich zieht. Die Thiere, deren Haut mit ankerförmigen Widerhaken geſpickt iſt, bleiben am
Werg hängen. Man erhält jedoch nie eine ganze Synapta. Dieſelben ſchnüren ſich durch einen
vom Nervenſyſtem hervorgerufenen Krampf in ein bis zwei Zoll lange Stücke der Quere nach ab,
und man hat nun die Kopfenden oder, wenn der Kopf zu kurz abgeſchnürt iſt, die die Magen-
region enthaltenden Stücke zu muſtern, um auf die Schneckenſchläuche zu ſtoßen. Die Arbeit
iſt eine höchſt mühſame, da, wie geſagt, ungefähr auf 100 Synapten eine mit dem Schlauch
behaftete kommt. Ausnahmsweiſe fand Baur in einer Synapta 2 oder 3, ja 4 Schläuche; es
paſſirte aber auch, daß 500 bis 600 Kopfenden vergeblich durchſucht wurden. „Man hat kein
anderes Mittel“, ſagt Baur in ſeiner, von der Leopoldiniſchen Akademie herausgegebenen trefflichen
Arbeit, „um den Schlauchkörper auch nur einmal zu beobachten, als daß man eine große Anzahl
von Synapten-Jndividuen, beziehungsweiſe Synaptenſtücken, ſich verſchafft und dieſe auf
Anweſenheit des Körpers durchmuſtert. Bei der Durchſichtigkeit der Synapta erkennt man aber
ſofort, ohne ſie zu öffnen, ob der geſuchte Körper darin enthalten iſt oder nicht. Jch beauftragte
aufangs dieſelben Fiſcher, welche für Johannes Müller die Thiere gefangen hatten, mir eine
möglichſt große Menge davon herbeizuſchaffen. Jch ließ mir die Ausbeute jedes Fanges nach
Trieſt bringen. Jch überzeugte mich bald, daß auch zu einer vorläufigen Unterſuchung das ſo
erhaltene Material nicht genügen konnte. Jch nahm deßhalb während zweier Monate meinen
Aufenthalt in Zaule. Während deſſelben wurden die Thiere von einer, wenn es das Wetter
erlaubte, täglich und nur zu dieſem Zweck auslaufenden Fiſcherbarke gefangen. Die Barke mußte
mehrere Stunden in der Mitte der Bucht von Muggia unter abwechſelndem Auswerfen und
Einziehen des Eiſens kreuzen. Sie mußte, um das Segeln oder Rudern und zugleich das Aus-
werfen und Aufziehen des Eiſens zu beſorgen von wenigſtens zwei Mann bedient ſein. Je
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 876. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/924>, abgerufen am 24.11.2024.
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