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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Tänia. Bandwurmarten des Menschen.
man ihnen eine Anzahl reifer Glieder der Taenia solium eingegeben, ihr Finnigwerden zu beobachten.
Ungefähr 21/2 Monate verstreichen nach dem Einführen der Eier in das Schwein, bis die Finnen
in den Muskeln ihre Entwickelung abgeschlossen haben. Außer im Schwein sollen auch noch in
einigen anderen Thieren, Affe, Hund u. a.
die Blasenwürmer der Taenia solium ge-
funden worden sein. Ganz sicher ist nur,
daß auch im Menschen selbst, wenn er durch
irgend einen Zufall die Eier verschluckt hat,
die Finnen sich regelmäßig in den Muskeln
entwickeln, außerdem aber auch im Herzen
und ziemlich oft im Auge und im Hirn
vorkommen können.

Um positive Gewißheit zu erlangen,
daß im gegebenen Falle die Schweinefinne
im Menschen zur Taenia solium werde,
konnte man unfreiwillig oder freiwillig
Finnen verschlucken lassen und die Folgen
beobachten. Der um die Naturgeschichte

[Abbildung] a Kopf und b Glied von Taenla solium.
c
Kopf und d Glied von Taenia mediocanellata.
der Bandwürmer hoch verdiente Küchen-
meister
kam auf den Gedanken, zum Tode verurtheilten Verbrechern, ohne daß sie es ahnten,
in einer guten Suppe und mit Wurstsemmeln die Finnen beizubringen und bei der Sektion der
Delinquenten das Vorhandensein der Finnen und den Beginn ihrer Umwandlung zu konstatiren.
Ein anderer Forscher fand für mäßiges Geld einen armen Schlucker, der sich nach Anweisung
den Bandwurm anaß; und endlich bewog die Liebe zur Wahrheit und Wissenschaft mehrere
Zoologen, sich selbst als Versuchsmenschen aufs innigste mit Finnen und Bandwurm zu befreunden.
Von der Einführung der Finne in den Magen bis zur Abstoßung der ersten reifen Glieder
scheinen 3 bis 31/2 Monate nöthig zu sein. Sein Alter bringt der Bandwurm auf 10 bis 12
Jahre; ja bei gehöriger Pflege scheint er noch älter zu werden.

Ein zweiter, den Menschen bewohnender Bandwurm ist Taenia modiocanellata, der 12 Fuß
lang wird und dicker, stärker und beweglicher als der andre ist, mit dem wir uns eben beschäftigt.
Zu unterscheiden sind sie sehr leicht, da der Kopf der mediocanellata ohne Hakenkranz ist und
also nur die vier sehr kräftigen Saugnäpfe trägt. Aber auch jedes reife Glied läßt ihn erkennen,
indem der Eihalter 20 bis 35 dicht neben einander laufende Seitenzweige hat. Die Verbreitung
dieses Thieres scheint eine eben so große, als die der anderen Art zu sein. Man wußte schon
länger, daß die Abyssinier sehr von einem Bandwurm geplagt würden und zwar nach den Berichten
älterer und neuerer Reisenden in Folge der Sitte, das Fleisch roh zu genießen. Die Muhame-
daner und Europäer, welche sich dieses Genusses enthalten, werden vom Bandwurm verschont,
der sich sogleich einstellt, wenn sie die abyssinische Gewohnheit mitmachen. Nun ist aber das Fleisch,
welches die Abyssinier genießen, kein Schweinefleisch, sondern dasjenige von Schafen und Rindern.
Andere ärztliche Berichte, wonach Kinder nach dem Genusse geschabten Rindfleisches mit dem
Bandwurm behaftet wurden, brachten Leuckart auf die Vermuthung, die Finne der Taenia
mediocanellata
wohne in den Muskeln des Rindes, und die darauf angestellten Versuche gaben
den Beweis dafür. Vor dem Genuß rohen Rindfleisches muß daher eben so nachdrücklich, wie
vor dem des Schweinefleisches gewarnt werden. Ganz finnige Rinder und Kälber scheinen sehr
selten vorzukommen, wohl der Hauptgrund, warum der Blasenwurmzustand des hakenlosen
Menschenbandwurmes bis vor wenigen Jahren verborgen bleiben konnte. Die Nahrungsweise
der Wiederkäuer bringt es mit sich, daß sie der Gefahr des Verschlingens ganzer Bandwurmglieder
mit Tausenden von Eiern viel weniger ausgesetzt sind. Um so größere Sorgfalt ist nöthig. Hier

Tänia. Bandwurmarten des Menſchen.
man ihnen eine Anzahl reifer Glieder der Taenia solium eingegeben, ihr Finnigwerden zu beobachten.
Ungefähr 2½ Monate verſtreichen nach dem Einführen der Eier in das Schwein, bis die Finnen
in den Muskeln ihre Entwickelung abgeſchloſſen haben. Außer im Schwein ſollen auch noch in
einigen anderen Thieren, Affe, Hund u. a.
die Blaſenwürmer der Taenia solium ge-
funden worden ſein. Ganz ſicher iſt nur,
daß auch im Menſchen ſelbſt, wenn er durch
irgend einen Zufall die Eier verſchluckt hat,
die Finnen ſich regelmäßig in den Muskeln
entwickeln, außerdem aber auch im Herzen
und ziemlich oft im Auge und im Hirn
vorkommen können.

Um poſitive Gewißheit zu erlangen,
daß im gegebenen Falle die Schweinefinne
im Menſchen zur Taenia solium werde,
konnte man unfreiwillig oder freiwillig
Finnen verſchlucken laſſen und die Folgen
beobachten. Der um die Naturgeſchichte

[Abbildung] a Kopf und b Glied von Taenla solium.
c
Kopf und d Glied von Taenia mediocanellata.
der Bandwürmer hoch verdiente Küchen-
meiſter
kam auf den Gedanken, zum Tode verurtheilten Verbrechern, ohne daß ſie es ahnten,
in einer guten Suppe und mit Wurſtſemmeln die Finnen beizubringen und bei der Sektion der
Delinquenten das Vorhandenſein der Finnen und den Beginn ihrer Umwandlung zu konſtatiren.
Ein anderer Forſcher fand für mäßiges Geld einen armen Schlucker, der ſich nach Anweiſung
den Bandwurm anaß; und endlich bewog die Liebe zur Wahrheit und Wiſſenſchaft mehrere
Zoologen, ſich ſelbſt als Verſuchsmenſchen aufs innigſte mit Finnen und Bandwurm zu befreunden.
Von der Einführung der Finne in den Magen bis zur Abſtoßung der erſten reifen Glieder
ſcheinen 3 bis 3½ Monate nöthig zu ſein. Sein Alter bringt der Bandwurm auf 10 bis 12
Jahre; ja bei gehöriger Pflege ſcheint er noch älter zu werden.

Ein zweiter, den Menſchen bewohnender Bandwurm iſt Taenia modiocanellata, der 12 Fuß
lang wird und dicker, ſtärker und beweglicher als der andre iſt, mit dem wir uns eben beſchäftigt.
Zu unterſcheiden ſind ſie ſehr leicht, da der Kopf der mediocanellata ohne Hakenkranz iſt und
alſo nur die vier ſehr kräftigen Saugnäpfe trägt. Aber auch jedes reife Glied läßt ihn erkennen,
indem der Eihalter 20 bis 35 dicht neben einander laufende Seitenzweige hat. Die Verbreitung
dieſes Thieres ſcheint eine eben ſo große, als die der anderen Art zu ſein. Man wußte ſchon
länger, daß die Abyſſinier ſehr von einem Bandwurm geplagt würden und zwar nach den Berichten
älterer und neuerer Reiſenden in Folge der Sitte, das Fleiſch roh zu genießen. Die Muhame-
daner und Europäer, welche ſich dieſes Genuſſes enthalten, werden vom Bandwurm verſchont,
der ſich ſogleich einſtellt, wenn ſie die abyſſiniſche Gewohnheit mitmachen. Nun iſt aber das Fleiſch,
welches die Abyſſinier genießen, kein Schweinefleiſch, ſondern dasjenige von Schafen und Rindern.
Andere ärztliche Berichte, wonach Kinder nach dem Genuſſe geſchabten Rindfleiſches mit dem
Bandwurm behaftet wurden, brachten Leuckart auf die Vermuthung, die Finne der Taenia
mediocanellata
wohne in den Muskeln des Rindes, und die darauf angeſtellten Verſuche gaben
den Beweis dafür. Vor dem Genuß rohen Rindfleiſches muß daher eben ſo nachdrücklich, wie
vor dem des Schweinefleiſches gewarnt werden. Ganz finnige Rinder und Kälber ſcheinen ſehr
ſelten vorzukommen, wohl der Hauptgrund, warum der Blaſenwurmzuſtand des hakenloſen
Menſchenbandwurmes bis vor wenigen Jahren verborgen bleiben konnte. Die Nahrungsweiſe
der Wiederkäuer bringt es mit ſich, daß ſie der Gefahr des Verſchlingens ganzer Bandwurmglieder
mit Tauſenden von Eiern viel weniger ausgeſetzt ſind. Um ſo größere Sorgfalt iſt nöthig. Hier

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[751/0795] Tänia. Bandwurmarten des Menſchen. man ihnen eine Anzahl reifer Glieder der Taenia solium eingegeben, ihr Finnigwerden zu beobachten. Ungefähr 2½ Monate verſtreichen nach dem Einführen der Eier in das Schwein, bis die Finnen in den Muskeln ihre Entwickelung abgeſchloſſen haben. Außer im Schwein ſollen auch noch in einigen anderen Thieren, Affe, Hund u. a. die Blaſenwürmer der Taenia solium ge- funden worden ſein. Ganz ſicher iſt nur, daß auch im Menſchen ſelbſt, wenn er durch irgend einen Zufall die Eier verſchluckt hat, die Finnen ſich regelmäßig in den Muskeln entwickeln, außerdem aber auch im Herzen und ziemlich oft im Auge und im Hirn vorkommen können. Um poſitive Gewißheit zu erlangen, daß im gegebenen Falle die Schweinefinne im Menſchen zur Taenia solium werde, konnte man unfreiwillig oder freiwillig Finnen verſchlucken laſſen und die Folgen beobachten. Der um die Naturgeſchichte [Abbildung a Kopf und b Glied von Taenla solium. c Kopf und d Glied von Taenia mediocanellata.] der Bandwürmer hoch verdiente Küchen- meiſter kam auf den Gedanken, zum Tode verurtheilten Verbrechern, ohne daß ſie es ahnten, in einer guten Suppe und mit Wurſtſemmeln die Finnen beizubringen und bei der Sektion der Delinquenten das Vorhandenſein der Finnen und den Beginn ihrer Umwandlung zu konſtatiren. Ein anderer Forſcher fand für mäßiges Geld einen armen Schlucker, der ſich nach Anweiſung den Bandwurm anaß; und endlich bewog die Liebe zur Wahrheit und Wiſſenſchaft mehrere Zoologen, ſich ſelbſt als Verſuchsmenſchen aufs innigſte mit Finnen und Bandwurm zu befreunden. Von der Einführung der Finne in den Magen bis zur Abſtoßung der erſten reifen Glieder ſcheinen 3 bis 3½ Monate nöthig zu ſein. Sein Alter bringt der Bandwurm auf 10 bis 12 Jahre; ja bei gehöriger Pflege ſcheint er noch älter zu werden. Ein zweiter, den Menſchen bewohnender Bandwurm iſt Taenia modiocanellata, der 12 Fuß lang wird und dicker, ſtärker und beweglicher als der andre iſt, mit dem wir uns eben beſchäftigt. Zu unterſcheiden ſind ſie ſehr leicht, da der Kopf der mediocanellata ohne Hakenkranz iſt und alſo nur die vier ſehr kräftigen Saugnäpfe trägt. Aber auch jedes reife Glied läßt ihn erkennen, indem der Eihalter 20 bis 35 dicht neben einander laufende Seitenzweige hat. Die Verbreitung dieſes Thieres ſcheint eine eben ſo große, als die der anderen Art zu ſein. Man wußte ſchon länger, daß die Abyſſinier ſehr von einem Bandwurm geplagt würden und zwar nach den Berichten älterer und neuerer Reiſenden in Folge der Sitte, das Fleiſch roh zu genießen. Die Muhame- daner und Europäer, welche ſich dieſes Genuſſes enthalten, werden vom Bandwurm verſchont, der ſich ſogleich einſtellt, wenn ſie die abyſſiniſche Gewohnheit mitmachen. Nun iſt aber das Fleiſch, welches die Abyſſinier genießen, kein Schweinefleiſch, ſondern dasjenige von Schafen und Rindern. Andere ärztliche Berichte, wonach Kinder nach dem Genuſſe geſchabten Rindfleiſches mit dem Bandwurm behaftet wurden, brachten Leuckart auf die Vermuthung, die Finne der Taenia mediocanellata wohne in den Muskeln des Rindes, und die darauf angeſtellten Verſuche gaben den Beweis dafür. Vor dem Genuß rohen Rindfleiſches muß daher eben ſo nachdrücklich, wie vor dem des Schweinefleiſches gewarnt werden. Ganz finnige Rinder und Kälber ſcheinen ſehr ſelten vorzukommen, wohl der Hauptgrund, warum der Blaſenwurmzuſtand des hakenloſen Menſchenbandwurmes bis vor wenigen Jahren verborgen bleiben konnte. Die Nahrungsweiſe der Wiederkäuer bringt es mit ſich, daß ſie der Gefahr des Verſchlingens ganzer Bandwurmglieder mit Tauſenden von Eiern viel weniger ausgeſetzt ſind. Um ſo größere Sorgfalt iſt nöthig. Hier

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 751. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/795>, abgerufen am 24.11.2024.