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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Strudelwürmer. Dendrocoelen.
geraume Zeit fort, öffnet sich und schluckt und schlingt noch. Der an diesen Schlund sich
ansetzende Darmkanal, richtiger gesagt, Verdauungsraum besteht aus einem nach vorn und zwei
sich seitlich nach hinten erstreckenden Hauptästen mit einer größeren oder geringeren Zahl von
Nebenästen und Verzweigungen, welche alle blind endigen.

Von den in unseren süßen Gewässern vorkommenden Dendrocoelen können wir alle mit zwei
Augen auf dem vorderen Ende versehenen zur Gattung Planaria ziehen. Eine der größten, 1 Zoll
lang werdende ist die milchweiße Planarie (Pl. lactea), welche, wie fast alle übrigen, unter
Steinen, zwischen den Schilfblättern und an der Unterseite der Seerosenblätter sich aufhält. Sie
eignet sich besonders, um sich an ihr, ohne sie zu verletzen, den verzweigten Darm zur Anschauung
zu bringen. Er schimmert schon bei auffallendem Lichte schwärzlich durch und wird klarer, wenn
man das Thier in einem Glase bei durchscheinendem Lichte mit der Lupe mustert. Auch darin
schließt sie sich ihren Schwestern an, daß sie die Eier in einem rundlichen Cocon, von der Größe
eines starken Stecknadelkopfes neben sich an den Steinen und Pflanzen befestigt. Bis vor wenigen
Jahren hielt man alle braunen, im mittleren und südlichen Deutschland beobachteten Planarien
für eine Art, Planaria torva. Jch habe gezeigt, daß außer jener schon oben erwähnten Pl. gono-
cephala
mindestens drei verschiedene braune Arten bei uns vorkommen, kenntlich an der äußeren
Form und namentlich an konstanten anatomischen Verschiedenheiten. Jhr Verhalten im Freien
und in der Gefangenschaft ist sehr interessant. Sobald man sie in das Aquarium gesetzt hat,
sind sie einige Zeit unruhig und schwimmen hin und her, dann suchen sie die dunkelsten Verstecke
auf und verhalten sich möglichst still und bewegungslos.

Dieß gilt auch von unserer zweiten einheimischen Gattung, dem Vielauge (Polycelis).
Die kleinere, 3 bis 5 Linien lange Polycelis nigra ist in der Ebene und in stehenden Gewässern sehr
gemein und theilt mit der anderen Art die Vieläugigkeit. Der ganze Rand des Vorderendes ist
mit einer Reihe von 30 bis 50 Augen besetzt. Am häufigsten ist die vorn breite und abgerundete
P. nigra ganz schwarz; daneben kommt eine bräunliche Abart vor. Die andere Art, das
gehörnte Vielauge
(P. cornuta), hält sich vorzugsweise in den schnell fließenden, kühlen und
schattigen Gebirgswässern auf, und ist z. B. in den Bächen der steirischen Berge und Gebirge

[Abbildung] Polycelis laevlgata.
a
das ganze Thier,
c die Augen-Haufen.
millionenweis vorhanden. Auch auf dem Thüringer Walde wurde sie gefunden.
Sie ist eine der zierlichsten und schlanksten unter ihres Gleichen, ausgezeichnet
durch zwei fühlerartige Kopflappen, welche ihr große Aehnlichkeit mit gewissen
Naktschnecken verleihen. Einmal, als ich zahlreiche Exemplare dieser Art des
Abends in einem Glase nach Hause geholt hatte, war am anderen Morgen
das Gefäß wie mit Spinnegeweben durchzogen, an denen die Planarien umher-
glitten. Diese Häute konnten nur von den Thieren abgesondert sein, und es
ist zu vermuthen, daß es durch eine dieser Art eigenthümliche, am Bauche sich
öffnende Drüse geschieht.

Der an die beschriebenen gemeinen Arten sich anschließenden Formen sind
gewiß über die ganze Erde verbreitet unendlich viele. Jch konnte wenigstens
in Corfu und Cephalonien auf wenigen Excursionen mehrere neue hinzufügen.
Einen weit größeren Reichthum bietet aber auch hier das Meer. Die See-
planarien
schließen sich nur zum geringsten Theile enger an die oben geschil-
derten Gattungen an. Die wichtigsten Abweichungen beziehen sich auf das
anatomische Detail der Fortpflanzungsorgane. Bei den meisten finden sich auf
der Rückenseite in der Nähe des Vorderendes zahlreiche Augen, nicht vollkommen
symmetrisch, für jede Species aber doch in charakteristischer Ordnung in zwei Haufen. Fast immer
ist der Körper sehr platt und breit, oft durchscheinend und schön gefärbt. Die Thiere sehen so zart aus,
daß man kaum begreift, wie sie oft unter dem schwachen Schutze einiger Taugstreifen dem Wellenschlage
widerstehen können. Jch habe mich mit ihrer Beobachtung längere Zeit bei meinem Aufenthalte in

Strudelwürmer. Dendrocoelen.
geraume Zeit fort, öffnet ſich und ſchluckt und ſchlingt noch. Der an dieſen Schlund ſich
anſetzende Darmkanal, richtiger geſagt, Verdauungsraum beſteht aus einem nach vorn und zwei
ſich ſeitlich nach hinten erſtreckenden Hauptäſten mit einer größeren oder geringeren Zahl von
Nebenäſten und Verzweigungen, welche alle blind endigen.

Von den in unſeren ſüßen Gewäſſern vorkommenden Dendrocoelen können wir alle mit zwei
Augen auf dem vorderen Ende verſehenen zur Gattung Planaria ziehen. Eine der größten, 1 Zoll
lang werdende iſt die milchweiße Planarie (Pl. lactea), welche, wie faſt alle übrigen, unter
Steinen, zwiſchen den Schilfblättern und an der Unterſeite der Seeroſenblätter ſich aufhält. Sie
eignet ſich beſonders, um ſich an ihr, ohne ſie zu verletzen, den verzweigten Darm zur Anſchauung
zu bringen. Er ſchimmert ſchon bei auffallendem Lichte ſchwärzlich durch und wird klarer, wenn
man das Thier in einem Glaſe bei durchſcheinendem Lichte mit der Lupe muſtert. Auch darin
ſchließt ſie ſich ihren Schweſtern an, daß ſie die Eier in einem rundlichen Cocon, von der Größe
eines ſtarken Stecknadelkopfes neben ſich an den Steinen und Pflanzen befeſtigt. Bis vor wenigen
Jahren hielt man alle braunen, im mittleren und ſüdlichen Deutſchland beobachteten Planarien
für eine Art, Planaria torva. Jch habe gezeigt, daß außer jener ſchon oben erwähnten Pl. gono-
cephala
mindeſtens drei verſchiedene braune Arten bei uns vorkommen, kenntlich an der äußeren
Form und namentlich an konſtanten anatomiſchen Verſchiedenheiten. Jhr Verhalten im Freien
und in der Gefangenſchaft iſt ſehr intereſſant. Sobald man ſie in das Aquarium geſetzt hat,
ſind ſie einige Zeit unruhig und ſchwimmen hin und her, dann ſuchen ſie die dunkelſten Verſtecke
auf und verhalten ſich möglichſt ſtill und bewegungslos.

Dieß gilt auch von unſerer zweiten einheimiſchen Gattung, dem Vielauge (Polycelis).
Die kleinere, 3 bis 5 Linien lange Polycelis nigra iſt in der Ebene und in ſtehenden Gewäſſern ſehr
gemein und theilt mit der anderen Art die Vieläugigkeit. Der ganze Rand des Vorderendes iſt
mit einer Reihe von 30 bis 50 Augen beſetzt. Am häufigſten iſt die vorn breite und abgerundete
P. nigra ganz ſchwarz; daneben kommt eine bräunliche Abart vor. Die andere Art, das
gehörnte Vielauge
(P. cornuta), hält ſich vorzugsweiſe in den ſchnell fließenden, kühlen und
ſchattigen Gebirgswäſſern auf, und iſt z. B. in den Bächen der ſteiriſchen Berge und Gebirge

[Abbildung] Polycelis laevlgata.
a
das ganze Thier,
c die Augen-Haufen.
millionenweis vorhanden. Auch auf dem Thüringer Walde wurde ſie gefunden.
Sie iſt eine der zierlichſten und ſchlankſten unter ihres Gleichen, ausgezeichnet
durch zwei fühlerartige Kopflappen, welche ihr große Aehnlichkeit mit gewiſſen
Naktſchnecken verleihen. Einmal, als ich zahlreiche Exemplare dieſer Art des
Abends in einem Glaſe nach Hauſe geholt hatte, war am anderen Morgen
das Gefäß wie mit Spinnegeweben durchzogen, an denen die Planarien umher-
glitten. Dieſe Häute konnten nur von den Thieren abgeſondert ſein, und es
iſt zu vermuthen, daß es durch eine dieſer Art eigenthümliche, am Bauche ſich
öffnende Drüſe geſchieht.

Der an die beſchriebenen gemeinen Arten ſich anſchließenden Formen ſind
gewiß über die ganze Erde verbreitet unendlich viele. Jch konnte wenigſtens
in Corfu und Cephalonien auf wenigen Excurſionen mehrere neue hinzufügen.
Einen weit größeren Reichthum bietet aber auch hier das Meer. Die See-
planarien
ſchließen ſich nur zum geringſten Theile enger an die oben geſchil-
derten Gattungen an. Die wichtigſten Abweichungen beziehen ſich auf das
anatomiſche Detail der Fortpflanzungsorgane. Bei den meiſten finden ſich auf
der Rückenſeite in der Nähe des Vorderendes zahlreiche Augen, nicht vollkommen
ſymmetriſch, für jede Species aber doch in charakteriſtiſcher Ordnung in zwei Haufen. Faſt immer
iſt der Körper ſehr platt und breit, oft durchſcheinend und ſchön gefärbt. Die Thiere ſehen ſo zart aus,
daß man kaum begreift, wie ſie oft unter dem ſchwachen Schutze einiger Taugſtreifen dem Wellenſchlage
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[736/0780] Strudelwürmer. Dendrocoelen. geraume Zeit fort, öffnet ſich und ſchluckt und ſchlingt noch. Der an dieſen Schlund ſich anſetzende Darmkanal, richtiger geſagt, Verdauungsraum beſteht aus einem nach vorn und zwei ſich ſeitlich nach hinten erſtreckenden Hauptäſten mit einer größeren oder geringeren Zahl von Nebenäſten und Verzweigungen, welche alle blind endigen. Von den in unſeren ſüßen Gewäſſern vorkommenden Dendrocoelen können wir alle mit zwei Augen auf dem vorderen Ende verſehenen zur Gattung Planaria ziehen. Eine der größten, 1 Zoll lang werdende iſt die milchweiße Planarie (Pl. lactea), welche, wie faſt alle übrigen, unter Steinen, zwiſchen den Schilfblättern und an der Unterſeite der Seeroſenblätter ſich aufhält. Sie eignet ſich beſonders, um ſich an ihr, ohne ſie zu verletzen, den verzweigten Darm zur Anſchauung zu bringen. Er ſchimmert ſchon bei auffallendem Lichte ſchwärzlich durch und wird klarer, wenn man das Thier in einem Glaſe bei durchſcheinendem Lichte mit der Lupe muſtert. Auch darin ſchließt ſie ſich ihren Schweſtern an, daß ſie die Eier in einem rundlichen Cocon, von der Größe eines ſtarken Stecknadelkopfes neben ſich an den Steinen und Pflanzen befeſtigt. Bis vor wenigen Jahren hielt man alle braunen, im mittleren und ſüdlichen Deutſchland beobachteten Planarien für eine Art, Planaria torva. Jch habe gezeigt, daß außer jener ſchon oben erwähnten Pl. gono- cephala mindeſtens drei verſchiedene braune Arten bei uns vorkommen, kenntlich an der äußeren Form und namentlich an konſtanten anatomiſchen Verſchiedenheiten. Jhr Verhalten im Freien und in der Gefangenſchaft iſt ſehr intereſſant. Sobald man ſie in das Aquarium geſetzt hat, ſind ſie einige Zeit unruhig und ſchwimmen hin und her, dann ſuchen ſie die dunkelſten Verſtecke auf und verhalten ſich möglichſt ſtill und bewegungslos. Dieß gilt auch von unſerer zweiten einheimiſchen Gattung, dem Vielauge (Polycelis). Die kleinere, 3 bis 5 Linien lange Polycelis nigra iſt in der Ebene und in ſtehenden Gewäſſern ſehr gemein und theilt mit der anderen Art die Vieläugigkeit. Der ganze Rand des Vorderendes iſt mit einer Reihe von 30 bis 50 Augen beſetzt. Am häufigſten iſt die vorn breite und abgerundete P. nigra ganz ſchwarz; daneben kommt eine bräunliche Abart vor. Die andere Art, das gehörnte Vielauge (P. cornuta), hält ſich vorzugsweiſe in den ſchnell fließenden, kühlen und ſchattigen Gebirgswäſſern auf, und iſt z. B. in den Bächen der ſteiriſchen Berge und Gebirge [Abbildung Polycelis laevlgata. a das ganze Thier, c die Augen-Haufen.] millionenweis vorhanden. Auch auf dem Thüringer Walde wurde ſie gefunden. Sie iſt eine der zierlichſten und ſchlankſten unter ihres Gleichen, ausgezeichnet durch zwei fühlerartige Kopflappen, welche ihr große Aehnlichkeit mit gewiſſen Naktſchnecken verleihen. Einmal, als ich zahlreiche Exemplare dieſer Art des Abends in einem Glaſe nach Hauſe geholt hatte, war am anderen Morgen das Gefäß wie mit Spinnegeweben durchzogen, an denen die Planarien umher- glitten. Dieſe Häute konnten nur von den Thieren abgeſondert ſein, und es iſt zu vermuthen, daß es durch eine dieſer Art eigenthümliche, am Bauche ſich öffnende Drüſe geſchieht. Der an die beſchriebenen gemeinen Arten ſich anſchließenden Formen ſind gewiß über die ganze Erde verbreitet unendlich viele. Jch konnte wenigſtens in Corfu und Cephalonien auf wenigen Excurſionen mehrere neue hinzufügen. Einen weit größeren Reichthum bietet aber auch hier das Meer. Die See- planarien ſchließen ſich nur zum geringſten Theile enger an die oben geſchil- derten Gattungen an. Die wichtigſten Abweichungen beziehen ſich auf das anatomiſche Detail der Fortpflanzungsorgane. Bei den meiſten finden ſich auf der Rückenſeite in der Nähe des Vorderendes zahlreiche Augen, nicht vollkommen ſymmetriſch, für jede Species aber doch in charakteriſtiſcher Ordnung in zwei Haufen. Faſt immer iſt der Körper ſehr platt und breit, oft durchſcheinend und ſchön gefärbt. Die Thiere ſehen ſo zart aus, daß man kaum begreift, wie ſie oft unter dem ſchwachen Schutze einiger Taugſtreifen dem Wellenſchlage widerſtehen können. Jch habe mich mit ihrer Beobachtung längere Zeit bei meinem Aufenthalte in

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 736. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/780>, abgerufen am 24.11.2024.