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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Wasserkalb. Mermis.
Die aus dem Ei kriechenden kleinen Gordien, Linie lang, sind sehr sonderbare Wesen, welche,
wie der Beobachter sich ausdrückt, sowohl durch ihre äußerst geringe Größe, im Verhältniß zu
fußlangen ausgewachsenen Gordien, als besonders durch ihre Gestalt und Organisation in Erstaunen
setzen. Jhr cylindrischer Leib
besteht aus einem dickeren
Vordertheile und einem dün-
neren schwanzartigen An-
hange. Aus dem Leibe kann
eine Art Kopf herausgestülpt
werden, welcher mit zwei Krei-
sen von je sechs Häkchen be-
setzt ist und bei dessen völliger
Entfaltung noch ein horniger
Rüssel hervortritt. Mit die-
ser Bewaffnung durchbohren
die Thierchen zuerst ihre Ei-
hülle. Da sie aber zu Hun-
[Abbildung] Larve des Wasserkalbes.
a mit ausgestülptem, b mit eingezogenem Stachel; c zwei Exemplare im Beine der
Eintagsfliegen-Larve.
derten ruhig am Boden des Aquariums liegen blieben und es offenbar wurde, daß sie nicht
auf einer Wanderung ihre Wirthe aufsuchen, sondern abwarten würden, bis diese selbst sich
ihnen unmittelbar näherten, that Meissner eine Menge Larven von Eintagsfliegen und
Frühlingsfliegen in die Gefäße, worin die jungen Gordien sich befanden, und die Einwanderung
ging vor sich. Sie suchen die zarteren Stellen an den Gelenken der Beine auf, zwängen sich hier
durch ein mit ihrem Hakenapparat gebohrtes Löchelchen durch und steigen unter häufigem und
kräftigen Aus- und Einstülpen des Kopfes zwischen den Muskelfasern in den Füßen empor, um
sich im ganzen Körper der Jnsektenlarven zu verbreiten. Sie gehen dann in einen Zustand der
Ruhe über, indem sie sich ähnlich wie die Muskeltrichinen einkapseln. Daß sie für die zarten
Jnsekten übrigens durchaus die Bedeutung der Trichinen haben, ergab sich aus den Fällen, wo
nach Einwanderung von etwa 40 jungen Gordien die Larven der Eintagsfliegen zu Grunde gingen.
Was weiter das Schicksal der kleinen Wasserkälber ist, konnte bisher nicht ermittelt werden.
Sie werden höchst wahrscheinlich mit ihren Wirthen noch in andre Thiere einwandern müssen.



Von der zweiten Gattung der Saitenwürmer, Mermis, leben die beiden am häufigsten
beobachteten Arten, die Mermis albicans und nigrescens, in der feuchten Gartenerde. Die größeren
Weibchen werden 4 bis 41/2 Zoll lang. Sie erscheinen beson-
ders im Sommer nach nächtlichem, warmem Regen an der
Oberfläche (Wurmregen) und kommen mitunter zu Hunder-
ten und Tausenden zum Vorschein. Daß auch ihr Verhal-
ten für die Beobachter nicht amüsant ist, kann man erwar-
ten. Sie liegen gewöhnlich zusammengerollt ruhig in der
Erde, entweder einzeln oder zu mehreren in einen Knäuel
verwickelt. Benetzt man die Erde, in der man sie hält, so
pflegen sie sich langsam in Bewegung zu setzen und einige
Zeit an der Oberfläche zu verweilen. Gegen Berührungen
wehren sie sich durch raschere, ausweichende Bewegungen.
Auch im Wasser halten sie sich Tage lang.

[Abbildung] Eier und Larven von Mermis. Vergrößert.

Von sehr auffallender Form sind ihre Eier, nämlich linsenförmig, mit zwei in Quasten endi-
genden Anhängen. Bei Mermis albicans kriechen aus den im Sommer gelegten Eiern die Jungen

Waſſerkalb. Mermis.
Die aus dem Ei kriechenden kleinen Gordien, Linie lang, ſind ſehr ſonderbare Weſen, welche,
wie der Beobachter ſich ausdrückt, ſowohl durch ihre äußerſt geringe Größe, im Verhältniß zu
fußlangen ausgewachſenen Gordien, als beſonders durch ihre Geſtalt und Organiſation in Erſtaunen
ſetzen. Jhr cylindriſcher Leib
beſteht aus einem dickeren
Vordertheile und einem dün-
neren ſchwanzartigen An-
hange. Aus dem Leibe kann
eine Art Kopf herausgeſtülpt
werden, welcher mit zwei Krei-
ſen von je ſechs Häkchen be-
ſetzt iſt und bei deſſen völliger
Entfaltung noch ein horniger
Rüſſel hervortritt. Mit die-
ſer Bewaffnung durchbohren
die Thierchen zuerſt ihre Ei-
hülle. Da ſie aber zu Hun-
[Abbildung] Larve des Waſſerkalbes.
a mit ausgeſtülptem, b mit eingezogenem Stachel; c zwei Exemplare im Beine der
Eintagsfliegen-Larve.
derten ruhig am Boden des Aquariums liegen blieben und es offenbar wurde, daß ſie nicht
auf einer Wanderung ihre Wirthe aufſuchen, ſondern abwarten würden, bis dieſe ſelbſt ſich
ihnen unmittelbar näherten, that Meiſſner eine Menge Larven von Eintagsfliegen und
Frühlingsfliegen in die Gefäße, worin die jungen Gordien ſich befanden, und die Einwanderung
ging vor ſich. Sie ſuchen die zarteren Stellen an den Gelenken der Beine auf, zwängen ſich hier
durch ein mit ihrem Hakenapparat gebohrtes Löchelchen durch und ſteigen unter häufigem und
kräftigen Aus- und Einſtülpen des Kopfes zwiſchen den Muskelfaſern in den Füßen empor, um
ſich im ganzen Körper der Jnſektenlarven zu verbreiten. Sie gehen dann in einen Zuſtand der
Ruhe über, indem ſie ſich ähnlich wie die Muskeltrichinen einkapſeln. Daß ſie für die zarten
Jnſekten übrigens durchaus die Bedeutung der Trichinen haben, ergab ſich aus den Fällen, wo
nach Einwanderung von etwa 40 jungen Gordien die Larven der Eintagsfliegen zu Grunde gingen.
Was weiter das Schickſal der kleinen Waſſerkälber iſt, konnte bisher nicht ermittelt werden.
Sie werden höchſt wahrſcheinlich mit ihren Wirthen noch in andre Thiere einwandern müſſen.



Von der zweiten Gattung der Saitenwürmer, Mermis, leben die beiden am häufigſten
beobachteten Arten, die Mermis albicans und nigrescens, in der feuchten Gartenerde. Die größeren
Weibchen werden 4 bis 4½ Zoll lang. Sie erſcheinen beſon-
ders im Sommer nach nächtlichem, warmem Regen an der
Oberfläche (Wurmregen) und kommen mitunter zu Hunder-
ten und Tauſenden zum Vorſchein. Daß auch ihr Verhal-
ten für die Beobachter nicht amüſant iſt, kann man erwar-
ten. Sie liegen gewöhnlich zuſammengerollt ruhig in der
Erde, entweder einzeln oder zu mehreren in einen Knäuel
verwickelt. Benetzt man die Erde, in der man ſie hält, ſo
pflegen ſie ſich langſam in Bewegung zu ſetzen und einige
Zeit an der Oberfläche zu verweilen. Gegen Berührungen
wehren ſie ſich durch raſchere, ausweichende Bewegungen.
Auch im Waſſer halten ſie ſich Tage lang.

[Abbildung] Eier und Larven von Mermis. Vergrößert.

Von ſehr auffallender Form ſind ihre Eier, nämlich linſenförmig, mit zwei in Quaſten endi-
genden Anhängen. Bei Mermis albicans kriechen aus den im Sommer gelegten Eiern die Jungen

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[725/0769] Waſſerkalb. Mermis. Die aus dem Ei kriechenden kleinen Gordien, [FORMEL] Linie lang, ſind ſehr ſonderbare Weſen, welche, wie der Beobachter ſich ausdrückt, ſowohl durch ihre äußerſt geringe Größe, im Verhältniß zu fußlangen ausgewachſenen Gordien, als beſonders durch ihre Geſtalt und Organiſation in Erſtaunen ſetzen. Jhr cylindriſcher Leib beſteht aus einem dickeren Vordertheile und einem dün- neren ſchwanzartigen An- hange. Aus dem Leibe kann eine Art Kopf herausgeſtülpt werden, welcher mit zwei Krei- ſen von je ſechs Häkchen be- ſetzt iſt und bei deſſen völliger Entfaltung noch ein horniger Rüſſel hervortritt. Mit die- ſer Bewaffnung durchbohren die Thierchen zuerſt ihre Ei- hülle. Da ſie aber zu Hun- [Abbildung Larve des Waſſerkalbes. a mit ausgeſtülptem, b mit eingezogenem Stachel; c zwei Exemplare im Beine der Eintagsfliegen-Larve.] derten ruhig am Boden des Aquariums liegen blieben und es offenbar wurde, daß ſie nicht auf einer Wanderung ihre Wirthe aufſuchen, ſondern abwarten würden, bis dieſe ſelbſt ſich ihnen unmittelbar näherten, that Meiſſner eine Menge Larven von Eintagsfliegen und Frühlingsfliegen in die Gefäße, worin die jungen Gordien ſich befanden, und die Einwanderung ging vor ſich. Sie ſuchen die zarteren Stellen an den Gelenken der Beine auf, zwängen ſich hier durch ein mit ihrem Hakenapparat gebohrtes Löchelchen durch und ſteigen unter häufigem und kräftigen Aus- und Einſtülpen des Kopfes zwiſchen den Muskelfaſern in den Füßen empor, um ſich im ganzen Körper der Jnſektenlarven zu verbreiten. Sie gehen dann in einen Zuſtand der Ruhe über, indem ſie ſich ähnlich wie die Muskeltrichinen einkapſeln. Daß ſie für die zarten Jnſekten übrigens durchaus die Bedeutung der Trichinen haben, ergab ſich aus den Fällen, wo nach Einwanderung von etwa 40 jungen Gordien die Larven der Eintagsfliegen zu Grunde gingen. Was weiter das Schickſal der kleinen Waſſerkälber iſt, konnte bisher nicht ermittelt werden. Sie werden höchſt wahrſcheinlich mit ihren Wirthen noch in andre Thiere einwandern müſſen. Von der zweiten Gattung der Saitenwürmer, Mermis, leben die beiden am häufigſten beobachteten Arten, die Mermis albicans und nigrescens, in der feuchten Gartenerde. Die größeren Weibchen werden 4 bis 4½ Zoll lang. Sie erſcheinen beſon- ders im Sommer nach nächtlichem, warmem Regen an der Oberfläche (Wurmregen) und kommen mitunter zu Hunder- ten und Tauſenden zum Vorſchein. Daß auch ihr Verhal- ten für die Beobachter nicht amüſant iſt, kann man erwar- ten. Sie liegen gewöhnlich zuſammengerollt ruhig in der Erde, entweder einzeln oder zu mehreren in einen Knäuel verwickelt. Benetzt man die Erde, in der man ſie hält, ſo pflegen ſie ſich langſam in Bewegung zu ſetzen und einige Zeit an der Oberfläche zu verweilen. Gegen Berührungen wehren ſie ſich durch raſchere, ausweichende Bewegungen. Auch im Waſſer halten ſie ſich Tage lang. [Abbildung Eier und Larven von Mermis. Vergrößert.] Von ſehr auffallender Form ſind ihre Eier, nämlich linſenförmig, mit zwei in Quaſten endi- genden Anhängen. Bei Mermis albicans kriechen aus den im Sommer gelegten Eiern die Jungen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 725. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/769>, abgerufen am 24.11.2024.