Seit einigen und zwanzig Jahren auf dem weiten Gebiete der Naturgeschichte der Thiere thätig, habe ich es immer als eine nothwendige Ergänzung der streng wissenschaftlichen Studien augesehen, die Resultate der Wissenschaft dem gebildeten Laien in ansprechender Form vorzulegen. Nachdem die Deutschen im Fache der populären Literatur lange Jahre hinter den Franzosen und Engländern zurückgeblieben, hat diese Literatur, besonders die naturwissenschaftliche, in den letzten Jahrzehnten eine ganz unglaubliche Höhe der Production und des Absatzes erreicht. Die Natur- wissenschaften haben allerdings das Größte, Auffallendste und Manchfaltigste geliefert; die Vortheile ihrer Fortschritte sind unmittelbar ins Praktische übertragen worden; jeder denkende Mensch ist von den riesenhaften Fortschritten berührt worden und veranlaßt, sich nach der Möglichkeit und den Ursachen derselben umzuschauen. Dazu kommt, warum sollen wir es nicht aussprechen? -- daß man nur zu geneigt ist, zu meinen, man könne den Naturwissenschaften am leichtesten nahen und in ihre Vorhalle eindringen, weil sie an Dinge anknüpfen, mit denen man von Kindheit an vertraut zu sein glaubt.
Ein meisterhaftes Vorbild dieser populären naturwissenschaftlichen Literatur sind Humboldt's schon 1808 erschienene "Ansichten der Natur", mit den Schilderungen der Steppen und Wüsten, den Jdeen zu einer Physiognomik der Gewächse, der Beschreibung der Wasserfälle des Orinocco. Ein kleiner, weitläufig gedruckter Band, hat er zahllose Nachkommen gehabt, von keinem erreicht in der großartigen Einfachheit der Malerei. Der vierzig Jahre später erschienene, nichts weniger als populäre "Kosmos" fand eine Welt, welche eben vierzig Jahre der rapidesten Entwicke- lung hinter sich hatte. Die populär-naturwissenschaftliche Literatur war in voller Blüthe, und statt der harmlosen "Augen- und Gemüths-Ergötzungen" des vorigen Jahrhunderts, wurden nun der Nation von Männern wie Mädler, Burmeister, Schleiden, Vogt, Moleschott u. A. die Errungenschaften der strengen Studien, der mikroskopischen Forschung in Werken geboten, deren Gediegenheit jenen von unseren Ureltern ungeahnten Fortschritten der Wissenschaft entsprach.
Es versteht sich von selbst, daß die für das große Publikum bestimmte naturwissenschaftliche Literatur mit ihrer Ausbreitung auch bis zu einem gewissen Grade spezieller geworden ist. Dies unter zwei Voraussetzungen: daß man nämlich überhaupt bei dem großen Andrange der Anschauungen und der Allgemeinheit der Hilfsmittel sich in unserer Zeit ohne Mühe und fast unbewußt ein größeres Maß von Vorkenntnissen erwirbt, und zweitens, was wichtiger, daß man mit größerem Ernst das Gebotene verarbeitet. Gerade hierin sind uns die Franzosen und Engländer wirklich überlegen gewesen. Wers nicht glaubt, blättere in den früheren Jahrgängen der Revue des deux mondes; die naturwissenschaftlichen Aufsätze dieser Unterhaltungs-Zeitschrift wollen studirt sein. Dies gilt bis auf die neueren über die Urgeschichte des Menschen von dem berühmten pariser Zoologen de Quatrefages und die neuesten über Physiologie von dem, des höchsten wissenschaft- lichen Rufes theilhaftigen Claude Bernard.
Daß das Werk, dessen letzten Theil zu schreiben ich hiermit unternehme, eine ganz außer- ordentliche Verbreitung in Deutschland gefunden, ist bekannt. Der Schwerpunkt ist von Brehm glücklich in die Schilderung des Lebens, des Treibens und Thuns der Thiere gelegt, und dieses Leben ist unübertrefflich illustrirt worden. Allerdings bietet vorzugsweise das Leben der höheren Thiere jene wechselnden Situationen, welche zu Schilderungen geeignet sind. Bei der niederen Thierwelt kann uns weniger das meist einförmig dahinfließende äußere Leben fesseln; wir werden unwillkürlich an ihr inneres Leben gewiesen, das heißt an den Bau und die wundersamen That- sachen der Entwicklung der Jndividuen. Das Leben eines Bandwurmes ist an Ereignissen reich; diese beziehen sich aber nicht auf die Thaten des Helden, der sich meist passiv in die ihm
Vorbemerkung.
Seit einigen und zwanzig Jahren auf dem weiten Gebiete der Naturgeſchichte der Thiere thätig, habe ich es immer als eine nothwendige Ergänzung der ſtreng wiſſenſchaftlichen Studien augeſehen, die Reſultate der Wiſſenſchaft dem gebildeten Laien in anſprechender Form vorzulegen. Nachdem die Deutſchen im Fache der populären Literatur lange Jahre hinter den Franzoſen und Engländern zurückgeblieben, hat dieſe Literatur, beſonders die naturwiſſenſchaftliche, in den letzten Jahrzehnten eine ganz unglaubliche Höhe der Production und des Abſatzes erreicht. Die Natur- wiſſenſchaften haben allerdings das Größte, Auffallendſte und Manchfaltigſte geliefert; die Vortheile ihrer Fortſchritte ſind unmittelbar ins Praktiſche übertragen worden; jeder denkende Menſch iſt von den rieſenhaften Fortſchritten berührt worden und veranlaßt, ſich nach der Möglichkeit und den Urſachen derſelben umzuſchauen. Dazu kommt, warum ſollen wir es nicht ausſprechen? — daß man nur zu geneigt iſt, zu meinen, man könne den Naturwiſſenſchaften am leichteſten nahen und in ihre Vorhalle eindringen, weil ſie an Dinge anknüpfen, mit denen man von Kindheit an vertraut zu ſein glaubt.
Ein meiſterhaftes Vorbild dieſer populären naturwiſſenſchaftlichen Literatur ſind Humboldt’s ſchon 1808 erſchienene „Anſichten der Natur“, mit den Schilderungen der Steppen und Wüſten, den Jdeen zu einer Phyſiognomik der Gewächſe, der Beſchreibung der Waſſerfälle des Orinocco. Ein kleiner, weitläufig gedruckter Band, hat er zahlloſe Nachkommen gehabt, von keinem erreicht in der großartigen Einfachheit der Malerei. Der vierzig Jahre ſpäter erſchienene, nichts weniger als populäre „Kosmos“ fand eine Welt, welche eben vierzig Jahre der rapideſten Entwicke- lung hinter ſich hatte. Die populär-naturwiſſenſchaftliche Literatur war in voller Blüthe, und ſtatt der harmloſen „Augen- und Gemüths-Ergötzungen“ des vorigen Jahrhunderts, wurden nun der Nation von Männern wie Mädler, Burmeiſter, Schleiden, Vogt, Moleſchott u. A. die Errungenſchaften der ſtrengen Studien, der mikroſkopiſchen Forſchung in Werken geboten, deren Gediegenheit jenen von unſeren Ureltern ungeahnten Fortſchritten der Wiſſenſchaft entſprach.
Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die für das große Publikum beſtimmte naturwiſſenſchaftliche Literatur mit ihrer Ausbreitung auch bis zu einem gewiſſen Grade ſpezieller geworden iſt. Dies unter zwei Vorausſetzungen: daß man nämlich überhaupt bei dem großen Andrange der Anſchauungen und der Allgemeinheit der Hilfsmittel ſich in unſerer Zeit ohne Mühe und faſt unbewußt ein größeres Maß von Vorkenntniſſen erwirbt, und zweitens, was wichtiger, daß man mit größerem Ernſt das Gebotene verarbeitet. Gerade hierin ſind uns die Franzoſen und Engländer wirklich überlegen geweſen. Wers nicht glaubt, blättere in den früheren Jahrgängen der Révue des deux mondes; die naturwiſſenſchaftlichen Aufſätze dieſer Unterhaltungs-Zeitſchrift wollen ſtudirt ſein. Dies gilt bis auf die neueren über die Urgeſchichte des Menſchen von dem berühmten pariſer Zoologen de Quatrefages und die neueſten über Phyſiologie von dem, des höchſten wiſſenſchaft- lichen Rufes theilhaftigen Claude Bernard.
Daß das Werk, deſſen letzten Theil zu ſchreiben ich hiermit unternehme, eine ganz außer- ordentliche Verbreitung in Deutſchland gefunden, iſt bekannt. Der Schwerpunkt iſt von Brehm glücklich in die Schilderung des Lebens, des Treibens und Thuns der Thiere gelegt, und dieſes Leben iſt unübertrefflich illuſtrirt worden. Allerdings bietet vorzugsweiſe das Leben der höheren Thiere jene wechſelnden Situationen, welche zu Schilderungen geeignet ſind. Bei der niederen Thierwelt kann uns weniger das meiſt einförmig dahinfließende äußere Leben feſſeln; wir werden unwillkürlich an ihr inneres Leben gewieſen, das heißt an den Bau und die wunderſamen That- ſachen der Entwicklung der Jndividuen. Das Leben eines Bandwurmes iſt an Ereigniſſen reich; dieſe beziehen ſich aber nicht auf die Thaten des Helden, der ſich meiſt paſſiv in die ihm
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Vorbemerkung.
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augeſehen, die Reſultate der Wiſſenſchaft dem gebildeten Laien in anſprechender Form vorzulegen.
Nachdem die Deutſchen im Fache der populären Literatur lange Jahre hinter den Franzoſen und
Engländern zurückgeblieben, hat dieſe Literatur, beſonders die naturwiſſenſchaftliche, in den letzten
Jahrzehnten eine ganz unglaubliche Höhe der Production und des Abſatzes erreicht. Die Natur-
wiſſenſchaften haben allerdings das Größte, Auffallendſte und Manchfaltigſte geliefert; die Vortheile
ihrer Fortſchritte ſind unmittelbar ins Praktiſche übertragen worden; jeder denkende Menſch iſt von
den rieſenhaften Fortſchritten berührt worden und veranlaßt, ſich nach der Möglichkeit und den Urſachen
derſelben umzuſchauen. Dazu kommt, warum ſollen wir es nicht ausſprechen? — daß man nur zu
geneigt iſt, zu meinen, man könne den Naturwiſſenſchaften am leichteſten nahen und in ihre Vorhalle
eindringen, weil ſie an Dinge anknüpfen, mit denen man von Kindheit an vertraut zu ſein glaubt.
Ein meiſterhaftes Vorbild dieſer populären naturwiſſenſchaftlichen Literatur ſind Humboldt’s
ſchon 1808 erſchienene „Anſichten der Natur“, mit den Schilderungen der Steppen und Wüſten,
den Jdeen zu einer Phyſiognomik der Gewächſe, der Beſchreibung der Waſſerfälle des Orinocco.
Ein kleiner, weitläufig gedruckter Band, hat er zahlloſe Nachkommen gehabt, von keinem erreicht
in der großartigen Einfachheit der Malerei. Der vierzig Jahre ſpäter erſchienene, nichts weniger
als populäre „Kosmos“ fand eine Welt, welche eben vierzig Jahre der rapideſten Entwicke-
lung hinter ſich hatte. Die populär-naturwiſſenſchaftliche Literatur war in voller Blüthe, und
ſtatt der harmloſen „Augen- und Gemüths-Ergötzungen“ des vorigen Jahrhunderts, wurden nun
der Nation von Männern wie Mädler, Burmeiſter, Schleiden, Vogt, Moleſchott u. A.
die Errungenſchaften der ſtrengen Studien, der mikroſkopiſchen Forſchung in Werken geboten, deren
Gediegenheit jenen von unſeren Ureltern ungeahnten Fortſchritten der Wiſſenſchaft entſprach.
Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die für das große Publikum beſtimmte naturwiſſenſchaftliche
Literatur mit ihrer Ausbreitung auch bis zu einem gewiſſen Grade ſpezieller geworden iſt. Dies
unter zwei Vorausſetzungen: daß man nämlich überhaupt bei dem großen Andrange der Anſchauungen
und der Allgemeinheit der Hilfsmittel ſich in unſerer Zeit ohne Mühe und faſt unbewußt ein
größeres Maß von Vorkenntniſſen erwirbt, und zweitens, was wichtiger, daß man mit größerem
Ernſt das Gebotene verarbeitet. Gerade hierin ſind uns die Franzoſen und Engländer wirklich
überlegen geweſen. Wers nicht glaubt, blättere in den früheren Jahrgängen der Révue des deux
mondes; die naturwiſſenſchaftlichen Aufſätze dieſer Unterhaltungs-Zeitſchrift wollen ſtudirt ſein.
Dies gilt bis auf die neueren über die Urgeſchichte des Menſchen von dem berühmten pariſer
Zoologen de Quatrefages und die neueſten über Phyſiologie von dem, des höchſten wiſſenſchaft-
lichen Rufes theilhaftigen Claude Bernard.
Daß das Werk, deſſen letzten Theil zu ſchreiben ich hiermit unternehme, eine ganz außer-
ordentliche Verbreitung in Deutſchland gefunden, iſt bekannt. Der Schwerpunkt iſt von Brehm
glücklich in die Schilderung des Lebens, des Treibens und Thuns der Thiere gelegt, und dieſes
Leben iſt unübertrefflich illuſtrirt worden. Allerdings bietet vorzugsweiſe das Leben der höheren
Thiere jene wechſelnden Situationen, welche zu Schilderungen geeignet ſind. Bei der niederen
Thierwelt kann uns weniger das meiſt einförmig dahinfließende äußere Leben feſſeln; wir werden
unwillkürlich an ihr inneres Leben gewieſen, das heißt an den Bau und die wunderſamen That-
ſachen der Entwicklung der Jndividuen. Das Leben eines Bandwurmes iſt an Ereigniſſen reich;
dieſe beziehen ſich aber nicht auf die Thaten des Helden, der ſich meiſt paſſiv in die ihm
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. [621]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/659>, abgerufen am 24.11.2024.
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