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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Spinnenthiere. Echte Spinnen.
acht Tagen erfolgt und von dem größern oder geringern Wärmegrade in der Luft abhängt. Bis
zu dieser letzten Arbeit, welche ihr das volle Leben geben soll, liegt sie unbeweglich mit aus-
gestreckten Beinen. Jetzt zieht sie das Kleid aus und ruht kurze Zeit, um die dabei aufgewandten
Kräfte wieder zu sammeln. Einige Stunden später spaziert sie munter umher, spinnt Fäden und
beginnt ihr Räuberhandwerk. Unter wiederholten Häutungen wachsen die Spinnen nun ziemlich
rasch, wenn nicht der Winter einen Stillstand gebietet. Wie oft das Kleid gewechselt wird, und
ob bei den verschiedenen Arten in gleicher Weise, läßt sich ungemein schwer ermitteln, weil sichere
Beobachtungen nur an gefangen gehaltenen Spinnen angestellt werden können, die meisten aber
in der Gefangenschaft bei der reichlichsten Nahrung zu Grunde gehen, wenn sie dieselbe nicht
genau in der Weise erlangen können, wie es einer jeden ihrer Natur nach in der Freiheit beliebt.
Jm Allgemeinen nimmt man an, daß mit der vierten Häutung das Wachsthum erreicht sei, also
auch die Wiedererzeugung einzelner verloren gegangener Glieder ein Ende nehme.

Der eigentliche Hergang bei der Begattung ist gleichfalls noch nicht vollkommen aufgeklärt.
Die auf Beobachtungen gegründeten Ermittelungen bestehen der Hauptsache nach in Folgendem.
Wenn sich das Männchen begatten will, so nähert es sich mit großer Vorsicht und sehr allmälig
dem Weibchen, um zu prüfen, ob dieses seine Liebkosungen freundlich annehme, oder seine Person
als fetten Bissen ansehen und verspeisen möchte. Dadurch, daß es sich, mit dem Bauche nach
oben gekehrt, aufhängt gibt das Weibchen seine freundlichen Gesinnungen zu erkennen, in Folge
dessen das Männchen herankommt und schnell hinter einander abwechselnd mit den beiden Spitzen
seiner Taster, der bei den verschiedenen Arten verschieden gestalteten "Samenüberträger", die weib-
liche Scheide am Grunde des Bauches berührt; dabei schwellen die Tasterspitzen merklich an.
Dieser Act, während dessen beide Theile meist auf nichts in ihrer Umgebung achten, wird in
kurzen Zwischenräumen mehrmals wiederholt, dann aber entfernt sich das Männchen schleunigst,
um nicht das Opfer seiner Dame zu werden. So wurde der Hergang bei Rad- und Nestspinnen
wahrgenommen, nicht aber, daß das Männchen mit seinen Tasterspitzen nach der Wurzel seines
Bauches fasse, um sie von dort mit Samenflüssigkeit zu versorgen. Darum stellte man die Ansicht
auf, daß sich an letzterer Stelle gar kein Ausgang fände, vielmehr die wenig gewundenen Samen-
schläuche im Bauche innerlich mit den Kiefertasterspitzen in Verbindung ständen. Jndeß verhält
sich die Sache doch anders, und die männliche Geschlechtsöffnung fehlt an der Bauchwurzel nicht.

Man kennt zur Zeit einige tausend Spinnen, welche über die ganze Erde verbreitet sind und
in einzelnen Arten (Lycosa blanda, Melanophora blanda u. a.) bis gegen 10,000 Fuß hoch über
dem Meere vorkommen, trotzdem aber in den heißen Erdstrichen sich wohler befinden, als in den
kälteren, wie die Manchfaltigkeit an zum Theil großen und schönen Spinnen in den wärmeren
Ländern beweist. Entschieden erreicht die Zahl der bekannten und benannten Arten bei weitem
noch nicht die der in Wirklichkeit lebenden. Auch sind die Ueberreste ausgestorbener Spinnen,
welche in Bernstein vorkommen, nicht unbedeutend.

Die größten aller Spinnen, welche im Leibe bis zwei Zoll und darüber messen, wenn sie
ihre dicken, dicht behaarten Beine ausstrecken aber einen Längenraum von sieben Zoll ausfüllen,
leben nur in den heißen Ländern beider Erdhälften, sind unter den Namen der Vogel-, Busch-
oder Würgspinnen (Mygale) bekannt und übel berüchtigt, weil ihnen Frau Merian, Palisot
de Beauvois
u. a. das Würgen und Auffressen kleiner Vögel, wie Kolibris nachsagten. Andere
Forscher haben diese nicht weg zu leugnende Thatsache in Abrede gestellt. Bates lernte eine
dieser Spinnen, von welcher er unentschieden läßt, ob es die gemeine Vogelspinne oder eine andere
von den zahlreichen, einander sehr ähnlichen Mygale-Arten gewesen sei, bei der in Frage gestellten
Beschäftigung näher kennen. Ueber einer tiefen Spalte eines dicken Baumstammes war ein festes,
weißes Gewebe ausgespannt, in dessen zerrissenem unteren Theile zwei kleine Vögel (Finken)
hingen. Der eine war schon todt, der andere, unter dem Körper der Spinne unmittelbar unter-

Die Spinnenthiere. Echte Spinnen.
acht Tagen erfolgt und von dem größern oder geringern Wärmegrade in der Luft abhängt. Bis
zu dieſer letzten Arbeit, welche ihr das volle Leben geben ſoll, liegt ſie unbeweglich mit aus-
geſtreckten Beinen. Jetzt zieht ſie das Kleid aus und ruht kurze Zeit, um die dabei aufgewandten
Kräfte wieder zu ſammeln. Einige Stunden ſpäter ſpaziert ſie munter umher, ſpinnt Fäden und
beginnt ihr Räuberhandwerk. Unter wiederholten Häutungen wachſen die Spinnen nun ziemlich
raſch, wenn nicht der Winter einen Stillſtand gebietet. Wie oft das Kleid gewechſelt wird, und
ob bei den verſchiedenen Arten in gleicher Weiſe, läßt ſich ungemein ſchwer ermitteln, weil ſichere
Beobachtungen nur an gefangen gehaltenen Spinnen angeſtellt werden können, die meiſten aber
in der Gefangenſchaft bei der reichlichſten Nahrung zu Grunde gehen, wenn ſie dieſelbe nicht
genau in der Weiſe erlangen können, wie es einer jeden ihrer Natur nach in der Freiheit beliebt.
Jm Allgemeinen nimmt man an, daß mit der vierten Häutung das Wachsthum erreicht ſei, alſo
auch die Wiedererzeugung einzelner verloren gegangener Glieder ein Ende nehme.

Der eigentliche Hergang bei der Begattung iſt gleichfalls noch nicht vollkommen aufgeklärt.
Die auf Beobachtungen gegründeten Ermittelungen beſtehen der Hauptſache nach in Folgendem.
Wenn ſich das Männchen begatten will, ſo nähert es ſich mit großer Vorſicht und ſehr allmälig
dem Weibchen, um zu prüfen, ob dieſes ſeine Liebkoſungen freundlich annehme, oder ſeine Perſon
als fetten Biſſen anſehen und verſpeiſen möchte. Dadurch, daß es ſich, mit dem Bauche nach
oben gekehrt, aufhängt gibt das Weibchen ſeine freundlichen Geſinnungen zu erkennen, in Folge
deſſen das Männchen herankommt und ſchnell hinter einander abwechſelnd mit den beiden Spitzen
ſeiner Taſter, der bei den verſchiedenen Arten verſchieden geſtalteten „Samenüberträger“, die weib-
liche Scheide am Grunde des Bauches berührt; dabei ſchwellen die Taſterſpitzen merklich an.
Dieſer Act, während deſſen beide Theile meiſt auf nichts in ihrer Umgebung achten, wird in
kurzen Zwiſchenräumen mehrmals wiederholt, dann aber entfernt ſich das Männchen ſchleunigſt,
um nicht das Opfer ſeiner Dame zu werden. So wurde der Hergang bei Rad- und Neſtſpinnen
wahrgenommen, nicht aber, daß das Männchen mit ſeinen Taſterſpitzen nach der Wurzel ſeines
Bauches faſſe, um ſie von dort mit Samenflüſſigkeit zu verſorgen. Darum ſtellte man die Anſicht
auf, daß ſich an letzterer Stelle gar kein Ausgang fände, vielmehr die wenig gewundenen Samen-
ſchläuche im Bauche innerlich mit den Kiefertaſterſpitzen in Verbindung ſtänden. Jndeß verhält
ſich die Sache doch anders, und die männliche Geſchlechtsöffnung fehlt an der Bauchwurzel nicht.

Man kennt zur Zeit einige tauſend Spinnen, welche über die ganze Erde verbreitet ſind und
in einzelnen Arten (Lycosa blanda, Melanophora blanda u. a.) bis gegen 10,000 Fuß hoch über
dem Meere vorkommen, trotzdem aber in den heißen Erdſtrichen ſich wohler befinden, als in den
kälteren, wie die Manchfaltigkeit an zum Theil großen und ſchönen Spinnen in den wärmeren
Ländern beweiſt. Entſchieden erreicht die Zahl der bekannten und benannten Arten bei weitem
noch nicht die der in Wirklichkeit lebenden. Auch ſind die Ueberreſte ausgeſtorbener Spinnen,
welche in Bernſtein vorkommen, nicht unbedeutend.

Die größten aller Spinnen, welche im Leibe bis zwei Zoll und darüber meſſen, wenn ſie
ihre dicken, dicht behaarten Beine ausſtrecken aber einen Längenraum von ſieben Zoll ausfüllen,
leben nur in den heißen Ländern beider Erdhälften, ſind unter den Namen der Vogel-, Buſch-
oder Würgſpinnen (Mygale) bekannt und übel berüchtigt, weil ihnen Frau Merian, Paliſot
de Beauvois
u. a. das Würgen und Auffreſſen kleiner Vögel, wie Kolibris nachſagten. Andere
Forſcher haben dieſe nicht weg zu leugnende Thatſache in Abrede geſtellt. Bates lernte eine
dieſer Spinnen, von welcher er unentſchieden läßt, ob es die gemeine Vogelſpinne oder eine andere
von den zahlreichen, einander ſehr ähnlichen Mygale-Arten geweſen ſei, bei der in Frage geſtellten
Beſchäftigung näher kennen. Ueber einer tiefen Spalte eines dicken Baumſtammes war ein feſtes,
weißes Gewebe ausgeſpannt, in deſſen zerriſſenem unteren Theile zwei kleine Vögel (Finken)
hingen. Der eine war ſchon todt, der andere, unter dem Körper der Spinne unmittelbar unter-

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[572/0608] Die Spinnenthiere. Echte Spinnen. acht Tagen erfolgt und von dem größern oder geringern Wärmegrade in der Luft abhängt. Bis zu dieſer letzten Arbeit, welche ihr das volle Leben geben ſoll, liegt ſie unbeweglich mit aus- geſtreckten Beinen. Jetzt zieht ſie das Kleid aus und ruht kurze Zeit, um die dabei aufgewandten Kräfte wieder zu ſammeln. Einige Stunden ſpäter ſpaziert ſie munter umher, ſpinnt Fäden und beginnt ihr Räuberhandwerk. Unter wiederholten Häutungen wachſen die Spinnen nun ziemlich raſch, wenn nicht der Winter einen Stillſtand gebietet. Wie oft das Kleid gewechſelt wird, und ob bei den verſchiedenen Arten in gleicher Weiſe, läßt ſich ungemein ſchwer ermitteln, weil ſichere Beobachtungen nur an gefangen gehaltenen Spinnen angeſtellt werden können, die meiſten aber in der Gefangenſchaft bei der reichlichſten Nahrung zu Grunde gehen, wenn ſie dieſelbe nicht genau in der Weiſe erlangen können, wie es einer jeden ihrer Natur nach in der Freiheit beliebt. Jm Allgemeinen nimmt man an, daß mit der vierten Häutung das Wachsthum erreicht ſei, alſo auch die Wiedererzeugung einzelner verloren gegangener Glieder ein Ende nehme. Der eigentliche Hergang bei der Begattung iſt gleichfalls noch nicht vollkommen aufgeklärt. Die auf Beobachtungen gegründeten Ermittelungen beſtehen der Hauptſache nach in Folgendem. Wenn ſich das Männchen begatten will, ſo nähert es ſich mit großer Vorſicht und ſehr allmälig dem Weibchen, um zu prüfen, ob dieſes ſeine Liebkoſungen freundlich annehme, oder ſeine Perſon als fetten Biſſen anſehen und verſpeiſen möchte. Dadurch, daß es ſich, mit dem Bauche nach oben gekehrt, aufhängt gibt das Weibchen ſeine freundlichen Geſinnungen zu erkennen, in Folge deſſen das Männchen herankommt und ſchnell hinter einander abwechſelnd mit den beiden Spitzen ſeiner Taſter, der bei den verſchiedenen Arten verſchieden geſtalteten „Samenüberträger“, die weib- liche Scheide am Grunde des Bauches berührt; dabei ſchwellen die Taſterſpitzen merklich an. Dieſer Act, während deſſen beide Theile meiſt auf nichts in ihrer Umgebung achten, wird in kurzen Zwiſchenräumen mehrmals wiederholt, dann aber entfernt ſich das Männchen ſchleunigſt, um nicht das Opfer ſeiner Dame zu werden. So wurde der Hergang bei Rad- und Neſtſpinnen wahrgenommen, nicht aber, daß das Männchen mit ſeinen Taſterſpitzen nach der Wurzel ſeines Bauches faſſe, um ſie von dort mit Samenflüſſigkeit zu verſorgen. Darum ſtellte man die Anſicht auf, daß ſich an letzterer Stelle gar kein Ausgang fände, vielmehr die wenig gewundenen Samen- ſchläuche im Bauche innerlich mit den Kiefertaſterſpitzen in Verbindung ſtänden. Jndeß verhält ſich die Sache doch anders, und die männliche Geſchlechtsöffnung fehlt an der Bauchwurzel nicht. Man kennt zur Zeit einige tauſend Spinnen, welche über die ganze Erde verbreitet ſind und in einzelnen Arten (Lycosa blanda, Melanophora blanda u. a.) bis gegen 10,000 Fuß hoch über dem Meere vorkommen, trotzdem aber in den heißen Erdſtrichen ſich wohler befinden, als in den kälteren, wie die Manchfaltigkeit an zum Theil großen und ſchönen Spinnen in den wärmeren Ländern beweiſt. Entſchieden erreicht die Zahl der bekannten und benannten Arten bei weitem noch nicht die der in Wirklichkeit lebenden. Auch ſind die Ueberreſte ausgeſtorbener Spinnen, welche in Bernſtein vorkommen, nicht unbedeutend. Die größten aller Spinnen, welche im Leibe bis zwei Zoll und darüber meſſen, wenn ſie ihre dicken, dicht behaarten Beine ausſtrecken aber einen Längenraum von ſieben Zoll ausfüllen, leben nur in den heißen Ländern beider Erdhälften, ſind unter den Namen der Vogel-, Buſch- oder Würgſpinnen (Mygale) bekannt und übel berüchtigt, weil ihnen Frau Merian, Paliſot de Beauvois u. a. das Würgen und Auffreſſen kleiner Vögel, wie Kolibris nachſagten. Andere Forſcher haben dieſe nicht weg zu leugnende Thatſache in Abrede geſtellt. Bates lernte eine dieſer Spinnen, von welcher er unentſchieden läßt, ob es die gemeine Vogelſpinne oder eine andere von den zahlreichen, einander ſehr ähnlichen Mygale-Arten geweſen ſei, bei der in Frage geſtellten Beſchäftigung näher kennen. Ueber einer tiefen Spalte eines dicken Baumſtammes war ein feſtes, weißes Gewebe ausgeſpannt, in deſſen zerriſſenem unteren Theile zwei kleine Vögel (Finken) hingen. Der eine war ſchon todt, der andere, unter dem Körper der Spinne unmittelbar unter-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/608>, abgerufen am 27.11.2024.