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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Schnabelkerse. Schreit- und Raubwanzen.
am Tage verborgen und schweifen des Nachts nach Nahrung umher, welche in kleinen Jusekten,
besonders Fliegen besteht. Einige ausländische haben durch ihre Vorliebe für das warme Blut
von Thieren und Menschen eine gefürchtete Berühmtheit erlangt. So soll die über ganz Amerika
verbreitete Radwanze (Arilus serratus) durch ihren empfindlichen Stich einen wahrhaft electrischen
Schlag versetzen. Die meisten und größten Arten leben im heißen Erdgürtel, von europäischen
führt Fieber (1861) vierunddreißig an, welche er auf elf Gattungen vertheilt.

Die schwarzbraune, an den Beinen röthliche, hier, so wie an den Fühlern und auf dem
vierhöckerigen Vorderrücken weichbehaarte Kothwanze (Reduvins personatus) verdankt ihren
eben nicht schmeichelhaften Namen der Sonderbarkeit ihrer Larve, sich nicht nur in staubigen
Winkeln umherzutreiben, sondern auch ihren ganzen Körper mit Staub und Kehricht zu umhüllen,
so daß dessen wahre Gestalt wie durch eine Maske versteckt wird. Auch die Art ihres Ganges hat
etwas Eigenthümliches. So wie sie einen Fuß vorgesetzt hat, hält sie etwas an, rückt den zweiten
nach und läßt dabei die andere Seite ruhen; so dringt sie stoßweise vor und bewegt entsprechend
dabei ihre Fühler. Hält man ihr eine Stubenfliege oder sonst ein kleines Jnsekt vor, so nähert
sie sich ebenso wie die vollkommene Wanze in kleinen Schritten, betastet sie fragend mit den
Fühlern, springt dann darauf und bohrt sofort den Schnabel in dieselbe. Jm Puppenzustande

[Abbildung] Die Kothwanze (Reduvius personatus)
nebst Larven.
überwintert die Kothwanze bei uns zu Lande, sie findet sich
aber auch in Afrika, wo möglichenfalls die Verwandlungsver-
hältnisse sich wegen der höhern Temperatur anders gestalten.
Sie hält sich einzeln in Häusern und deren unreinlicheren
Umgebungen auf und soll als Larve den Bettwanzen nachstellen,
was mir nicht wahrscheinlich ist. Wenn sie es thäte, geschähe
es nicht des mageren, saftlosen Leibes der Bettwanzen, son-
dern des mit Blut erfüllten wegen; diesen edlen Saft aber
könnte sie aus der Quelle selbst schöpfen und brauchte sich nicht
erst der Zwischenträger zu bedienen. Der alte Gattungsname
Reduvius verblieb neuerdings nur noch wenigen Arten, welche
durch einen dornenlosen, vor der Mitte eingeschnürten Vorder-
rücken, durch am Grunde nicht gezähnte Klauen aller zum Gehen
eingerichteten Füße und durch eine lange und schmale fleischige Sohle an der Jnnenseite der vier
vordern Schienenspitzen übereinstimmen. Die schönste deutsche Art ist entschieden die blutrothe
Schreitwanze
(Harpactor cruentus), deren 8 Linien messender, blutrother Körper am Bauche
mit drei Reihen schwarzer Punkte, am aufgeworfenen, scharfen Rande des Hinterleibes mit einer
Reihe schwarzer Flecken verziert ist; Kopf nebst Fühlern und die Kniee sind gleichfalls schwarz.
Sie gehört einer ungemein artenreichen Gattung an, welche breite, am Grunde gezähnte Krallen
an allen zum Gehen eingerichteten Füßen, zur vordern Hälste haarige, seitlich vom Hinterleibe
überragte Flügeldecken, verdickte Hinterschenkel und ein gleich dicker, hinten nur kurzhalsiger Kopf
charakterisiren. Jch finde die blutrothe Schreitwanze, welche auf dem Natterkopfe des Bildes
"Nächtliches Treiben der Jnsekten" dargestellt ist, alljährlich nicht selten während des Sommers
im Blüthenstande solcher Pflanzen versteckt, welche von zahlreichen Fliegen und Jmmen besucht
werden, sah sie im heißen Sonneuscheine bisweilen auffliegen und lernte beim Einsangen auch
ihren empfindlichen Stich kennen. -- Die meisten übrigen europäischen Schreitwanzen sind kleiner
und tummeln sich versteckt im Grase, seltener auf Gebüsch umher, darunter auch solche, welche sich
durch verkümmerte Flügel oder Naubfüße an den vordersten Beinen auszeichnen.



Die Schnabelkerſe. Schreit- und Raubwanzen.
am Tage verborgen und ſchweifen des Nachts nach Nahrung umher, welche in kleinen Juſekten,
beſonders Fliegen beſteht. Einige ausländiſche haben durch ihre Vorliebe für das warme Blut
von Thieren und Menſchen eine gefürchtete Berühmtheit erlangt. So ſoll die über ganz Amerika
verbreitete Radwanze (Arilus serratus) durch ihren empfindlichen Stich einen wahrhaft electriſchen
Schlag verſetzen. Die meiſten und größten Arten leben im heißen Erdgürtel, von europäiſchen
führt Fieber (1861) vierunddreißig an, welche er auf elf Gattungen vertheilt.

Die ſchwarzbraune, an den Beinen röthliche, hier, ſo wie an den Fühlern und auf dem
vierhöckerigen Vorderrücken weichbehaarte Kothwanze (Reduvins personatus) verdankt ihren
eben nicht ſchmeichelhaften Namen der Sonderbarkeit ihrer Larve, ſich nicht nur in ſtaubigen
Winkeln umherzutreiben, ſondern auch ihren ganzen Körper mit Staub und Kehricht zu umhüllen,
ſo daß deſſen wahre Geſtalt wie durch eine Maske verſteckt wird. Auch die Art ihres Ganges hat
etwas Eigenthümliches. So wie ſie einen Fuß vorgeſetzt hat, hält ſie etwas an, rückt den zweiten
nach und läßt dabei die andere Seite ruhen; ſo dringt ſie ſtoßweiſe vor und bewegt entſprechend
dabei ihre Fühler. Hält man ihr eine Stubenfliege oder ſonſt ein kleines Jnſekt vor, ſo nähert
ſie ſich ebenſo wie die vollkommene Wanze in kleinen Schritten, betaſtet ſie fragend mit den
Fühlern, ſpringt dann darauf und bohrt ſofort den Schnabel in dieſelbe. Jm Puppenzuſtande

[Abbildung] Die Kothwanze (Reduvius personatus)
nebſt Larven.
überwintert die Kothwanze bei uns zu Lande, ſie findet ſich
aber auch in Afrika, wo möglichenfalls die Verwandlungsver-
hältniſſe ſich wegen der höhern Temperatur anders geſtalten.
Sie hält ſich einzeln in Häuſern und deren unreinlicheren
Umgebungen auf und ſoll als Larve den Bettwanzen nachſtellen,
was mir nicht wahrſcheinlich iſt. Wenn ſie es thäte, geſchähe
es nicht des mageren, ſaftloſen Leibes der Bettwanzen, ſon-
dern des mit Blut erfüllten wegen; dieſen edlen Saft aber
könnte ſie aus der Quelle ſelbſt ſchöpfen und brauchte ſich nicht
erſt der Zwiſchenträger zu bedienen. Der alte Gattungsname
Reduvius verblieb neuerdings nur noch wenigen Arten, welche
durch einen dornenloſen, vor der Mitte eingeſchnürten Vorder-
rücken, durch am Grunde nicht gezähnte Klauen aller zum Gehen
eingerichteten Füße und durch eine lange und ſchmale fleiſchige Sohle an der Jnnenſeite der vier
vordern Schienenſpitzen übereinſtimmen. Die ſchönſte deutſche Art iſt entſchieden die blutrothe
Schreitwanze
(Harpactor cruentus), deren 8 Linien meſſender, blutrother Körper am Bauche
mit drei Reihen ſchwarzer Punkte, am aufgeworfenen, ſcharfen Rande des Hinterleibes mit einer
Reihe ſchwarzer Flecken verziert iſt; Kopf nebſt Fühlern und die Kniee ſind gleichfalls ſchwarz.
Sie gehört einer ungemein artenreichen Gattung an, welche breite, am Grunde gezähnte Krallen
an allen zum Gehen eingerichteten Füßen, zur vordern Hälſte haarige, ſeitlich vom Hinterleibe
überragte Flügeldecken, verdickte Hinterſchenkel und ein gleich dicker, hinten nur kurzhalſiger Kopf
charakteriſiren. Jch finde die blutrothe Schreitwanze, welche auf dem Natterkopfe des Bildes
„Nächtliches Treiben der Jnſekten“ dargeſtellt iſt, alljährlich nicht ſelten während des Sommers
im Blüthenſtande ſolcher Pflanzen verſteckt, welche von zahlreichen Fliegen und Jmmen beſucht
werden, ſah ſie im heißen Sonneuſcheine bisweilen auffliegen und lernte beim Einſangen auch
ihren empfindlichen Stich kennen. — Die meiſten übrigen europäiſchen Schreitwanzen ſind kleiner
und tummeln ſich verſteckt im Graſe, ſeltener auf Gebüſch umher, darunter auch ſolche, welche ſich
durch verkümmerte Flügel oder Naubfüße an den vorderſten Beinen auszeichnen.



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[530/0566] Die Schnabelkerſe. Schreit- und Raubwanzen. am Tage verborgen und ſchweifen des Nachts nach Nahrung umher, welche in kleinen Juſekten, beſonders Fliegen beſteht. Einige ausländiſche haben durch ihre Vorliebe für das warme Blut von Thieren und Menſchen eine gefürchtete Berühmtheit erlangt. So ſoll die über ganz Amerika verbreitete Radwanze (Arilus serratus) durch ihren empfindlichen Stich einen wahrhaft electriſchen Schlag verſetzen. Die meiſten und größten Arten leben im heißen Erdgürtel, von europäiſchen führt Fieber (1861) vierunddreißig an, welche er auf elf Gattungen vertheilt. Die ſchwarzbraune, an den Beinen röthliche, hier, ſo wie an den Fühlern und auf dem vierhöckerigen Vorderrücken weichbehaarte Kothwanze (Reduvins personatus) verdankt ihren eben nicht ſchmeichelhaften Namen der Sonderbarkeit ihrer Larve, ſich nicht nur in ſtaubigen Winkeln umherzutreiben, ſondern auch ihren ganzen Körper mit Staub und Kehricht zu umhüllen, ſo daß deſſen wahre Geſtalt wie durch eine Maske verſteckt wird. Auch die Art ihres Ganges hat etwas Eigenthümliches. So wie ſie einen Fuß vorgeſetzt hat, hält ſie etwas an, rückt den zweiten nach und läßt dabei die andere Seite ruhen; ſo dringt ſie ſtoßweiſe vor und bewegt entſprechend dabei ihre Fühler. Hält man ihr eine Stubenfliege oder ſonſt ein kleines Jnſekt vor, ſo nähert ſie ſich ebenſo wie die vollkommene Wanze in kleinen Schritten, betaſtet ſie fragend mit den Fühlern, ſpringt dann darauf und bohrt ſofort den Schnabel in dieſelbe. Jm Puppenzuſtande [Abbildung Die Kothwanze (Reduvius personatus) nebſt Larven.] überwintert die Kothwanze bei uns zu Lande, ſie findet ſich aber auch in Afrika, wo möglichenfalls die Verwandlungsver- hältniſſe ſich wegen der höhern Temperatur anders geſtalten. Sie hält ſich einzeln in Häuſern und deren unreinlicheren Umgebungen auf und ſoll als Larve den Bettwanzen nachſtellen, was mir nicht wahrſcheinlich iſt. Wenn ſie es thäte, geſchähe es nicht des mageren, ſaftloſen Leibes der Bettwanzen, ſon- dern des mit Blut erfüllten wegen; dieſen edlen Saft aber könnte ſie aus der Quelle ſelbſt ſchöpfen und brauchte ſich nicht erſt der Zwiſchenträger zu bedienen. Der alte Gattungsname Reduvius verblieb neuerdings nur noch wenigen Arten, welche durch einen dornenloſen, vor der Mitte eingeſchnürten Vorder- rücken, durch am Grunde nicht gezähnte Klauen aller zum Gehen eingerichteten Füße und durch eine lange und ſchmale fleiſchige Sohle an der Jnnenſeite der vier vordern Schienenſpitzen übereinſtimmen. Die ſchönſte deutſche Art iſt entſchieden die blutrothe Schreitwanze (Harpactor cruentus), deren 8 Linien meſſender, blutrother Körper am Bauche mit drei Reihen ſchwarzer Punkte, am aufgeworfenen, ſcharfen Rande des Hinterleibes mit einer Reihe ſchwarzer Flecken verziert iſt; Kopf nebſt Fühlern und die Kniee ſind gleichfalls ſchwarz. Sie gehört einer ungemein artenreichen Gattung an, welche breite, am Grunde gezähnte Krallen an allen zum Gehen eingerichteten Füßen, zur vordern Hälſte haarige, ſeitlich vom Hinterleibe überragte Flügeldecken, verdickte Hinterſchenkel und ein gleich dicker, hinten nur kurzhalſiger Kopf charakteriſiren. Jch finde die blutrothe Schreitwanze, welche auf dem Natterkopfe des Bildes „Nächtliches Treiben der Jnſekten“ dargeſtellt iſt, alljährlich nicht ſelten während des Sommers im Blüthenſtande ſolcher Pflanzen verſteckt, welche von zahlreichen Fliegen und Jmmen beſucht werden, ſah ſie im heißen Sonneuſcheine bisweilen auffliegen und lernte beim Einſangen auch ihren empfindlichen Stich kennen. — Die meiſten übrigen europäiſchen Schreitwanzen ſind kleiner und tummeln ſich verſteckt im Graſe, ſeltener auf Gebüſch umher, darunter auch ſolche, welche ſich durch verkümmerte Flügel oder Naubfüße an den vorderſten Beinen auszeichnen.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/566>, abgerufen am 24.11.2024.