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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Geradflügler. Schaben.
auch in Syrien, Egypten, dem nördlichen Afrika und in den verschiedensten Gegenden Deutsch-
lands vor. Jn Nordhausen kennt man sie seit etwa 50 Jahren und findet sie in den Branntwein-
brennereien oft recht lästig. Dr. Waltl in Prussau bemerkt, daß sie bei ihm zu Lande ein sehr
unangenehmes Hausungeziefer seien, welches nicht selten die Leute zum Ausziehen nöthige. Man
geht im kalten Winter von dannen, läßt alles offen und nach ein paar Tagen findet man die
verweichlichten Thiere wahrscheinlich durch den schnellen Uebergang von der Wärme zur Kälte todt
und bezieht das Haus wieder. Daß eben nur der Temperaturwechsel oder der kalte Luftzug, vor
welchem sie empfindlich zu sein scheinen, sie tödtet oder vielleicht nur vertreibt und nicht die
Winterkälte als solche, geht aus ihrem Leben im Freien hervor. Denn sie finden sich vielfach in
unsern deutschen Wäldern, ich habe sie einzeln bei Halle, einer meiner Freunde hat sie bei Leipzig
gefangen. Das in Rede stehende Thier ist lichtbraun, das Weibchen etwas dunkler als das
Männchen und auf dem Halsschilde mit zwei schwarzen Längsstrichen gezeichnet. Der flache
[Abbildung] Die deutsche Schabe
(Blatta germanica).
gelbliche Hinterleib des Männchens wird mit Ausschluß der beiden After-
platten von den Flügeln vollständig bedeckt, während der braune, vorn schwärz-
liche des Weibchens beiderseits etwas über die Flügel hervorragt und ihre
Länge nicht erreicht. Wie es scheint, macht dieses auch weniger Gebrauch
von seinen Flugwerkzeugen, als das andere Geschlecht. Jn einem Alter von
14 Tagen bewirbt es sich um die Gunst eines Männchens. Beide Geschlechter
nähern sich von hinten durch Zurückschieben des Körpers, bleiben aber nicht
lange vereinigt. Bald darauf schwillt der Hinterleib des Weibchens merklich
an, die Verdickung drängt nach hinten und nach ungefähr einer Woche wird
an der Leibesspitze ein gelber, rundlicher Körper sichtbar, welcher das Bestreben
zeigt, sich herauszudrängen. Man muß ihn für ein Ei halten, welches aller-
dings im Vergleich zur Persönlichkeit des Mutterthieres eine befremdende Größe zeigt. Wie lange
letzteres dieses vermeintliche Ei sichtbar mit sich herumträgt, ist noch nicht genau ermittelt
worden, entschieden mehrere Wochen und länger als die andere, gleich nachher zu besprechende
Art. Schließlich läßt es dasselbe in irgend einem Winkel fallen und -- stirbt bald nachher.
Man hat beobachtet, daß Weibchen ein weniger entwickeltes Ei ablegten und darauf noch ein
zweites, vollkommeneres, als Regel muß aber angenommen werden, daß sie nur ein Mal gebären.
Bei genauerer Untersuchung dieses drei Linien langen, halb so breiten und braungefärbten Eies,
welches fast dieselbe Gestalt, wie das weiter unten abgebildete zeigt, finden sich äußerlich eine
geflochtene Naht an dem einen langen Rande und deutliche Querstreifchen an den Seiten. Jm
Jnnern aber ist es von wunderbarem Bau. Durch eine Längsscheidewand wird es in zwei gleiche
Hälften zerlegt, deren jede achtzehn, den äußern Quereindrücken entsprechende Fächer mit je einem
weißlichen, länglichen Eie oder, wenn es schon weiter entwickelt war, mit einem weißen Lärvchen
enthält, welches mit seiner Bauchseite der Längsscheidewand zugekehrt liegt. Die Mutter bettet
also in dieser Weise ihre sechsunddreißig Kinder in eine große "Eikapsel" regelmäßig neben
einander und dürfte dieselbe nur kurze Zeit vor der Entwickelung der Jungen fallen lassen. Die-
selben arbeiten sich, wenn sie erst reif sind, an der geflochtenen Naht aus der Eikapsel heraus.
Herrn Hummel in Petersburg bot sich vor Zeiten Gelegenheit zu einer höchst interessanten
Beobachtung. Er hatte, um das Leben dieser Schaben kennen zu lernen, bereits länger als eine
Woche ein Weibchen, an welchem die Eikapsel hinten schon sichtbar war, in ein Glas eingeschlossen,
als man ihm am Morgen des 1. April eine, wie er sagt, anscheinend ganz frische Eikapsel
brachte, welche er unter das Glas zu jenem Weibchen legte. Kaum war dies geschehen, so
näherte sich die Gefangene derselben, betastete und kehrte sie nach allen Seiten um. Schließlich
hielt sie dieselbe mit den Vorderfüßen fest und öffnete sie an der gedrehten Naht von vorn nach
hinten. So wie sich der Spalt erweiterte, drangen die weißen Lärvchen hervor, deren immer
zwei und zwei auf einander gerollt waren. Mit den Kiefertastern und Fühlern half das Weibchen

Die Geradflügler. Schaben.
auch in Syrien, Egypten, dem nördlichen Afrika und in den verſchiedenſten Gegenden Deutſch-
lands vor. Jn Nordhauſen kennt man ſie ſeit etwa 50 Jahren und findet ſie in den Branntwein-
brennereien oft recht läſtig. Dr. Waltl in Pruſſau bemerkt, daß ſie bei ihm zu Lande ein ſehr
unangenehmes Hausungeziefer ſeien, welches nicht ſelten die Leute zum Ausziehen nöthige. Man
geht im kalten Winter von dannen, läßt alles offen und nach ein paar Tagen findet man die
verweichlichten Thiere wahrſcheinlich durch den ſchnellen Uebergang von der Wärme zur Kälte todt
und bezieht das Haus wieder. Daß eben nur der Temperaturwechſel oder der kalte Luftzug, vor
welchem ſie empfindlich zu ſein ſcheinen, ſie tödtet oder vielleicht nur vertreibt und nicht die
Winterkälte als ſolche, geht aus ihrem Leben im Freien hervor. Denn ſie finden ſich vielfach in
unſern deutſchen Wäldern, ich habe ſie einzeln bei Halle, einer meiner Freunde hat ſie bei Leipzig
gefangen. Das in Rede ſtehende Thier iſt lichtbraun, das Weibchen etwas dunkler als das
Männchen und auf dem Halsſchilde mit zwei ſchwarzen Längsſtrichen gezeichnet. Der flache
[Abbildung] Die deutſche Schabe
(Blatta germanica).
gelbliche Hinterleib des Männchens wird mit Ausſchluß der beiden After-
platten von den Flügeln vollſtändig bedeckt, während der braune, vorn ſchwärz-
liche des Weibchens beiderſeits etwas über die Flügel hervorragt und ihre
Länge nicht erreicht. Wie es ſcheint, macht dieſes auch weniger Gebrauch
von ſeinen Flugwerkzeugen, als das andere Geſchlecht. Jn einem Alter von
14 Tagen bewirbt es ſich um die Gunſt eines Männchens. Beide Geſchlechter
nähern ſich von hinten durch Zurückſchieben des Körpers, bleiben aber nicht
lange vereinigt. Bald darauf ſchwillt der Hinterleib des Weibchens merklich
an, die Verdickung drängt nach hinten und nach ungefähr einer Woche wird
an der Leibesſpitze ein gelber, rundlicher Körper ſichtbar, welcher das Beſtreben
zeigt, ſich herauszudrängen. Man muß ihn für ein Ei halten, welches aller-
dings im Vergleich zur Perſönlichkeit des Mutterthieres eine befremdende Größe zeigt. Wie lange
letzteres dieſes vermeintliche Ei ſichtbar mit ſich herumträgt, iſt noch nicht genau ermittelt
worden, entſchieden mehrere Wochen und länger als die andere, gleich nachher zu beſprechende
Art. Schließlich läßt es daſſelbe in irgend einem Winkel fallen und — ſtirbt bald nachher.
Man hat beobachtet, daß Weibchen ein weniger entwickeltes Ei ablegten und darauf noch ein
zweites, vollkommeneres, als Regel muß aber angenommen werden, daß ſie nur ein Mal gebären.
Bei genauerer Unterſuchung dieſes drei Linien langen, halb ſo breiten und braungefärbten Eies,
welches faſt dieſelbe Geſtalt, wie das weiter unten abgebildete zeigt, finden ſich äußerlich eine
geflochtene Naht an dem einen langen Rande und deutliche Querſtreifchen an den Seiten. Jm
Jnnern aber iſt es von wunderbarem Bau. Durch eine Längsſcheidewand wird es in zwei gleiche
Hälften zerlegt, deren jede achtzehn, den äußern Quereindrücken entſprechende Fächer mit je einem
weißlichen, länglichen Eie oder, wenn es ſchon weiter entwickelt war, mit einem weißen Lärvchen
enthält, welches mit ſeiner Bauchſeite der Längsſcheidewand zugekehrt liegt. Die Mutter bettet
alſo in dieſer Weiſe ihre ſechsunddreißig Kinder in eine große „Eikapſel“ regelmäßig neben
einander und dürfte dieſelbe nur kurze Zeit vor der Entwickelung der Jungen fallen laſſen. Die-
ſelben arbeiten ſich, wenn ſie erſt reif ſind, an der geflochtenen Naht aus der Eikapſel heraus.
Herrn Hummel in Petersburg bot ſich vor Zeiten Gelegenheit zu einer höchſt intereſſanten
Beobachtung. Er hatte, um das Leben dieſer Schaben kennen zu lernen, bereits länger als eine
Woche ein Weibchen, an welchem die Eikapſel hinten ſchon ſichtbar war, in ein Glas eingeſchloſſen,
als man ihm am Morgen des 1. April eine, wie er ſagt, anſcheinend ganz friſche Eikapſel
brachte, welche er unter das Glas zu jenem Weibchen legte. Kaum war dies geſchehen, ſo
näherte ſich die Gefangene derſelben, betaſtete und kehrte ſie nach allen Seiten um. Schließlich
hielt ſie dieſelbe mit den Vorderfüßen feſt und öffnete ſie an der gedrehten Naht von vorn nach
hinten. So wie ſich der Spalt erweiterte, drangen die weißen Lärvchen hervor, deren immer
zwei und zwei auf einander gerollt waren. Mit den Kiefertaſtern und Fühlern half das Weibchen

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[468/0498] Die Geradflügler. Schaben. auch in Syrien, Egypten, dem nördlichen Afrika und in den verſchiedenſten Gegenden Deutſch- lands vor. Jn Nordhauſen kennt man ſie ſeit etwa 50 Jahren und findet ſie in den Branntwein- brennereien oft recht läſtig. Dr. Waltl in Pruſſau bemerkt, daß ſie bei ihm zu Lande ein ſehr unangenehmes Hausungeziefer ſeien, welches nicht ſelten die Leute zum Ausziehen nöthige. Man geht im kalten Winter von dannen, läßt alles offen und nach ein paar Tagen findet man die verweichlichten Thiere wahrſcheinlich durch den ſchnellen Uebergang von der Wärme zur Kälte todt und bezieht das Haus wieder. Daß eben nur der Temperaturwechſel oder der kalte Luftzug, vor welchem ſie empfindlich zu ſein ſcheinen, ſie tödtet oder vielleicht nur vertreibt und nicht die Winterkälte als ſolche, geht aus ihrem Leben im Freien hervor. Denn ſie finden ſich vielfach in unſern deutſchen Wäldern, ich habe ſie einzeln bei Halle, einer meiner Freunde hat ſie bei Leipzig gefangen. Das in Rede ſtehende Thier iſt lichtbraun, das Weibchen etwas dunkler als das Männchen und auf dem Halsſchilde mit zwei ſchwarzen Längsſtrichen gezeichnet. Der flache [Abbildung Die deutſche Schabe (Blatta germanica).] gelbliche Hinterleib des Männchens wird mit Ausſchluß der beiden After- platten von den Flügeln vollſtändig bedeckt, während der braune, vorn ſchwärz- liche des Weibchens beiderſeits etwas über die Flügel hervorragt und ihre Länge nicht erreicht. Wie es ſcheint, macht dieſes auch weniger Gebrauch von ſeinen Flugwerkzeugen, als das andere Geſchlecht. Jn einem Alter von 14 Tagen bewirbt es ſich um die Gunſt eines Männchens. Beide Geſchlechter nähern ſich von hinten durch Zurückſchieben des Körpers, bleiben aber nicht lange vereinigt. Bald darauf ſchwillt der Hinterleib des Weibchens merklich an, die Verdickung drängt nach hinten und nach ungefähr einer Woche wird an der Leibesſpitze ein gelber, rundlicher Körper ſichtbar, welcher das Beſtreben zeigt, ſich herauszudrängen. Man muß ihn für ein Ei halten, welches aller- dings im Vergleich zur Perſönlichkeit des Mutterthieres eine befremdende Größe zeigt. Wie lange letzteres dieſes vermeintliche Ei ſichtbar mit ſich herumträgt, iſt noch nicht genau ermittelt worden, entſchieden mehrere Wochen und länger als die andere, gleich nachher zu beſprechende Art. Schließlich läßt es daſſelbe in irgend einem Winkel fallen und — ſtirbt bald nachher. Man hat beobachtet, daß Weibchen ein weniger entwickeltes Ei ablegten und darauf noch ein zweites, vollkommeneres, als Regel muß aber angenommen werden, daß ſie nur ein Mal gebären. Bei genauerer Unterſuchung dieſes drei Linien langen, halb ſo breiten und braungefärbten Eies, welches faſt dieſelbe Geſtalt, wie das weiter unten abgebildete zeigt, finden ſich äußerlich eine geflochtene Naht an dem einen langen Rande und deutliche Querſtreifchen an den Seiten. Jm Jnnern aber iſt es von wunderbarem Bau. Durch eine Längsſcheidewand wird es in zwei gleiche Hälften zerlegt, deren jede achtzehn, den äußern Quereindrücken entſprechende Fächer mit je einem weißlichen, länglichen Eie oder, wenn es ſchon weiter entwickelt war, mit einem weißen Lärvchen enthält, welches mit ſeiner Bauchſeite der Längsſcheidewand zugekehrt liegt. Die Mutter bettet alſo in dieſer Weiſe ihre ſechsunddreißig Kinder in eine große „Eikapſel“ regelmäßig neben einander und dürfte dieſelbe nur kurze Zeit vor der Entwickelung der Jungen fallen laſſen. Die- ſelben arbeiten ſich, wenn ſie erſt reif ſind, an der geflochtenen Naht aus der Eikapſel heraus. Herrn Hummel in Petersburg bot ſich vor Zeiten Gelegenheit zu einer höchſt intereſſanten Beobachtung. Er hatte, um das Leben dieſer Schaben kennen zu lernen, bereits länger als eine Woche ein Weibchen, an welchem die Eikapſel hinten ſchon ſichtbar war, in ein Glas eingeſchloſſen, als man ihm am Morgen des 1. April eine, wie er ſagt, anſcheinend ganz friſche Eikapſel brachte, welche er unter das Glas zu jenem Weibchen legte. Kaum war dies geſchehen, ſo näherte ſich die Gefangene derſelben, betaſtete und kehrte ſie nach allen Seiten um. Schließlich hielt ſie dieſelbe mit den Vorderfüßen feſt und öffnete ſie an der gedrehten Naht von vorn nach hinten. So wie ſich der Spalt erweiterte, drangen die weißen Lärvchen hervor, deren immer zwei und zwei auf einander gerollt waren. Mit den Kiefertaſtern und Fühlern half das Weibchen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/498>, abgerufen am 24.11.2024.