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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Geradflügler.
vier Flügel aus dünner Haut mit oder ohne Maschennetz bestehen. Nach der hier festgehaltenen
Auffassungsweise gehören alle Jnsekten, welche unvollkommene oder gar keine Ver-
wandlung bestehen und beißende Mundtheile aufzuweisen haben, zu den Gerad-
flüglern.

Außer diesen zwei, allen Orthoptheren gemeinsamen Merkmalen zeigen sie in der Bildung der
Unterlippe, wie in der Gliederung des Hinterleibes noch zwei andere Uebereinstimmungen, die
nur mit wenigen Worten angedentet werden können. Dadurch nämlich, daß bei allen echten
Linneschen Geradflüglern die vier Laden der Unterkiefer, zum Theil sogar ihre Stämme
getrennt auftreten, bei den anderen (hier hinzugenommenen) durch einen Schlitz in der Mitte des
Zungentheils zwei Seitenhälften wenigstens angedeutet werden, spricht sich in dieser Ordnung das
Streben aus, zwei Unterkieferpaare herzustellen, wie sie bei den Krebsen zur Vollendung gelangt
sind. Eine weitere, der Ordnung zukommende Eigenthümlichkeit, bildet das Auftreten von elf,
allerdings nicht überall äußerlich sichtbaren Ringen am Hinterleibe und die damit im Zusammen-
hange stehende Vertheilung der Geschlechts- und Afteröffnung auf zwei verschiedene, bezüglich den
drittletzten und letzten derselben.

Die Larve hat bekanntlich keine Flügel, sondern bekommt nach mehrmaligen Häutungen erst die
Ansätze dazu, sobald das vollkommene Kerf geflügelt ist, daher unterscheidet sie sich auch ohne große
Mühe von diesem. Bleibt letzteres aber flügellos, was nicht selten vorkommt, so wird die Unter-
scheidung beider schwieriger, denn dann weicht die Larve nur durch die geringere Anzahl der Fühler-
glieder und Augenfelder, zweier schwierig festzustellender Merkmale, vom vollkommenen Jnsekt ab.
Manchmal hat dieses nur stummelhafte Flügel, deren vordere aber auf den hinteren liegen, während
bei der Larve die umgekehrte Lage Statt findet.

Die Kaukerfe, vorwiegend von gestrecktem Körperbaue, liefern im Verhältniß zu ihrer Ge-
sammtzahl, welche man auf 5000 schätzt, viele ansehnliche Jnsekten in Hinsicht auf Form, Färbung
und Größe, und breiten ihre Arten über die ganze Erdoberfläche aus, wenn auch gewisse Familien
vorherrschend den wärmeren Gürteln angehören. Manche fallen durch die ungeheueren Mengen
der gleichzeitig erscheinenden Jndividnen auf und werden, sofern sie Pflanzenkost zu sich nehmen,
der menschlichen Oekonomie im höchsten Grade verderblich, da sie in beiden Ständen rücksichtlich
der Gefräßigkeit keinem anderen Kerfe etwas nachgeben, während andere als unersättliche, wilde
Räuber manches Ungeziefer vertilgen. Fossile Ueberreste kommen bereits in der Kohlenformation
vor, wo sie alle anderen überwiegen; weiter hat man sie im lithographischen Schiefer, besonders
zahlreich aber im Tertiärgebirge und im Bernstein aufgefunden.



Am zweckmäßigsten stehen diejenigen Geradflügler an der Spitze, welche von den meisten
Schriftstellern zur vorigen Ordnung gezogen werden, sich durch ihre vier gleichartigen Flügel als
vollkommene Kerfe und durch ihr Wasserleben als Larven auszeichnen. Als Vertreter der After-
frühlingsfliegen
(Perlariae oder Semblodea) sei zunächst die zweischwänzige Uferfliege
(Perla bicaudata) genannt. Sie hat einen braungelben, zweimal dunkelgefleckten, durch die Mitte
dunkelgestriemten und eben so eingefaßten Vorderrücken, einen rothgelben Kopf und am übrigen Körper
eine mehr braungelbe Färbung. An den gelblichen Beinen sind die Spitzen der Schenkel und
Wurzeln der Schienen dunkler. Beim Männchen biegt sich die gespaltene, flache neunte Rückenplatte
des Hinterleibes am inneren und hinteren Rande zu schmalen Leisten auf, beim Weibchen theilt sie sich
dagegen durch seichte Grübchen wie in drei Läppchen, während die achte Bauchplatte bei demselben
Geschlecht gerade abgestutzt ist. Hier beträgt die Körperlänge 10, die des Männchens 7 Linien, dem
entsprechend die Maße eines Vorderflügels 13 und 10 Linien. Ueberdies muß als Gattungscharakter

Die Geradflügler.
vier Flügel aus dünner Haut mit oder ohne Maſchennetz beſtehen. Nach der hier feſtgehaltenen
Auffaſſungsweiſe gehören alle Jnſekten, welche unvollkommene oder gar keine Ver-
wandlung beſtehen und beißende Mundtheile aufzuweiſen haben, zu den Gerad-
flüglern.

Außer dieſen zwei, allen Orthoptheren gemeinſamen Merkmalen zeigen ſie in der Bildung der
Unterlippe, wie in der Gliederung des Hinterleibes noch zwei andere Uebereinſtimmungen, die
nur mit wenigen Worten angedentet werden können. Dadurch nämlich, daß bei allen echten
Linnéſchen Geradflüglern die vier Laden der Unterkiefer, zum Theil ſogar ihre Stämme
getrennt auftreten, bei den anderen (hier hinzugenommenen) durch einen Schlitz in der Mitte des
Zungentheils zwei Seitenhälften wenigſtens angedeutet werden, ſpricht ſich in dieſer Ordnung das
Streben aus, zwei Unterkieferpaare herzuſtellen, wie ſie bei den Krebſen zur Vollendung gelangt
ſind. Eine weitere, der Ordnung zukommende Eigenthümlichkeit, bildet das Auftreten von elf,
allerdings nicht überall äußerlich ſichtbaren Ringen am Hinterleibe und die damit im Zuſammen-
hange ſtehende Vertheilung der Geſchlechts- und Afteröffnung auf zwei verſchiedene, bezüglich den
drittletzten und letzten derſelben.

Die Larve hat bekanntlich keine Flügel, ſondern bekommt nach mehrmaligen Häutungen erſt die
Anſätze dazu, ſobald das vollkommene Kerf geflügelt iſt, daher unterſcheidet ſie ſich auch ohne große
Mühe von dieſem. Bleibt letzteres aber flügellos, was nicht ſelten vorkommt, ſo wird die Unter-
ſcheidung beider ſchwieriger, denn dann weicht die Larve nur durch die geringere Anzahl der Fühler-
glieder und Augenfelder, zweier ſchwierig feſtzuſtellender Merkmale, vom vollkommenen Jnſekt ab.
Manchmal hat dieſes nur ſtummelhafte Flügel, deren vordere aber auf den hinteren liegen, während
bei der Larve die umgekehrte Lage Statt findet.

Die Kaukerfe, vorwiegend von geſtrecktem Körperbaue, liefern im Verhältniß zu ihrer Ge-
ſammtzahl, welche man auf 5000 ſchätzt, viele anſehnliche Jnſekten in Hinſicht auf Form, Färbung
und Größe, und breiten ihre Arten über die ganze Erdoberfläche aus, wenn auch gewiſſe Familien
vorherrſchend den wärmeren Gürteln angehören. Manche fallen durch die ungeheueren Mengen
der gleichzeitig erſcheinenden Jndividnen auf und werden, ſofern ſie Pflanzenkoſt zu ſich nehmen,
der menſchlichen Oekonomie im höchſten Grade verderblich, da ſie in beiden Ständen rückſichtlich
der Gefräßigkeit keinem anderen Kerfe etwas nachgeben, während andere als unerſättliche, wilde
Räuber manches Ungeziefer vertilgen. Foſſile Ueberreſte kommen bereits in der Kohlenformation
vor, wo ſie alle anderen überwiegen; weiter hat man ſie im lithographiſchen Schiefer, beſonders
zahlreich aber im Tertiärgebirge und im Bernſtein aufgefunden.



Am zweckmäßigſten ſtehen diejenigen Geradflügler an der Spitze, welche von den meiſten
Schriftſtellern zur vorigen Ordnung gezogen werden, ſich durch ihre vier gleichartigen Flügel als
vollkommene Kerfe und durch ihr Waſſerleben als Larven auszeichnen. Als Vertreter der After-
frühlingsfliegen
(Perlariae oder Semblodea) ſei zunächſt die zweiſchwänzige Uferfliege
(Perla bicaudata) genannt. Sie hat einen braungelben, zweimal dunkelgefleckten, durch die Mitte
dunkelgeſtriemten und eben ſo eingefaßten Vorderrücken, einen rothgelben Kopf und am übrigen Körper
eine mehr braungelbe Färbung. An den gelblichen Beinen ſind die Spitzen der Schenkel und
Wurzeln der Schienen dunkler. Beim Männchen biegt ſich die geſpaltene, flache neunte Rückenplatte
des Hinterleibes am inneren und hinteren Rande zu ſchmalen Leiſten auf, beim Weibchen theilt ſie ſich
dagegen durch ſeichte Grübchen wie in drei Läppchen, während die achte Bauchplatte bei demſelben
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[438/0466] Die Geradflügler. vier Flügel aus dünner Haut mit oder ohne Maſchennetz beſtehen. Nach der hier feſtgehaltenen Auffaſſungsweiſe gehören alle Jnſekten, welche unvollkommene oder gar keine Ver- wandlung beſtehen und beißende Mundtheile aufzuweiſen haben, zu den Gerad- flüglern. Außer dieſen zwei, allen Orthoptheren gemeinſamen Merkmalen zeigen ſie in der Bildung der Unterlippe, wie in der Gliederung des Hinterleibes noch zwei andere Uebereinſtimmungen, die nur mit wenigen Worten angedentet werden können. Dadurch nämlich, daß bei allen echten Linnéſchen Geradflüglern die vier Laden der Unterkiefer, zum Theil ſogar ihre Stämme getrennt auftreten, bei den anderen (hier hinzugenommenen) durch einen Schlitz in der Mitte des Zungentheils zwei Seitenhälften wenigſtens angedeutet werden, ſpricht ſich in dieſer Ordnung das Streben aus, zwei Unterkieferpaare herzuſtellen, wie ſie bei den Krebſen zur Vollendung gelangt ſind. Eine weitere, der Ordnung zukommende Eigenthümlichkeit, bildet das Auftreten von elf, allerdings nicht überall äußerlich ſichtbaren Ringen am Hinterleibe und die damit im Zuſammen- hange ſtehende Vertheilung der Geſchlechts- und Afteröffnung auf zwei verſchiedene, bezüglich den drittletzten und letzten derſelben. Die Larve hat bekanntlich keine Flügel, ſondern bekommt nach mehrmaligen Häutungen erſt die Anſätze dazu, ſobald das vollkommene Kerf geflügelt iſt, daher unterſcheidet ſie ſich auch ohne große Mühe von dieſem. Bleibt letzteres aber flügellos, was nicht ſelten vorkommt, ſo wird die Unter- ſcheidung beider ſchwieriger, denn dann weicht die Larve nur durch die geringere Anzahl der Fühler- glieder und Augenfelder, zweier ſchwierig feſtzuſtellender Merkmale, vom vollkommenen Jnſekt ab. Manchmal hat dieſes nur ſtummelhafte Flügel, deren vordere aber auf den hinteren liegen, während bei der Larve die umgekehrte Lage Statt findet. Die Kaukerfe, vorwiegend von geſtrecktem Körperbaue, liefern im Verhältniß zu ihrer Ge- ſammtzahl, welche man auf 5000 ſchätzt, viele anſehnliche Jnſekten in Hinſicht auf Form, Färbung und Größe, und breiten ihre Arten über die ganze Erdoberfläche aus, wenn auch gewiſſe Familien vorherrſchend den wärmeren Gürteln angehören. Manche fallen durch die ungeheueren Mengen der gleichzeitig erſcheinenden Jndividnen auf und werden, ſofern ſie Pflanzenkoſt zu ſich nehmen, der menſchlichen Oekonomie im höchſten Grade verderblich, da ſie in beiden Ständen rückſichtlich der Gefräßigkeit keinem anderen Kerfe etwas nachgeben, während andere als unerſättliche, wilde Räuber manches Ungeziefer vertilgen. Foſſile Ueberreſte kommen bereits in der Kohlenformation vor, wo ſie alle anderen überwiegen; weiter hat man ſie im lithographiſchen Schiefer, beſonders zahlreich aber im Tertiärgebirge und im Bernſtein aufgefunden. Am zweckmäßigſten ſtehen diejenigen Geradflügler an der Spitze, welche von den meiſten Schriftſtellern zur vorigen Ordnung gezogen werden, ſich durch ihre vier gleichartigen Flügel als vollkommene Kerfe und durch ihr Waſſerleben als Larven auszeichnen. Als Vertreter der After- frühlingsfliegen (Perlariae oder Semblodea) ſei zunächſt die zweiſchwänzige Uferfliege (Perla bicaudata) genannt. Sie hat einen braungelben, zweimal dunkelgefleckten, durch die Mitte dunkelgeſtriemten und eben ſo eingefaßten Vorderrücken, einen rothgelben Kopf und am übrigen Körper eine mehr braungelbe Färbung. An den gelblichen Beinen ſind die Spitzen der Schenkel und Wurzeln der Schienen dunkler. Beim Männchen biegt ſich die geſpaltene, flache neunte Rückenplatte des Hinterleibes am inneren und hinteren Rande zu ſchmalen Leiſten auf, beim Weibchen theilt ſie ſich dagegen durch ſeichte Grübchen wie in drei Läppchen, während die achte Bauchplatte bei demſelben Geſchlecht gerade abgeſtutzt iſt. Hier beträgt die Körperlänge 10, die des Männchens 7 Linien, dem entſprechend die Maße eines Vorderflügels 13 und 10 Linien. Ueberdies muß als Gattungscharakter

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/466>, abgerufen am 24.11.2024.