Kein Thier -- das kann wohl ohne Uebertreibung behauptet werden -- ist dem Menschen ohne sein Zuthun und ohne ihn selbst zu bewohnen, ein so treuer, in der Regel recht lästiger, unter Umständen unausstehlicher Begleiter, als die Stubenfliege (Musca domestica). Sie versteht es ebenso gut, sich im kalten Lappland häuslich einzurichten, wie die Annehmlichkeiten der Länder unter dem heißen Erdgürtel zu würdigen. Wir alle kennen ihre schlimmen Eigen- schaften, die Zudringlichkeit, Naschhaftigkeit und die Sucht, Alles und Jedes zu besudeln; eine Tugend wird Niemand von ihr zu rühmen wissen. Besonders gegen Ende des Sommers, wo sie die kühlen Nächte und Morgen massenhaft in die Häuser treiben, wird sie in den Zimmern am lästigsten, doch für den Nordländer und Bewohner des mittleren Europa noch nicht in dem Maße, wie für den Südländer. "Jch traf, erzählt Arthur Young in seiner interessanten Reise durch Frankreich, zwischen Pradelles und Thuytz Maulbeeren und Fliegen zugleich. Unter dem Ausdrucke "Fliegen" meine ich jene Myriaden, welche den unangenehmsten Umstand des südlichen Klimas ausmachen. Sie sind die vorzüglichsten Qualen in Spanien, Jtalien und den Olivendistrikten Frankreichs, nicht weil sie beißen, stechen oder verletzen, sondern weil sie summen und necken. Mund, Augen, Ohren und Nase werden Einem voll davon, sie schwärmen über alles Eßbare, Obst, Zucker, Milch. Jedes Ding wird von ihnen in solchen zahllosen Heeren ange- fallen, daß es unmöglich ist, eine Mahlzeit zu halten, wenn sie nicht von jemandem, der nichts Anderes zu thun hat, unablässig vertrieben werden. Auf zubereitetem Papiere und mittelst anderer Erfindungen werden sie mit solcher Leichtigkeit und in solcher Menge gefangen, daß es bloße Nachlässigkeit ist, wenn sie so unglaublich überhand nehmen. Wenn ich in diesen Gegenden Land- wirthschaft triebe, so würde ich vier bis fünf Morgen alljährlich mit todten Fliegen düngen." Obgleich später im Jahre eine Zeit kommt, in welcher sie verschwunden sind, erhält sich doch die Eine und Andere auch während des Winters in unseren Zimmern, noch mehr aber in den warmen Ställen, und es bedarf nur einiger schönen Tage im jungen Jahre, so lassen sie sich hie und da auch im Freien von der Frühlingssonne bescheinen. Eine ganz eigenthümliche Todesart unter ihnen fällt einmal mehr, das andere Mal weniger in die Augen: mit ausgespreizten Beinen trifft man sie an den Wänden oder draußen an beliebigen Gegenständen, der Hinterleib ist ihnen angeschwollen, die Verbindungshaut seiner Glieder tritt als leistenartiger Schimmelstreisen auf, so daß der Hinterleib braun und weiß geringelt erscheint. Beim Oeffnen findet man denselben hohl und gleichfalls schimmelig. Selbst die Stelle, an welcher sie sitzen, ist mit einem Anfluge jenes Pilzes überzogen, welcher den Leichnam festhält. Die Stubenfliege hat eine bis zur Spitze beiderseits gefiederte Fühlerborste, keine Macrocheten auf dem Rücken der vier Hinterleibsringe, eine winkelig zur dritten auf- gebogene vierte Längsader und keine einzelnen Borsten an der Junen- seite der Mittelschienen. Letztere kommen vor bei der schwarzblauen Schmeißfliege, dem Brummer (M. oder Calliphora vomitoria). Schwarze, rothbehaarte Backen, vier schwarze, nicht eben sehr deutliche Striemen über das Rückenschild, auf welchem nur Borsten, keine Haare stehen, rothgelbe Taster, schwarze Beine und ein stark weißer Schimmer am blauen Hinterleibe und an dem schwärzlichen Unter- gesicht machen diese kenntlich, das Weibchen überdies noch eine sehr breite schwarze, an den Seiten grau schillernde Stirnstrieme. Wer sollte sie nicht schon gesehen und gehört haben, jene große (4--6''' messende) Brummfliege, welche sich sofort einstellt, wenn sie aus weiter Ferne Fleisch wittert, um ihre Eier (Schmeiß) daran zu legen, und
[Abbildung]
Schmeißfliege (Musca vomitoria) nebst Larve und Puppe.
in unseren Wohnzimmern unter beständigem Näsonniren gegen die Fensterscheiben rennt, als wollte sie sich den Kopf einstoßen. Die Fruchtbarkeit beider Arten erreicht eine außerordentliche Höhe durch die Menge der Eier, welche die Weibchen absetzen und durch die Schnelligkeit, mit welcher
Graue Fleiſchfliege. Stubenfliege. Schmeißfliege.
Kein Thier — das kann wohl ohne Uebertreibung behauptet werden — iſt dem Menſchen ohne ſein Zuthun und ohne ihn ſelbſt zu bewohnen, ein ſo treuer, in der Regel recht läſtiger, unter Umſtänden unausſtehlicher Begleiter, als die Stubenfliege (Musca domestica). Sie verſteht es ebenſo gut, ſich im kalten Lappland häuslich einzurichten, wie die Annehmlichkeiten der Länder unter dem heißen Erdgürtel zu würdigen. Wir alle kennen ihre ſchlimmen Eigen- ſchaften, die Zudringlichkeit, Naſchhaftigkeit und die Sucht, Alles und Jedes zu beſudeln; eine Tugend wird Niemand von ihr zu rühmen wiſſen. Beſonders gegen Ende des Sommers, wo ſie die kühlen Nächte und Morgen maſſenhaft in die Häuſer treiben, wird ſie in den Zimmern am läſtigſten, doch für den Nordländer und Bewohner des mittleren Europa noch nicht in dem Maße, wie für den Südländer. „Jch traf, erzählt Arthur Young in ſeiner intereſſanten Reiſe durch Frankreich, zwiſchen Pradelles und Thuytz Maulbeeren und Fliegen zugleich. Unter dem Ausdrucke „Fliegen“ meine ich jene Myriaden, welche den unangenehmſten Umſtand des ſüdlichen Klimas ausmachen. Sie ſind die vorzüglichſten Qualen in Spanien, Jtalien und den Olivendiſtrikten Frankreichs, nicht weil ſie beißen, ſtechen oder verletzen, ſondern weil ſie ſummen und necken. Mund, Augen, Ohren und Naſe werden Einem voll davon, ſie ſchwärmen über alles Eßbare, Obſt, Zucker, Milch. Jedes Ding wird von ihnen in ſolchen zahlloſen Heeren ange- fallen, daß es unmöglich iſt, eine Mahlzeit zu halten, wenn ſie nicht von jemandem, der nichts Anderes zu thun hat, unabläſſig vertrieben werden. Auf zubereitetem Papiere und mittelſt anderer Erfindungen werden ſie mit ſolcher Leichtigkeit und in ſolcher Menge gefangen, daß es bloße Nachläſſigkeit iſt, wenn ſie ſo unglaublich überhand nehmen. Wenn ich in dieſen Gegenden Land- wirthſchaft triebe, ſo würde ich vier bis fünf Morgen alljährlich mit todten Fliegen düngen.“ Obgleich ſpäter im Jahre eine Zeit kommt, in welcher ſie verſchwunden ſind, erhält ſich doch die Eine und Andere auch während des Winters in unſeren Zimmern, noch mehr aber in den warmen Ställen, und es bedarf nur einiger ſchönen Tage im jungen Jahre, ſo laſſen ſie ſich hie und da auch im Freien von der Frühlingsſonne beſcheinen. Eine ganz eigenthümliche Todesart unter ihnen fällt einmal mehr, das andere Mal weniger in die Augen: mit ausgeſpreizten Beinen trifft man ſie an den Wänden oder draußen an beliebigen Gegenſtänden, der Hinterleib iſt ihnen angeſchwollen, die Verbindungshaut ſeiner Glieder tritt als leiſtenartiger Schimmelſtreiſen auf, ſo daß der Hinterleib braun und weiß geringelt erſcheint. Beim Oeffnen findet man denſelben hohl und gleichfalls ſchimmelig. Selbſt die Stelle, an welcher ſie ſitzen, iſt mit einem Anfluge jenes Pilzes überzogen, welcher den Leichnam feſthält. Die Stubenfliege hat eine bis zur Spitze beiderſeits gefiederte Fühlerborſte, keine Macrocheten auf dem Rücken der vier Hinterleibsringe, eine winkelig zur dritten auf- gebogene vierte Längsader und keine einzelnen Borſten an der Junen- ſeite der Mittelſchienen. Letztere kommen vor bei der ſchwarzblauen Schmeißfliege, dem Brummer (M. oder Calliphora vomitoria). Schwarze, rothbehaarte Backen, vier ſchwarze, nicht eben ſehr deutliche Striemen über das Rückenſchild, auf welchem nur Borſten, keine Haare ſtehen, rothgelbe Taſter, ſchwarze Beine und ein ſtark weißer Schimmer am blauen Hinterleibe und an dem ſchwärzlichen Unter- geſicht machen dieſe kenntlich, das Weibchen überdies noch eine ſehr breite ſchwarze, an den Seiten grau ſchillernde Stirnſtrieme. Wer ſollte ſie nicht ſchon geſehen und gehört haben, jene große (4—6‴ meſſende) Brummfliege, welche ſich ſofort einſtellt, wenn ſie aus weiter Ferne Fleiſch wittert, um ihre Eier (Schmeiß) daran zu legen, und
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Schmeißfliege (Musca vomitoria) nebſt Larve und Puppe.
in unſeren Wohnzimmern unter beſtändigem Näſonniren gegen die Fenſterſcheiben rennt, als wollte ſie ſich den Kopf einſtoßen. Die Fruchtbarkeit beider Arten erreicht eine außerordentliche Höhe durch die Menge der Eier, welche die Weibchen abſetzen und durch die Schnelligkeit, mit welcher
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Graue Fleiſchfliege. Stubenfliege. Schmeißfliege.
Kein Thier — das kann wohl ohne Uebertreibung behauptet werden — iſt dem Menſchen
ohne ſein Zuthun und ohne ihn ſelbſt zu bewohnen, ein ſo treuer, in der Regel recht läſtiger,
unter Umſtänden unausſtehlicher Begleiter, als die Stubenfliege (Musca domestica). Sie
verſteht es ebenſo gut, ſich im kalten Lappland häuslich einzurichten, wie die Annehmlichkeiten
der Länder unter dem heißen Erdgürtel zu würdigen. Wir alle kennen ihre ſchlimmen Eigen-
ſchaften, die Zudringlichkeit, Naſchhaftigkeit und die Sucht, Alles und Jedes zu beſudeln; eine
Tugend wird Niemand von ihr zu rühmen wiſſen. Beſonders gegen Ende des Sommers, wo ſie
die kühlen Nächte und Morgen maſſenhaft in die Häuſer treiben, wird ſie in den Zimmern
am läſtigſten, doch für den Nordländer und Bewohner des mittleren Europa noch nicht in
dem Maße, wie für den Südländer. „Jch traf, erzählt Arthur Young in ſeiner intereſſanten
Reiſe durch Frankreich, zwiſchen Pradelles und Thuytz Maulbeeren und Fliegen zugleich. Unter
dem Ausdrucke „Fliegen“ meine ich jene Myriaden, welche den unangenehmſten Umſtand des
ſüdlichen Klimas ausmachen. Sie ſind die vorzüglichſten Qualen in Spanien, Jtalien und den
Olivendiſtrikten Frankreichs, nicht weil ſie beißen, ſtechen oder verletzen, ſondern weil ſie ſummen
und necken. Mund, Augen, Ohren und Naſe werden Einem voll davon, ſie ſchwärmen über alles
Eßbare, Obſt, Zucker, Milch. Jedes Ding wird von ihnen in ſolchen zahlloſen Heeren ange-
fallen, daß es unmöglich iſt, eine Mahlzeit zu halten, wenn ſie nicht von jemandem, der nichts
Anderes zu thun hat, unabläſſig vertrieben werden. Auf zubereitetem Papiere und mittelſt anderer
Erfindungen werden ſie mit ſolcher Leichtigkeit und in ſolcher Menge gefangen, daß es bloße
Nachläſſigkeit iſt, wenn ſie ſo unglaublich überhand nehmen. Wenn ich in dieſen Gegenden Land-
wirthſchaft triebe, ſo würde ich vier bis fünf Morgen alljährlich mit todten Fliegen düngen.“ Obgleich
ſpäter im Jahre eine Zeit kommt, in welcher ſie verſchwunden ſind, erhält ſich doch die Eine und
Andere auch während des Winters in unſeren Zimmern, noch mehr aber in den warmen Ställen,
und es bedarf nur einiger ſchönen Tage im jungen Jahre, ſo laſſen ſie ſich hie und da auch im
Freien von der Frühlingsſonne beſcheinen. Eine ganz eigenthümliche Todesart unter ihnen fällt
einmal mehr, das andere Mal weniger in die Augen: mit ausgeſpreizten Beinen trifft man ſie
an den Wänden oder draußen an beliebigen Gegenſtänden, der Hinterleib iſt ihnen angeſchwollen,
die Verbindungshaut ſeiner Glieder tritt als leiſtenartiger Schimmelſtreiſen auf, ſo daß der Hinterleib
braun und weiß geringelt erſcheint. Beim Oeffnen findet man denſelben hohl und gleichfalls
ſchimmelig. Selbſt die Stelle, an welcher ſie ſitzen, iſt mit einem Anfluge jenes Pilzes überzogen,
welcher den Leichnam feſthält. Die Stubenfliege hat eine bis zur
Spitze beiderſeits gefiederte Fühlerborſte, keine Macrocheten auf dem
Rücken der vier Hinterleibsringe, eine winkelig zur dritten auf-
gebogene vierte Längsader und keine einzelnen Borſten an der Junen-
ſeite der Mittelſchienen. Letztere kommen vor bei der ſchwarzblauen
Schmeißfliege, dem Brummer (M. oder Calliphora vomitoria).
Schwarze, rothbehaarte Backen, vier ſchwarze, nicht eben ſehr deutliche
Striemen über das Rückenſchild, auf welchem nur Borſten, keine
Haare ſtehen, rothgelbe Taſter, ſchwarze Beine und ein ſtark weißer
Schimmer am blauen Hinterleibe und an dem ſchwärzlichen Unter-
geſicht machen dieſe kenntlich, das Weibchen überdies noch eine ſehr
breite ſchwarze, an den Seiten grau ſchillernde Stirnſtrieme. Wer
ſollte ſie nicht ſchon geſehen und gehört haben, jene große (4—6‴
meſſende) Brummfliege, welche ſich ſofort einſtellt, wenn ſie aus weiter
Ferne Fleiſch wittert, um ihre Eier (Schmeiß) daran zu legen, und
[Abbildung Schmeißfliege (Musca vomitoria)
nebſt Larve und Puppe.]
in unſeren Wohnzimmern unter beſtändigem Näſonniren gegen die Fenſterſcheiben rennt, als wollte
ſie ſich den Kopf einſtoßen. Die Fruchtbarkeit beider Arten erreicht eine außerordentliche Höhe
durch die Menge der Eier, welche die Weibchen abſetzen und durch die Schnelligkeit, mit welcher
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/435>, abgerufen am 24.11.2024.
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