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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Gemeine Rohrkolbeneule. Kieferneule.
Ein halber Fleck deutet die Nierenmakel an, und bisweilen markirt sich in gleicher Weise ihre
Nachbarin. Die gelblichen Hinterflügel haben eine dunklere, von den Rippen lichter durchschnittene
Saumbinde, Federbüschchen und je zwei längere Borsten zieren die Kammzähne der männlichen
Fühler. Jn den beiden Rohrkolbenarten (Typha latifolia und angustifolia) lebt die schmuzig fleisch-
farbene Raupe. Drei lichte Rückenlinien, schwärzliche Luftlöcher, ein bräunliches Nackenschild und
eine noch dunklere Afterklappe bringen wenig Abwechselung in das eintönige Kleid. Die schlanke,
gelbbraune Puppe, welche sich durch eine stumpf nach oben gerichtete Rüsselscheide und eine nabel-
artige Erhöhung gegen das Leibesende hin auszeichnet, steht auf dem Kopfe, mithin über dem
Flugloche. Trotz der Abgeschlossenheit der Raupe ist sie vor feindlichen Nachstellungen nicht sicher.
Man erzieht nicht selten aus der Puppe -- diese nur darf man einsammeln, wenn man den
Schmetterling zu haben wünscht --, eine Schlupfwespe, den Exephanes (Ichneumon) occupator. --
Sehr eng an die Nonagrien schließen sich die Leucanien an, theils durch die Tracht und Färbung
der Schmetterlinge, theils durch die Lebensweise der Raupen, die jedoch meist außen an den
Grasblättern fressen; jenen fehlen die Stirnplatte, den männlichen Fühlern die Zähne, und gewisse
andere Eigenthümlichkeiten lassen eine Vereinigung beider Gattungen nicht zu. Manche Arten haben
eine doppelte Generation (L. pallens, L. album u. a.).

Jn den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts (1783) richtete in den fränkischen und
sächsischen Kiefernwaldungen plötzlich eine Raupe so gewaltige Verheerungen an, daß die dortigen
Behörden ihre Naturgeschichte untersuchen ließen, um womöglich den weiteren Verwüstungen der-
selben ein Ziel zu setzen. Man schlug die Akten nach und fand, daß dieselben Raupen schon 1725
die Föhrenwälder verheert hatten und zwar binnen vierzehn Tagen im Juli mehrere hundert Morgen.
Die Raupen saßen auf den Gipfeln der höchsten Bäume und fraßen die Nadeln von der Spitze
an ab, bis jene in kurzer Zeit kahl und wie verbraunt aussahen und -- -- nach einigen Jahren
abstarben. Jm August ließen die Raupen vom Fraße ab, wurden matt und fielen in solchen
Mengen herunter, daß der Boden von ihnen schwarz gefärbt wurde. Die gesunde Raupe
hat nichts Schwarzes an sich, den grünen Körper durchziehen mehrere weiße Rückenlinien und
ein orangenfarbener Streifen in den Seiten. Jn jenem zuerst genannten Jahre geschah es auch,
daß in der Kurmark, einem Theile der Neumark und Vorpommerns, sowie in der görlitzer
Gegend die Forsten durch dieselbe Raupe und stellenweis ganz besonders durch die früher erwähnte
des Kiefern spinners dem Verderben preisgegeben waren. Seitdem ist sie dann und wann, so
1808 und 1815 wieder in Franken, in letzterem Jahre auch in Ostpreußen, in den dreißiger
Jahren besonders in Pommern, Mecklenburg, in der Uckermark und um Berlin, in den funfziger in
Preußen, Posen, abermals in der Mark Brandenburg in Bedenken erregenden Massen aufgetreten
und hat für lange Zeit die Spuren der Verwüstung zurückgelassen. Ohne sehr bemerklich zu werden,
findet sie sich von Ende Mai bis Mitte Juli wohl in allen Kiefernwäldern und hält sich am
liebsten in den dreißig- bis vierzigjährigen Beständen auf. Die jungen Räupchen spinnen die
Nadeln zusammen, lassen sich zur schnelleren Fortbewegung oder zu ihrem Schutze an Fäden herab,
haben einen spannerähnlichen Gang und bohren sich zum Theil beim Fraße tief in den Maitrieb,
welcher durch Braunwerden sein Absterben verräth. Dies Alles läßt sich im Freien weniger wahr-
nehmen, da sie ihr Unwesen hoch oben auf den Bäumen treiben, aber in Raupenzwingern
angestellte Beobachtungen haben es gelehrt. Erwachsen erreichen sie ungefähr die Länge von sechzehn
Linien und kommen herab, um sich unter Moos in einer Höhlung in eine anfangs grüne, später
dunkelbraune Puppe zu verwandeln, welche auf dem Rücken ihres vierten Hinterleibsringes ein
nach hinten durch einen Wulst begrenztes Grübchen erkennen läßt und überwintert. Die am
Schlusse jener amtlichen Mittheilung erwähnte Erfahrung hat sich später vielfach wiederholt. Man
hat die Raupen vertrocknet an den Nadeln hängend, oder auf dem Boden reichlich ausgestreut
und faulend gefunden und diesen Umstand zum Theil auf Rechnung feuchter und kalter Witterung
bringen können, welche gerade diese Raupe wenig verträgt, zum Theil aber auch für eine unter

Gemeine Rohrkolbeneule. Kieferneule.
Ein halber Fleck deutet die Nierenmakel an, und bisweilen markirt ſich in gleicher Weiſe ihre
Nachbarin. Die gelblichen Hinterflügel haben eine dunklere, von den Rippen lichter durchſchnittene
Saumbinde, Federbüſchchen und je zwei längere Borſten zieren die Kammzähne der männlichen
Fühler. Jn den beiden Rohrkolbenarten (Typha latifolia und angustifolia) lebt die ſchmuzig fleiſch-
farbene Raupe. Drei lichte Rückenlinien, ſchwärzliche Luftlöcher, ein bräunliches Nackenſchild und
eine noch dunklere Afterklappe bringen wenig Abwechſelung in das eintönige Kleid. Die ſchlanke,
gelbbraune Puppe, welche ſich durch eine ſtumpf nach oben gerichtete Rüſſelſcheide und eine nabel-
artige Erhöhung gegen das Leibesende hin auszeichnet, ſteht auf dem Kopfe, mithin über dem
Flugloche. Trotz der Abgeſchloſſenheit der Raupe iſt ſie vor feindlichen Nachſtellungen nicht ſicher.
Man erzieht nicht ſelten aus der Puppe — dieſe nur darf man einſammeln, wenn man den
Schmetterling zu haben wünſcht —, eine Schlupfwespe, den Exephanes (Ichneumon) occupator.
Sehr eng an die Nonagrien ſchließen ſich die Leucanien an, theils durch die Tracht und Färbung
der Schmetterlinge, theils durch die Lebensweiſe der Raupen, die jedoch meiſt außen an den
Grasblättern freſſen; jenen fehlen die Stirnplatte, den männlichen Fühlern die Zähne, und gewiſſe
andere Eigenthümlichkeiten laſſen eine Vereinigung beider Gattungen nicht zu. Manche Arten haben
eine doppelte Generation (L. pallens, L. album u. a.).

Jn den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts (1783) richtete in den fränkiſchen und
ſächſiſchen Kiefernwaldungen plötzlich eine Raupe ſo gewaltige Verheerungen an, daß die dortigen
Behörden ihre Naturgeſchichte unterſuchen ließen, um womöglich den weiteren Verwüſtungen der-
ſelben ein Ziel zu ſetzen. Man ſchlug die Akten nach und fand, daß dieſelben Raupen ſchon 1725
die Föhrenwälder verheert hatten und zwar binnen vierzehn Tagen im Juli mehrere hundert Morgen.
Die Raupen ſaßen auf den Gipfeln der höchſten Bäume und fraßen die Nadeln von der Spitze
an ab, bis jene in kurzer Zeit kahl und wie verbraunt ausſahen und — — nach einigen Jahren
abſtarben. Jm Auguſt ließen die Raupen vom Fraße ab, wurden matt und fielen in ſolchen
Mengen herunter, daß der Boden von ihnen ſchwarz gefärbt wurde. Die geſunde Raupe
hat nichts Schwarzes an ſich, den grünen Körper durchziehen mehrere weiße Rückenlinien und
ein orangenfarbener Streifen in den Seiten. Jn jenem zuerſt genannten Jahre geſchah es auch,
daß in der Kurmark, einem Theile der Neumark und Vorpommerns, ſowie in der görlitzer
Gegend die Forſten durch dieſelbe Raupe und ſtellenweis ganz beſonders durch die früher erwähnte
des Kiefern ſpinners dem Verderben preisgegeben waren. Seitdem iſt ſie dann und wann, ſo
1808 und 1815 wieder in Franken, in letzterem Jahre auch in Oſtpreußen, in den dreißiger
Jahren beſonders in Pommern, Mecklenburg, in der Uckermark und um Berlin, in den funfziger in
Preußen, Poſen, abermals in der Mark Brandenburg in Bedenken erregenden Maſſen aufgetreten
und hat für lange Zeit die Spuren der Verwüſtung zurückgelaſſen. Ohne ſehr bemerklich zu werden,
findet ſie ſich von Ende Mai bis Mitte Juli wohl in allen Kiefernwäldern und hält ſich am
liebſten in den dreißig- bis vierzigjährigen Beſtänden auf. Die jungen Räupchen ſpinnen die
Nadeln zuſammen, laſſen ſich zur ſchnelleren Fortbewegung oder zu ihrem Schutze an Fäden herab,
haben einen ſpannerähnlichen Gang und bohren ſich zum Theil beim Fraße tief in den Maitrieb,
welcher durch Braunwerden ſein Abſterben verräth. Dies Alles läßt ſich im Freien weniger wahr-
nehmen, da ſie ihr Unweſen hoch oben auf den Bäumen treiben, aber in Raupenzwingern
angeſtellte Beobachtungen haben es gelehrt. Erwachſen erreichen ſie ungefähr die Länge von ſechzehn
Linien und kommen herab, um ſich unter Moos in einer Höhlung in eine anfangs grüne, ſpäter
dunkelbraune Puppe zu verwandeln, welche auf dem Rücken ihres vierten Hinterleibsringes ein
nach hinten durch einen Wulſt begrenztes Grübchen erkennen läßt und überwintert. Die am
Schluſſe jener amtlichen Mittheilung erwähnte Erfahrung hat ſich ſpäter vielfach wiederholt. Man
hat die Raupen vertrocknet an den Nadeln hängend, oder auf dem Boden reichlich ausgeſtreut
und faulend gefunden und dieſen Umſtand zum Theil auf Rechnung feuchter und kalter Witterung
bringen können, welche gerade dieſe Raupe wenig verträgt, zum Theil aber auch für eine unter

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[351/0375] Gemeine Rohrkolbeneule. Kieferneule. Ein halber Fleck deutet die Nierenmakel an, und bisweilen markirt ſich in gleicher Weiſe ihre Nachbarin. Die gelblichen Hinterflügel haben eine dunklere, von den Rippen lichter durchſchnittene Saumbinde, Federbüſchchen und je zwei längere Borſten zieren die Kammzähne der männlichen Fühler. Jn den beiden Rohrkolbenarten (Typha latifolia und angustifolia) lebt die ſchmuzig fleiſch- farbene Raupe. Drei lichte Rückenlinien, ſchwärzliche Luftlöcher, ein bräunliches Nackenſchild und eine noch dunklere Afterklappe bringen wenig Abwechſelung in das eintönige Kleid. Die ſchlanke, gelbbraune Puppe, welche ſich durch eine ſtumpf nach oben gerichtete Rüſſelſcheide und eine nabel- artige Erhöhung gegen das Leibesende hin auszeichnet, ſteht auf dem Kopfe, mithin über dem Flugloche. Trotz der Abgeſchloſſenheit der Raupe iſt ſie vor feindlichen Nachſtellungen nicht ſicher. Man erzieht nicht ſelten aus der Puppe — dieſe nur darf man einſammeln, wenn man den Schmetterling zu haben wünſcht —, eine Schlupfwespe, den Exephanes (Ichneumon) occupator. — Sehr eng an die Nonagrien ſchließen ſich die Leucanien an, theils durch die Tracht und Färbung der Schmetterlinge, theils durch die Lebensweiſe der Raupen, die jedoch meiſt außen an den Grasblättern freſſen; jenen fehlen die Stirnplatte, den männlichen Fühlern die Zähne, und gewiſſe andere Eigenthümlichkeiten laſſen eine Vereinigung beider Gattungen nicht zu. Manche Arten haben eine doppelte Generation (L. pallens, L. album u. a.). Jn den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts (1783) richtete in den fränkiſchen und ſächſiſchen Kiefernwaldungen plötzlich eine Raupe ſo gewaltige Verheerungen an, daß die dortigen Behörden ihre Naturgeſchichte unterſuchen ließen, um womöglich den weiteren Verwüſtungen der- ſelben ein Ziel zu ſetzen. Man ſchlug die Akten nach und fand, daß dieſelben Raupen ſchon 1725 die Föhrenwälder verheert hatten und zwar binnen vierzehn Tagen im Juli mehrere hundert Morgen. Die Raupen ſaßen auf den Gipfeln der höchſten Bäume und fraßen die Nadeln von der Spitze an ab, bis jene in kurzer Zeit kahl und wie verbraunt ausſahen und — — nach einigen Jahren abſtarben. Jm Auguſt ließen die Raupen vom Fraße ab, wurden matt und fielen in ſolchen Mengen herunter, daß der Boden von ihnen ſchwarz gefärbt wurde. Die geſunde Raupe hat nichts Schwarzes an ſich, den grünen Körper durchziehen mehrere weiße Rückenlinien und ein orangenfarbener Streifen in den Seiten. Jn jenem zuerſt genannten Jahre geſchah es auch, daß in der Kurmark, einem Theile der Neumark und Vorpommerns, ſowie in der görlitzer Gegend die Forſten durch dieſelbe Raupe und ſtellenweis ganz beſonders durch die früher erwähnte des Kiefern ſpinners dem Verderben preisgegeben waren. Seitdem iſt ſie dann und wann, ſo 1808 und 1815 wieder in Franken, in letzterem Jahre auch in Oſtpreußen, in den dreißiger Jahren beſonders in Pommern, Mecklenburg, in der Uckermark und um Berlin, in den funfziger in Preußen, Poſen, abermals in der Mark Brandenburg in Bedenken erregenden Maſſen aufgetreten und hat für lange Zeit die Spuren der Verwüſtung zurückgelaſſen. Ohne ſehr bemerklich zu werden, findet ſie ſich von Ende Mai bis Mitte Juli wohl in allen Kiefernwäldern und hält ſich am liebſten in den dreißig- bis vierzigjährigen Beſtänden auf. Die jungen Räupchen ſpinnen die Nadeln zuſammen, laſſen ſich zur ſchnelleren Fortbewegung oder zu ihrem Schutze an Fäden herab, haben einen ſpannerähnlichen Gang und bohren ſich zum Theil beim Fraße tief in den Maitrieb, welcher durch Braunwerden ſein Abſterben verräth. Dies Alles läßt ſich im Freien weniger wahr- nehmen, da ſie ihr Unweſen hoch oben auf den Bäumen treiben, aber in Raupenzwingern angeſtellte Beobachtungen haben es gelehrt. Erwachſen erreichen ſie ungefähr die Länge von ſechzehn Linien und kommen herab, um ſich unter Moos in einer Höhlung in eine anfangs grüne, ſpäter dunkelbraune Puppe zu verwandeln, welche auf dem Rücken ihres vierten Hinterleibsringes ein nach hinten durch einen Wulſt begrenztes Grübchen erkennen läßt und überwintert. Die am Schluſſe jener amtlichen Mittheilung erwähnte Erfahrung hat ſich ſpäter vielfach wiederholt. Man hat die Raupen vertrocknet an den Nadeln hängend, oder auf dem Boden reichlich ausgeſtreut und faulend gefunden und dieſen Umſtand zum Theil auf Rechnung feuchter und kalter Witterung bringen können, welche gerade dieſe Raupe wenig verträgt, zum Theil aber auch für eine unter

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/375>, abgerufen am 23.11.2024.