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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Nonne.
Fichten waren nicht mehr mit Eiorhaufen zwischen den Borkenschuppen besetzt, sondern an der
ganzen Oberfläche von dicht an- und übereinander liegenden Eiern förmlich inerustirt, so daß die
Arbeiter sie mit den Händen abstreichen konnten, wenigstens an den Stämmen, an welchen man
im Winter zuvor des Einsammelns halber die Borkenschuppen abgekratzt hatte; denn auch an
solche hatte die Nonne ihre Eier gelegt. Die Wipfel waren jedoch diesmal verschont geblieben.
Dagegen fand man zahlreiche Eierhaufen an Kräutern aller Art, sogar auf Tabakspflanzen (es
wird in Masuren Nicotiana rustica häufig angebaut, namentlich auch in den Gärtchen der niederen
Forstbeamten), ja selbst auf Giebeln von Häusern und an den Bretterzäunen -- lauter bisher nie
dagewesene und unerhörte Erscheinungen! Jn welcher unglaublichen Menge damals Nonneneier
vorhanden gewesen sein mußten, geht auch daraus hervor, daß sich Hunderte von Leuten erboten,
Eier für den geringen Preis von 4 Pfennigen a Loth zu sammeln, während 1853 beim Beginn
des Einsammelns das Loth mit 5 Sgr. bezahlt werden mußte. So kam denn im Mai 1855 ein
Raupenfraß zur Entwickelung, wie ein solcher wohl seit Menschengedenken noch nicht dagewesen
ist. Bis zum 27. Juni waren auf dem Rothebuder Reviere bereits über 10,000 Morgen Nadel-
holzbestand kahl gefressen, außerdem 5000 andere Morgen so stark angegangen, daß auch hier ein
völliger Kahlfraß in Aussicht stand. Allein selbst die schlimmsten Befürchtungen sollten noch weit
übertroffen werden! Denn bis Ende Juli erschienen die meisten Fichten des ganzen Reviers kahl
gefressen, dieselben auf einer Fläche von 16,354 Morgen bereits getödtet, auf einer andern von
5841 Morgen so stark beschädigt, daß voraussichtlich der größte Theil zum Abtrieb kommen mußte,
und nur auf 4932 Morgen ziemlich verschont. Schimmelpfennig tarirte die bis zum September trocken
gewordene Holzmasse auf 264,240 Massenklastern oder auf 16 Klaftern pro Morgen der oben ange-
gebenen Fraßfläche. Die Raupen machten keinen Unterschied mehr zwischen Nadel- und Laubholz,
noch zwischen den Altersklassen; denn auch Fichtenschonungen, ja selbst vor- und diesjährige Culturen
wurden von ihnen befallen und kahl gefressen, wobei sich herauszustellen schien, daß die Pflanzungen
am meisten zu leiden hatten. An jüngeren Fichten und Kiefern krümmten sich die Wipfel unter der
Last der klumpenweis daran sitzenden Raupen bogenförmig, und an allen Bäumen hingen die Aeste
abwärts; der Raupenkoth, welcher zuletzt den ganzen Boden des Waldes 2 bis 3 Zoll hoch, ja an
manchen Stellen bis 6 Zoll hoch bedeckte, rieselte ununterbrochen gleich einem starken Regen aus
den Kronen der Bäume hernieder, und bald war fast kein grünes Blatt, kein grüner Halm mehr zu
sehen, so weit das Auge reichte." Der Verichterstatter erwähnt dann weiter einer sich daran
anschließenden Verheerung durch Borkenkäfer und schließt mit den Zahlenaugaben aus dem Bericht
von Schimmelpfeunig vom 1. Oktober 1862, nach welchem auf dem Rothebuder Reviere bis dahin
290,000 Massen-Klaftern getödtet worden waren, davon 285,000 durch Nonnen-, 5000 durch
Käferfraß. Auf dem Stamme befanden sich damals noch mindestens 153,000 Klaftern. Die
verwüstete Fläche betrug 32,931 Morgen und hatte sich somit beinahe über das ganze Revier
erstreckt.

Die Eiche, welche bekanntlich mehr Schmetterlingsraupen ernährt, als irgend ein anderes
Gewächs, wird stellenweise von einer höchst interessanten und sonderbaren Raupe heimgesucht, die,
wenn irgend eine, es mit Recht verdient, als giftig verschrien zu sein. Jhre langen, weißbespitzten,
unter dem Mikroskope oben mit Aestchen versehenen Haare enthalten so viel concentrirte Ameisen-
säure, daß sie auch auf weniger empfindlicher Haut ein ganz entsetzliches Brennen und Jucken
hervorbringen. Es fehlt nicht an Beispielen, wo sie, in das Jnnere menschlicher oder thierischer
Körper gelangt, die bedenklichsten Entzündungen der Schleimhäute hervorriefen und bei Vernach-
lässigung den Tod herbeiführten; Rinder zeigten vollständige Tollwuth. Der Träger dieser gefähr-
lichen Brennhaare findet sich im Mai und Juni und wird von der sonderbaren Gewohnheit, mit
seines Gleichen in gewisser Ordnung zum Fraße auszumarschiren und von den Weideplätzen ebenso
geordnet wieder in das Nest zurückzukehren, Prozessionsraupe genannt. Dieselbe kommt im

Die Nonne.
Fichten waren nicht mehr mit Eiorhaufen zwiſchen den Borkenſchuppen beſetzt, ſondern an der
ganzen Oberfläche von dicht an- und übereinander liegenden Eiern förmlich ineruſtirt, ſo daß die
Arbeiter ſie mit den Händen abſtreichen konnten, wenigſtens an den Stämmen, an welchen man
im Winter zuvor des Einſammelns halber die Borkenſchuppen abgekratzt hatte; denn auch an
ſolche hatte die Nonne ihre Eier gelegt. Die Wipfel waren jedoch diesmal verſchont geblieben.
Dagegen fand man zahlreiche Eierhaufen an Kräutern aller Art, ſogar auf Tabakspflanzen (es
wird in Maſuren Nicotiana rustica häufig angebaut, namentlich auch in den Gärtchen der niederen
Forſtbeamten), ja ſelbſt auf Giebeln von Häuſern und an den Bretterzäunen — lauter bisher nie
dageweſene und unerhörte Erſcheinungen! Jn welcher unglaublichen Menge damals Nonneneier
vorhanden geweſen ſein mußten, geht auch daraus hervor, daß ſich Hunderte von Leuten erboten,
Eier für den geringen Preis von 4 Pfennigen à Loth zu ſammeln, während 1853 beim Beginn
des Einſammelns das Loth mit 5 Sgr. bezahlt werden mußte. So kam denn im Mai 1855 ein
Raupenfraß zur Entwickelung, wie ein ſolcher wohl ſeit Menſchengedenken noch nicht dageweſen
iſt. Bis zum 27. Juni waren auf dem Rothebuder Reviere bereits über 10,000 Morgen Nadel-
holzbeſtand kahl gefreſſen, außerdem 5000 andere Morgen ſo ſtark angegangen, daß auch hier ein
völliger Kahlfraß in Ausſicht ſtand. Allein ſelbſt die ſchlimmſten Befürchtungen ſollten noch weit
übertroffen werden! Denn bis Ende Juli erſchienen die meiſten Fichten des ganzen Reviers kahl
gefreſſen, dieſelben auf einer Fläche von 16,354 Morgen bereits getödtet, auf einer andern von
5841 Morgen ſo ſtark beſchädigt, daß vorausſichtlich der größte Theil zum Abtrieb kommen mußte,
und nur auf 4932 Morgen ziemlich verſchont. Schimmelpfennig tarirte die bis zum September trocken
gewordene Holzmaſſe auf 264,240 Maſſenklaſtern oder auf 16 Klaftern pro Morgen der oben ange-
gebenen Fraßfläche. Die Raupen machten keinen Unterſchied mehr zwiſchen Nadel- und Laubholz,
noch zwiſchen den Altersklaſſen; denn auch Fichtenſchonungen, ja ſelbſt vor- und diesjährige Culturen
wurden von ihnen befallen und kahl gefreſſen, wobei ſich herauszuſtellen ſchien, daß die Pflanzungen
am meiſten zu leiden hatten. An jüngeren Fichten und Kiefern krümmten ſich die Wipfel unter der
Laſt der klumpenweis daran ſitzenden Raupen bogenförmig, und an allen Bäumen hingen die Aeſte
abwärts; der Raupenkoth, welcher zuletzt den ganzen Boden des Waldes 2 bis 3 Zoll hoch, ja an
manchen Stellen bis 6 Zoll hoch bedeckte, rieſelte ununterbrochen gleich einem ſtarken Regen aus
den Kronen der Bäume hernieder, und bald war faſt kein grünes Blatt, kein grüner Halm mehr zu
ſehen, ſo weit das Auge reichte.“ Der Verichterſtatter erwähnt dann weiter einer ſich daran
anſchließenden Verheerung durch Borkenkäfer und ſchließt mit den Zahlenaugaben aus dem Bericht
von Schimmelpfeunig vom 1. Oktober 1862, nach welchem auf dem Rothebuder Reviere bis dahin
290,000 Maſſen-Klaftern getödtet worden waren, davon 285,000 durch Nonnen-, 5000 durch
Käferfraß. Auf dem Stamme befanden ſich damals noch mindeſtens 153,000 Klaftern. Die
verwüſtete Fläche betrug 32,931 Morgen und hatte ſich ſomit beinahe über das ganze Revier
erſtreckt.

Die Eiche, welche bekanntlich mehr Schmetterlingsraupen ernährt, als irgend ein anderes
Gewächs, wird ſtellenweiſe von einer höchſt intereſſanten und ſonderbaren Raupe heimgeſucht, die,
wenn irgend eine, es mit Recht verdient, als giftig verſchrien zu ſein. Jhre langen, weißbeſpitzten,
unter dem Mikroskope oben mit Aeſtchen verſehenen Haare enthalten ſo viel concentrirte Ameiſen-
ſäure, daß ſie auch auf weniger empfindlicher Haut ein ganz entſetzliches Brennen und Jucken
hervorbringen. Es fehlt nicht an Beiſpielen, wo ſie, in das Jnnere menſchlicher oder thieriſcher
Körper gelangt, die bedenklichſten Entzündungen der Schleimhäute hervorriefen und bei Vernach-
läſſigung den Tod herbeiführten; Rinder zeigten vollſtändige Tollwuth. Der Träger dieſer gefähr-
lichen Brennhaare findet ſich im Mai und Juni und wird von der ſonderbaren Gewohnheit, mit
ſeines Gleichen in gewiſſer Ordnung zum Fraße auszumarſchiren und von den Weideplätzen ebenſo
geordnet wieder in das Neſt zurückzukehren, Prozeſſionsraupe genannt. Dieſelbe kommt im

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[341/0365] Die Nonne. Fichten waren nicht mehr mit Eiorhaufen zwiſchen den Borkenſchuppen beſetzt, ſondern an der ganzen Oberfläche von dicht an- und übereinander liegenden Eiern förmlich ineruſtirt, ſo daß die Arbeiter ſie mit den Händen abſtreichen konnten, wenigſtens an den Stämmen, an welchen man im Winter zuvor des Einſammelns halber die Borkenſchuppen abgekratzt hatte; denn auch an ſolche hatte die Nonne ihre Eier gelegt. Die Wipfel waren jedoch diesmal verſchont geblieben. Dagegen fand man zahlreiche Eierhaufen an Kräutern aller Art, ſogar auf Tabakspflanzen (es wird in Maſuren Nicotiana rustica häufig angebaut, namentlich auch in den Gärtchen der niederen Forſtbeamten), ja ſelbſt auf Giebeln von Häuſern und an den Bretterzäunen — lauter bisher nie dageweſene und unerhörte Erſcheinungen! Jn welcher unglaublichen Menge damals Nonneneier vorhanden geweſen ſein mußten, geht auch daraus hervor, daß ſich Hunderte von Leuten erboten, Eier für den geringen Preis von 4 Pfennigen à Loth zu ſammeln, während 1853 beim Beginn des Einſammelns das Loth mit 5 Sgr. bezahlt werden mußte. So kam denn im Mai 1855 ein Raupenfraß zur Entwickelung, wie ein ſolcher wohl ſeit Menſchengedenken noch nicht dageweſen iſt. Bis zum 27. Juni waren auf dem Rothebuder Reviere bereits über 10,000 Morgen Nadel- holzbeſtand kahl gefreſſen, außerdem 5000 andere Morgen ſo ſtark angegangen, daß auch hier ein völliger Kahlfraß in Ausſicht ſtand. Allein ſelbſt die ſchlimmſten Befürchtungen ſollten noch weit übertroffen werden! Denn bis Ende Juli erſchienen die meiſten Fichten des ganzen Reviers kahl gefreſſen, dieſelben auf einer Fläche von 16,354 Morgen bereits getödtet, auf einer andern von 5841 Morgen ſo ſtark beſchädigt, daß vorausſichtlich der größte Theil zum Abtrieb kommen mußte, und nur auf 4932 Morgen ziemlich verſchont. Schimmelpfennig tarirte die bis zum September trocken gewordene Holzmaſſe auf 264,240 Maſſenklaſtern oder auf 16 Klaftern pro Morgen der oben ange- gebenen Fraßfläche. Die Raupen machten keinen Unterſchied mehr zwiſchen Nadel- und Laubholz, noch zwiſchen den Altersklaſſen; denn auch Fichtenſchonungen, ja ſelbſt vor- und diesjährige Culturen wurden von ihnen befallen und kahl gefreſſen, wobei ſich herauszuſtellen ſchien, daß die Pflanzungen am meiſten zu leiden hatten. An jüngeren Fichten und Kiefern krümmten ſich die Wipfel unter der Laſt der klumpenweis daran ſitzenden Raupen bogenförmig, und an allen Bäumen hingen die Aeſte abwärts; der Raupenkoth, welcher zuletzt den ganzen Boden des Waldes 2 bis 3 Zoll hoch, ja an manchen Stellen bis 6 Zoll hoch bedeckte, rieſelte ununterbrochen gleich einem ſtarken Regen aus den Kronen der Bäume hernieder, und bald war faſt kein grünes Blatt, kein grüner Halm mehr zu ſehen, ſo weit das Auge reichte.“ Der Verichterſtatter erwähnt dann weiter einer ſich daran anſchließenden Verheerung durch Borkenkäfer und ſchließt mit den Zahlenaugaben aus dem Bericht von Schimmelpfeunig vom 1. Oktober 1862, nach welchem auf dem Rothebuder Reviere bis dahin 290,000 Maſſen-Klaftern getödtet worden waren, davon 285,000 durch Nonnen-, 5000 durch Käferfraß. Auf dem Stamme befanden ſich damals noch mindeſtens 153,000 Klaftern. Die verwüſtete Fläche betrug 32,931 Morgen und hatte ſich ſomit beinahe über das ganze Revier erſtreckt. Die Eiche, welche bekanntlich mehr Schmetterlingsraupen ernährt, als irgend ein anderes Gewächs, wird ſtellenweiſe von einer höchſt intereſſanten und ſonderbaren Raupe heimgeſucht, die, wenn irgend eine, es mit Recht verdient, als giftig verſchrien zu ſein. Jhre langen, weißbeſpitzten, unter dem Mikroskope oben mit Aeſtchen verſehenen Haare enthalten ſo viel concentrirte Ameiſen- ſäure, daß ſie auch auf weniger empfindlicher Haut ein ganz entſetzliches Brennen und Jucken hervorbringen. Es fehlt nicht an Beiſpielen, wo ſie, in das Jnnere menſchlicher oder thieriſcher Körper gelangt, die bedenklichſten Entzündungen der Schleimhäute hervorriefen und bei Vernach- läſſigung den Tod herbeiführten; Rinder zeigten vollſtändige Tollwuth. Der Träger dieſer gefähr- lichen Brennhaare findet ſich im Mai und Juni und wird von der ſonderbaren Gewohnheit, mit ſeines Gleichen in gewiſſer Ordnung zum Fraße auszumarſchiren und von den Weideplätzen ebenſo geordnet wieder in das Neſt zurückzukehren, Prozeſſionsraupe genannt. Dieſelbe kommt im

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/365>, abgerufen am 23.11.2024.