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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Schmetterlinge. Spinner.
stecken, um, ihr kleines Haus mit sich schleppend, an Baumstämmen, Grasstengeln etc. umherzu-
kriechen und sich Futter zu suchen, die übrigen sind aber verkümmert. Statt ihrer kann man
wohl Wärzchen unterscheiden, welche aber zum Kriechen im Freien sich nicht eignen. Um sich zu
verpuppen, verlassen die meisten Psychinen ihre Futterpflanze und spinnen die vordere Mündung
ihres Sackes an Baumstämme, Bretterzäune, Steine u. dergl. fest. Sodann kehrt sich die Raupe
um, mit dem Kopfende gegen die hinten freie Mündung. Die beiderseits stumpf gerundete
Puppe des Weibchens zeigt wenig Bewegung und bleibt, auch wenn der Schmetterling auskriecht,
am Grunde des Gehäuses liegen, während die gestreckte, mit Borstenkränzen ausgerüstete männ-
liche sich vor dem Ausschlüpfen bis zur Hälfte aus dem hinteren Ende hervorarbeitet.

Der gemeine Sackträger, Mohrenkopf (Psyche unicolor oder graminella), mag uns
als die verbreitetste Art ein Bild von diesen interessanten Faltern geben. Er zeichnet sich zunächst

[Abbildung] Der gemeine Sack-
träger
(Psyche unico-
tor). a
Männchen. b Weib-
chen. c Weibliche Puppe
von unten. d Angespon-
nener welblicher Sack.
e Sack des Männchens.
f Seine Puppe.
dadurch aus, daß die Raupen der verschiedenen Geschlechter verschiedene
Säcke fertigen. Der große des Männchens (e) trägt im vorderen Theile
allerhand umfangreiche Pflanzenabfälle, der des Weibchens (d) hat eine
viel gleichmäßigere Oberfläche und wird nie so lang, wie jener. Da die
Raupe überwintert, findet man die Säcke vom Spätherbst ab an geschützten
Orten, besonders auch an Baumstämmen festgesponnen. Mit dem Erwachen
alles Lebens im nächsten Frühlinge beißt die Raupe die jenen festhaltenden
Seidenfäden durch, sucht Gras auf, um sich weiter zu ernähren, bis
etwa Mai oder Anfangs Juni, zu welcher Zeit die Verpuppung in der vor-
her angegebenen Weise erfolgt. Jn unserer Abbildung erscheint der weib-
liche Sack bereits angesponnen, der männliche sucht sich an dem Stamme
erst noch einen guten Platz dazu. Die Raupe ist gelblich, grauschwarz
punktirt, die Puppe gelbbraun. Nach spätestens vier Wochen erscheint der
Schmetterling. Das schwarzbranne Männchen (a) hat weiße Frausen-
spitzchen und einzelne weiße Zottenhaare am Bauche, an den Hinterschienen
nur Endsporen. Die traurige Gestalt des madenförmigen Weibchens (b),
nachdem es die Puppe (c) verlassen, kommt gar nicht zum Vorschein,
hält sich aber am hinteren offenen Ende des Sackes auf und wartet in
Demuth bis -- -- Einer kommt, um zu freien. Der Hinterleib des
Männchens besitzt eine ungemeine Streckbarkeit und kann behufs der
Paarung tief in den weiblichen Sack hinein gesteckt werden, wo ihm das
zapfenartige Ende des weiblichen Hinterleibs entgegenkommt. Diesem fehlt
nämlich eine Legröhre ebenso, wie entwickelte Augen, gegliederte Fühler
und ordentliche Beine. Es wurde oben bemerkt, daß bei dieser Art
jungfräuliche Fortpflanzung beobachtet worden sei. Jch will dies nicht
läugnen, aber doch auf zwei Umstände aufmerksam machen, welche dazu
angethan sind, eine Täuschung zu veranlassen und zur allergrößten Vor-
sicht bei derartigen Beobachtungen aufzufordern. Nach erfolgter Begattung
schiebt sich das Weibchen in die verlassene Puppenhülse zurück, um seine
Eier in dieselbe abzusetzen. Wie leicht kann es nun geschehen, daß man
es einsammelt und bei näherer Untersuchung für eine Puppe hält; kommen
später junge Psychenraupen zum Vorschein, so liegt die Behauptung nahe,
daß hier Parthenogenesis stattgefunden habe. Aber nicht blos die Puppen-
hülse wird voll Eier gepfropft, sondern der ganze Sack, welcher sich dann dem Auge und Gefühle prall
darstellt, als wenn er bewohnt wäre, und besonders glaubt man die Puppe darin zu fühlen, und hierin
liegt eine weitere Möglichkeit der Täuschung. Die Geschlechtsorgane des Weibchens sind voll-
kommen entwickelt und weisen entschieden darauf hin, daß, wenn ohne vorhergegangene Befruchtung

Die Schmetterlinge. Spinner.
ſtecken, um, ihr kleines Haus mit ſich ſchleppend, an Baumſtämmen, Grasſtengeln ꝛc. umherzu-
kriechen und ſich Futter zu ſuchen, die übrigen ſind aber verkümmert. Statt ihrer kann man
wohl Wärzchen unterſcheiden, welche aber zum Kriechen im Freien ſich nicht eignen. Um ſich zu
verpuppen, verlaſſen die meiſten Pſychinen ihre Futterpflanze und ſpinnen die vordere Mündung
ihres Sackes an Baumſtämme, Bretterzäune, Steine u. dergl. feſt. Sodann kehrt ſich die Raupe
um, mit dem Kopfende gegen die hinten freie Mündung. Die beiderſeits ſtumpf gerundete
Puppe des Weibchens zeigt wenig Bewegung und bleibt, auch wenn der Schmetterling auskriecht,
am Grunde des Gehäuſes liegen, während die geſtreckte, mit Borſtenkränzen ausgerüſtete männ-
liche ſich vor dem Ausſchlüpfen bis zur Hälfte aus dem hinteren Ende hervorarbeitet.

Der gemeine Sackträger, Mohrenkopf (Psyche unicolor oder graminella), mag uns
als die verbreitetſte Art ein Bild von dieſen intereſſanten Faltern geben. Er zeichnet ſich zunächſt

[Abbildung] Der gemeine Sack-
träger
(Psyche unico-
tor). a
Männchen. b Weib-
chen. c Weibliche Puppe
von unten. d Angeſpon-
nener welblicher Sack.
e Sack des Männchens.
f Seine Puppe.
dadurch aus, daß die Raupen der verſchiedenen Geſchlechter verſchiedene
Säcke fertigen. Der große des Männchens (e) trägt im vorderen Theile
allerhand umfangreiche Pflanzenabfälle, der des Weibchens (d) hat eine
viel gleichmäßigere Oberfläche und wird nie ſo lang, wie jener. Da die
Raupe überwintert, findet man die Säcke vom Spätherbſt ab an geſchützten
Orten, beſonders auch an Baumſtämmen feſtgeſponnen. Mit dem Erwachen
alles Lebens im nächſten Frühlinge beißt die Raupe die jenen feſthaltenden
Seidenfäden durch, ſucht Gras auf, um ſich weiter zu ernähren, bis
etwa Mai oder Anfangs Juni, zu welcher Zeit die Verpuppung in der vor-
her angegebenen Weiſe erfolgt. Jn unſerer Abbildung erſcheint der weib-
liche Sack bereits angeſponnen, der männliche ſucht ſich an dem Stamme
erſt noch einen guten Platz dazu. Die Raupe iſt gelblich, grauſchwarz
punktirt, die Puppe gelbbraun. Nach ſpäteſtens vier Wochen erſcheint der
Schmetterling. Das ſchwarzbranne Männchen (a) hat weiße Frauſen-
ſpitzchen und einzelne weiße Zottenhaare am Bauche, an den Hinterſchienen
nur Endſporen. Die traurige Geſtalt des madenförmigen Weibchens (b),
nachdem es die Puppe (c) verlaſſen, kommt gar nicht zum Vorſchein,
hält ſich aber am hinteren offenen Ende des Sackes auf und wartet in
Demuth bis — — Einer kommt, um zu freien. Der Hinterleib des
Männchens beſitzt eine ungemeine Streckbarkeit und kann behufs der
Paarung tief in den weiblichen Sack hinein geſteckt werden, wo ihm das
zapfenartige Ende des weiblichen Hinterleibs entgegenkommt. Dieſem fehlt
nämlich eine Legröhre ebenſo, wie entwickelte Augen, gegliederte Fühler
und ordentliche Beine. Es wurde oben bemerkt, daß bei dieſer Art
jungfräuliche Fortpflanzung beobachtet worden ſei. Jch will dies nicht
läugnen, aber doch auf zwei Umſtände aufmerkſam machen, welche dazu
angethan ſind, eine Täuſchung zu veranlaſſen und zur allergrößten Vor-
ſicht bei derartigen Beobachtungen aufzufordern. Nach erfolgter Begattung
ſchiebt ſich das Weibchen in die verlaſſene Puppenhülſe zurück, um ſeine
Eier in dieſelbe abzuſetzen. Wie leicht kann es nun geſchehen, daß man
es einſammelt und bei näherer Unterſuchung für eine Puppe hält; kommen
ſpäter junge Pſychenraupen zum Vorſchein, ſo liegt die Behauptung nahe,
daß hier Parthenogeneſis ſtattgefunden habe. Aber nicht blos die Puppen-
hülſe wird voll Eier gepfropft, ſondern der ganze Sack, welcher ſich dann dem Auge und Gefühle prall
darſtellt, als wenn er bewohnt wäre, und beſonders glaubt man die Puppe darin zu fühlen, und hierin
liegt eine weitere Möglichkeit der Täuſchung. Die Geſchlechtsorgane des Weibchens ſind voll-
kommen entwickelt und weiſen entſchieden darauf hin, daß, wenn ohne vorhergegangene Befruchtung

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[332/0356] Die Schmetterlinge. Spinner. ſtecken, um, ihr kleines Haus mit ſich ſchleppend, an Baumſtämmen, Grasſtengeln ꝛc. umherzu- kriechen und ſich Futter zu ſuchen, die übrigen ſind aber verkümmert. Statt ihrer kann man wohl Wärzchen unterſcheiden, welche aber zum Kriechen im Freien ſich nicht eignen. Um ſich zu verpuppen, verlaſſen die meiſten Pſychinen ihre Futterpflanze und ſpinnen die vordere Mündung ihres Sackes an Baumſtämme, Bretterzäune, Steine u. dergl. feſt. Sodann kehrt ſich die Raupe um, mit dem Kopfende gegen die hinten freie Mündung. Die beiderſeits ſtumpf gerundete Puppe des Weibchens zeigt wenig Bewegung und bleibt, auch wenn der Schmetterling auskriecht, am Grunde des Gehäuſes liegen, während die geſtreckte, mit Borſtenkränzen ausgerüſtete männ- liche ſich vor dem Ausſchlüpfen bis zur Hälfte aus dem hinteren Ende hervorarbeitet. Der gemeine Sackträger, Mohrenkopf (Psyche unicolor oder graminella), mag uns als die verbreitetſte Art ein Bild von dieſen intereſſanten Faltern geben. Er zeichnet ſich zunächſt [Abbildung Der gemeine Sack- träger (Psyche unico- tor). a Männchen. b Weib- chen. c Weibliche Puppe von unten. d Angeſpon- nener welblicher Sack. e Sack des Männchens. f Seine Puppe.] dadurch aus, daß die Raupen der verſchiedenen Geſchlechter verſchiedene Säcke fertigen. Der große des Männchens (e) trägt im vorderen Theile allerhand umfangreiche Pflanzenabfälle, der des Weibchens (d) hat eine viel gleichmäßigere Oberfläche und wird nie ſo lang, wie jener. Da die Raupe überwintert, findet man die Säcke vom Spätherbſt ab an geſchützten Orten, beſonders auch an Baumſtämmen feſtgeſponnen. Mit dem Erwachen alles Lebens im nächſten Frühlinge beißt die Raupe die jenen feſthaltenden Seidenfäden durch, ſucht Gras auf, um ſich weiter zu ernähren, bis etwa Mai oder Anfangs Juni, zu welcher Zeit die Verpuppung in der vor- her angegebenen Weiſe erfolgt. Jn unſerer Abbildung erſcheint der weib- liche Sack bereits angeſponnen, der männliche ſucht ſich an dem Stamme erſt noch einen guten Platz dazu. Die Raupe iſt gelblich, grauſchwarz punktirt, die Puppe gelbbraun. Nach ſpäteſtens vier Wochen erſcheint der Schmetterling. Das ſchwarzbranne Männchen (a) hat weiße Frauſen- ſpitzchen und einzelne weiße Zottenhaare am Bauche, an den Hinterſchienen nur Endſporen. Die traurige Geſtalt des madenförmigen Weibchens (b), nachdem es die Puppe (c) verlaſſen, kommt gar nicht zum Vorſchein, hält ſich aber am hinteren offenen Ende des Sackes auf und wartet in Demuth bis — — Einer kommt, um zu freien. Der Hinterleib des Männchens beſitzt eine ungemeine Streckbarkeit und kann behufs der Paarung tief in den weiblichen Sack hinein geſteckt werden, wo ihm das zapfenartige Ende des weiblichen Hinterleibs entgegenkommt. Dieſem fehlt nämlich eine Legröhre ebenſo, wie entwickelte Augen, gegliederte Fühler und ordentliche Beine. Es wurde oben bemerkt, daß bei dieſer Art jungfräuliche Fortpflanzung beobachtet worden ſei. Jch will dies nicht läugnen, aber doch auf zwei Umſtände aufmerkſam machen, welche dazu angethan ſind, eine Täuſchung zu veranlaſſen und zur allergrößten Vor- ſicht bei derartigen Beobachtungen aufzufordern. Nach erfolgter Begattung ſchiebt ſich das Weibchen in die verlaſſene Puppenhülſe zurück, um ſeine Eier in dieſelbe abzuſetzen. Wie leicht kann es nun geſchehen, daß man es einſammelt und bei näherer Unterſuchung für eine Puppe hält; kommen ſpäter junge Pſychenraupen zum Vorſchein, ſo liegt die Behauptung nahe, daß hier Parthenogeneſis ſtattgefunden habe. Aber nicht blos die Puppen- hülſe wird voll Eier gepfropft, ſondern der ganze Sack, welcher ſich dann dem Auge und Gefühle prall darſtellt, als wenn er bewohnt wäre, und beſonders glaubt man die Puppe darin zu fühlen, und hierin liegt eine weitere Möglichkeit der Täuſchung. Die Geſchlechtsorgane des Weibchens ſind voll- kommen entwickelt und weiſen entſchieden darauf hin, daß, wenn ohne vorhergegangene Befruchtung

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/356>, abgerufen am 23.11.2024.