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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Hautflügler. Grabwespen.
in das fünfte oder sechste Bauchsegment berauben sie jeder Selbstständigkeit, sie ist dadurch zum
willenlosen Gegenstand geworden, nicht getödtet, damit sie nicht in Fäulniß übergehe, sondern nur
gelähmt. Nun war oft erst ein weiter, wenn auch nicht gerade unebener Weg zwischen Unkraut
zunächst bis zum Graben zurückzulegen, dieser zu passiren und am jenseitigen, schrägen Ufer
emporzuklimmen. Fürwahr, keine Kleinigkeit für ein einzelnes Thier, eine solche Last, bisweilen
zehnmal schwerer als der eigene Körper, so weite Strecken fortzuschaffen! Bei den geselligen Ameisen
kommen die Kameraden zu Hilfe, wenn es Noth thut, die Sandwespe aber ist auf ihre eigene
Kraft, Gewandtheit, auf ihr -- Nachdenken, wenn ich mich so ausdrücken darf, angewiesen. Sie
faßt die Beute mit den Zangen, zieht und schleppt, wie es eben gehen will, auf ebenem Wege
meist auf ihr reitend, d. h. sie unter ihrem Körper mitschleppend in langsamem Vorwärtsschreiten.
Am steilern Grabenhange angelangt, stürzten dann Roß und Reiter jählings hinab, die
Wespe ließ dabei los und kam selbstverständlich wohlbehalten unten an. Die Raupe
ward bald wiedergefunden, von Neuem gefaßt und weiter geschleppt. Nun geht es aber
bergan, die frühere Weise läßt sich dabei nicht mehr anwenden; um die höchste Kraft zu ent-
wickeln, muß sich die Wespe rückwärts bewegen und ruckweise ihre Last nachschleppen. Manchmal
entgleitet dieselbe, und alle Mühen waren vergeblich, aber solches Mißgeschick hält die Wespe nicht
ab, von Neuem ihr Heil zu versuchen, und zuletzt wird ihre Arbeit mit Erfolg gekrönt. Die Raupe
liegt vor der rechten Oeffnung. Nicht um auszuruhen, sondern aus Mißtrauen, aus Vorsicht kriecht
unsere Wespe, wie jede andere, welche in dieser Weise baut, erst allein in ihre Wohnung, um
sich zu überzeugen, daß Alles in Ordnung sei. Während dieses Ganges hat sie schon wieder so
viel Kräfte gesammelt, um an die Beendigung ihres schweren Werkes zu gehen. Rückwärts voran-
kriechend, zieht sie die Raupe nach. Meist wird diese folgen, manchmal kann es aber auch geschehen,
daß sie an einer Stelle hängen bleibt, dann muß sie wieder heraus und der nöthige Raum im
Eingange erst beschafft werden. Wahrhaft bewunderns- und nachahmungs würdig ist die Aus-
dauer, welche wir hier, bei Ameisen und anderen in ähnlicher Weise lebenden Jnsekten so häufig
wahrnehmen können! Endlich sind beide, Sandwespe und Raupe, verschwunden, und es währt
lange, ehe jene wieder zum Vorscheine kommt, denn sie hat zum Schlusse noch ihr weißes, läng-
liches Ei an letztere zu legen, aber nur eins. Jetzt endlich kommt sie wieder zum Vorschein,
aber noch ist sie nicht fertig. Sie weiß sehr wohl, daß sich in der Nähe ihres Baues kleine graue
Fliegen, manche mit silberglänzendem Gesicht, und andere Faullenzer umhertreiben, welche auch
ihre Eier legen möchten, aber weder Geschick noch Kraft dazu haben, es ihr nachzuthun, es viel
mehr vorziehen, von anderen Seiten herbeigeschafftes Futter für ihre Zwecke zu benutzen und ihr
Kukuksei daran abzusetzen. Gegen solche ungebetene Gäste sucht sich die Sandwespe zu verwahren,
indem sie Steinchen, Erdklümpchen oder Holzstückchen vor den Eingang legt und auf diese Weise
jede Spur vom Vorhandensein desselben verwischt. Zur Aufnahme eines zweiten, dritten und jedes
folgenden Eies müssen dieselben Vorkehrungen wiederholt werden. Bei diesem mühevollen Leben,
welches die Sandwespe mit so vielen ihrer Verwandten theilt, bleibt sie aber immer lustig und
guter Dinge. Zu Ende des Sommers macht der Tod ihrem bewegten Dasein ein Ende. Das
Ei im Schooße der Erde wird bald lebendig, die Made frißt ein Loch in die Raupenhaut und
zehrt sie saugend gänzlich auf. War der Vorrath reichlicher, so wird sie größer gegen ihre
Schwester, welcher eine kleinere Raupe zur Nahrung diente, woraus sich die verschiedene Größe
erklärt, welche man bei den verschiedenen Jndividuen des Jmago wahrnehmen kann; denn sie
können zwischen sieben und vierzehn Linien schwanken. Die Larve, welche, den Eistand eingerechnet,
vier Wochen bis zu ihrer Reife bedarf, spinnt ein dünnes, weißes Gewebe, innerhalb dieses ein
dichteres und festeres, welches sie eng umschließt und braun aussieht. Jn diesem Cocon wird sie
bald zu einer Puppe, welche nicht lange auf ihre volle Entwickelung warten läßt. Die Wespe
frißt ein Deckelchen vom cylindrischen Cocon herunter und kommt zum Vorschein. Jedenfalls
gibt es im Jahre mehrere Generationen, besonders wenn das Wetter die Entwickelung begünstigt;

Die Hautflügler. Grabwespen.
in das fünfte oder ſechſte Bauchſegment berauben ſie jeder Selbſtſtändigkeit, ſie iſt dadurch zum
willenloſen Gegenſtand geworden, nicht getödtet, damit ſie nicht in Fäulniß übergehe, ſondern nur
gelähmt. Nun war oft erſt ein weiter, wenn auch nicht gerade unebener Weg zwiſchen Unkraut
zunächſt bis zum Graben zurückzulegen, dieſer zu paſſiren und am jenſeitigen, ſchrägen Ufer
emporzuklimmen. Fürwahr, keine Kleinigkeit für ein einzelnes Thier, eine ſolche Laſt, bisweilen
zehnmal ſchwerer als der eigene Körper, ſo weite Strecken fortzuſchaffen! Bei den geſelligen Ameiſen
kommen die Kameraden zu Hilfe, wenn es Noth thut, die Sandwespe aber iſt auf ihre eigene
Kraft, Gewandtheit, auf ihr — Nachdenken, wenn ich mich ſo ausdrücken darf, angewieſen. Sie
faßt die Beute mit den Zangen, zieht und ſchleppt, wie es eben gehen will, auf ebenem Wege
meiſt auf ihr reitend, d. h. ſie unter ihrem Körper mitſchleppend in langſamem Vorwärtsſchreiten.
Am ſteilern Grabenhange angelangt, ſtürzten dann Roß und Reiter jählings hinab, die
Wespe ließ dabei los und kam ſelbſtverſtändlich wohlbehalten unten an. Die Raupe
ward bald wiedergefunden, von Neuem gefaßt und weiter geſchleppt. Nun geht es aber
bergan, die frühere Weiſe läßt ſich dabei nicht mehr anwenden; um die höchſte Kraft zu ent-
wickeln, muß ſich die Wespe rückwärts bewegen und ruckweiſe ihre Laſt nachſchleppen. Manchmal
entgleitet dieſelbe, und alle Mühen waren vergeblich, aber ſolches Mißgeſchick hält die Wespe nicht
ab, von Neuem ihr Heil zu verſuchen, und zuletzt wird ihre Arbeit mit Erfolg gekrönt. Die Raupe
liegt vor der rechten Oeffnung. Nicht um auszuruhen, ſondern aus Mißtrauen, aus Vorſicht kriecht
unſere Wespe, wie jede andere, welche in dieſer Weiſe baut, erſt allein in ihre Wohnung, um
ſich zu überzeugen, daß Alles in Ordnung ſei. Während dieſes Ganges hat ſie ſchon wieder ſo
viel Kräfte geſammelt, um an die Beendigung ihres ſchweren Werkes zu gehen. Rückwärts voran-
kriechend, zieht ſie die Raupe nach. Meiſt wird dieſe folgen, manchmal kann es aber auch geſchehen,
daß ſie an einer Stelle hängen bleibt, dann muß ſie wieder heraus und der nöthige Raum im
Eingange erſt beſchafft werden. Wahrhaft bewunderns- und nachahmungs würdig iſt die Aus-
dauer, welche wir hier, bei Ameiſen und anderen in ähnlicher Weiſe lebenden Jnſekten ſo häufig
wahrnehmen können! Endlich ſind beide, Sandwespe und Raupe, verſchwunden, und es währt
lange, ehe jene wieder zum Vorſcheine kommt, denn ſie hat zum Schluſſe noch ihr weißes, läng-
liches Ei an letztere zu legen, aber nur eins. Jetzt endlich kommt ſie wieder zum Vorſchein,
aber noch iſt ſie nicht fertig. Sie weiß ſehr wohl, daß ſich in der Nähe ihres Baues kleine graue
Fliegen, manche mit ſilberglänzendem Geſicht, und andere Faullenzer umhertreiben, welche auch
ihre Eier legen möchten, aber weder Geſchick noch Kraft dazu haben, es ihr nachzuthun, es viel
mehr vorziehen, von anderen Seiten herbeigeſchafftes Futter für ihre Zwecke zu benutzen und ihr
Kukuksei daran abzuſetzen. Gegen ſolche ungebetene Gäſte ſucht ſich die Sandwespe zu verwahren,
indem ſie Steinchen, Erdklümpchen oder Holzſtückchen vor den Eingang legt und auf dieſe Weiſe
jede Spur vom Vorhandenſein deſſelben verwiſcht. Zur Aufnahme eines zweiten, dritten und jedes
folgenden Eies müſſen dieſelben Vorkehrungen wiederholt werden. Bei dieſem mühevollen Leben,
welches die Sandwespe mit ſo vielen ihrer Verwandten theilt, bleibt ſie aber immer luſtig und
guter Dinge. Zu Ende des Sommers macht der Tod ihrem bewegten Daſein ein Ende. Das
Ei im Schooße der Erde wird bald lebendig, die Made frißt ein Loch in die Raupenhaut und
zehrt ſie ſaugend gänzlich auf. War der Vorrath reichlicher, ſo wird ſie größer gegen ihre
Schweſter, welcher eine kleinere Raupe zur Nahrung diente, woraus ſich die verſchiedene Größe
erklärt, welche man bei den verſchiedenen Jndividuen des Jmago wahrnehmen kann; denn ſie
können zwiſchen ſieben und vierzehn Linien ſchwanken. Die Larve, welche, den Eiſtand eingerechnet,
vier Wochen bis zu ihrer Reife bedarf, ſpinnt ein dünnes, weißes Gewebe, innerhalb dieſes ein
dichteres und feſteres, welches ſie eng umſchließt und braun ausſieht. Jn dieſem Cocon wird ſie
bald zu einer Puppe, welche nicht lange auf ihre volle Entwickelung warten läßt. Die Wespe
frißt ein Deckelchen vom cylindriſchen Cocon herunter und kommt zum Vorſchein. Jedenfalls
gibt es im Jahre mehrere Generationen, beſonders wenn das Wetter die Entwickelung begünſtigt;

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[232/0254] Die Hautflügler. Grabwespen. in das fünfte oder ſechſte Bauchſegment berauben ſie jeder Selbſtſtändigkeit, ſie iſt dadurch zum willenloſen Gegenſtand geworden, nicht getödtet, damit ſie nicht in Fäulniß übergehe, ſondern nur gelähmt. Nun war oft erſt ein weiter, wenn auch nicht gerade unebener Weg zwiſchen Unkraut zunächſt bis zum Graben zurückzulegen, dieſer zu paſſiren und am jenſeitigen, ſchrägen Ufer emporzuklimmen. Fürwahr, keine Kleinigkeit für ein einzelnes Thier, eine ſolche Laſt, bisweilen zehnmal ſchwerer als der eigene Körper, ſo weite Strecken fortzuſchaffen! Bei den geſelligen Ameiſen kommen die Kameraden zu Hilfe, wenn es Noth thut, die Sandwespe aber iſt auf ihre eigene Kraft, Gewandtheit, auf ihr — Nachdenken, wenn ich mich ſo ausdrücken darf, angewieſen. Sie faßt die Beute mit den Zangen, zieht und ſchleppt, wie es eben gehen will, auf ebenem Wege meiſt auf ihr reitend, d. h. ſie unter ihrem Körper mitſchleppend in langſamem Vorwärtsſchreiten. Am ſteilern Grabenhange angelangt, ſtürzten dann Roß und Reiter jählings hinab, die Wespe ließ dabei los und kam ſelbſtverſtändlich wohlbehalten unten an. Die Raupe ward bald wiedergefunden, von Neuem gefaßt und weiter geſchleppt. Nun geht es aber bergan, die frühere Weiſe läßt ſich dabei nicht mehr anwenden; um die höchſte Kraft zu ent- wickeln, muß ſich die Wespe rückwärts bewegen und ruckweiſe ihre Laſt nachſchleppen. Manchmal entgleitet dieſelbe, und alle Mühen waren vergeblich, aber ſolches Mißgeſchick hält die Wespe nicht ab, von Neuem ihr Heil zu verſuchen, und zuletzt wird ihre Arbeit mit Erfolg gekrönt. Die Raupe liegt vor der rechten Oeffnung. Nicht um auszuruhen, ſondern aus Mißtrauen, aus Vorſicht kriecht unſere Wespe, wie jede andere, welche in dieſer Weiſe baut, erſt allein in ihre Wohnung, um ſich zu überzeugen, daß Alles in Ordnung ſei. Während dieſes Ganges hat ſie ſchon wieder ſo viel Kräfte geſammelt, um an die Beendigung ihres ſchweren Werkes zu gehen. Rückwärts voran- kriechend, zieht ſie die Raupe nach. Meiſt wird dieſe folgen, manchmal kann es aber auch geſchehen, daß ſie an einer Stelle hängen bleibt, dann muß ſie wieder heraus und der nöthige Raum im Eingange erſt beſchafft werden. Wahrhaft bewunderns- und nachahmungs würdig iſt die Aus- dauer, welche wir hier, bei Ameiſen und anderen in ähnlicher Weiſe lebenden Jnſekten ſo häufig wahrnehmen können! Endlich ſind beide, Sandwespe und Raupe, verſchwunden, und es währt lange, ehe jene wieder zum Vorſcheine kommt, denn ſie hat zum Schluſſe noch ihr weißes, läng- liches Ei an letztere zu legen, aber nur eins. Jetzt endlich kommt ſie wieder zum Vorſchein, aber noch iſt ſie nicht fertig. Sie weiß ſehr wohl, daß ſich in der Nähe ihres Baues kleine graue Fliegen, manche mit ſilberglänzendem Geſicht, und andere Faullenzer umhertreiben, welche auch ihre Eier legen möchten, aber weder Geſchick noch Kraft dazu haben, es ihr nachzuthun, es viel mehr vorziehen, von anderen Seiten herbeigeſchafftes Futter für ihre Zwecke zu benutzen und ihr Kukuksei daran abzuſetzen. Gegen ſolche ungebetene Gäſte ſucht ſich die Sandwespe zu verwahren, indem ſie Steinchen, Erdklümpchen oder Holzſtückchen vor den Eingang legt und auf dieſe Weiſe jede Spur vom Vorhandenſein deſſelben verwiſcht. Zur Aufnahme eines zweiten, dritten und jedes folgenden Eies müſſen dieſelben Vorkehrungen wiederholt werden. Bei dieſem mühevollen Leben, welches die Sandwespe mit ſo vielen ihrer Verwandten theilt, bleibt ſie aber immer luſtig und guter Dinge. Zu Ende des Sommers macht der Tod ihrem bewegten Daſein ein Ende. Das Ei im Schooße der Erde wird bald lebendig, die Made frißt ein Loch in die Raupenhaut und zehrt ſie ſaugend gänzlich auf. War der Vorrath reichlicher, ſo wird ſie größer gegen ihre Schweſter, welcher eine kleinere Raupe zur Nahrung diente, woraus ſich die verſchiedene Größe erklärt, welche man bei den verſchiedenen Jndividuen des Jmago wahrnehmen kann; denn ſie können zwiſchen ſieben und vierzehn Linien ſchwanken. Die Larve, welche, den Eiſtand eingerechnet, vier Wochen bis zu ihrer Reife bedarf, ſpinnt ein dünnes, weißes Gewebe, innerhalb dieſes ein dichteres und feſteres, welches ſie eng umſchließt und braun ausſieht. Jn dieſem Cocon wird ſie bald zu einer Puppe, welche nicht lange auf ihre volle Entwickelung warten läßt. Die Wespe frißt ein Deckelchen vom cylindriſchen Cocon herunter und kommt zum Vorſchein. Jedenfalls gibt es im Jahre mehrere Generationen, beſonders wenn das Wetter die Entwickelung begünſtigt;

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/254>, abgerufen am 23.11.2024.