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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Gemeiner Blattschneider.
ein drittes aus abermals unter sich gleichen Stücken, welche mit ihren Flächen die Fugen der
vorigen decken, bis endlich der kleine Fingerhut fertig ist. Gefüllt mit Honig und beschenkt mit
einem Eie erfolgt der Verschluß mit einem vollkommen kreisförmigen Stückchen, auf welchem der
gerundete Boden der nächsten aufgesetzt wird und sich allmälig die Kette aufbaut, deren eine von
nur vier Gliedern wir hier sehen. Die entwickelte Larve spinnt ein Cocon, und äußerlich bleibt
Alles bis zum nächsten Frühjahre in der Ordnung, wie es die sorgsame Mutter bei ihrem Tode
hinterließ. Zu dieser Zeit wiederholt sich dasselbe, was schon bei der Holzbiene erzählt wurde,
nur mit dem Unterschiede, daß der Ausmarsch nach oben erfolgt. -- Obgleich die Biene, besonders
das Männchen, nicht selten auf Blumen angetroffen wird, so hat man doch das Auffinden eines
[Abbildung] Der gemeine Blattschneider (Megachile contuncularis).
a
Weibchen. b Männchen, vergrößert. c ein Rosenblatt mit mehreren Ausschnitten, welche die Biene gemacht hat. d Ein Nest
in einem alten Weidenstamme. e Eine einzelne Zelle. f Deckelstück davon, g und h Seitenstücke. [i] Senkrechter Schnitt durch die
Zellen mit dem am Boden liegenden Futterbrei. k Cocon.
Baues immer einem besondern Glücksumstande zuzuschreiben, da uns die Kunst der Wilden
Neuhollands abgeht, die durch das Blatt gekennzeichnete bauende Mutter im Laufe zu verfolgen
und uns von ihr das Nest zeigen zu lassen, wie es jene mit den Meliponen machen.

Nun leben aber noch eine große Menge zum Theil recht artiger Bienen, deren Weibchen
weder an den Beinen, noch am Bauche mit Sammelhaaren ausgestattet sind, welche man daher
auch nie mit Blüthenstaub in die Erdlöcher hineinkriechen sah, in welche sie zu bauen scheinen.
Man kam daher auf den Gedanken, daß sie wohl gar nicht eintragen möchten, sondern dies Anderen
überließen, denen sie als Schmarotzer zur Last fallen. Ob eine solche Schlußfolgerung gerecht-
fertigt ist? Jch möchte es bezweifeln. Könnte nicht Jemand dagegen folgende Betrachtung
anstellen: Eine Honigbiene verschluckt Honig und Blüthenstaub, um Futter daraus zu bereiten;
sie thut es in ihrem Hause, eine andere kann ja dasselbe in der Blume besorgen, heimkehren, ihre
Zelle damit füllen und bedarf der äußeren Werkzeuge nicht, welche der andern zu Gebote stehen.
Die Natur ist manchfaltig genug, um auch in dieser Beziehung eine kleine Aenderung anzubringen.

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Gemeiner Blattſchneider.
ein drittes aus abermals unter ſich gleichen Stücken, welche mit ihren Flächen die Fugen der
vorigen decken, bis endlich der kleine Fingerhut fertig iſt. Gefüllt mit Honig und beſchenkt mit
einem Eie erfolgt der Verſchluß mit einem vollkommen kreisförmigen Stückchen, auf welchem der
gerundete Boden der nächſten aufgeſetzt wird und ſich allmälig die Kette aufbaut, deren eine von
nur vier Gliedern wir hier ſehen. Die entwickelte Larve ſpinnt ein Cocon, und äußerlich bleibt
Alles bis zum nächſten Frühjahre in der Ordnung, wie es die ſorgſame Mutter bei ihrem Tode
hinterließ. Zu dieſer Zeit wiederholt ſich daſſelbe, was ſchon bei der Holzbiene erzählt wurde,
nur mit dem Unterſchiede, daß der Ausmarſch nach oben erfolgt. — Obgleich die Biene, beſonders
das Männchen, nicht ſelten auf Blumen angetroffen wird, ſo hat man doch das Auffinden eines
[Abbildung] Der gemeine Blattſchneider (Megachile contuncularis).
a
Weibchen. b Männchen, vergrößert. c ein Roſenblatt mit mehreren Ausſchnitten, welche die Biene gemacht hat. d Ein Neſt
in einem alten Weidenſtamme. e Eine einzelne Zelle. f Deckelſtück davon, g und h Seitenſtücke. [i] Senkrechter Schnitt durch die
Zellen mit dem am Boden liegenden Futterbrei. k Cocon.
Baues immer einem beſondern Glücksumſtande zuzuſchreiben, da uns die Kunſt der Wilden
Neuhollands abgeht, die durch das Blatt gekennzeichnete bauende Mutter im Laufe zu verfolgen
und uns von ihr das Neſt zeigen zu laſſen, wie es jene mit den Meliponen machen.

Nun leben aber noch eine große Menge zum Theil recht artiger Bienen, deren Weibchen
weder an den Beinen, noch am Bauche mit Sammelhaaren ausgeſtattet ſind, welche man daher
auch nie mit Blüthenſtaub in die Erdlöcher hineinkriechen ſah, in welche ſie zu bauen ſcheinen.
Man kam daher auf den Gedanken, daß ſie wohl gar nicht eintragen möchten, ſondern dies Anderen
überließen, denen ſie als Schmarotzer zur Laſt fallen. Ob eine ſolche Schlußfolgerung gerecht-
fertigt iſt? Jch möchte es bezweifeln. Könnte nicht Jemand dagegen folgende Betrachtung
anſtellen: Eine Honigbiene verſchluckt Honig und Blüthenſtaub, um Futter daraus zu bereiten;
ſie thut es in ihrem Hauſe, eine andere kann ja daſſelbe in der Blume beſorgen, heimkehren, ihre
Zelle damit füllen und bedarf der äußeren Werkzeuge nicht, welche der andern zu Gebote ſtehen.
Die Natur iſt manchfaltig genug, um auch in dieſer Beziehung eine kleine Aenderung anzubringen.

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[195/0215] Gemeiner Blattſchneider. ein drittes aus abermals unter ſich gleichen Stücken, welche mit ihren Flächen die Fugen der vorigen decken, bis endlich der kleine Fingerhut fertig iſt. Gefüllt mit Honig und beſchenkt mit einem Eie erfolgt der Verſchluß mit einem vollkommen kreisförmigen Stückchen, auf welchem der gerundete Boden der nächſten aufgeſetzt wird und ſich allmälig die Kette aufbaut, deren eine von nur vier Gliedern wir hier ſehen. Die entwickelte Larve ſpinnt ein Cocon, und äußerlich bleibt Alles bis zum nächſten Frühjahre in der Ordnung, wie es die ſorgſame Mutter bei ihrem Tode hinterließ. Zu dieſer Zeit wiederholt ſich daſſelbe, was ſchon bei der Holzbiene erzählt wurde, nur mit dem Unterſchiede, daß der Ausmarſch nach oben erfolgt. — Obgleich die Biene, beſonders das Männchen, nicht ſelten auf Blumen angetroffen wird, ſo hat man doch das Auffinden eines [Abbildung Der gemeine Blattſchneider (Megachile contuncularis). a Weibchen. b Männchen, vergrößert. c ein Roſenblatt mit mehreren Ausſchnitten, welche die Biene gemacht hat. d Ein Neſt in einem alten Weidenſtamme. e Eine einzelne Zelle. f Deckelſtück davon, g und h Seitenſtücke. i Senkrechter Schnitt durch die Zellen mit dem am Boden liegenden Futterbrei. k Cocon.] Baues immer einem beſondern Glücksumſtande zuzuſchreiben, da uns die Kunſt der Wilden Neuhollands abgeht, die durch das Blatt gekennzeichnete bauende Mutter im Laufe zu verfolgen und uns von ihr das Neſt zeigen zu laſſen, wie es jene mit den Meliponen machen. Nun leben aber noch eine große Menge zum Theil recht artiger Bienen, deren Weibchen weder an den Beinen, noch am Bauche mit Sammelhaaren ausgeſtattet ſind, welche man daher auch nie mit Blüthenſtaub in die Erdlöcher hineinkriechen ſah, in welche ſie zu bauen ſcheinen. Man kam daher auf den Gedanken, daß ſie wohl gar nicht eintragen möchten, ſondern dies Anderen überließen, denen ſie als Schmarotzer zur Laſt fallen. Ob eine ſolche Schlußfolgerung gerecht- fertigt iſt? Jch möchte es bezweifeln. Könnte nicht Jemand dagegen folgende Betrachtung anſtellen: Eine Honigbiene verſchluckt Honig und Blüthenſtaub, um Futter daraus zu bereiten; ſie thut es in ihrem Hauſe, eine andere kann ja daſſelbe in der Blume beſorgen, heimkehren, ihre Zelle damit füllen und bedarf der äußeren Werkzeuge nicht, welche der andern zu Gebote ſtehen. Die Natur iſt manchfaltig genug, um auch in dieſer Beziehung eine kleine Aenderung anzubringen. 13*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/215>, abgerufen am 25.11.2024.