Jm vollkommenen Zustande leben die Hymenopteren beinahe ausnahmslos von Süßigkeiten, welche sie mit der Zunge auflecken, weshalb dieselbe auch bei allen vorherrschend entwickelt ist, nirgends aber auf Kosten eines andern Theiles, welcher die Mundtheile als beißende charakterisirt. Wir können ihren Bau hier um so eher mit Stillschweigen übergehen, weil er auf Seite 5 durch Bild und Wort schon erläutert wurde, und weil er bei Erkennung der einzelnen Arten eine nur untergeordnete Rolle spielt. Die Süßigkeiten entnehmen sie den Blumen und -- -- den Blatt- läusen. Es ist ja bekannt, wie diese zarten, nur Pflanzensäfte saugenden Thierchen, welche sich in der Regel in größeren Gesellschaften bei einander finden, entweder durch seitliche Röhrchen am Ende ihres Leibes, oder und hauptsächlich in ihren Excrementen einen süßlichen Saft absondern, manchmal in solchen Mengen, daß er die Blätter förmlich lackirt. Diesen suchen andere Jnsekten, vor allen Fliegen und die in Rede stehenden begierig als fast einziges Nahrungsmittel auf. Der Sammler weiß aus Erfahrung, daß er nirgends reichere Beute einheimsen kann, als da, wo glänzende, öfter schwärzliche Flecke auf den Blättern der Gebüsche schon aus einiger Entfernung die Anwesenheit zahlreicher Blattlauskolonien verrathen. Jm Frühlinge des ewig denkwürdigen Jahres 1866 streifte ich durch einen Weidenhäger, wo die gemeinen Honigbienen in so auffallender Menge summten, daß man in nächster Nähe einen Bienenstand hätte vermuthen sollen. Jm ersten Augenblicke dachte ich an die Blüthen der Sträucher, welche ja zu den frühesten und reichsten Honigquellen dieser Thierchen gehören, allein bei näherer Betrachtung fanden sich die Kätzchen außerordentlich sparsam und die Bienen nicht da, wo sie diese hätten suchen müssen. Sie umschwirrten vielmehr von unten bis oben die blattlosen Weidenstämmchen. Tausende und aber Tausende von grauen Blattläusen bedeckten diese. Meine Kleider hatten mit ihnen bereits Bekannt- schaft gemacht, sie waren über und über damit bedeckt und von ihnen besudelt, weil man in Folge des dichten Gebüsches keinen Schritt vorwärts thun konnte, ohne jene abzustreifen. Wenn somit selbst die Vornehmste der Bienen die Blattlausfabrikate nicht verschmäht, wie sollten es die übrigen Honigsammler thun? Von allen anderen, welche keinen Honig eintragen, verbürge ich diese Lieb- haberei nach meinen langjährigen Erfahrungen.
So gleichmäßig sich die Jmagos ernähren, so verschiedenartig ihre Larven. Gewisse unter ihnen haben zahlreiche Beine (bis 22), in der Regel bunte Farben und sitzen an den Blättern, welche sie verzehren. Aus ihnen entstehen die sogenannten Blattwespen, deren Verwandte, die Holzwespen, als wurmartige Larven bohrend im Holze leben. Beide verrathen im Baue ihres Körpers und hinsichtlich einer gewissen Selbstständigkeit im Wesen einen höheren Entwicke- lungsgrad, als alle übrigen Larven der Jmmen, welche wegen ihrer Fußlosigkeit mit vollem Rechte den Namen der Maden verdienen. Jede besteht aus einem hornigen Kopfe und zwölf Ringen ihres nahezu walzigen Körpers. Zwischen jenem und den vordersten dieser schiebt sich wohl auch ein dreizehnter als Hals ein, in welchen sich der Kopf theilweise zurückzieht, wenn die Larve ruht. An letzterem unterscheidet man hornige Kinnbacken, Tasterwärzchen und Spinnwerk- zeuge, aber keine Augen und höchstens schwache Andeutungen von Fühlern. Die Einen dieser Maden leben in Pflanzen, aber nicht in gewöhnlicher Weise bohrend, oder zwischen Blättern minirend, sondern in eigenthümlichen Auswüchsen, welche durch den Stich der Eier legenden Weibchen veranlaßt werden und als Gallen allgemein bekannt sind. Man gab darum den aus ihnen hervorgehenden Jnsekten den Namen Gallwespen. Die Anderen bewohnen einzeln oder gesellig Nester, welche ihnen bereitet und gleichzeitig mit Nahrung versorgt wurden. Die Blumen- wespen tragen hierzu Honig und Blüthenstaub ein, die Raubwespen andere Jnsekten. Endlich lebt eine große Menge dieser Maden schmarotzend in den Leibern anderer Jnsekten, und die ihnen angehörenden Schlupfwespen, Zehrwespen spielen eine wichtige Rolle im Haushalt der Natur. Sie wurden als Wächter gesetzt zur Erhaltung des Gleichgewichts; dadurch, daß jede ihr Leben erhält durch den Tod eines andern, vorzugsweise pflanzenfressenden Jnsekts, wird deren Vermehrung in Schranken gehalten. Ueberschreitet diese einmal ihre Grenzen durch das Zusammen-
Allgemeines.
Jm vollkommenen Zuſtande leben die Hymenopteren beinahe ausnahmslos von Süßigkeiten, welche ſie mit der Zunge auflecken, weshalb dieſelbe auch bei allen vorherrſchend entwickelt iſt, nirgends aber auf Koſten eines andern Theiles, welcher die Mundtheile als beißende charakteriſirt. Wir können ihren Bau hier um ſo eher mit Stillſchweigen übergehen, weil er auf Seite 5 durch Bild und Wort ſchon erläutert wurde, und weil er bei Erkennung der einzelnen Arten eine nur untergeordnete Rolle ſpielt. Die Süßigkeiten entnehmen ſie den Blumen und — — den Blatt- läuſen. Es iſt ja bekannt, wie dieſe zarten, nur Pflanzenſäfte ſaugenden Thierchen, welche ſich in der Regel in größeren Geſellſchaften bei einander finden, entweder durch ſeitliche Röhrchen am Ende ihres Leibes, oder und hauptſächlich in ihren Excrementen einen ſüßlichen Saft abſondern, manchmal in ſolchen Mengen, daß er die Blätter förmlich lackirt. Dieſen ſuchen andere Jnſekten, vor allen Fliegen und die in Rede ſtehenden begierig als faſt einziges Nahrungsmittel auf. Der Sammler weiß aus Erfahrung, daß er nirgends reichere Beute einheimſen kann, als da, wo glänzende, öfter ſchwärzliche Flecke auf den Blättern der Gebüſche ſchon aus einiger Entfernung die Anweſenheit zahlreicher Blattlauskolonien verrathen. Jm Frühlinge des ewig denkwürdigen Jahres 1866 ſtreifte ich durch einen Weidenhäger, wo die gemeinen Honigbienen in ſo auffallender Menge ſummten, daß man in nächſter Nähe einen Bienenſtand hätte vermuthen ſollen. Jm erſten Augenblicke dachte ich an die Blüthen der Sträucher, welche ja zu den früheſten und reichſten Honigquellen dieſer Thierchen gehören, allein bei näherer Betrachtung fanden ſich die Kätzchen außerordentlich ſparſam und die Bienen nicht da, wo ſie dieſe hätten ſuchen müſſen. Sie umſchwirrten vielmehr von unten bis oben die blattloſen Weidenſtämmchen. Tauſende und aber Tauſende von grauen Blattläuſen bedeckten dieſe. Meine Kleider hatten mit ihnen bereits Bekannt- ſchaft gemacht, ſie waren über und über damit bedeckt und von ihnen beſudelt, weil man in Folge des dichten Gebüſches keinen Schritt vorwärts thun konnte, ohne jene abzuſtreifen. Wenn ſomit ſelbſt die Vornehmſte der Bienen die Blattlausfabrikate nicht verſchmäht, wie ſollten es die übrigen Honigſammler thun? Von allen anderen, welche keinen Honig eintragen, verbürge ich dieſe Lieb- haberei nach meinen langjährigen Erfahrungen.
So gleichmäßig ſich die Jmagos ernähren, ſo verſchiedenartig ihre Larven. Gewiſſe unter ihnen haben zahlreiche Beine (bis 22), in der Regel bunte Farben und ſitzen an den Blättern, welche ſie verzehren. Aus ihnen entſtehen die ſogenannten Blattwespen, deren Verwandte, die Holzwespen, als wurmartige Larven bohrend im Holze leben. Beide verrathen im Baue ihres Körpers und hinſichtlich einer gewiſſen Selbſtſtändigkeit im Weſen einen höheren Entwicke- lungsgrad, als alle übrigen Larven der Jmmen, welche wegen ihrer Fußloſigkeit mit vollem Rechte den Namen der Maden verdienen. Jede beſteht aus einem hornigen Kopfe und zwölf Ringen ihres nahezu walzigen Körpers. Zwiſchen jenem und den vorderſten dieſer ſchiebt ſich wohl auch ein dreizehnter als Hals ein, in welchen ſich der Kopf theilweiſe zurückzieht, wenn die Larve ruht. An letzterem unterſcheidet man hornige Kinnbacken, Taſterwärzchen und Spinnwerk- zeuge, aber keine Augen und höchſtens ſchwache Andeutungen von Fühlern. Die Einen dieſer Maden leben in Pflanzen, aber nicht in gewöhnlicher Weiſe bohrend, oder zwiſchen Blättern minirend, ſondern in eigenthümlichen Auswüchſen, welche durch den Stich der Eier legenden Weibchen veranlaßt werden und als Gallen allgemein bekannt ſind. Man gab darum den aus ihnen hervorgehenden Jnſekten den Namen Gallwespen. Die Anderen bewohnen einzeln oder geſellig Neſter, welche ihnen bereitet und gleichzeitig mit Nahrung verſorgt wurden. Die Blumen- wespen tragen hierzu Honig und Blüthenſtaub ein, die Raubwespen andere Jnſekten. Endlich lebt eine große Menge dieſer Maden ſchmarotzend in den Leibern anderer Jnſekten, und die ihnen angehörenden Schlupfwespen, Zehrwespen ſpielen eine wichtige Rolle im Haushalt der Natur. Sie wurden als Wächter geſetzt zur Erhaltung des Gleichgewichts; dadurch, daß jede ihr Leben erhält durch den Tod eines andern, vorzugsweiſe pflanzenfreſſenden Jnſekts, wird deren Vermehrung in Schranken gehalten. Ueberſchreitet dieſe einmal ihre Grenzen durch das Zuſammen-
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Allgemeines.
Jm vollkommenen Zuſtande leben die Hymenopteren beinahe ausnahmslos von Süßigkeiten,
welche ſie mit der Zunge auflecken, weshalb dieſelbe auch bei allen vorherrſchend entwickelt iſt,
nirgends aber auf Koſten eines andern Theiles, welcher die Mundtheile als beißende charakteriſirt.
Wir können ihren Bau hier um ſo eher mit Stillſchweigen übergehen, weil er auf Seite 5 durch
Bild und Wort ſchon erläutert wurde, und weil er bei Erkennung der einzelnen Arten eine nur
untergeordnete Rolle ſpielt. Die Süßigkeiten entnehmen ſie den Blumen und — — den Blatt-
läuſen. Es iſt ja bekannt, wie dieſe zarten, nur Pflanzenſäfte ſaugenden Thierchen, welche ſich
in der Regel in größeren Geſellſchaften bei einander finden, entweder durch ſeitliche Röhrchen am
Ende ihres Leibes, oder und hauptſächlich in ihren Excrementen einen ſüßlichen Saft abſondern,
manchmal in ſolchen Mengen, daß er die Blätter förmlich lackirt. Dieſen ſuchen andere Jnſekten,
vor allen Fliegen und die in Rede ſtehenden begierig als faſt einziges Nahrungsmittel auf. Der
Sammler weiß aus Erfahrung, daß er nirgends reichere Beute einheimſen kann, als da, wo
glänzende, öfter ſchwärzliche Flecke auf den Blättern der Gebüſche ſchon aus einiger Entfernung
die Anweſenheit zahlreicher Blattlauskolonien verrathen. Jm Frühlinge des ewig denkwürdigen
Jahres 1866 ſtreifte ich durch einen Weidenhäger, wo die gemeinen Honigbienen in ſo auffallender
Menge ſummten, daß man in nächſter Nähe einen Bienenſtand hätte vermuthen ſollen. Jm
erſten Augenblicke dachte ich an die Blüthen der Sträucher, welche ja zu den früheſten und reichſten
Honigquellen dieſer Thierchen gehören, allein bei näherer Betrachtung fanden ſich die Kätzchen
außerordentlich ſparſam und die Bienen nicht da, wo ſie dieſe hätten ſuchen müſſen. Sie
umſchwirrten vielmehr von unten bis oben die blattloſen Weidenſtämmchen. Tauſende und aber
Tauſende von grauen Blattläuſen bedeckten dieſe. Meine Kleider hatten mit ihnen bereits Bekannt-
ſchaft gemacht, ſie waren über und über damit bedeckt und von ihnen beſudelt, weil man in Folge
des dichten Gebüſches keinen Schritt vorwärts thun konnte, ohne jene abzuſtreifen. Wenn ſomit
ſelbſt die Vornehmſte der Bienen die Blattlausfabrikate nicht verſchmäht, wie ſollten es die übrigen
Honigſammler thun? Von allen anderen, welche keinen Honig eintragen, verbürge ich dieſe Lieb-
haberei nach meinen langjährigen Erfahrungen.
So gleichmäßig ſich die Jmagos ernähren, ſo verſchiedenartig ihre Larven. Gewiſſe unter
ihnen haben zahlreiche Beine (bis 22), in der Regel bunte Farben und ſitzen an den Blättern,
welche ſie verzehren. Aus ihnen entſtehen die ſogenannten Blattwespen, deren Verwandte,
die Holzwespen, als wurmartige Larven bohrend im Holze leben. Beide verrathen im Baue
ihres Körpers und hinſichtlich einer gewiſſen Selbſtſtändigkeit im Weſen einen höheren Entwicke-
lungsgrad, als alle übrigen Larven der Jmmen, welche wegen ihrer Fußloſigkeit mit vollem
Rechte den Namen der Maden verdienen. Jede beſteht aus einem hornigen Kopfe und zwölf
Ringen ihres nahezu walzigen Körpers. Zwiſchen jenem und den vorderſten dieſer ſchiebt ſich
wohl auch ein dreizehnter als Hals ein, in welchen ſich der Kopf theilweiſe zurückzieht, wenn die
Larve ruht. An letzterem unterſcheidet man hornige Kinnbacken, Taſterwärzchen und Spinnwerk-
zeuge, aber keine Augen und höchſtens ſchwache Andeutungen von Fühlern. Die Einen dieſer
Maden leben in Pflanzen, aber nicht in gewöhnlicher Weiſe bohrend, oder zwiſchen Blättern
minirend, ſondern in eigenthümlichen Auswüchſen, welche durch den Stich der Eier legenden
Weibchen veranlaßt werden und als Gallen allgemein bekannt ſind. Man gab darum den aus
ihnen hervorgehenden Jnſekten den Namen Gallwespen. Die Anderen bewohnen einzeln oder
geſellig Neſter, welche ihnen bereitet und gleichzeitig mit Nahrung verſorgt wurden. Die Blumen-
wespen tragen hierzu Honig und Blüthenſtaub ein, die Raubwespen andere Jnſekten. Endlich
lebt eine große Menge dieſer Maden ſchmarotzend in den Leibern anderer Jnſekten, und die ihnen
angehörenden Schlupfwespen, Zehrwespen ſpielen eine wichtige Rolle im Haushalt der
Natur. Sie wurden als Wächter geſetzt zur Erhaltung des Gleichgewichts; dadurch, daß jede ihr
Leben erhält durch den Tod eines andern, vorzugsweiſe pflanzenfreſſenden Jnſekts, wird deren
Vermehrung in Schranken gehalten. Ueberſchreitet dieſe einmal ihre Grenzen durch das Zuſammen-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/177>, abgerufen am 23.11.2024.
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