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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Ban und Lebensweise.
Jn allen Fällen aber, wo willkürliche Zusammenziehungen einzelner Körperpartien oder des ganzen
Körpers erfolgen, wie z. B. in ausgezeichneter Weise bei den trichterförmigen Trompetenthierchen,
da hat die Sarkode der Rindenschicht die Form zarter Streifen angenommen und bildet
eine Mittelstufe zwischen der ganz ungeformten zusammenziehbaren Substanz und den Muskelfasern
aller höheren Thiere. Jmmer stehen die Wimpern längs dieser Sarkodestreifen. Ueber das nähere
Verhältniß der Wimpern der Jnfusorien und die Abhängigkeit ihrer Bewegung und Thätigkeit
zu einer gestreiften oder gleichförmigen Sarkodeschicht hat eine feinere Untersuchung noch Alles
aufzuklären.

Wir begegnen aber der Sarkode im Bereiche der Ernährungsorgane der Jnfusorien und
müssen auf diese Verhältnisse, weil sie für das Verständniß des ganzen Organismus des Jnfusorien-
leibes maßgebend sind, etwas näher eingehen. Gleich den Räderthieren kann man auch die Jnfusorien
leicht unter dem Mikroskop beim Fressen beobachten; man hat sie nur so unter dem Deckgläschen
festzuhalten, daß sie nicht aus dem Gesichtsfelde sich fortbegeben, aber doch noch so viel Spielraum
haben, um ihre Wimpern spielen zu lassen und damit die fein zertheilten Nahrungspartikelchen,
einzellige Algen, namentlich aber Karmin oder Jndigo dem Munde zuzustrudeln. Die von den
Wimpern der Mundspalte erregte Strömung streicht, wie man an lebhaften Bewegungen der
hineingerissenen Körperchen sieht, in einem geraden oder, nach der Form des Mundtrichters,
wirbelnden Strome gegen den Mund zu, und an und in ihm häuft sich nun ein ansehnlicher
Speiseballen an, der dann plötzlich durch einen Schlund weiter in den Leib hinabgedrückt wird.
Es folgt Ansammlung eines neuen Ballens und abermaliges Verschlingen. Manche Jnfusorien,
z. B. die Gattungen Lippenzähnchen, Börsenthierchen (Chilodon, Bursaria), verschlingen
auch Algen und Conferven, welche länger als ihr eigner Körper sind und mit denen sie umher-
schwimmen, als hätten sie einen Balken halb im Leibe. So sicher es nun bei allen, feste Nahrung
aufnehmenden Jnfusorien ist, daß sie Mund und Schlund besitzen, so sicher ist festgestellt, daß
sie dahinter nichts weiter von einem Darmkanal haben. Vielmehr ist ihr Jnneres mit Sarcode
erfüllt, und in diese Substanz hinein gelangen die Speisen und werden von derselben verdaut bis
auf die Neste, welche durch eine bestimmte Oeffnung entleert werden. Es hat etwas unseren,
aus dem täglichen Leben geschöpften Anschauungen durchaus Widersprechendes, daß es Thiere
geben könne, bei welchen hinter dem Schlunde weder Magen noch Darm, sondern ein bloßer
"Verdauungsraum" sich befinden soll, und derselbe noch dazu erfüllt mit einer zum Thiere
gehörigen und in eigenthümlicher Bewegung kreisenden Substanz. Denn in der That, die das
Jnnere der Jnfusorien füllende Sarcode bewegt sich sammt den aufgenommenen Speisetheilen.
Uns beschäftigt nicht die physiologisch-physikalische Lösung dieser Thatfache, wir haben dieselbe
nur mit der gleichen zusammenzuhalten, der wir schon auf Seite 733 bei der Schilderung der
Strudelwürmer Erwähnung gethan. Demjenigen, der sehen will, wird das Verwandtschafts-
verhältniß der Jnfusorien zu jenen niederen Würmern um so klarer, als auch die äußere Körperform
vieler ganz bewimperter Jnfusorien, die Bewimperung selbst, endlich das Vorkommen gewisser
stabförmiger Nesselorgane in beiderlei Organismen die deutlichsten Fingerzeige geben.

Eine strenge Sonderung der Jnfusorien in Fleisch- und Pflanzenfresser ist nicht durchzuführen;
sie nehmen auf, was von mikroskopischen Organismen ihnen vor den Schnabel kommt, und das
sind vorzugsweise chlorophyllhaltige Pflänzchen. Kleinere Jnfusorien werden zwar gelegentlich von
den athletischen Formen ihrer Zunft verschluckt, das sind aber doch nur Ausnahmen, während sie
in der Regel im Stande sind, dem gefährlichen Strudel sich durch die Flucht zu entziehen. Die
Hauptnahrung der Jnfusorien besteht in denjenigen niedrigsten Pflanzen, die man als einzellige
Algen, Naviculaceen und Oseillatorien und deren Anhang kennen lernt. Die schmutzigen Flocken,
welche besonders auf stehenden Gewässern während der Sommerszeit erscheinen, bestehen fast aus-
schließlich aus diesen niederen Organismen, und zwischen ihnen und auf ihre Kosten entfaltet sich
die Jnfusorienwelt. Die einen wie die anderen entstehen und vermehren sich durch natürliche

Ban und Lebensweiſe.
Jn allen Fällen aber, wo willkürliche Zuſammenziehungen einzelner Körperpartien oder des ganzen
Körpers erfolgen, wie z. B. in ausgezeichneter Weiſe bei den trichterförmigen Trompetenthierchen,
da hat die Sarkode der Rindenſchicht die Form zarter Streifen angenommen und bildet
eine Mittelſtufe zwiſchen der ganz ungeformten zuſammenziehbaren Subſtanz und den Muskelfaſern
aller höheren Thiere. Jmmer ſtehen die Wimpern längs dieſer Sarkodeſtreifen. Ueber das nähere
Verhältniß der Wimpern der Jnfuſorien und die Abhängigkeit ihrer Bewegung und Thätigkeit
zu einer geſtreiften oder gleichförmigen Sarkodeſchicht hat eine feinere Unterſuchung noch Alles
aufzuklären.

Wir begegnen aber der Sarkode im Bereiche der Ernährungsorgane der Jnfuſorien und
müſſen auf dieſe Verhältniſſe, weil ſie für das Verſtändniß des ganzen Organismus des Jnfuſorien-
leibes maßgebend ſind, etwas näher eingehen. Gleich den Räderthieren kann man auch die Jnfuſorien
leicht unter dem Mikroſkop beim Freſſen beobachten; man hat ſie nur ſo unter dem Deckgläschen
feſtzuhalten, daß ſie nicht aus dem Geſichtsfelde ſich fortbegeben, aber doch noch ſo viel Spielraum
haben, um ihre Wimpern ſpielen zu laſſen und damit die fein zertheilten Nahrungspartikelchen,
einzellige Algen, namentlich aber Karmin oder Jndigo dem Munde zuzuſtrudeln. Die von den
Wimpern der Mundſpalte erregte Strömung ſtreicht, wie man an lebhaften Bewegungen der
hineingeriſſenen Körperchen ſieht, in einem geraden oder, nach der Form des Mundtrichters,
wirbelnden Strome gegen den Mund zu, und an und in ihm häuft ſich nun ein anſehnlicher
Speiſeballen an, der dann plötzlich durch einen Schlund weiter in den Leib hinabgedrückt wird.
Es folgt Anſammlung eines neuen Ballens und abermaliges Verſchlingen. Manche Jnfuſorien,
z. B. die Gattungen Lippenzähnchen, Börſenthierchen (Chilodon, Bursaria), verſchlingen
auch Algen und Conferven, welche länger als ihr eigner Körper ſind und mit denen ſie umher-
ſchwimmen, als hätten ſie einen Balken halb im Leibe. So ſicher es nun bei allen, feſte Nahrung
aufnehmenden Jnfuſorien iſt, daß ſie Mund und Schlund beſitzen, ſo ſicher iſt feſtgeſtellt, daß
ſie dahinter nichts weiter von einem Darmkanal haben. Vielmehr iſt ihr Jnneres mit Sarcode
erfüllt, und in dieſe Subſtanz hinein gelangen die Speiſen und werden von derſelben verdaut bis
auf die Neſte, welche durch eine beſtimmte Oeffnung entleert werden. Es hat etwas unſeren,
aus dem täglichen Leben geſchöpften Anſchauungen durchaus Widerſprechendes, daß es Thiere
geben könne, bei welchen hinter dem Schlunde weder Magen noch Darm, ſondern ein bloßer
„Verdauungsraum“ ſich befinden ſoll, und derſelbe noch dazu erfüllt mit einer zum Thiere
gehörigen und in eigenthümlicher Bewegung kreiſenden Subſtanz. Denn in der That, die das
Jnnere der Jnfuſorien füllende Sarcode bewegt ſich ſammt den aufgenommenen Speiſetheilen.
Uns beſchäftigt nicht die phyſiologiſch-phyſikaliſche Löſung dieſer Thatfache, wir haben dieſelbe
nur mit der gleichen zuſammenzuhalten, der wir ſchon auf Seite 733 bei der Schilderung der
Strudelwürmer Erwähnung gethan. Demjenigen, der ſehen will, wird das Verwandtſchafts-
verhältniß der Jnfuſorien zu jenen niederen Würmern um ſo klarer, als auch die äußere Körperform
vieler ganz bewimperter Jnfuſorien, die Bewimperung ſelbſt, endlich das Vorkommen gewiſſer
ſtabförmiger Neſſelorgane in beiderlei Organismen die deutlichſten Fingerzeige geben.

Eine ſtrenge Sonderung der Jnfuſorien in Fleiſch- und Pflanzenfreſſer iſt nicht durchzuführen;
ſie nehmen auf, was von mikroſkopiſchen Organismen ihnen vor den Schnabel kommt, und das
ſind vorzugsweiſe chlorophyllhaltige Pflänzchen. Kleinere Jnfuſorien werden zwar gelegentlich von
den athletiſchen Formen ihrer Zunft verſchluckt, das ſind aber doch nur Ausnahmen, während ſie
in der Regel im Stande ſind, dem gefährlichen Strudel ſich durch die Flucht zu entziehen. Die
Hauptnahrung der Jnfuſorien beſteht in denjenigen niedrigſten Pflanzen, die man als einzellige
Algen, Naviculaceen und Oseillatorien und deren Anhang kennen lernt. Die ſchmutzigen Flocken,
welche beſonders auf ſtehenden Gewäſſern während der Sommerszeit erſcheinen, beſtehen faſt aus-
ſchließlich aus dieſen niederen Organismen, und zwiſchen ihnen und auf ihre Koſten entfaltet ſich
die Jnfuſorienwelt. Die einen wie die anderen entſtehen und vermehren ſich durch natürliche

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[1015/1071] Ban und Lebensweiſe. Jn allen Fällen aber, wo willkürliche Zuſammenziehungen einzelner Körperpartien oder des ganzen Körpers erfolgen, wie z. B. in ausgezeichneter Weiſe bei den trichterförmigen Trompetenthierchen, da hat die Sarkode der Rindenſchicht die Form zarter Streifen angenommen und bildet eine Mittelſtufe zwiſchen der ganz ungeformten zuſammenziehbaren Subſtanz und den Muskelfaſern aller höheren Thiere. Jmmer ſtehen die Wimpern längs dieſer Sarkodeſtreifen. Ueber das nähere Verhältniß der Wimpern der Jnfuſorien und die Abhängigkeit ihrer Bewegung und Thätigkeit zu einer geſtreiften oder gleichförmigen Sarkodeſchicht hat eine feinere Unterſuchung noch Alles aufzuklären. Wir begegnen aber der Sarkode im Bereiche der Ernährungsorgane der Jnfuſorien und müſſen auf dieſe Verhältniſſe, weil ſie für das Verſtändniß des ganzen Organismus des Jnfuſorien- leibes maßgebend ſind, etwas näher eingehen. Gleich den Räderthieren kann man auch die Jnfuſorien leicht unter dem Mikroſkop beim Freſſen beobachten; man hat ſie nur ſo unter dem Deckgläschen feſtzuhalten, daß ſie nicht aus dem Geſichtsfelde ſich fortbegeben, aber doch noch ſo viel Spielraum haben, um ihre Wimpern ſpielen zu laſſen und damit die fein zertheilten Nahrungspartikelchen, einzellige Algen, namentlich aber Karmin oder Jndigo dem Munde zuzuſtrudeln. Die von den Wimpern der Mundſpalte erregte Strömung ſtreicht, wie man an lebhaften Bewegungen der hineingeriſſenen Körperchen ſieht, in einem geraden oder, nach der Form des Mundtrichters, wirbelnden Strome gegen den Mund zu, und an und in ihm häuft ſich nun ein anſehnlicher Speiſeballen an, der dann plötzlich durch einen Schlund weiter in den Leib hinabgedrückt wird. Es folgt Anſammlung eines neuen Ballens und abermaliges Verſchlingen. Manche Jnfuſorien, z. B. die Gattungen Lippenzähnchen, Börſenthierchen (Chilodon, Bursaria), verſchlingen auch Algen und Conferven, welche länger als ihr eigner Körper ſind und mit denen ſie umher- ſchwimmen, als hätten ſie einen Balken halb im Leibe. So ſicher es nun bei allen, feſte Nahrung aufnehmenden Jnfuſorien iſt, daß ſie Mund und Schlund beſitzen, ſo ſicher iſt feſtgeſtellt, daß ſie dahinter nichts weiter von einem Darmkanal haben. Vielmehr iſt ihr Jnneres mit Sarcode erfüllt, und in dieſe Subſtanz hinein gelangen die Speiſen und werden von derſelben verdaut bis auf die Neſte, welche durch eine beſtimmte Oeffnung entleert werden. Es hat etwas unſeren, aus dem täglichen Leben geſchöpften Anſchauungen durchaus Widerſprechendes, daß es Thiere geben könne, bei welchen hinter dem Schlunde weder Magen noch Darm, ſondern ein bloßer „Verdauungsraum“ ſich befinden ſoll, und derſelbe noch dazu erfüllt mit einer zum Thiere gehörigen und in eigenthümlicher Bewegung kreiſenden Subſtanz. Denn in der That, die das Jnnere der Jnfuſorien füllende Sarcode bewegt ſich ſammt den aufgenommenen Speiſetheilen. Uns beſchäftigt nicht die phyſiologiſch-phyſikaliſche Löſung dieſer Thatfache, wir haben dieſelbe nur mit der gleichen zuſammenzuhalten, der wir ſchon auf Seite 733 bei der Schilderung der Strudelwürmer Erwähnung gethan. Demjenigen, der ſehen will, wird das Verwandtſchafts- verhältniß der Jnfuſorien zu jenen niederen Würmern um ſo klarer, als auch die äußere Körperform vieler ganz bewimperter Jnfuſorien, die Bewimperung ſelbſt, endlich das Vorkommen gewiſſer ſtabförmiger Neſſelorgane in beiderlei Organismen die deutlichſten Fingerzeige geben. Eine ſtrenge Sonderung der Jnfuſorien in Fleiſch- und Pflanzenfreſſer iſt nicht durchzuführen; ſie nehmen auf, was von mikroſkopiſchen Organismen ihnen vor den Schnabel kommt, und das ſind vorzugsweiſe chlorophyllhaltige Pflänzchen. Kleinere Jnfuſorien werden zwar gelegentlich von den athletiſchen Formen ihrer Zunft verſchluckt, das ſind aber doch nur Ausnahmen, während ſie in der Regel im Stande ſind, dem gefährlichen Strudel ſich durch die Flucht zu entziehen. Die Hauptnahrung der Jnfuſorien beſteht in denjenigen niedrigſten Pflanzen, die man als einzellige Algen, Naviculaceen und Oseillatorien und deren Anhang kennen lernt. Die ſchmutzigen Flocken, welche beſonders auf ſtehenden Gewäſſern während der Sommerszeit erſcheinen, beſtehen faſt aus- ſchließlich aus dieſen niederen Organismen, und zwiſchen ihnen und auf ihre Koſten entfaltet ſich die Jnfuſorienwelt. Die einen wie die anderen entſtehen und vermehren ſich durch natürliche

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 1015. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1071>, abgerufen am 23.11.2024.