Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Kreis der Coelenteraten.


"Nicht Jedem blüht das Glück, Korinth zu sehen", hieß es im Alterthum, um den zu
trösten, der mit bescheidneren Ansprüchen im Kreise kleinerer Anschanungen sich genügen lassen
sollte. Nur Auserwählte dürfen sich an der lieblichen Pracht jener südlichen Eilande weiden,
welche ihr Dasein und ihre gegenwärtige Gestalt der vieltausendjährigen Lebensthätigkeit der
Korallenthierchen verdanken, dürfen innerhalb der Lagune den wißbegierigen Blick auf die in
Farben glühende Thierwelt senken. Solche korinthische Ueppigkeit bieten unsere europäischen
Meere nicht, aber doch haben dich vielleicht schon auf stiller Meerfahrt jene schwankenden, mit
Guirlanden und langen Fransen behangenen Glocken entzückt, deren Körper wie zart violet, röth-
lich oder gelblich gefärbte Glasgebilde aussehen. Wie unser Boot an ihnen vorübertreibt, blähen
sie sich abwechselnd auf und ziehen den Glocken- oder Scheibenrand zusammen, um durch diese
Stöße sich nahe an der Oberfläche zu hälten. Bei längerem Aufenthalte in Seebädern hat aber
wohl jeder Gast noch intimere und zwar unliebsame Bekanntschaft mit diesen Quallen gemacht,
die als Farben-Sirenen zur Berührung verlockten und dieselbe mit dem empfindlichsten Nesseln
vergalten. Die vielen Tausende unserer Leser aber, welche nicht in vollen Zügen die Eindrücke
des offenen Seestrandes in sich aufnehmen, aber doch ein Miniaturbild durch Vermittlung eines
Aquariums genießen konnten, lernten als die größte Zierde dieser mühsam und schwierig zu unter-
haltenden Seewasserkäfige die Seerosen oder Secanemonen, die Actinien kennen, welche Polypen
sind, gleich den Erbauern der Riffe, Strahlthiere gleich den Quallen, und mit ihnen und vielen
anderen gleich und ähnlich gebauten Formen den Kreis der Coelenteraten bilden.

Jch weiß leider kein deutsches Wort, welches ich zur nächsten Verdentlichung und Orientirung
an Stelle des aus zwei griechischen bestehenden Ausdruckes setzen könnte. Es bedarf dasselbe
vielmehr einer ausführlicheren Erklärung, welche sich auf den inneren Bau aller dieser Thiere
zu beziehen hat.

Die Coelenteraten sind nämlich diejenigen strahlig angelegten Thiere, deren meist aus ein-
facher Magenhöhle bestehender Darmkanal nicht in sich abgeschlossen ist, sondern direkt mit einem
System von Fächern, Röhren oder Kanälen zusammenhängt, welche theils die Leibeshöhle, theils
das Gefäßsystem anderer Thiere repräsentiren. Es ist, da uns aus der höheren Thierwelt die
Anschauungen für diese Einrichtungen, eine Verquickung des Verdauungs-, Blut- und Athmungs-
apparates, fast gänzlich abgehen, und wofür wir höchstens bei den Weichthieren in der unmittel-
baren Wasseraufnahme in das Blutgefäßsystem eine Hinweisung finden, -- es ist, sage ich,
mit allgemeinen Redensarten über diese wunderlichen Verhältnisse nicht gedient, und wir werden
unten durch Specificirung einzelner Beispiele eine genügende Erläuterung zu geben haben. War
bei den Stachelhäutern Fünf die Grundzahl der Strahlen, so steht hier die strahlige Eintheilung
des Baues unter der Herrschaft der Vier- und Sechszahl und ihren Mehrheiten. War dort die

Der Kreis der Coelenteraten.


„Nicht Jedem blüht das Glück, Korinth zu ſehen“, hieß es im Alterthum, um den zu
tröſten, der mit beſcheidneren Anſprüchen im Kreiſe kleinerer Anſchanungen ſich genügen laſſen
ſollte. Nur Auserwählte dürfen ſich an der lieblichen Pracht jener ſüdlichen Eilande weiden,
welche ihr Daſein und ihre gegenwärtige Geſtalt der vieltauſendjährigen Lebensthätigkeit der
Korallenthierchen verdanken, dürfen innerhalb der Lagune den wißbegierigen Blick auf die in
Farben glühende Thierwelt ſenken. Solche korinthiſche Ueppigkeit bieten unſere europäiſchen
Meere nicht, aber doch haben dich vielleicht ſchon auf ſtiller Meerfahrt jene ſchwankenden, mit
Guirlanden und langen Franſen behangenen Glocken entzückt, deren Körper wie zart violet, röth-
lich oder gelblich gefärbte Glasgebilde ausſehen. Wie unſer Boot an ihnen vorübertreibt, blähen
ſie ſich abwechſelnd auf und ziehen den Glocken- oder Scheibenrand zuſammen, um durch dieſe
Stöße ſich nahe an der Oberfläche zu hälten. Bei längerem Aufenthalte in Seebädern hat aber
wohl jeder Gaſt noch intimere und zwar unliebſame Bekanntſchaft mit dieſen Quallen gemacht,
die als Farben-Sirenen zur Berührung verlockten und dieſelbe mit dem empfindlichſten Neſſeln
vergalten. Die vielen Tauſende unſerer Leſer aber, welche nicht in vollen Zügen die Eindrücke
des offenen Seeſtrandes in ſich aufnehmen, aber doch ein Miniaturbild durch Vermittlung eines
Aquariums genießen konnten, lernten als die größte Zierde dieſer mühſam und ſchwierig zu unter-
haltenden Seewaſſerkäfige die Seeroſen oder Secanemonen, die Actinien kennen, welche Polypen
ſind, gleich den Erbauern der Riffe, Strahlthiere gleich den Quallen, und mit ihnen und vielen
anderen gleich und ähnlich gebauten Formen den Kreis der Coelenteraten bilden.

Jch weiß leider kein deutſches Wort, welches ich zur nächſten Verdentlichung und Orientirung
an Stelle des aus zwei griechiſchen beſtehenden Ausdruckes ſetzen könnte. Es bedarf daſſelbe
vielmehr einer ausführlicheren Erklärung, welche ſich auf den inneren Bau aller dieſer Thiere
zu beziehen hat.

Die Coelenteraten ſind nämlich diejenigen ſtrahlig angelegten Thiere, deren meiſt aus ein-
facher Magenhöhle beſtehender Darmkanal nicht in ſich abgeſchloſſen iſt, ſondern direkt mit einem
Syſtem von Fächern, Röhren oder Kanälen zuſammenhängt, welche theils die Leibeshöhle, theils
das Gefäßſyſtem anderer Thiere repräſentiren. Es iſt, da uns aus der höheren Thierwelt die
Anſchauungen für dieſe Einrichtungen, eine Verquickung des Verdauungs-, Blut- und Athmungs-
apparates, faſt gänzlich abgehen, und wofür wir höchſtens bei den Weichthieren in der unmittel-
baren Waſſeraufnahme in das Blutgefäßſyſtem eine Hinweiſung finden, — es iſt, ſage ich,
mit allgemeinen Redensarten über dieſe wunderlichen Verhältniſſe nicht gedient, und wir werden
unten durch Specificirung einzelner Beiſpiele eine genügende Erläuterung zu geben haben. War
bei den Stachelhäutern Fünf die Grundzahl der Strahlen, ſo ſteht hier die ſtrahlige Eintheilung
des Baues unter der Herrſchaft der Vier- und Sechszahl und ihren Mehrheiten. War dort die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <floatingText>
        <body>
          <pb facs="#f1038" n="[988]"/>
          <div n="1">
            <head> <hi rendition="#b">Der Kreis der Coelenteraten.</hi> </head><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p><hi rendition="#in">&#x201E;N</hi>icht Jedem blüht das Glück, Korinth zu &#x017F;ehen&#x201C;, hieß es im Alterthum, um den zu<lb/>
trö&#x017F;ten, der mit be&#x017F;cheidneren An&#x017F;prüchen im Krei&#x017F;e kleinerer An&#x017F;chanungen &#x017F;ich genügen la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ollte. Nur Auserwählte dürfen &#x017F;ich an der lieblichen Pracht jener &#x017F;üdlichen Eilande weiden,<lb/>
welche ihr Da&#x017F;ein und ihre gegenwärtige Ge&#x017F;talt der vieltau&#x017F;endjährigen Lebensthätigkeit der<lb/>
Korallenthierchen verdanken, dürfen innerhalb der Lagune den wißbegierigen Blick auf die in<lb/>
Farben glühende Thierwelt &#x017F;enken. Solche korinthi&#x017F;che Ueppigkeit bieten un&#x017F;ere europäi&#x017F;chen<lb/>
Meere nicht, aber doch haben dich vielleicht &#x017F;chon auf &#x017F;tiller Meerfahrt jene &#x017F;chwankenden, mit<lb/>
Guirlanden und langen Fran&#x017F;en behangenen Glocken entzückt, deren Körper wie zart violet, röth-<lb/>
lich oder gelblich gefärbte Glasgebilde aus&#x017F;ehen. Wie un&#x017F;er Boot an ihnen vorübertreibt, blähen<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich abwech&#x017F;elnd auf und ziehen den Glocken- oder Scheibenrand zu&#x017F;ammen, um durch die&#x017F;e<lb/>
Stöße &#x017F;ich nahe an der Oberfläche zu hälten. Bei längerem Aufenthalte in Seebädern hat aber<lb/>
wohl jeder Ga&#x017F;t noch intimere und zwar unlieb&#x017F;ame Bekannt&#x017F;chaft mit die&#x017F;en Quallen gemacht,<lb/>
die als Farben-Sirenen zur Berührung verlockten und die&#x017F;elbe mit dem empfindlich&#x017F;ten Ne&#x017F;&#x017F;eln<lb/>
vergalten. Die vielen Tau&#x017F;ende un&#x017F;erer Le&#x017F;er aber, welche nicht in vollen Zügen die Eindrücke<lb/>
des offenen See&#x017F;trandes in &#x017F;ich aufnehmen, aber doch ein Miniaturbild durch Vermittlung eines<lb/>
Aquariums genießen konnten, lernten als die größte Zierde die&#x017F;er müh&#x017F;am und &#x017F;chwierig zu unter-<lb/>
haltenden Seewa&#x017F;&#x017F;erkäfige die Seero&#x017F;en oder Secanemonen, die Actinien kennen, welche Polypen<lb/>
&#x017F;ind, gleich den Erbauern der Riffe, Strahlthiere gleich den Quallen, und mit ihnen und vielen<lb/>
anderen gleich und ähnlich gebauten Formen den Kreis der Coelenteraten bilden.</p><lb/>
            <p>Jch weiß leider kein deut&#x017F;ches Wort, welches ich zur näch&#x017F;ten Verdentlichung und Orientirung<lb/>
an Stelle des aus zwei griechi&#x017F;chen be&#x017F;tehenden Ausdruckes &#x017F;etzen könnte. Es bedarf da&#x017F;&#x017F;elbe<lb/>
vielmehr einer ausführlicheren Erklärung, welche &#x017F;ich auf den inneren Bau aller die&#x017F;er Thiere<lb/>
zu beziehen hat.</p><lb/>
            <p>Die Coelenteraten &#x017F;ind nämlich diejenigen &#x017F;trahlig angelegten Thiere, deren mei&#x017F;t aus ein-<lb/>
facher Magenhöhle be&#x017F;tehender Darmkanal nicht in &#x017F;ich abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t, &#x017F;ondern direkt mit einem<lb/>
Sy&#x017F;tem von Fächern, Röhren oder Kanälen zu&#x017F;ammenhängt, welche theils die Leibeshöhle, theils<lb/>
das Gefäß&#x017F;y&#x017F;tem anderer Thiere reprä&#x017F;entiren. Es i&#x017F;t, da uns aus der höheren Thierwelt die<lb/>
An&#x017F;chauungen für die&#x017F;e Einrichtungen, eine Verquickung des Verdauungs-, Blut- und Athmungs-<lb/>
apparates, fa&#x017F;t gänzlich abgehen, und wofür wir höch&#x017F;tens bei den Weichthieren in der unmittel-<lb/>
baren Wa&#x017F;&#x017F;eraufnahme in das Blutgefäß&#x017F;y&#x017F;tem eine Hinwei&#x017F;ung finden, &#x2014; es i&#x017F;t, &#x017F;age ich,<lb/>
mit allgemeinen Redensarten über die&#x017F;e wunderlichen Verhältni&#x017F;&#x017F;e nicht gedient, und wir werden<lb/>
unten durch Specificirung einzelner Bei&#x017F;piele eine genügende Erläuterung zu geben haben. War<lb/>
bei den Stachelhäutern Fünf die Grundzahl der Strahlen, &#x017F;o &#x017F;teht hier die &#x017F;trahlige Eintheilung<lb/>
des Baues unter der Herr&#x017F;chaft der Vier- und Sechszahl und ihren Mehrheiten. War dort die<lb/></p>
          </div>
        </body>
      </floatingText>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[988]/1038] Der Kreis der Coelenteraten. „Nicht Jedem blüht das Glück, Korinth zu ſehen“, hieß es im Alterthum, um den zu tröſten, der mit beſcheidneren Anſprüchen im Kreiſe kleinerer Anſchanungen ſich genügen laſſen ſollte. Nur Auserwählte dürfen ſich an der lieblichen Pracht jener ſüdlichen Eilande weiden, welche ihr Daſein und ihre gegenwärtige Geſtalt der vieltauſendjährigen Lebensthätigkeit der Korallenthierchen verdanken, dürfen innerhalb der Lagune den wißbegierigen Blick auf die in Farben glühende Thierwelt ſenken. Solche korinthiſche Ueppigkeit bieten unſere europäiſchen Meere nicht, aber doch haben dich vielleicht ſchon auf ſtiller Meerfahrt jene ſchwankenden, mit Guirlanden und langen Franſen behangenen Glocken entzückt, deren Körper wie zart violet, röth- lich oder gelblich gefärbte Glasgebilde ausſehen. Wie unſer Boot an ihnen vorübertreibt, blähen ſie ſich abwechſelnd auf und ziehen den Glocken- oder Scheibenrand zuſammen, um durch dieſe Stöße ſich nahe an der Oberfläche zu hälten. Bei längerem Aufenthalte in Seebädern hat aber wohl jeder Gaſt noch intimere und zwar unliebſame Bekanntſchaft mit dieſen Quallen gemacht, die als Farben-Sirenen zur Berührung verlockten und dieſelbe mit dem empfindlichſten Neſſeln vergalten. Die vielen Tauſende unſerer Leſer aber, welche nicht in vollen Zügen die Eindrücke des offenen Seeſtrandes in ſich aufnehmen, aber doch ein Miniaturbild durch Vermittlung eines Aquariums genießen konnten, lernten als die größte Zierde dieſer mühſam und ſchwierig zu unter- haltenden Seewaſſerkäfige die Seeroſen oder Secanemonen, die Actinien kennen, welche Polypen ſind, gleich den Erbauern der Riffe, Strahlthiere gleich den Quallen, und mit ihnen und vielen anderen gleich und ähnlich gebauten Formen den Kreis der Coelenteraten bilden. Jch weiß leider kein deutſches Wort, welches ich zur nächſten Verdentlichung und Orientirung an Stelle des aus zwei griechiſchen beſtehenden Ausdruckes ſetzen könnte. Es bedarf daſſelbe vielmehr einer ausführlicheren Erklärung, welche ſich auf den inneren Bau aller dieſer Thiere zu beziehen hat. Die Coelenteraten ſind nämlich diejenigen ſtrahlig angelegten Thiere, deren meiſt aus ein- facher Magenhöhle beſtehender Darmkanal nicht in ſich abgeſchloſſen iſt, ſondern direkt mit einem Syſtem von Fächern, Röhren oder Kanälen zuſammenhängt, welche theils die Leibeshöhle, theils das Gefäßſyſtem anderer Thiere repräſentiren. Es iſt, da uns aus der höheren Thierwelt die Anſchauungen für dieſe Einrichtungen, eine Verquickung des Verdauungs-, Blut- und Athmungs- apparates, faſt gänzlich abgehen, und wofür wir höchſtens bei den Weichthieren in der unmittel- baren Waſſeraufnahme in das Blutgefäßſyſtem eine Hinweiſung finden, — es iſt, ſage ich, mit allgemeinen Redensarten über dieſe wunderlichen Verhältniſſe nicht gedient, und wir werden unten durch Specificirung einzelner Beiſpiele eine genügende Erläuterung zu geben haben. War bei den Stachelhäutern Fünf die Grundzahl der Strahlen, ſo ſteht hier die ſtrahlige Eintheilung des Baues unter der Herrſchaft der Vier- und Sechszahl und ihren Mehrheiten. War dort die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1038
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. [988]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1038>, abgerufen am 23.11.2024.