dadurch das durchsichtige, ungefärbte Blut in das feinere Geäder treiben. Die an Stelle der Wirbel- säule vorhandene Wirbelsaite erstreckt sich von der Schnauzenspitze bis zum Schwanzende; ihre äußere Hülle bildet ein Rohr für das Rückenmark, welche keine Anschwellungen zeigt, am vorderen Ende aber auf kurzen Stielen zwei als Augen gedeutete Gebilde trägt. Auch ein Riechwerkzeug will man entdeckt haben.
Zur Zeit ist die Naturgeschichte des Lanzettfisches nicht viel mehr als eine Zergliederungskunde desselben. Ueber die Lebensweise dieses unter allen am Tiefsten stehenden Wirbelthieres weiß man noch höchst wenig. Es kommt im mittelländischen Meere und dem atlantischen Weltmeere vor, ver- breitet sich von Afrikas Küsten an bis zu denen von Norwegen, ist nicht gerade selten, lebt aber gewöhnlich in beträchtlichen Tiefen und wird deshalb blos dann gefangen, wenn man besondere Anstalten hierzu trifft. Die ersten Stücke, welche man erhielt, waren durch Stürme auf den Strand geschleudert worden und hatten unter Steinen Zuflucht gesucht; andere fischte man mit feinmaschigen Grundnetzen in beträchtlicher Tiefe. Die Bewegungen werden als lebhaft und gewandt geschildert. Couch sagt, daß man beim Schwimmen Kopf und Schwanz kaum oder nicht unterscheiden könne, Wilde, daß Gefangene in einem Glase sich aalartig mit raschen Windungen förderten und ungeachtet des so wenig entwickelten Gesichtssinnes -- falls von einem solchen überhaupt zu reden -- den ihnen vorgehaltenen Finger oder andere Hindernisse zu vermeiden wußten, beim Herankommen an dieselben stutzten und Kehrt machten. "Die kleinen Thierchen", bemerkt letztgenannter Beobachter noch, "haben eine besondere Fähigkeit, sich, und zwar in eigenthümlicher Weise, an einander zu kleben. Zuweilen bilden sie dann einen Klumpen, zuweilen wiederum einen Faden von sechs bis acht Zoll Länge. Die Gesammtheit bewegt sich gemeinschaftlich, im letzterwähnten Falle in Schlangen- windungen. Jmmer kleben sie sich mit der Breitseiten aneinander, wenn sie in einer Reihe schwimmen so, daß das Kopfende des einen sich ungefähr im letzten Dritttheil der Leibeslänge des Vorgängers befindet."
Ueber die Fortpflanzung und das Leben der Jungen scheint noch jegliche Beobachtung zu fehlen: möglich, daß uns die Erforschung derselben noch ungeahnte Ueberraschungen bereitet. Kunde der Entwicklung allein kann entscheiden, ob wir in diesem sonderbaren Geschöpfe wirklich vor uns haben: das Endglied aller Wirbelthiere.
Die Röhrenherzen. Schlauchfiſche.
dadurch das durchſichtige, ungefärbte Blut in das feinere Geäder treiben. Die an Stelle der Wirbel- ſäule vorhandene Wirbelſaite erſtreckt ſich von der Schnauzenſpitze bis zum Schwanzende; ihre äußere Hülle bildet ein Rohr für das Rückenmark, welche keine Anſchwellungen zeigt, am vorderen Ende aber auf kurzen Stielen zwei als Augen gedeutete Gebilde trägt. Auch ein Riechwerkzeug will man entdeckt haben.
Zur Zeit iſt die Naturgeſchichte des Lanzettfiſches nicht viel mehr als eine Zergliederungskunde deſſelben. Ueber die Lebensweiſe dieſes unter allen am Tiefſten ſtehenden Wirbelthieres weiß man noch höchſt wenig. Es kommt im mittelländiſchen Meere und dem atlantiſchen Weltmeere vor, ver- breitet ſich von Afrikas Küſten an bis zu denen von Norwegen, iſt nicht gerade ſelten, lebt aber gewöhnlich in beträchtlichen Tiefen und wird deshalb blos dann gefangen, wenn man beſondere Anſtalten hierzu trifft. Die erſten Stücke, welche man erhielt, waren durch Stürme auf den Strand geſchleudert worden und hatten unter Steinen Zuflucht geſucht; andere fiſchte man mit feinmaſchigen Grundnetzen in beträchtlicher Tiefe. Die Bewegungen werden als lebhaft und gewandt geſchildert. Couch ſagt, daß man beim Schwimmen Kopf und Schwanz kaum oder nicht unterſcheiden könne, Wilde, daß Gefangene in einem Glaſe ſich aalartig mit raſchen Windungen förderten und ungeachtet des ſo wenig entwickelten Geſichtsſinnes — falls von einem ſolchen überhaupt zu reden — den ihnen vorgehaltenen Finger oder andere Hinderniſſe zu vermeiden wußten, beim Herankommen an dieſelben ſtutzten und Kehrt machten. „Die kleinen Thierchen“, bemerkt letztgenannter Beobachter noch, „haben eine beſondere Fähigkeit, ſich, und zwar in eigenthümlicher Weiſe, an einander zu kleben. Zuweilen bilden ſie dann einen Klumpen, zuweilen wiederum einen Faden von ſechs bis acht Zoll Länge. Die Geſammtheit bewegt ſich gemeinſchaftlich, im letzterwähnten Falle in Schlangen- windungen. Jmmer kleben ſie ſich mit der Breitſeiten aneinander, wenn ſie in einer Reihe ſchwimmen ſo, daß das Kopfende des einen ſich ungefähr im letzten Dritttheil der Leibeslänge des Vorgängers befindet.“
Ueber die Fortpflanzung und das Leben der Jungen ſcheint noch jegliche Beobachtung zu fehlen: möglich, daß uns die Erforſchung derſelben noch ungeahnte Ueberraſchungen bereitet. Kunde der Entwicklung allein kann entſcheiden, ob wir in dieſem ſonderbaren Geſchöpfe wirklich vor uns haben: das Endglied aller Wirbelthiere.
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Die Röhrenherzen. Schlauchfiſche.
dadurch das durchſichtige, ungefärbte Blut in das feinere Geäder treiben. Die an Stelle der Wirbel-
ſäule vorhandene Wirbelſaite erſtreckt ſich von der Schnauzenſpitze bis zum Schwanzende; ihre äußere
Hülle bildet ein Rohr für das Rückenmark, welche keine Anſchwellungen zeigt, am vorderen Ende
aber auf kurzen Stielen zwei als Augen gedeutete Gebilde trägt. Auch ein Riechwerkzeug will man
entdeckt haben.
Zur Zeit iſt die Naturgeſchichte des Lanzettfiſches nicht viel mehr als eine Zergliederungskunde
deſſelben. Ueber die Lebensweiſe dieſes unter allen am Tiefſten ſtehenden Wirbelthieres weiß man
noch höchſt wenig. Es kommt im mittelländiſchen Meere und dem atlantiſchen Weltmeere vor, ver-
breitet ſich von Afrikas Küſten an bis zu denen von Norwegen, iſt nicht gerade ſelten, lebt aber
gewöhnlich in beträchtlichen Tiefen und wird deshalb blos dann gefangen, wenn man beſondere
Anſtalten hierzu trifft. Die erſten Stücke, welche man erhielt, waren durch Stürme auf den Strand
geſchleudert worden und hatten unter Steinen Zuflucht geſucht; andere fiſchte man mit feinmaſchigen
Grundnetzen in beträchtlicher Tiefe. Die Bewegungen werden als lebhaft und gewandt geſchildert.
Couch ſagt, daß man beim Schwimmen Kopf und Schwanz kaum oder nicht unterſcheiden könne,
Wilde, daß Gefangene in einem Glaſe ſich aalartig mit raſchen Windungen förderten und
ungeachtet des ſo wenig entwickelten Geſichtsſinnes — falls von einem ſolchen überhaupt zu reden —
den ihnen vorgehaltenen Finger oder andere Hinderniſſe zu vermeiden wußten, beim Herankommen
an dieſelben ſtutzten und Kehrt machten. „Die kleinen Thierchen“, bemerkt letztgenannter Beobachter
noch, „haben eine beſondere Fähigkeit, ſich, und zwar in eigenthümlicher Weiſe, an einander zu kleben.
Zuweilen bilden ſie dann einen Klumpen, zuweilen wiederum einen Faden von ſechs bis acht Zoll
Länge. Die Geſammtheit bewegt ſich gemeinſchaftlich, im letzterwähnten Falle in Schlangen-
windungen. Jmmer kleben ſie ſich mit der Breitſeiten aneinander, wenn ſie in einer Reihe
ſchwimmen ſo, daß das Kopfende des einen ſich ungefähr im letzten Dritttheil der Leibeslänge des
Vorgängers befindet.“
Ueber die Fortpflanzung und das Leben der Jungen ſcheint noch jegliche Beobachtung zu
fehlen: möglich, daß uns die Erforſchung derſelben noch ungeahnte Ueberraſchungen bereitet. Kunde
der Entwicklung allein kann entſcheiden, ob wir in dieſem ſonderbaren Geſchöpfe wirklich vor uns
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 812. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/858>, abgerufen am 20.12.2024.
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