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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Edelfische. Heringe.
denn nicht blos leichtfertig ausgesprochen, sondern wohl begründet ist die Furcht, daß das Meer,
dem wir seit Jahrhunderten eine Ernte nach der anderen abgewonnen, verarmen kann, ja, wenn wir
so fortfahren, wie wir es getrieben, verarmen muß. Auch den Heringen, welche ihren Namen haben
von den Heeren, die sie bilden, werden wir eine Schonzeit gönnen, Gelegenheit zu ungestörter Ver-
mehrung gewähren müssen, wollen wir uns selbst nicht in der empfindlichsten Weise schaden. Jn
den Augen der Zweckmäßigkeitsprediger erscheint solche Furcht freilich als ein eitles Hirngespinnst: --
denn die "Vorsehung", welche den Hering des Menschen halber alljährlich in die Nähe der Küste
führt, braucht ja nur neue Schwärme herbeizuholen, damit deren ausschließlicher Daseinszweck erreicht
werde; wer jedoch so kühn ist, das Wirken der Vorsehung voraussetzungslos zu prüfen, thut wahr-
scheinlich wohl, wenn er sich nicht so ganz auf ihre Machtvollkommenheit, sondern lieber auf seinen
Verstand verläßt, welcher ihm sagt, daß auch Milliarden verbraucht werden können, wenn die Aus-
gabe fortgesetzt größer ist als die Einnahme. Und daß der Mensch im Stande ist, mehr Heringe zu
fangen, als erzeugt und groß werden: Das dürfte aus dem Nachstehenden mit einer selbst dem
verstocktesten Gläubigen begreiflichen Deutlichkeit hervorgehen.



Bei den Mitgliedern der Sippe der Heringe im engeren Sinne (Clupea) ist der Leib stark
zusammengedrückt, an der Bauchkante sägenartig gezähnt, indem hier die Schuppen zackig vortreten,
der Oberkiefer breit, sein Außenrand schwach gebogen, die Bezahnung reich und manchfaltig, weil
Zwischen-, Ober- und Unterkiefer viele sehr kleine, Pflugscharbein und Zunge eine Reihe größerer
Zähne tragen, auch auf dem Gaumenbeine zwei oder drei hinfällige Zähne stehen.

Der Hering (Clupea Harengus) erreicht, wie allbekannt, selten eine größere Länge als
12 Zoll, hat kleine, schmale Brust- und Bauchflossen, eine mittelständige Rückenflosse, weit nach
hinten gerückte, schmale Afterflosse, tief gegabelte Schwanzflosse, große, leicht abfallende
Schuppen, sieht auf der Oberseite schön meergrün oder grünblau, auf der Unterseite und auf dem
Bauche silberfarben aus und glänzt, je nach dem einfallenden Lichte, in verschiedenen Schattirungen;
Rücken- und Schwanzflosse sind düster-, die übrigen lichtfarbig. Jn der Rückenflosse zählt man
17 bis 19, in der Brustflosse 15 bis 17, in der Bauchflosse 9, in der Afterflosse 14 bis 16, in der
Schwanzflosse 18 bis 20 Strahlen. Die Wirbelsäule besteht aus 56 Wirbeln.

Nord- und Ostsee sind die eigentliche Heimat des Herings; in den übrigen Meeren, welche
Europas Küsten bespülen, wird er durch verwandte Arten vertreten, nirgends aber ersetzt. Früher
glaubte man allgemein, seine Heimat in das nördliche Eismeer verlegen und annehmen zu müssen,
daß er vonhieraus alljährlich eine Reise antrete, welche ihn in unsere Gewässer führe. Andersson,
Anfangs des achtzehnten Jahrhunderts Bürgermeister zu Hamburg, stellte diese Annahme als Lehr-
satz auf und schrieb dem Fische seine Reisestraße auf das Genaueste vor, theilte der gelehrten und
sischenden Welt mit, daß ein ungeheuerer Schwarm von dort aufbreche, sich dann theile, Jsland und
Großbritannien umschwimme, hier durch Kattegat und Sund in die Ostsee eindringe, dort den Kanal
oder die britischen Gewässer durchwandere, längs der holländischen und französischen Küste seinen Weg
fortsetze u. s. w. Der Gläubigen waren viele, und bis in die neueste Zeit hielten sie fest an diesem
Erzeugnisse einer regen Einbildungskraft, verfochten sie Zweiflern gegenüber mit Heftigkeit und
brachten Regel und Ordnung in die vermeintlichen Züge, verfehlten auch nicht, die außerordentliche
Zweckmäßigkeit einer solchen von der "Vorsehung" angeordneten und geleiteten Einrichtung gebührend
hervorzuheben. Schon Bloch gewann eine andere Anschauung. Er bezweifelte, daß die Heringe
im Stande, vom Frühjahre bis zum Herbst eine so ungeheuere Reise auszuführen, hob hervor,
daß sie im hohen Norden weit seltener sind, als in Nord- und Ostsee, daß man sie in letzterer

Die Edelfiſche. Heringe.
denn nicht blos leichtfertig ausgeſprochen, ſondern wohl begründet iſt die Furcht, daß das Meer,
dem wir ſeit Jahrhunderten eine Ernte nach der anderen abgewonnen, verarmen kann, ja, wenn wir
ſo fortfahren, wie wir es getrieben, verarmen muß. Auch den Heringen, welche ihren Namen haben
von den Heeren, die ſie bilden, werden wir eine Schonzeit gönnen, Gelegenheit zu ungeſtörter Ver-
mehrung gewähren müſſen, wollen wir uns ſelbſt nicht in der empfindlichſten Weiſe ſchaden. Jn
den Augen der Zweckmäßigkeitsprediger erſcheint ſolche Furcht freilich als ein eitles Hirngeſpinnſt: —
denn die „Vorſehung“, welche den Hering des Menſchen halber alljährlich in die Nähe der Küſte
führt, braucht ja nur neue Schwärme herbeizuholen, damit deren ausſchließlicher Daſeinszweck erreicht
werde; wer jedoch ſo kühn iſt, das Wirken der Vorſehung vorausſetzungslos zu prüfen, thut wahr-
ſcheinlich wohl, wenn er ſich nicht ſo ganz auf ihre Machtvollkommenheit, ſondern lieber auf ſeinen
Verſtand verläßt, welcher ihm ſagt, daß auch Milliarden verbraucht werden können, wenn die Aus-
gabe fortgeſetzt größer iſt als die Einnahme. Und daß der Menſch im Stande iſt, mehr Heringe zu
fangen, als erzeugt und groß werden: Das dürfte aus dem Nachſtehenden mit einer ſelbſt dem
verſtockteſten Gläubigen begreiflichen Deutlichkeit hervorgehen.



Bei den Mitgliedern der Sippe der Heringe im engeren Sinne (Clupea) iſt der Leib ſtark
zuſammengedrückt, an der Bauchkante ſägenartig gezähnt, indem hier die Schuppen zackig vortreten,
der Oberkiefer breit, ſein Außenrand ſchwach gebogen, die Bezahnung reich und manchfaltig, weil
Zwiſchen-, Ober- und Unterkiefer viele ſehr kleine, Pflugſcharbein und Zunge eine Reihe größerer
Zähne tragen, auch auf dem Gaumenbeine zwei oder drei hinfällige Zähne ſtehen.

Der Hering (Clupea Harengus) erreicht, wie allbekannt, ſelten eine größere Länge als
12 Zoll, hat kleine, ſchmale Bruſt- und Bauchfloſſen, eine mittelſtändige Rückenfloſſe, weit nach
hinten gerückte, ſchmale Afterfloſſe, tief gegabelte Schwanzfloſſe, große, leicht abfallende
Schuppen, ſieht auf der Oberſeite ſchön meergrün oder grünblau, auf der Unterſeite und auf dem
Bauche ſilberfarben aus und glänzt, je nach dem einfallenden Lichte, in verſchiedenen Schattirungen;
Rücken- und Schwanzfloſſe ſind düſter-, die übrigen lichtfarbig. Jn der Rückenfloſſe zählt man
17 bis 19, in der Bruſtfloſſe 15 bis 17, in der Bauchfloſſe 9, in der Afterfloſſe 14 bis 16, in der
Schwanzfloſſe 18 bis 20 Strahlen. Die Wirbelſäule beſteht aus 56 Wirbeln.

Nord- und Oſtſee ſind die eigentliche Heimat des Herings; in den übrigen Meeren, welche
Europas Küſten beſpülen, wird er durch verwandte Arten vertreten, nirgends aber erſetzt. Früher
glaubte man allgemein, ſeine Heimat in das nördliche Eismeer verlegen und annehmen zu müſſen,
daß er vonhieraus alljährlich eine Reiſe antrete, welche ihn in unſere Gewäſſer führe. Andersſon,
Anfangs des achtzehnten Jahrhunderts Bürgermeiſter zu Hamburg, ſtellte dieſe Annahme als Lehr-
ſatz auf und ſchrieb dem Fiſche ſeine Reiſeſtraße auf das Genaueſte vor, theilte der gelehrten und
ſiſchenden Welt mit, daß ein ungeheuerer Schwarm von dort aufbreche, ſich dann theile, Jsland und
Großbritannien umſchwimme, hier durch Kattegat und Sund in die Oſtſee eindringe, dort den Kanal
oder die britiſchen Gewäſſer durchwandere, längs der holländiſchen und franzöſiſchen Küſte ſeinen Weg
fortſetze u. ſ. w. Der Gläubigen waren viele, und bis in die neueſte Zeit hielten ſie feſt an dieſem
Erzeugniſſe einer regen Einbildungskraft, verfochten ſie Zweiflern gegenüber mit Heftigkeit und
brachten Regel und Ordnung in die vermeintlichen Züge, verfehlten auch nicht, die außerordentliche
Zweckmäßigkeit einer ſolchen von der „Vorſehung“ angeordneten und geleiteten Einrichtung gebührend
hervorzuheben. Schon Bloch gewann eine andere Anſchauung. Er bezweifelte, daß die Heringe
im Stande, vom Frühjahre bis zum Herbſt eine ſo ungeheuere Reiſe auszuführen, hob hervor,
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[720/0760] Die Edelfiſche. Heringe. denn nicht blos leichtfertig ausgeſprochen, ſondern wohl begründet iſt die Furcht, daß das Meer, dem wir ſeit Jahrhunderten eine Ernte nach der anderen abgewonnen, verarmen kann, ja, wenn wir ſo fortfahren, wie wir es getrieben, verarmen muß. Auch den Heringen, welche ihren Namen haben von den Heeren, die ſie bilden, werden wir eine Schonzeit gönnen, Gelegenheit zu ungeſtörter Ver- mehrung gewähren müſſen, wollen wir uns ſelbſt nicht in der empfindlichſten Weiſe ſchaden. Jn den Augen der Zweckmäßigkeitsprediger erſcheint ſolche Furcht freilich als ein eitles Hirngeſpinnſt: — denn die „Vorſehung“, welche den Hering des Menſchen halber alljährlich in die Nähe der Küſte führt, braucht ja nur neue Schwärme herbeizuholen, damit deren ausſchließlicher Daſeinszweck erreicht werde; wer jedoch ſo kühn iſt, das Wirken der Vorſehung vorausſetzungslos zu prüfen, thut wahr- ſcheinlich wohl, wenn er ſich nicht ſo ganz auf ihre Machtvollkommenheit, ſondern lieber auf ſeinen Verſtand verläßt, welcher ihm ſagt, daß auch Milliarden verbraucht werden können, wenn die Aus- gabe fortgeſetzt größer iſt als die Einnahme. Und daß der Menſch im Stande iſt, mehr Heringe zu fangen, als erzeugt und groß werden: Das dürfte aus dem Nachſtehenden mit einer ſelbſt dem verſtockteſten Gläubigen begreiflichen Deutlichkeit hervorgehen. Bei den Mitgliedern der Sippe der Heringe im engeren Sinne (Clupea) iſt der Leib ſtark zuſammengedrückt, an der Bauchkante ſägenartig gezähnt, indem hier die Schuppen zackig vortreten, der Oberkiefer breit, ſein Außenrand ſchwach gebogen, die Bezahnung reich und manchfaltig, weil Zwiſchen-, Ober- und Unterkiefer viele ſehr kleine, Pflugſcharbein und Zunge eine Reihe größerer Zähne tragen, auch auf dem Gaumenbeine zwei oder drei hinfällige Zähne ſtehen. Der Hering (Clupea Harengus) erreicht, wie allbekannt, ſelten eine größere Länge als 12 Zoll, hat kleine, ſchmale Bruſt- und Bauchfloſſen, eine mittelſtändige Rückenfloſſe, weit nach hinten gerückte, ſchmale Afterfloſſe, tief gegabelte Schwanzfloſſe, große, leicht abfallende Schuppen, ſieht auf der Oberſeite ſchön meergrün oder grünblau, auf der Unterſeite und auf dem Bauche ſilberfarben aus und glänzt, je nach dem einfallenden Lichte, in verſchiedenen Schattirungen; Rücken- und Schwanzfloſſe ſind düſter-, die übrigen lichtfarbig. Jn der Rückenfloſſe zählt man 17 bis 19, in der Bruſtfloſſe 15 bis 17, in der Bauchfloſſe 9, in der Afterfloſſe 14 bis 16, in der Schwanzfloſſe 18 bis 20 Strahlen. Die Wirbelſäule beſteht aus 56 Wirbeln. Nord- und Oſtſee ſind die eigentliche Heimat des Herings; in den übrigen Meeren, welche Europas Küſten beſpülen, wird er durch verwandte Arten vertreten, nirgends aber erſetzt. Früher glaubte man allgemein, ſeine Heimat in das nördliche Eismeer verlegen und annehmen zu müſſen, daß er vonhieraus alljährlich eine Reiſe antrete, welche ihn in unſere Gewäſſer führe. Andersſon, Anfangs des achtzehnten Jahrhunderts Bürgermeiſter zu Hamburg, ſtellte dieſe Annahme als Lehr- ſatz auf und ſchrieb dem Fiſche ſeine Reiſeſtraße auf das Genaueſte vor, theilte der gelehrten und ſiſchenden Welt mit, daß ein ungeheuerer Schwarm von dort aufbreche, ſich dann theile, Jsland und Großbritannien umſchwimme, hier durch Kattegat und Sund in die Oſtſee eindringe, dort den Kanal oder die britiſchen Gewäſſer durchwandere, längs der holländiſchen und franzöſiſchen Küſte ſeinen Weg fortſetze u. ſ. w. Der Gläubigen waren viele, und bis in die neueſte Zeit hielten ſie feſt an dieſem Erzeugniſſe einer regen Einbildungskraft, verfochten ſie Zweiflern gegenüber mit Heftigkeit und brachten Regel und Ordnung in die vermeintlichen Züge, verfehlten auch nicht, die außerordentliche Zweckmäßigkeit einer ſolchen von der „Vorſehung“ angeordneten und geleiteten Einrichtung gebührend hervorzuheben. Schon Bloch gewann eine andere Anſchauung. Er bezweifelte, daß die Heringe im Stande, vom Frühjahre bis zum Herbſt eine ſo ungeheuere Reiſe auszuführen, hob hervor, daß ſie im hohen Norden weit ſeltener ſind, als in Nord- und Oſtſee, daß man ſie in letzterer

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 720. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/760>, abgerufen am 22.06.2024.