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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Edelfische. Karpfen. Zahnkarpfen. Doppelangen.

Gegen die Laichzeit hin, welche in die Monate April und Mai fällt, versammeln sich die Nasen
und ziehen in zahllosen Schaaren von dem Hauptstrome in die Nebenflüsse, von diesen aus in Zuflüsse
und Waldbäche, auch selbst in solche, welche trübes Wasser haben, suchen sich hier kiesige Stellen aus,
über welche der Strom schnell dahinfließt, und legen auf ihnen ihre zahlreichen Eier ab. Sie haben
zu dieser Zeit ihr Hochzeitskleid angelegt und, wie so viele andere Karpfen, einen Hautausschlag
erhalten, welcher namentlich den Scheitel und den oberen Theilen der Kiemendeckel, sowie die seitlichen
der Schnauze und des Gesichts bedeckt. Die Jungen sollen bereits nach vierzehn Tagen ausschlüpfen
und dann nach und nach den größeren Flüssen zuschwimmen.

Mehr zum Vergnügen, als um sie zu benutzen, fängt man die Nase an Angeln, welche mit
Stubenfliegen geködert werden. Während der Laichzeit geben ihre Massenversammlungen zu reichem
Fange Veranlassung. Jn der Wertach bei Augsburg werden, laut Grundauer, alljährlich inner-
halb zwei bis drei Wochen gegen dreihundert Centner und darüber gefangen. An der Mündung der
Birs und am Eintritt der Glatte in den Rhein finden alljährlich ähnliche Fischzüge statt. "Bey vns
werden sie Frühlingszeit gepriesen", sagt Geßner, "dann sollen sie fett werden. Jtem deß Winter-
monats, wiewol das ist, daß sie wenig zu loben sind, dann ihr Fleisch ist allezeit lind oder blutt, gar
nahe keines oder ödes Geruchs, voller Grädt, vorauß gegen dem schwantz. Werden lieblicher
gebraten dann gesotten."



An die Karpfen schließt sich naturgemäß eine verwandte Familie an, welcher man den Namen
Zahnkarpfen (Cyprinodontes) gegeben hat, weil sie im Allgemeinen den Karpfen gleichen, jedoch
weder die Schlundzähne, noch den sogenannten Karpfenstein besitzen, sondern Zähne in den Kiefern
und hechelförmige obere und untere Schlundzähne besitzen. Die Kiefer sind wie bei den Karpfen
gebildet; der Zwischenkiefer stellt den Rand der Oberkinnlade her; das Maul ist vorstreckbar; Neben-
kiemen fehlen; die Schwimmblase ist einfach und ohne Gehörknöchelchen, der Magen ohne Blindsack,
der Darm ohne Blinddärme.

Jn Europa werden die Zahnkarpfen nur durch eine einzige Sippe vertreten; denn ihre eigentliche
Heimat ist Amerika. Hier bewohnen sie das Meer, wie die Flüsse und Seen, auch Gewässer in den
Anden bis zu dreizehntausend Fuß über dem Meere, so z. B. den Titicacasee. Jhre Nahrung besteht
hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich in thierischen Stoffen. Einige Arten gebähren lebendige
Junge. Für den menschlichen Haushalt sind sie bedeutungslos, und ich würde ihrer auch gar nicht
Erwähnung gethan haben, verdiente nicht ein zu dieser Familie gehöriger Fisch des absonderlichen
Baues seiner Augen halber allgemeine Beachtung.

Dieser Zahnkarpfen, das Vierauge der Ansiedler (Anableps tetrophthalmus), Vertreter einer
eigenen Sippe, welche wir zum Unterschiede mit dem Namen Doppelaugen bezeichnen können, hat
im Baue Aehnlichkeit mit den Bartgrundeln. Der Leib ist lang gestreckt, spindelig, der Kopf platt,
die Schnauze stumpf, der querstehende Mund mit vorspringenden Lippen umschlossen und nicht ver-
schiebbar, die Rückenflosse sehr klein, hinter die Afterflosse gestellt, die Schwanzflosse ungetheilt, die
Brustflosse zum Theil beschuppt, das Kleid aus unregelmäßigen, rundlichen, vom Mittelpunkte aus
strahlig gestreiften, in Längsreihen geordneten Schuppen zusammengesetzt, die äußere Zahnreihe
beweglich und aus Sammetzähnen gebildet, während in den Schlundknochen spitzige Hechelzähne stehen.
Viel auffallender als alle diese Merkmale ist der Bau der Augen. Diese nämlich quellen unter
einem vom unteren Stirnbeine jederseits sich erhebenden Gewölbe hervor und werden durch einen fast
wagerecht liegenden, aus der Bindehaut des Augapfels gebildeten Streifen getheilt, sodaß Hornhaut
und Regenbogenhaut in zwei fast ganz gleiche Hälften zerlegt zu sein scheinen; es ist jedoch nur eine
Linse und nur ein Glaskörper vorhanden. Dieser Bau kommt im ganzen Thierreiche nicht wieder vor.

Die Edelfiſche. Karpfen. Zahnkarpfen. Doppelangen.

Gegen die Laichzeit hin, welche in die Monate April und Mai fällt, verſammeln ſich die Naſen
und ziehen in zahlloſen Schaaren von dem Hauptſtrome in die Nebenflüſſe, von dieſen aus in Zuflüſſe
und Waldbäche, auch ſelbſt in ſolche, welche trübes Waſſer haben, ſuchen ſich hier kieſige Stellen aus,
über welche der Strom ſchnell dahinfließt, und legen auf ihnen ihre zahlreichen Eier ab. Sie haben
zu dieſer Zeit ihr Hochzeitskleid angelegt und, wie ſo viele andere Karpfen, einen Hautausſchlag
erhalten, welcher namentlich den Scheitel und den oberen Theilen der Kiemendeckel, ſowie die ſeitlichen
der Schnauze und des Geſichts bedeckt. Die Jungen ſollen bereits nach vierzehn Tagen ausſchlüpfen
und dann nach und nach den größeren Flüſſen zuſchwimmen.

Mehr zum Vergnügen, als um ſie zu benutzen, fängt man die Naſe an Angeln, welche mit
Stubenfliegen geködert werden. Während der Laichzeit geben ihre Maſſenverſammlungen zu reichem
Fange Veranlaſſung. Jn der Wertach bei Augsburg werden, laut Grundauer, alljährlich inner-
halb zwei bis drei Wochen gegen dreihundert Centner und darüber gefangen. An der Mündung der
Birs und am Eintritt der Glatte in den Rhein finden alljährlich ähnliche Fiſchzüge ſtatt. „Bey vns
werden ſie Frühlingszeit geprieſen“, ſagt Geßner, „dann ſollen ſie fett werden. Jtem deß Winter-
monats, wiewol das iſt, daß ſie wenig zu loben ſind, dann ihr Fleiſch iſt allezeit lind oder blutt, gar
nahe keines oder ödes Geruchs, voller Grädt, vorauß gegen dem ſchwantz. Werden lieblicher
gebraten dann geſotten.“



An die Karpfen ſchließt ſich naturgemäß eine verwandte Familie an, welcher man den Namen
Zahnkarpfen (Cyprinodontes) gegeben hat, weil ſie im Allgemeinen den Karpfen gleichen, jedoch
weder die Schlundzähne, noch den ſogenannten Karpfenſtein beſitzen, ſondern Zähne in den Kiefern
und hechelförmige obere und untere Schlundzähne beſitzen. Die Kiefer ſind wie bei den Karpfen
gebildet; der Zwiſchenkiefer ſtellt den Rand der Oberkinnlade her; das Maul iſt vorſtreckbar; Neben-
kiemen fehlen; die Schwimmblaſe iſt einfach und ohne Gehörknöchelchen, der Magen ohne Blindſack,
der Darm ohne Blinddärme.

Jn Europa werden die Zahnkarpfen nur durch eine einzige Sippe vertreten; denn ihre eigentliche
Heimat iſt Amerika. Hier bewohnen ſie das Meer, wie die Flüſſe und Seen, auch Gewäſſer in den
Anden bis zu dreizehntauſend Fuß über dem Meere, ſo z. B. den Titicacaſee. Jhre Nahrung beſteht
hauptſächlich, wenn nicht ausſchließlich in thieriſchen Stoffen. Einige Arten gebähren lebendige
Junge. Für den menſchlichen Haushalt ſind ſie bedeutungslos, und ich würde ihrer auch gar nicht
Erwähnung gethan haben, verdiente nicht ein zu dieſer Familie gehöriger Fiſch des abſonderlichen
Baues ſeiner Augen halber allgemeine Beachtung.

Dieſer Zahnkarpfen, das Vierauge der Anſiedler (Anableps tetrophthalmus), Vertreter einer
eigenen Sippe, welche wir zum Unterſchiede mit dem Namen Doppelaugen bezeichnen können, hat
im Baue Aehnlichkeit mit den Bartgrundeln. Der Leib iſt lang geſtreckt, ſpindelig, der Kopf platt,
die Schnauze ſtumpf, der querſtehende Mund mit vorſpringenden Lippen umſchloſſen und nicht ver-
ſchiebbar, die Rückenfloſſe ſehr klein, hinter die Afterfloſſe geſtellt, die Schwanzfloſſe ungetheilt, die
Bruſtfloſſe zum Theil beſchuppt, das Kleid aus unregelmäßigen, rundlichen, vom Mittelpunkte aus
ſtrahlig geſtreiften, in Längsreihen geordneten Schuppen zuſammengeſetzt, die äußere Zahnreihe
beweglich und aus Sammetzähnen gebildet, während in den Schlundknochen ſpitzige Hechelzähne ſtehen.
Viel auffallender als alle dieſe Merkmale iſt der Bau der Augen. Dieſe nämlich quellen unter
einem vom unteren Stirnbeine jederſeits ſich erhebenden Gewölbe hervor und werden durch einen faſt
wagerecht liegenden, aus der Bindehaut des Augapfels gebildeten Streifen getheilt, ſodaß Hornhaut
und Regenbogenhaut in zwei faſt ganz gleiche Hälften zerlegt zu ſein ſcheinen; es iſt jedoch nur eine
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[676/0714] Die Edelfiſche. Karpfen. Zahnkarpfen. Doppelangen. Gegen die Laichzeit hin, welche in die Monate April und Mai fällt, verſammeln ſich die Naſen und ziehen in zahlloſen Schaaren von dem Hauptſtrome in die Nebenflüſſe, von dieſen aus in Zuflüſſe und Waldbäche, auch ſelbſt in ſolche, welche trübes Waſſer haben, ſuchen ſich hier kieſige Stellen aus, über welche der Strom ſchnell dahinfließt, und legen auf ihnen ihre zahlreichen Eier ab. Sie haben zu dieſer Zeit ihr Hochzeitskleid angelegt und, wie ſo viele andere Karpfen, einen Hautausſchlag erhalten, welcher namentlich den Scheitel und den oberen Theilen der Kiemendeckel, ſowie die ſeitlichen der Schnauze und des Geſichts bedeckt. Die Jungen ſollen bereits nach vierzehn Tagen ausſchlüpfen und dann nach und nach den größeren Flüſſen zuſchwimmen. Mehr zum Vergnügen, als um ſie zu benutzen, fängt man die Naſe an Angeln, welche mit Stubenfliegen geködert werden. Während der Laichzeit geben ihre Maſſenverſammlungen zu reichem Fange Veranlaſſung. Jn der Wertach bei Augsburg werden, laut Grundauer, alljährlich inner- halb zwei bis drei Wochen gegen dreihundert Centner und darüber gefangen. An der Mündung der Birs und am Eintritt der Glatte in den Rhein finden alljährlich ähnliche Fiſchzüge ſtatt. „Bey vns werden ſie Frühlingszeit geprieſen“, ſagt Geßner, „dann ſollen ſie fett werden. Jtem deß Winter- monats, wiewol das iſt, daß ſie wenig zu loben ſind, dann ihr Fleiſch iſt allezeit lind oder blutt, gar nahe keines oder ödes Geruchs, voller Grädt, vorauß gegen dem ſchwantz. Werden lieblicher gebraten dann geſotten.“ An die Karpfen ſchließt ſich naturgemäß eine verwandte Familie an, welcher man den Namen Zahnkarpfen (Cyprinodontes) gegeben hat, weil ſie im Allgemeinen den Karpfen gleichen, jedoch weder die Schlundzähne, noch den ſogenannten Karpfenſtein beſitzen, ſondern Zähne in den Kiefern und hechelförmige obere und untere Schlundzähne beſitzen. Die Kiefer ſind wie bei den Karpfen gebildet; der Zwiſchenkiefer ſtellt den Rand der Oberkinnlade her; das Maul iſt vorſtreckbar; Neben- kiemen fehlen; die Schwimmblaſe iſt einfach und ohne Gehörknöchelchen, der Magen ohne Blindſack, der Darm ohne Blinddärme. Jn Europa werden die Zahnkarpfen nur durch eine einzige Sippe vertreten; denn ihre eigentliche Heimat iſt Amerika. Hier bewohnen ſie das Meer, wie die Flüſſe und Seen, auch Gewäſſer in den Anden bis zu dreizehntauſend Fuß über dem Meere, ſo z. B. den Titicacaſee. Jhre Nahrung beſteht hauptſächlich, wenn nicht ausſchließlich in thieriſchen Stoffen. Einige Arten gebähren lebendige Junge. Für den menſchlichen Haushalt ſind ſie bedeutungslos, und ich würde ihrer auch gar nicht Erwähnung gethan haben, verdiente nicht ein zu dieſer Familie gehöriger Fiſch des abſonderlichen Baues ſeiner Augen halber allgemeine Beachtung. Dieſer Zahnkarpfen, das Vierauge der Anſiedler (Anableps tetrophthalmus), Vertreter einer eigenen Sippe, welche wir zum Unterſchiede mit dem Namen Doppelaugen bezeichnen können, hat im Baue Aehnlichkeit mit den Bartgrundeln. Der Leib iſt lang geſtreckt, ſpindelig, der Kopf platt, die Schnauze ſtumpf, der querſtehende Mund mit vorſpringenden Lippen umſchloſſen und nicht ver- ſchiebbar, die Rückenfloſſe ſehr klein, hinter die Afterfloſſe geſtellt, die Schwanzfloſſe ungetheilt, die Bruſtfloſſe zum Theil beſchuppt, das Kleid aus unregelmäßigen, rundlichen, vom Mittelpunkte aus ſtrahlig geſtreiften, in Längsreihen geordneten Schuppen zuſammengeſetzt, die äußere Zahnreihe beweglich und aus Sammetzähnen gebildet, während in den Schlundknochen ſpitzige Hechelzähne ſtehen. Viel auffallender als alle dieſe Merkmale iſt der Bau der Augen. Dieſe nämlich quellen unter einem vom unteren Stirnbeine jederſeits ſich erhebenden Gewölbe hervor und werden durch einen faſt wagerecht liegenden, aus der Bindehaut des Augapfels gebildeten Streifen getheilt, ſodaß Hornhaut und Regenbogenhaut in zwei faſt ganz gleiche Hälften zerlegt zu ſein ſcheinen; es iſt jedoch nur eine Linſe und nur ein Glaskörper vorhanden. Dieſer Bau kommt im ganzen Thierreiche nicht wieder vor.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 676. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/714>, abgerufen am 15.06.2024.