Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.Die Fische. Ein Blick auf das Leben der Gesammtheit. einfachste Beobachtung des Treibens irgend eines Sängers im Walde des Besseren belehren würde;es läßt sich erklären, weil nur die wenigsten Menschen sich die Mühe geben, zu beobachten oder zu rechnen: daß man aber die Bedeutung der Fische in unserem Vaterlande noch nicht erkannt, daß man die unendlichen Schätze des Meeres nicht verlottert, sondern noch gar nicht gehoben hat, daß man an den deutschen Küsten die Fischerei kaum vernünftiger betreibt als an dem Strande Neuseelands -- Das ist unbegreiflich, auch dann unbegreiflich, wenn man die vielköpfige Herrschaft, unter welcher wir gelitten, als Entschuldigungsgrund anführen will. Denn nicht die Staatsgewalt ist es, welche Fischereien ins Leben ruft, regelt und ordnet, sondern der Unternehmungsgeist der Einzelnen: in allen Ländern, in denen die Fischerei blüht, thut der Staat Nichts weiter, als sie zu schützen. Holland dankte seine einstige Größe dem Heringsfange; Norwegen gewinnt aus dem Fischfange in der See zum Mindesten ebensoviele Speziesthaler, als es Einwohner zählt; den Werth der Fischerei an der Bank von Neufundland schlägt man zu 15,000,000 Dollars an; von der Meerfischerei Groß- britanniens erlangt man eine Vorstellung, wenn man weiß, daß London allein verbraucht 500,000 Dorsche, 25,000,000 Makrelen, 100,000,000 Zungen, 85,000,000 Goldbutten, 200,000,000 Schellfische, die Unmassen aller übrigen, hier nicht namentlich aufgeführten, weil nicht regelmäßig auf den Markt kommenden Fische nicht gerechnet. Die Heringsfischerei Schottlands und der Jnsel Man beschäftigte im Jahre 1862 9067 Boote und 43,468 Fischer, abgesehen von 22,471 Menschen, welche zum Einsalzen, Verpacken etc. verwendet wurden! Die Briten haben gegenwärtig alle übrigen Völker überflügelt. Nicht nur ihre Fischerei ist die Etwas, wenn auch herzlich wenig besser sieht es mit der deutschen Süßwasserfischerei aus, Die Fiſche. Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit. einfachſte Beobachtung des Treibens irgend eines Sängers im Walde des Beſſeren belehren würde;es läßt ſich erklären, weil nur die wenigſten Menſchen ſich die Mühe geben, zu beobachten oder zu rechnen: daß man aber die Bedeutung der Fiſche in unſerem Vaterlande noch nicht erkannt, daß man die unendlichen Schätze des Meeres nicht verlottert, ſondern noch gar nicht gehoben hat, daß man an den deutſchen Küſten die Fiſcherei kaum vernünftiger betreibt als an dem Strande Neuſeelands — Das iſt unbegreiflich, auch dann unbegreiflich, wenn man die vielköpfige Herrſchaft, unter welcher wir gelitten, als Entſchuldigungsgrund anführen will. Denn nicht die Staatsgewalt iſt es, welche Fiſchereien ins Leben ruft, regelt und ordnet, ſondern der Unternehmungsgeiſt der Einzelnen: in allen Ländern, in denen die Fiſcherei blüht, thut der Staat Nichts weiter, als ſie zu ſchützen. Holland dankte ſeine einſtige Größe dem Heringsfange; Norwegen gewinnt aus dem Fiſchfange in der See zum Mindeſten ebenſoviele Speziesthaler, als es Einwohner zählt; den Werth der Fiſcherei an der Bank von Neufundland ſchlägt man zu 15,000,000 Dollars an; von der Meerfiſcherei Groß- britanniens erlangt man eine Vorſtellung, wenn man weiß, daß London allein verbraucht 500,000 Dorſche, 25,000,000 Makrelen, 100,000,000 Zungen, 85,000,000 Goldbutten, 200,000,000 Schellfiſche, die Unmaſſen aller übrigen, hier nicht namentlich aufgeführten, weil nicht regelmäßig auf den Markt kommenden Fiſche nicht gerechnet. Die Heringsfiſcherei Schottlands und der Jnſel Man beſchäftigte im Jahre 1862 9067 Boote und 43,468 Fiſcher, abgeſehen von 22,471 Menſchen, welche zum Einſalzen, Verpacken ꝛc. verwendet wurden! Die Briten haben gegenwärtig alle übrigen Völker überflügelt. Nicht nur ihre Fiſcherei iſt die Etwas, wenn auch herzlich wenig beſſer ſieht es mit der deutſchen Süßwaſſerfiſcherei aus, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0494" n="464"/><fw place="top" type="header">Die Fiſche. Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.</fw><lb/> einfachſte Beobachtung des Treibens irgend eines Sängers im Walde des Beſſeren belehren würde;<lb/> es läßt ſich erklären, weil nur die wenigſten Menſchen ſich die Mühe geben, zu beobachten oder zu<lb/> rechnen: daß man aber die Bedeutung der Fiſche in unſerem Vaterlande noch nicht erkannt, daß man<lb/> die unendlichen Schätze des Meeres nicht verlottert, ſondern noch gar nicht gehoben hat, daß man an<lb/> den deutſchen Küſten die Fiſcherei kaum vernünftiger betreibt als an dem Strande Neuſeelands —<lb/> Das iſt unbegreiflich, auch dann unbegreiflich, wenn man die vielköpfige Herrſchaft, unter welcher<lb/> wir gelitten, als Entſchuldigungsgrund anführen will. 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Jch will es dahingeſtellt ſein laſſen, ob eine Nachricht, welche neuerlich durch die<lb/> Zeitungen lief, wahr iſt oder nicht, da ſchon das Vorhandenſein des betreffenden Gerüchtes genügt,<lb/> die Kurzſichtigkeit der Leiter unſerer deutſchen Verkehrsanſtalten zu kennzeichnen. Es hieß, daß<lb/> ſich norddeutſche Eiſenbahngeſellſchaften geweigert hätten, von unſeren Hafenſtädten aus friſche<lb/> Seefiſche anders als in waſſerdichten Kiſten zu befördern, aus Furcht, daß das von dem ſchmelzenden<lb/> Packeis abträufelnde Waſſer ihre Wagen verderben könnte. Ob die ängſtlichen Herren Eiſenbahn-<lb/> beamten ſich die Mühe gegeben haben, vor der Kundgabe dieſes geradezu ungeheuerlichen Erlaſſes ſich<lb/> mit der Beſtandkunde britiſcher Eiſenbahnen zu beſchäftigen, weiß ich nicht, darf aber wohl annehmen,<lb/> daß Dies nicht geſchehen ſein mag, da ſie ſonſt vielleicht auf den nicht allzufern liegenden Gedanken<lb/> gekommen ſein könnten: es möge ſich lohnen, für den Verſand von Seefiſchen beſondere Wagen<lb/> bauen zu laſſen. Der leichte und ſchnelle Verſand zu Waſſer, welcher längs der Küſten Groß-<lb/> britanniens ſtattfinden kann, nimmt den Eiſenbahnen einen bedeutenden Theil auch der Fiſchfracht<lb/> weg; demungeachtet wurden, laut <hi rendition="#g">Bertram,</hi> in einem Jahre befördert: auf der London- und<lb/> Brightonbahn 5174, auf der großen weſtlichen Linie 2885, auf der nordbritiſchen Bahn 8303, auf<lb/> der großen Nordbahn 11,930, auf der Nordoſtbahn 27,896, auf der ſüdöſtlichen Bahn 3218, auf<lb/> der großen Oſtbahn 29,086, zuſammen 88,492 Schiffstonnen oder 1,769,840 Centner Fiſche.<lb/> Solchen Angaben gegenüber erſcheint die Fiſcherei und der Handel mit Seefiſchen, wie er zur Zeit<lb/> noch in unſerem Vaterland betrieben wird, wahrhaft kindiſch, und gerade deshalb habe ich es für<lb/> meine Pflicht gehalten, auch an dieſer Stelle auf von uns noch zu hebende Schätze hinzuweiſen.</p><lb/> <p>Etwas, wenn auch herzlich wenig beſſer ſieht es mit der deutſchen Süßwaſſerfiſcherei aus,<lb/> namentlich in denjenigen Gegenden unſeres Vaterlandes, wo das katholiſche Bekenntniß vorherrſcht.<lb/> Große Fortſchritte hat man freilich auch noch nicht gemacht, eher noch Rückſchritte; denn allgemein<lb/> iſt die Klage, daß unſere Süßgewäſſer ärmer ſind an Fiſchen, als ſie es früher waren, und von Jahr<lb/> zu Jahr ärmer werden. Vielerlei Urſachen tragen hierzu bei. Jn Folge des ſteigenden Boden-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [464/0494]
Die Fiſche. Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.
einfachſte Beobachtung des Treibens irgend eines Sängers im Walde des Beſſeren belehren würde;
es läßt ſich erklären, weil nur die wenigſten Menſchen ſich die Mühe geben, zu beobachten oder zu
rechnen: daß man aber die Bedeutung der Fiſche in unſerem Vaterlande noch nicht erkannt, daß man
die unendlichen Schätze des Meeres nicht verlottert, ſondern noch gar nicht gehoben hat, daß man an
den deutſchen Küſten die Fiſcherei kaum vernünftiger betreibt als an dem Strande Neuſeelands —
Das iſt unbegreiflich, auch dann unbegreiflich, wenn man die vielköpfige Herrſchaft, unter welcher
wir gelitten, als Entſchuldigungsgrund anführen will. Denn nicht die Staatsgewalt iſt es, welche
Fiſchereien ins Leben ruft, regelt und ordnet, ſondern der Unternehmungsgeiſt der Einzelnen: in
allen Ländern, in denen die Fiſcherei blüht, thut der Staat Nichts weiter, als ſie zu ſchützen. Holland
dankte ſeine einſtige Größe dem Heringsfange; Norwegen gewinnt aus dem Fiſchfange in der See
zum Mindeſten ebenſoviele Speziesthaler, als es Einwohner zählt; den Werth der Fiſcherei an der
Bank von Neufundland ſchlägt man zu 15,000,000 Dollars an; von der Meerfiſcherei Groß-
britanniens erlangt man eine Vorſtellung, wenn man weiß, daß London allein verbraucht 500,000
Dorſche, 25,000,000 Makrelen, 100,000,000 Zungen, 85,000,000 Goldbutten, 200,000,000
Schellfiſche, die Unmaſſen aller übrigen, hier nicht namentlich aufgeführten, weil nicht regelmäßig
auf den Markt kommenden Fiſche nicht gerechnet. Die Heringsfiſcherei Schottlands und der Jnſel
Man beſchäftigte im Jahre 1862 9067 Boote und 43,468 Fiſcher, abgeſehen von 22,471 Menſchen,
welche zum Einſalzen, Verpacken ꝛc. verwendet wurden!
Die Briten haben gegenwärtig alle übrigen Völker überflügelt. Nicht nur ihre Fiſcherei iſt die
bedentendſte, ſondern auch die Anſtalten zur Verſorgung der Binnenſtädte ſind ſo vorzüglich, daß
man in ihnen viele Fiſche leichter zu kaufen bekommt, als in den unmittelbar am Strande gelegenen
Ortſchaften. Die hieraus ganz von ſelbſt ſich ergebenden Vortheile danken die Engländer ihrem weit-
ſichtigen Unternehmungsgeiſte, welcher jedes Hinderniß aus dem Wege zu räumen ſucht und zu
räumen weiß. Jch will es dahingeſtellt ſein laſſen, ob eine Nachricht, welche neuerlich durch die
Zeitungen lief, wahr iſt oder nicht, da ſchon das Vorhandenſein des betreffenden Gerüchtes genügt,
die Kurzſichtigkeit der Leiter unſerer deutſchen Verkehrsanſtalten zu kennzeichnen. Es hieß, daß
ſich norddeutſche Eiſenbahngeſellſchaften geweigert hätten, von unſeren Hafenſtädten aus friſche
Seefiſche anders als in waſſerdichten Kiſten zu befördern, aus Furcht, daß das von dem ſchmelzenden
Packeis abträufelnde Waſſer ihre Wagen verderben könnte. Ob die ängſtlichen Herren Eiſenbahn-
beamten ſich die Mühe gegeben haben, vor der Kundgabe dieſes geradezu ungeheuerlichen Erlaſſes ſich
mit der Beſtandkunde britiſcher Eiſenbahnen zu beſchäftigen, weiß ich nicht, darf aber wohl annehmen,
daß Dies nicht geſchehen ſein mag, da ſie ſonſt vielleicht auf den nicht allzufern liegenden Gedanken
gekommen ſein könnten: es möge ſich lohnen, für den Verſand von Seefiſchen beſondere Wagen
bauen zu laſſen. Der leichte und ſchnelle Verſand zu Waſſer, welcher längs der Küſten Groß-
britanniens ſtattfinden kann, nimmt den Eiſenbahnen einen bedeutenden Theil auch der Fiſchfracht
weg; demungeachtet wurden, laut Bertram, in einem Jahre befördert: auf der London- und
Brightonbahn 5174, auf der großen weſtlichen Linie 2885, auf der nordbritiſchen Bahn 8303, auf
der großen Nordbahn 11,930, auf der Nordoſtbahn 27,896, auf der ſüdöſtlichen Bahn 3218, auf
der großen Oſtbahn 29,086, zuſammen 88,492 Schiffstonnen oder 1,769,840 Centner Fiſche.
Solchen Angaben gegenüber erſcheint die Fiſcherei und der Handel mit Seefiſchen, wie er zur Zeit
noch in unſerem Vaterland betrieben wird, wahrhaft kindiſch, und gerade deshalb habe ich es für
meine Pflicht gehalten, auch an dieſer Stelle auf von uns noch zu hebende Schätze hinzuweiſen.
Etwas, wenn auch herzlich wenig beſſer ſieht es mit der deutſchen Süßwaſſerfiſcherei aus,
namentlich in denjenigen Gegenden unſeres Vaterlandes, wo das katholiſche Bekenntniß vorherrſcht.
Große Fortſchritte hat man freilich auch noch nicht gemacht, eher noch Rückſchritte; denn allgemein
iſt die Klage, daß unſere Süßgewäſſer ärmer ſind an Fiſchen, als ſie es früher waren, und von Jahr
zu Jahr ärmer werden. Vielerlei Urſachen tragen hierzu bei. Jn Folge des ſteigenden Boden-
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