gehen, von den Jaguars gefressen; die Jndianer nehmen viele Eier mit, um sie an der Sonne zu trocknen und zu essen, und zerbrechen bei der Ernte viele aus Fahrlässigkeit. Die Menge der Eier, welche bereits ausgeschlüpft, ehe der Mensch darüber kommt, ist so ungeheuer, daß ich beim Lagerplatze von Uruana das ganze Ufer des Orinoko von jungen, zollbreiten Schildkröten wimmeln sah, die mit Noth den Kindern der Jndianer, welche Jagd auf sie machten, entkamen. Nimmt man noch hinzu, daß nicht alle Arraus zu den drei Lagerplätzen kommen, daß viele zwischen der Mündung des Orinoko und dem Einflusse des Apure einzeln und ein paar Wochen später legen, so kommt man nothwendig zu dem Schlusse, daß sich die Anzahl der Schildkröten, welche alljährlich an den Ufern des unteren Orinoko ihre Eier legen, nahezu auf eine Million beläuft. Dies ist ausnehmend viel für ein Thier von beträchtlicher Größe, welches einen halben Centner schwer wird, und unter dessen Geschlecht der Mensch so furchtbar aufräumt; denn im allgemeinen pflanzt die Natur in der Thierwelt die größeren Arten in geringerer Anzahl fort als die kleinen.
"Die jungen Schildkröten zerbrechen die Eischale bei Tage; man sieht sie aber nur bei Nacht aus dem Boden schlüpfen. Nach Behauptung der Jndianer scheuen sie die Sonnenhitze. Die Farbigen wollten uns auch zeigen, wie das Schildkrötchen, wenn man es in einem Sacke weit vom Ufer trägt und so an den Boden setzt, daß es dem Flusse den Rücken kehrt, alsbald den kürzesten Weg zum Flusse einschlage. Jch gestehe, daß dieser Versuch, von dem schon Pater Gumilla spricht, nicht immer gleich gut gelingt; gewöhnlich aber schien es mir wirklich, als ob die kleinen Thiere, auch wenn sie sehr weit vom Ufer, selbst auf einer Jnsel sich befänden, spüren konnten, woher die feuchteste Luft wehete. Bedenkt man, wie weit sich die Eierschicht fast ohne Unterbrechung am Ufer hin erstreckt, und wie viele tausend kleiner Schildkröten gleich nach dem Ausschlüpfen dem Wasser zugehen, so läßt sich nicht wohl annehmen, daß so viele dieser Thiere, welche an demselben Orte ihre Nester graben, ihre Jungen herausfinden und letztere, wie die Krokodile thun, in die Lachen am Orinoko führen können. Soviel ist gewiß, daß die Schildkröte ihre ersten Lebensjahre in den seichtesten Lachen zubringt und erst, wenn sie erwachsen ist, in das große Flußbett geht. Wie finden die Jungen nun diese Lachen? Werden sie von den weiblichen Schildkröten hingeführt, die sich ihrer annehmen, wie sie ihnen aufstoßen? Die Arrau-Schildkröte erkennt sicher, sogut wie das Krokodil, den Ort wieder, wo sie ihr Nest gemacht; da sie aber nicht wagt, wieder zum Ufer zu kommen, wenn die Jndianer ihr Lager aufgeschlagen haben, wie könnte sie ihre Jungen von fremden unterscheiden? Andererseits wollen die Otomaken beim Hochwasser weibliche Schildkröten gesehen haben, welche eine ziemliche Anzahl junger Schildkröten hinter sich, solche, welche allein an einem einsamen Ufer gelegt hatten und zu diesem wieder zurückkommen konnten. Männliche Thiere sind jetzt unter den Schild- kröten sehr selten: unter mehreren Hunderten trifft man kaum eines. Der Grund dieser Erscheinung kann aber nicht derselbe sein wie bei den Krokodilen, welche in der Brunst einander blutige Gefechte liefern.
"Das Erntegeschäft und die Zubereitung des Oeles währen drei Wochen, und nur um diese Zeit stehen die Missionen mit der Küste und den benachbarten gesitteten Ländern in Verkehr. Die Franziskaner, welche südlich von den Fällen leben, kommen zur Eierernte weniger, um sich Oel zu verschaffen, als um weiße Gesichter zu sehen. Die Oelhändler haben sechzig bis siebzig vom Hundert Gewinn; denn die Jndianer verkaufen den Krug für einen harten Piaster an sie, und die Versandkosten betragen nur zwei Fünftel Piaster für den Krug. Alle Jndianer, welche an der Eierernte theilnehmen, bringen auch ganze Massen an der Sonne getrocknete oder leicht gesottene Eier mit nach Hause. Unsere Ruderer hatten deren stets in ihren Körben oder kleinen Säcken von Baumwollenzeug. Der Geschmack kam uns nicht unangenehm vor, solange sie noch gut erhalten waren.
"Man zeigte uns große, von Jaguaren geleerte Schildkrötenpanzer. Die "Tiger" gehen den Arraus auf den Uferstrichen nach, wo sie legen wollen, überfallen sie dabei und wälzen sie, um sie gemächlich verzehren zu können, auf den Rückenpanzer. Aus dieser Lage können die Schildkröten sich
3 *
Allgemeines.
gehen, von den Jaguars gefreſſen; die Jndianer nehmen viele Eier mit, um ſie an der Sonne zu trocknen und zu eſſen, und zerbrechen bei der Ernte viele aus Fahrläſſigkeit. Die Menge der Eier, welche bereits ausgeſchlüpft, ehe der Menſch darüber kommt, iſt ſo ungeheuer, daß ich beim Lagerplatze von Uruana das ganze Ufer des Orinoko von jungen, zollbreiten Schildkröten wimmeln ſah, die mit Noth den Kindern der Jndianer, welche Jagd auf ſie machten, entkamen. Nimmt man noch hinzu, daß nicht alle Arráus zu den drei Lagerplätzen kommen, daß viele zwiſchen der Mündung des Orinoko und dem Einfluſſe des Apure einzeln und ein paar Wochen ſpäter legen, ſo kommt man nothwendig zu dem Schluſſe, daß ſich die Anzahl der Schildkröten, welche alljährlich an den Ufern des unteren Orinoko ihre Eier legen, nahezu auf eine Million beläuft. Dies iſt ausnehmend viel für ein Thier von beträchtlicher Größe, welches einen halben Centner ſchwer wird, und unter deſſen Geſchlecht der Menſch ſo furchtbar aufräumt; denn im allgemeinen pflanzt die Natur in der Thierwelt die größeren Arten in geringerer Anzahl fort als die kleinen.
„Die jungen Schildkröten zerbrechen die Eiſchale bei Tage; man ſieht ſie aber nur bei Nacht aus dem Boden ſchlüpfen. Nach Behauptung der Jndianer ſcheuen ſie die Sonnenhitze. Die Farbigen wollten uns auch zeigen, wie das Schildkrötchen, wenn man es in einem Sacke weit vom Ufer trägt und ſo an den Boden ſetzt, daß es dem Fluſſe den Rücken kehrt, alsbald den kürzeſten Weg zum Fluſſe einſchlage. Jch geſtehe, daß dieſer Verſuch, von dem ſchon Pater Gumilla ſpricht, nicht immer gleich gut gelingt; gewöhnlich aber ſchien es mir wirklich, als ob die kleinen Thiere, auch wenn ſie ſehr weit vom Ufer, ſelbſt auf einer Jnſel ſich befänden, ſpüren konnten, woher die feuchteſte Luft wehete. Bedenkt man, wie weit ſich die Eierſchicht faſt ohne Unterbrechung am Ufer hin erſtreckt, und wie viele tauſend kleiner Schildkröten gleich nach dem Ausſchlüpfen dem Waſſer zugehen, ſo läßt ſich nicht wohl annehmen, daß ſo viele dieſer Thiere, welche an demſelben Orte ihre Neſter graben, ihre Jungen herausfinden und letztere, wie die Krokodile thun, in die Lachen am Orinoko führen können. Soviel iſt gewiß, daß die Schildkröte ihre erſten Lebensjahre in den ſeichteſten Lachen zubringt und erſt, wenn ſie erwachſen iſt, in das große Flußbett geht. Wie finden die Jungen nun dieſe Lachen? Werden ſie von den weiblichen Schildkröten hingeführt, die ſich ihrer annehmen, wie ſie ihnen aufſtoßen? Die Arráu-Schildkröte erkennt ſicher, ſogut wie das Krokodil, den Ort wieder, wo ſie ihr Neſt gemacht; da ſie aber nicht wagt, wieder zum Ufer zu kommen, wenn die Jndianer ihr Lager aufgeſchlagen haben, wie könnte ſie ihre Jungen von fremden unterſcheiden? Andererſeits wollen die Otomaken beim Hochwaſſer weibliche Schildkröten geſehen haben, welche eine ziemliche Anzahl junger Schildkröten hinter ſich, ſolche, welche allein an einem einſamen Ufer gelegt hatten und zu dieſem wieder zurückkommen konnten. Männliche Thiere ſind jetzt unter den Schild- kröten ſehr ſelten: unter mehreren Hunderten trifft man kaum eines. Der Grund dieſer Erſcheinung kann aber nicht derſelbe ſein wie bei den Krokodilen, welche in der Brunſt einander blutige Gefechte liefern.
„Das Erntegeſchäft und die Zubereitung des Oeles währen drei Wochen, und nur um dieſe Zeit ſtehen die Miſſionen mit der Küſte und den benachbarten geſitteten Ländern in Verkehr. Die Franziskaner, welche ſüdlich von den Fällen leben, kommen zur Eierernte weniger, um ſich Oel zu verſchaffen, als um weiße Geſichter zu ſehen. Die Oelhändler haben ſechzig bis ſiebzig vom Hundert Gewinn; denn die Jndianer verkaufen den Krug für einen harten Piaſter an ſie, und die Verſandkoſten betragen nur zwei Fünftel Piaſter für den Krug. Alle Jndianer, welche an der Eierernte theilnehmen, bringen auch ganze Maſſen an der Sonne getrocknete oder leicht geſottene Eier mit nach Hauſe. Unſere Ruderer hatten deren ſtets in ihren Körben oder kleinen Säcken von Baumwollenzeug. Der Geſchmack kam uns nicht unangenehm vor, ſolange ſie noch gut erhalten waren.
„Man zeigte uns große, von Jaguaren geleerte Schildkrötenpanzer. Die „Tiger“ gehen den Arráus auf den Uferſtrichen nach, wo ſie legen wollen, überfallen ſie dabei und wälzen ſie, um ſie gemächlich verzehren zu können, auf den Rückenpanzer. Aus dieſer Lage können die Schildkröten ſich
3 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0047"n="35"/><fwplace="top"type="header">Allgemeines.</fw><lb/>
gehen, von den Jaguars gefreſſen; die Jndianer nehmen viele Eier mit, um ſie an der Sonne zu<lb/>
trocknen und zu eſſen, und zerbrechen bei der Ernte viele aus Fahrläſſigkeit. Die Menge der Eier,<lb/>
welche bereits ausgeſchlüpft, ehe der Menſch darüber kommt, iſt ſo ungeheuer, daß ich beim Lagerplatze<lb/>
von Uruana das ganze Ufer des Orinoko von jungen, zollbreiten Schildkröten wimmeln ſah, die mit<lb/>
Noth den Kindern der Jndianer, welche Jagd auf ſie machten, entkamen. Nimmt man noch hinzu,<lb/>
daß nicht alle Arr<hirendition="#aq">á</hi>us zu den drei Lagerplätzen kommen, daß viele zwiſchen der Mündung des Orinoko<lb/>
und dem Einfluſſe des Apure einzeln und ein paar Wochen ſpäter legen, ſo kommt man nothwendig<lb/>
zu dem Schluſſe, daß ſich die Anzahl der Schildkröten, welche alljährlich an den Ufern des unteren<lb/>
Orinoko ihre Eier legen, nahezu auf eine Million beläuft. Dies iſt ausnehmend viel für ein Thier<lb/>
von beträchtlicher Größe, welches einen halben Centner ſchwer wird, und unter deſſen Geſchlecht der<lb/>
Menſch ſo furchtbar aufräumt; denn im allgemeinen pflanzt die Natur in der Thierwelt die größeren<lb/>
Arten in geringerer Anzahl fort als die kleinen.</p><lb/><p>„Die jungen Schildkröten zerbrechen die Eiſchale bei Tage; man ſieht ſie aber nur bei Nacht<lb/>
aus dem Boden ſchlüpfen. Nach Behauptung der Jndianer ſcheuen ſie die Sonnenhitze. Die<lb/>
Farbigen wollten uns auch zeigen, wie das Schildkrötchen, wenn man es in einem Sacke weit vom<lb/>
Ufer trägt und ſo an den Boden ſetzt, daß es dem Fluſſe den Rücken kehrt, alsbald den kürzeſten<lb/>
Weg zum Fluſſe einſchlage. Jch geſtehe, daß dieſer Verſuch, von dem ſchon Pater Gumilla ſpricht,<lb/>
nicht immer gleich gut gelingt; gewöhnlich aber ſchien es mir wirklich, als ob die kleinen Thiere, auch<lb/>
wenn ſie ſehr weit vom Ufer, ſelbſt auf einer Jnſel ſich befänden, ſpüren konnten, woher die feuchteſte<lb/>
Luft wehete. Bedenkt man, wie weit ſich die Eierſchicht faſt ohne Unterbrechung am Ufer hin erſtreckt,<lb/>
und wie viele tauſend kleiner Schildkröten gleich nach dem Ausſchlüpfen dem Waſſer zugehen, ſo läßt<lb/>ſich nicht wohl annehmen, daß ſo viele dieſer Thiere, welche an demſelben Orte ihre Neſter graben,<lb/>
ihre Jungen herausfinden und letztere, wie die Krokodile thun, in die Lachen am Orinoko führen<lb/>
können. Soviel iſt gewiß, daß die Schildkröte ihre erſten Lebensjahre in den ſeichteſten Lachen<lb/>
zubringt und erſt, wenn ſie erwachſen iſt, in das große Flußbett geht. Wie finden die Jungen nun<lb/>
dieſe Lachen? Werden ſie von den weiblichen Schildkröten hingeführt, die ſich ihrer annehmen, wie<lb/>ſie ihnen aufſtoßen? Die Arr<hirendition="#aq">á</hi>u-Schildkröte erkennt ſicher, ſogut wie das Krokodil, den Ort wieder,<lb/>
wo ſie ihr Neſt gemacht; da ſie aber nicht wagt, wieder zum Ufer zu kommen, wenn die Jndianer ihr<lb/>
Lager aufgeſchlagen haben, wie könnte ſie ihre Jungen von fremden unterſcheiden? Andererſeits<lb/>
wollen die Otomaken beim Hochwaſſer weibliche Schildkröten geſehen haben, welche eine ziemliche<lb/>
Anzahl junger Schildkröten hinter ſich, ſolche, welche allein an einem einſamen Ufer gelegt hatten<lb/>
und zu dieſem wieder zurückkommen konnten. Männliche Thiere ſind jetzt unter den Schild-<lb/>
kröten ſehr ſelten: unter mehreren Hunderten trifft man kaum eines. Der Grund dieſer Erſcheinung<lb/>
kann aber nicht derſelbe ſein wie bei den Krokodilen, welche in der Brunſt einander blutige<lb/>
Gefechte liefern.</p><lb/><p>„Das Erntegeſchäft und die Zubereitung des Oeles währen drei Wochen, und nur um dieſe<lb/>
Zeit ſtehen die Miſſionen mit der Küſte und den benachbarten geſitteten Ländern in Verkehr. Die<lb/>
Franziskaner, welche ſüdlich von den Fällen leben, kommen zur Eierernte weniger, um ſich Oel<lb/>
zu verſchaffen, als um weiße Geſichter zu ſehen. Die Oelhändler haben ſechzig bis ſiebzig vom<lb/>
Hundert Gewinn; denn die Jndianer verkaufen den Krug für einen harten Piaſter an ſie, und die<lb/>
Verſandkoſten betragen nur zwei Fünftel Piaſter für den Krug. Alle Jndianer, welche an der<lb/>
Eierernte theilnehmen, bringen auch ganze Maſſen an der Sonne getrocknete oder leicht geſottene<lb/>
Eier mit nach Hauſe. Unſere Ruderer hatten deren ſtets in ihren Körben oder kleinen Säcken von<lb/>
Baumwollenzeug. Der Geſchmack kam uns nicht unangenehm vor, ſolange ſie noch gut erhalten<lb/>
waren.</p><lb/><p>„Man zeigte uns große, von Jaguaren geleerte Schildkrötenpanzer. Die „Tiger“ gehen den<lb/>
Arr<hirendition="#aq">á</hi>us auf den Uferſtrichen nach, wo ſie legen wollen, überfallen ſie dabei und wälzen ſie, um ſie<lb/>
gemächlich verzehren zu können, auf den Rückenpanzer. Aus dieſer Lage können die Schildkröten ſich<lb/><fwplace="bottom"type="sig">3 *</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[35/0047]
Allgemeines.
gehen, von den Jaguars gefreſſen; die Jndianer nehmen viele Eier mit, um ſie an der Sonne zu
trocknen und zu eſſen, und zerbrechen bei der Ernte viele aus Fahrläſſigkeit. Die Menge der Eier,
welche bereits ausgeſchlüpft, ehe der Menſch darüber kommt, iſt ſo ungeheuer, daß ich beim Lagerplatze
von Uruana das ganze Ufer des Orinoko von jungen, zollbreiten Schildkröten wimmeln ſah, die mit
Noth den Kindern der Jndianer, welche Jagd auf ſie machten, entkamen. Nimmt man noch hinzu,
daß nicht alle Arráus zu den drei Lagerplätzen kommen, daß viele zwiſchen der Mündung des Orinoko
und dem Einfluſſe des Apure einzeln und ein paar Wochen ſpäter legen, ſo kommt man nothwendig
zu dem Schluſſe, daß ſich die Anzahl der Schildkröten, welche alljährlich an den Ufern des unteren
Orinoko ihre Eier legen, nahezu auf eine Million beläuft. Dies iſt ausnehmend viel für ein Thier
von beträchtlicher Größe, welches einen halben Centner ſchwer wird, und unter deſſen Geſchlecht der
Menſch ſo furchtbar aufräumt; denn im allgemeinen pflanzt die Natur in der Thierwelt die größeren
Arten in geringerer Anzahl fort als die kleinen.
„Die jungen Schildkröten zerbrechen die Eiſchale bei Tage; man ſieht ſie aber nur bei Nacht
aus dem Boden ſchlüpfen. Nach Behauptung der Jndianer ſcheuen ſie die Sonnenhitze. Die
Farbigen wollten uns auch zeigen, wie das Schildkrötchen, wenn man es in einem Sacke weit vom
Ufer trägt und ſo an den Boden ſetzt, daß es dem Fluſſe den Rücken kehrt, alsbald den kürzeſten
Weg zum Fluſſe einſchlage. Jch geſtehe, daß dieſer Verſuch, von dem ſchon Pater Gumilla ſpricht,
nicht immer gleich gut gelingt; gewöhnlich aber ſchien es mir wirklich, als ob die kleinen Thiere, auch
wenn ſie ſehr weit vom Ufer, ſelbſt auf einer Jnſel ſich befänden, ſpüren konnten, woher die feuchteſte
Luft wehete. Bedenkt man, wie weit ſich die Eierſchicht faſt ohne Unterbrechung am Ufer hin erſtreckt,
und wie viele tauſend kleiner Schildkröten gleich nach dem Ausſchlüpfen dem Waſſer zugehen, ſo läßt
ſich nicht wohl annehmen, daß ſo viele dieſer Thiere, welche an demſelben Orte ihre Neſter graben,
ihre Jungen herausfinden und letztere, wie die Krokodile thun, in die Lachen am Orinoko führen
können. Soviel iſt gewiß, daß die Schildkröte ihre erſten Lebensjahre in den ſeichteſten Lachen
zubringt und erſt, wenn ſie erwachſen iſt, in das große Flußbett geht. Wie finden die Jungen nun
dieſe Lachen? Werden ſie von den weiblichen Schildkröten hingeführt, die ſich ihrer annehmen, wie
ſie ihnen aufſtoßen? Die Arráu-Schildkröte erkennt ſicher, ſogut wie das Krokodil, den Ort wieder,
wo ſie ihr Neſt gemacht; da ſie aber nicht wagt, wieder zum Ufer zu kommen, wenn die Jndianer ihr
Lager aufgeſchlagen haben, wie könnte ſie ihre Jungen von fremden unterſcheiden? Andererſeits
wollen die Otomaken beim Hochwaſſer weibliche Schildkröten geſehen haben, welche eine ziemliche
Anzahl junger Schildkröten hinter ſich, ſolche, welche allein an einem einſamen Ufer gelegt hatten
und zu dieſem wieder zurückkommen konnten. Männliche Thiere ſind jetzt unter den Schild-
kröten ſehr ſelten: unter mehreren Hunderten trifft man kaum eines. Der Grund dieſer Erſcheinung
kann aber nicht derſelbe ſein wie bei den Krokodilen, welche in der Brunſt einander blutige
Gefechte liefern.
„Das Erntegeſchäft und die Zubereitung des Oeles währen drei Wochen, und nur um dieſe
Zeit ſtehen die Miſſionen mit der Küſte und den benachbarten geſitteten Ländern in Verkehr. Die
Franziskaner, welche ſüdlich von den Fällen leben, kommen zur Eierernte weniger, um ſich Oel
zu verſchaffen, als um weiße Geſichter zu ſehen. Die Oelhändler haben ſechzig bis ſiebzig vom
Hundert Gewinn; denn die Jndianer verkaufen den Krug für einen harten Piaſter an ſie, und die
Verſandkoſten betragen nur zwei Fünftel Piaſter für den Krug. Alle Jndianer, welche an der
Eierernte theilnehmen, bringen auch ganze Maſſen an der Sonne getrocknete oder leicht geſottene
Eier mit nach Hauſe. Unſere Ruderer hatten deren ſtets in ihren Körben oder kleinen Säcken von
Baumwollenzeug. Der Geſchmack kam uns nicht unangenehm vor, ſolange ſie noch gut erhalten
waren.
„Man zeigte uns große, von Jaguaren geleerte Schildkrötenpanzer. Die „Tiger“ gehen den
Arráus auf den Uferſtrichen nach, wo ſie legen wollen, überfallen ſie dabei und wälzen ſie, um ſie
gemächlich verzehren zu können, auf den Rückenpanzer. Aus dieſer Lage können die Schildkröten ſich
3 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/47>, abgerufen am 20.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.