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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schlangen. Seeschlangen. Wasserschlangen.
sie nicht im Stande sind, in süßen Gewässern zu leben. Russell und Cantor erfuhren, daß alle
Seeschlangen, welche lebend in ihren Besitz kamen, zwei oder drei Tage nach ihrer Gefangennahme
verendeten, selbst wenn man sie im Salzwasser hielt; und auch andere Beobachtungen beweisen, daß
unsere Schlangen in demselben Sinne Meerthiere sind, wie Wale oder Weltmeervögel, daß sie
außerhalb des Meeres nicht bestehen können.

Ueber die Lebensweise sind wir, wie leicht erklärlich, noch keineswegs genügend unterrichtet.
Abweichend von den Ordnungsverwandten sieht man die Seeschlangen gewöhnlich in sehr großer
Anzahl beisammen, zuweilen in Gesellschaften, welche auf eine Strecke hin das Wasser förmlich
erfüllen mit ihrer Menge. Sie schwimmen hier mit hochgehaltenen Köpfen, unter ähnlichen
Bewegungen wie andere Schlangen auch. Bei ruhigem Wetter liegen sie anscheinend schlafend an
der Oberfläche, sind nicht gerade scheu, geben sich aber doch auch nicht sorgloser Ruhe hin. Zuweilen
stört sie ein zwischen ihnen dahinsegelndes Schiff kaum in ihrem Treiben, ein anderes Mal macht sie
das geringste, ihnen verdächtig erscheinende Geräusch, das Herannahen eines Bootes rege und
lebendig: sie entleeren ihre Lungen, tauchen in die Tiefe hinab, und eine Reihe von aufsteigenden
Luftperlen ist Alles, was von ihrem Vorhandensein noch Kunde gibt. Auf dem Lande oder am Borde
des Schiffes vergeblich sich mühend, nur wenige Fuß zu durchmessen, durchschneiden sie außer-
ordentlich rasch die Wellen, tauchen auch, wie man aus der in ihrem Magen vorgefundenen Beute
schließen darf, bis in beträchtliche Tiefen hinab. Obgleich der Bau ihrer Lungen sich wenig oder nicht
von dem anderer Schlangen unterscheidet, sind sie doch im Stande, weit länger als die landbewohnenden
Ordnungsverwandten unter Wasser zu verweilen, hier auch wohl längere Zeit der Ruhe zu pflegen.
Als man beabsichtigte, auf den Bassesfelsen, den Ueberresten der von der See verschlungenen Giri-
inseln, einen Leuchtthurm zu gründen, bemerkte man bei der ersten Landung unter den Hunderten
und Tausenden von Fischen, welche die zahlreichen Höhlen dieser Felsen belebten, eine Menge
von Seeschlangen, darunter einzelne von 4 bis 5 Fuß Länge, welche hier zusammengeringelt lagen,
der Ruhe pflegten und die Störung so übel nahmen, daß sie wüthend nach den Stangen bissen, mit
denen man die Löcher untersuchte. Die Singalesen, welche den europäischen Baumeistern zur
Führung dienten, versicherten, daß besagte Kriechthiere nicht allein tödtlich vergifteten, sondern ihren
Gegner auch durch Umschlingung zu schädigen suchten. Ueberhaupt stimmen die neueren Beobachter
in dem Einen überein, daß diese Schlangen keineswegs träge oder gutmüthige, sondern im Gegen-
theile höchst behende, jähzornige und wüthende Geschöpfe sind, welche in ihrem Elemente, genau
ebenso wie die Giftschlangen auf dem Lande, ingrimmig nach jedem vermeintlichen oder wirklichen
Gegner beißen. Die Furcht, welche alle eingeborenen Fischer vor den Seeschlangen an den
Tag legen, ist also wohl begründet; denn der Biß derselben kommt in seiner Wirkung mit dem
anderer Furchenzähner vollständig überein. Hiervon haben sich die indischen Forscher, namentlich
Russell und Cantor durch angestellte Versuche genügend überzeugt, und wenn Siebold beobachtete,
daß Matrosen gefangene Seeschlangen durch die Hand zogen, ohne gebissen zu werden, so wissen wir
andererseits auch, daß englische Seefahrer das Gegentheil erfahren und in Folge des Bisses ihr Leben
lassen mußten. Cantor ließ durch eine 4 Fuß lange Wasserschlange einen Vogel beißen, welcher
unmittelbar darauf sich gelähmt zeigte und nach vier Minuten unter Zuckungen verendete; ein zweiter
von derselben Schlange gebissener starb im Verlaufe von zehn Minuten, ein dritter, welcher durch
eine verwandte Wasserschlange vergiftet worden war, innerhalb sieben Minuten u. s. f. Besonders
beachtungswerth sind die Versuche, welche derselbe Forscher an Kriechthieren und Fischen anstellte.
Eine Weichschildkröte (Trionyx gangeticus) wurde von einer Wasserschlange (Hydrophis schistosus)
in das Maul gebissen; fünf Minuten darauf begann sie die gebissene Stelle mit dem einen Fuße zu
kratzen und fuhr damit eine Zeitlang fort; sechzehn Minuten später aber konnte sie es nicht mehr,
weil ihre Glieder gelähmt und unbeweglich waren; nach Verlauf von ferneren vierzehn Minuten war
sie todt. Abgesehen von der unbedeutenden Veränderung, welche der gebissene Theil erlitten hatte,
bemerkte man nichts Ungewöhnliches an der Leiche des Thieres. Eine zweite Schildkröte derselben

Die Schlangen. Seeſchlangen. Waſſerſchlangen.
ſie nicht im Stande ſind, in ſüßen Gewäſſern zu leben. Ruſſell und Cantor erfuhren, daß alle
Seeſchlangen, welche lebend in ihren Beſitz kamen, zwei oder drei Tage nach ihrer Gefangennahme
verendeten, ſelbſt wenn man ſie im Salzwaſſer hielt; und auch andere Beobachtungen beweiſen, daß
unſere Schlangen in demſelben Sinne Meerthiere ſind, wie Wale oder Weltmeervögel, daß ſie
außerhalb des Meeres nicht beſtehen können.

Ueber die Lebensweiſe ſind wir, wie leicht erklärlich, noch keineswegs genügend unterrichtet.
Abweichend von den Ordnungsverwandten ſieht man die Seeſchlangen gewöhnlich in ſehr großer
Anzahl beiſammen, zuweilen in Geſellſchaften, welche auf eine Strecke hin das Waſſer förmlich
erfüllen mit ihrer Menge. Sie ſchwimmen hier mit hochgehaltenen Köpfen, unter ähnlichen
Bewegungen wie andere Schlangen auch. Bei ruhigem Wetter liegen ſie anſcheinend ſchlafend an
der Oberfläche, ſind nicht gerade ſcheu, geben ſich aber doch auch nicht ſorgloſer Ruhe hin. Zuweilen
ſtört ſie ein zwiſchen ihnen dahinſegelndes Schiff kaum in ihrem Treiben, ein anderes Mal macht ſie
das geringſte, ihnen verdächtig erſcheinende Geräuſch, das Herannahen eines Bootes rege und
lebendig: ſie entleeren ihre Lungen, tauchen in die Tiefe hinab, und eine Reihe von aufſteigenden
Luftperlen iſt Alles, was von ihrem Vorhandenſein noch Kunde gibt. Auf dem Lande oder am Borde
des Schiffes vergeblich ſich mühend, nur wenige Fuß zu durchmeſſen, durchſchneiden ſie außer-
ordentlich raſch die Wellen, tauchen auch, wie man aus der in ihrem Magen vorgefundenen Beute
ſchließen darf, bis in beträchtliche Tiefen hinab. Obgleich der Bau ihrer Lungen ſich wenig oder nicht
von dem anderer Schlangen unterſcheidet, ſind ſie doch im Stande, weit länger als die landbewohnenden
Ordnungsverwandten unter Waſſer zu verweilen, hier auch wohl längere Zeit der Ruhe zu pflegen.
Als man beabſichtigte, auf den Baſſesfelſen, den Ueberreſten der von der See verſchlungenen Giri-
inſeln, einen Leuchtthurm zu gründen, bemerkte man bei der erſten Landung unter den Hunderten
und Tauſenden von Fiſchen, welche die zahlreichen Höhlen dieſer Felſen belebten, eine Menge
von Seeſchlangen, darunter einzelne von 4 bis 5 Fuß Länge, welche hier zuſammengeringelt lagen,
der Ruhe pflegten und die Störung ſo übel nahmen, daß ſie wüthend nach den Stangen biſſen, mit
denen man die Löcher unterſuchte. Die Singaleſen, welche den europäiſchen Baumeiſtern zur
Führung dienten, verſicherten, daß beſagte Kriechthiere nicht allein tödtlich vergifteten, ſondern ihren
Gegner auch durch Umſchlingung zu ſchädigen ſuchten. Ueberhaupt ſtimmen die neueren Beobachter
in dem Einen überein, daß dieſe Schlangen keineswegs träge oder gutmüthige, ſondern im Gegen-
theile höchſt behende, jähzornige und wüthende Geſchöpfe ſind, welche in ihrem Elemente, genau
ebenſo wie die Giftſchlangen auf dem Lande, ingrimmig nach jedem vermeintlichen oder wirklichen
Gegner beißen. Die Furcht, welche alle eingeborenen Fiſcher vor den Seeſchlangen an den
Tag legen, iſt alſo wohl begründet; denn der Biß derſelben kommt in ſeiner Wirkung mit dem
anderer Furchenzähner vollſtändig überein. Hiervon haben ſich die indiſchen Forſcher, namentlich
Ruſſell und Cantor durch angeſtellte Verſuche genügend überzeugt, und wenn Siebold beobachtete,
daß Matroſen gefangene Seeſchlangen durch die Hand zogen, ohne gebiſſen zu werden, ſo wiſſen wir
andererſeits auch, daß engliſche Seefahrer das Gegentheil erfahren und in Folge des Biſſes ihr Leben
laſſen mußten. Cantor ließ durch eine 4 Fuß lange Waſſerſchlange einen Vogel beißen, welcher
unmittelbar darauf ſich gelähmt zeigte und nach vier Minuten unter Zuckungen verendete; ein zweiter
von derſelben Schlange gebiſſener ſtarb im Verlaufe von zehn Minuten, ein dritter, welcher durch
eine verwandte Waſſerſchlange vergiftet worden war, innerhalb ſieben Minuten u. ſ. f. Beſonders
beachtungswerth ſind die Verſuche, welche derſelbe Forſcher an Kriechthieren und Fiſchen anſtellte.
Eine Weichſchildkröte (Trionyx gangeticus) wurde von einer Waſſerſchlange (Hydrophis schistosus)
in das Maul gebiſſen; fünf Minuten darauf begann ſie die gebiſſene Stelle mit dem einen Fuße zu
kratzen und fuhr damit eine Zeitlang fort; ſechzehn Minuten ſpäter aber konnte ſie es nicht mehr,
weil ihre Glieder gelähmt und unbeweglich waren; nach Verlauf von ferneren vierzehn Minuten war
ſie todt. Abgeſehen von der unbedeutenden Veränderung, welche der gebiſſene Theil erlitten hatte,
bemerkte man nichts Ungewöhnliches an der Leiche des Thieres. Eine zweite Schildkröte derſelben

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[286/0310] Die Schlangen. Seeſchlangen. Waſſerſchlangen. ſie nicht im Stande ſind, in ſüßen Gewäſſern zu leben. Ruſſell und Cantor erfuhren, daß alle Seeſchlangen, welche lebend in ihren Beſitz kamen, zwei oder drei Tage nach ihrer Gefangennahme verendeten, ſelbſt wenn man ſie im Salzwaſſer hielt; und auch andere Beobachtungen beweiſen, daß unſere Schlangen in demſelben Sinne Meerthiere ſind, wie Wale oder Weltmeervögel, daß ſie außerhalb des Meeres nicht beſtehen können. Ueber die Lebensweiſe ſind wir, wie leicht erklärlich, noch keineswegs genügend unterrichtet. Abweichend von den Ordnungsverwandten ſieht man die Seeſchlangen gewöhnlich in ſehr großer Anzahl beiſammen, zuweilen in Geſellſchaften, welche auf eine Strecke hin das Waſſer förmlich erfüllen mit ihrer Menge. Sie ſchwimmen hier mit hochgehaltenen Köpfen, unter ähnlichen Bewegungen wie andere Schlangen auch. Bei ruhigem Wetter liegen ſie anſcheinend ſchlafend an der Oberfläche, ſind nicht gerade ſcheu, geben ſich aber doch auch nicht ſorgloſer Ruhe hin. Zuweilen ſtört ſie ein zwiſchen ihnen dahinſegelndes Schiff kaum in ihrem Treiben, ein anderes Mal macht ſie das geringſte, ihnen verdächtig erſcheinende Geräuſch, das Herannahen eines Bootes rege und lebendig: ſie entleeren ihre Lungen, tauchen in die Tiefe hinab, und eine Reihe von aufſteigenden Luftperlen iſt Alles, was von ihrem Vorhandenſein noch Kunde gibt. Auf dem Lande oder am Borde des Schiffes vergeblich ſich mühend, nur wenige Fuß zu durchmeſſen, durchſchneiden ſie außer- ordentlich raſch die Wellen, tauchen auch, wie man aus der in ihrem Magen vorgefundenen Beute ſchließen darf, bis in beträchtliche Tiefen hinab. Obgleich der Bau ihrer Lungen ſich wenig oder nicht von dem anderer Schlangen unterſcheidet, ſind ſie doch im Stande, weit länger als die landbewohnenden Ordnungsverwandten unter Waſſer zu verweilen, hier auch wohl längere Zeit der Ruhe zu pflegen. Als man beabſichtigte, auf den Baſſesfelſen, den Ueberreſten der von der See verſchlungenen Giri- inſeln, einen Leuchtthurm zu gründen, bemerkte man bei der erſten Landung unter den Hunderten und Tauſenden von Fiſchen, welche die zahlreichen Höhlen dieſer Felſen belebten, eine Menge von Seeſchlangen, darunter einzelne von 4 bis 5 Fuß Länge, welche hier zuſammengeringelt lagen, der Ruhe pflegten und die Störung ſo übel nahmen, daß ſie wüthend nach den Stangen biſſen, mit denen man die Löcher unterſuchte. Die Singaleſen, welche den europäiſchen Baumeiſtern zur Führung dienten, verſicherten, daß beſagte Kriechthiere nicht allein tödtlich vergifteten, ſondern ihren Gegner auch durch Umſchlingung zu ſchädigen ſuchten. Ueberhaupt ſtimmen die neueren Beobachter in dem Einen überein, daß dieſe Schlangen keineswegs träge oder gutmüthige, ſondern im Gegen- theile höchſt behende, jähzornige und wüthende Geſchöpfe ſind, welche in ihrem Elemente, genau ebenſo wie die Giftſchlangen auf dem Lande, ingrimmig nach jedem vermeintlichen oder wirklichen Gegner beißen. Die Furcht, welche alle eingeborenen Fiſcher vor den Seeſchlangen an den Tag legen, iſt alſo wohl begründet; denn der Biß derſelben kommt in ſeiner Wirkung mit dem anderer Furchenzähner vollſtändig überein. Hiervon haben ſich die indiſchen Forſcher, namentlich Ruſſell und Cantor durch angeſtellte Verſuche genügend überzeugt, und wenn Siebold beobachtete, daß Matroſen gefangene Seeſchlangen durch die Hand zogen, ohne gebiſſen zu werden, ſo wiſſen wir andererſeits auch, daß engliſche Seefahrer das Gegentheil erfahren und in Folge des Biſſes ihr Leben laſſen mußten. Cantor ließ durch eine 4 Fuß lange Waſſerſchlange einen Vogel beißen, welcher unmittelbar darauf ſich gelähmt zeigte und nach vier Minuten unter Zuckungen verendete; ein zweiter von derſelben Schlange gebiſſener ſtarb im Verlaufe von zehn Minuten, ein dritter, welcher durch eine verwandte Waſſerſchlange vergiftet worden war, innerhalb ſieben Minuten u. ſ. f. Beſonders beachtungswerth ſind die Verſuche, welche derſelbe Forſcher an Kriechthieren und Fiſchen anſtellte. Eine Weichſchildkröte (Trionyx gangeticus) wurde von einer Waſſerſchlange (Hydrophis schistosus) in das Maul gebiſſen; fünf Minuten darauf begann ſie die gebiſſene Stelle mit dem einen Fuße zu kratzen und fuhr damit eine Zeitlang fort; ſechzehn Minuten ſpäter aber konnte ſie es nicht mehr, weil ihre Glieder gelähmt und unbeweglich waren; nach Verlauf von ferneren vierzehn Minuten war ſie todt. Abgeſehen von der unbedeutenden Veränderung, welche der gebiſſene Theil erlitten hatte, bemerkte man nichts Ungewöhnliches an der Leiche des Thieres. Eine zweite Schildkröte derſelben

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/310>, abgerufen am 22.05.2024.