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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schlangen. Giftnattern. Schildvipern.
immer mehr zunahm. Man erweiterte die Wunde und legte Quecksilber auf; endlich gelang es auch
mit Mühe, der Kranken mehrere Pillen beizubringen. Die ersten blieben ohne Wirkung; nach der
dritten wurden Stuhlausleerungen bewirkt und ein geringes Feuchtwerden der Haut bemerkt. Acht-
zehn Stunden nach dem Bisse erhielt die Kranke Gefühl, Gesicht und das Vermögen, zu schlucken,
wieder; in den drei folgenden Tagen wurden die Ausdünstungen unterhalten; nach acht bis zehn
Tagen verschwand die Mattigkeit, und sie erholte sich nun langsam.

Ein Jndier, welcher am Fußknöchel gebissen worden war, hatte eine Viertelstunde später seine
Kinnladen fest zusammengezogen und schien todt zu sein, zeigte jedoch Empfindung, als man die vier
sehr großen Bißwunden mit Luzienwasser (aus Aetzammoniak, Bernsteinöl, Wachsseife und Weingeist
bestehend) befeuchtete. Man öffnete ihm die Kinnladen gewaltsam und trichterte ihm im buchstäblichen
Sinne des Wortes zwei Flaschen erwärmten Madeirawein ein, fuhr auch mit dem äußerlichen
Gebrauche des Luzienwassers ununterbrochen fort. Der Kranke war so unempfindlich, daß man ihn
hätte für todt halten können, wenn er nicht von Zeit zu Zeit geathmet hätte, verblieb vierzig Stunden
lang in diesem Zustande und bekundete dann erst Wiederkehr der Empfindung. Zwölf Stunden
später begann er zu sprechen, blieb aber noch mehrere Tage schwach und matt. Auch in diesem Falle
scheint der Weingeist geholfen zu haben: die neueren Aerzte haben also gewiß Recht, wenn sie denselben
warm empfehlen.

Die Eingeborenen Jndiens, insbesondere die Schlangenfänger und Gaukler, wenden, außer den
vorstehend mitgetheilten, noch viele Gegenmittel bei Schlangenbissen an, halten dieselben jedoch
gewöhnlich geheim, sodaß man noch heutigentages nicht weiß, welcher Art sie und ihre Wirkungen sind.
Zwei sehr beliebte Mittel scheinen der Beachtung werth zu sein, obgleich die auf sie bezüglichen
Beobachtungen und Augaben der Europäer, welche längere Zeit in Jndien gelebt haben, noch sehr
viel zu wünschen übrig lassen. Das erste ist der Schlangenstein, auf Ceylon "Pembu-Kelu"
genannt, dessen Verwendung den Singalesen wahrscheinlich von den Schlangenbeschwörern, welche
von der Küste Coromandel herüberkommen, gelehrt worden ist. "Mehr als ein wohlverbürgter Fall
von der erfolgreichen Anwendung dieses Steines", sagt Tennent, "ist mir von Leuten, welche
Augenzeugen waren, erzählt worden. Bei einer Gelegenheit im März 1854 sah einer meiner
Freunde, als er mit einem Beamten der Regierung in der Nähe von Bintenne durch das Dschungel
ritt, einen Tamil, welcher mit einem Gefährten auf die Gesellschaft zukam, plötzlich sich in den Wald
stürzen und mit einer Cobra de Capello zurückkehren, welche er mit beiden Händen am Kopfe
und Schwanze gepackt hatte und festhielt. Er rief den Gefährten zur Hilfe, um die Schlange in
einem Deckelkörbchen unterzubringen, handhabte sie aber so ungeschickt, daß sie ihn in den Finger biß
und das Glied ein paar Augenblicke mit den Zähnen festhielt, als ob sie nicht im Stande sei, diese
zurückzuziehen. Das Blut floß, und die heftigsten Schmerzen schienen unmittelbar auf den Biß zu
folgen. Sofort öffnete der Freund des Leidenden seine Leibbinde und entnahm ihr zwei Schlangen-
steine, jeder von der Größe einer kleinen Mandel, dunkelschwarz von Farbe und äußerst sein geglättet,
und legte je einen auf die Wunde. Sie hingen fest und sogen alles Blut auf, welches aus den
Wunden strömte, verblieben ungefähr drei oder vier Minuten, währenddem der Gefährte den Arm
des Leidenden von der Schulter gegen die Finger zu strich und knetete, in derselben Lage und fielen
endlich von selbst ab. Das Leiden des Gebissenen schien damit beseitigt zu sein. Er bewegte seine
Hand, zog die Finger, bis die Gelenke knackten und wandte sich zum Gehen, ohne Besorgniß zu zeigen.
Während sich Dieses ereignet hatte, nahm ein anderer Jndier der Gesellschaft ein kleines, einer
Wurzel ähnliches Stück Holz aus seinem Reisesacke und brachte dasselbe vorsichtig in die Nähe des
Kopfes der Cobra, welche unmittelbar darauf den letzteren auf den Boden drückte, packte dann die
Schlange ohne jegliche Scheu und drehte sie auf dem Grunde seines Körbchens in einen Teller
zusammen. Die Wurzel, von welcher er versicherte, daß sie seiner Vornahme die vollste Sicherheit
gewähre, nannte er "Naja-Thalic-Calango" -- Schlangenpflanzenwurzel."

Die Schlangen. Giftnattern. Schildvipern.
immer mehr zunahm. Man erweiterte die Wunde und legte Queckſilber auf; endlich gelang es auch
mit Mühe, der Kranken mehrere Pillen beizubringen. Die erſten blieben ohne Wirkung; nach der
dritten wurden Stuhlausleerungen bewirkt und ein geringes Feuchtwerden der Haut bemerkt. Acht-
zehn Stunden nach dem Biſſe erhielt die Kranke Gefühl, Geſicht und das Vermögen, zu ſchlucken,
wieder; in den drei folgenden Tagen wurden die Ausdünſtungen unterhalten; nach acht bis zehn
Tagen verſchwand die Mattigkeit, und ſie erholte ſich nun langſam.

Ein Jndier, welcher am Fußknöchel gebiſſen worden war, hatte eine Viertelſtunde ſpäter ſeine
Kinnladen feſt zuſammengezogen und ſchien todt zu ſein, zeigte jedoch Empfindung, als man die vier
ſehr großen Bißwunden mit Luzienwaſſer (aus Aetzammoniak, Bernſteinöl, Wachsſeife und Weingeiſt
beſtehend) befeuchtete. Man öffnete ihm die Kinnladen gewaltſam und trichterte ihm im buchſtäblichen
Sinne des Wortes zwei Flaſchen erwärmten Madeirawein ein, fuhr auch mit dem äußerlichen
Gebrauche des Luzienwaſſers ununterbrochen fort. Der Kranke war ſo unempfindlich, daß man ihn
hätte für todt halten können, wenn er nicht von Zeit zu Zeit geathmet hätte, verblieb vierzig Stunden
lang in dieſem Zuſtande und bekundete dann erſt Wiederkehr der Empfindung. Zwölf Stunden
ſpäter begann er zu ſprechen, blieb aber noch mehrere Tage ſchwach und matt. Auch in dieſem Falle
ſcheint der Weingeiſt geholfen zu haben: die neueren Aerzte haben alſo gewiß Recht, wenn ſie denſelben
warm empfehlen.

Die Eingeborenen Jndiens, insbeſondere die Schlangenfänger und Gaukler, wenden, außer den
vorſtehend mitgetheilten, noch viele Gegenmittel bei Schlangenbiſſen an, halten dieſelben jedoch
gewöhnlich geheim, ſodaß man noch heutigentages nicht weiß, welcher Art ſie und ihre Wirkungen ſind.
Zwei ſehr beliebte Mittel ſcheinen der Beachtung werth zu ſein, obgleich die auf ſie bezüglichen
Beobachtungen und Augaben der Europäer, welche längere Zeit in Jndien gelebt haben, noch ſehr
viel zu wünſchen übrig laſſen. Das erſte iſt der Schlangenſtein, auf Ceylon „Pembu-Kelu“
genannt, deſſen Verwendung den Singaleſen wahrſcheinlich von den Schlangenbeſchwörern, welche
von der Küſte Coromandel herüberkommen, gelehrt worden iſt. „Mehr als ein wohlverbürgter Fall
von der erfolgreichen Anwendung dieſes Steines“, ſagt Tennent, „iſt mir von Leuten, welche
Augenzeugen waren, erzählt worden. Bei einer Gelegenheit im März 1854 ſah einer meiner
Freunde, als er mit einem Beamten der Regierung in der Nähe von Bintenne durch das Dſchungel
ritt, einen Tamil, welcher mit einem Gefährten auf die Geſellſchaft zukam, plötzlich ſich in den Wald
ſtürzen und mit einer Cobra de Capello zurückkehren, welche er mit beiden Händen am Kopfe
und Schwanze gepackt hatte und feſthielt. Er rief den Gefährten zur Hilfe, um die Schlange in
einem Deckelkörbchen unterzubringen, handhabte ſie aber ſo ungeſchickt, daß ſie ihn in den Finger biß
und das Glied ein paar Augenblicke mit den Zähnen feſthielt, als ob ſie nicht im Stande ſei, dieſe
zurückzuziehen. Das Blut floß, und die heftigſten Schmerzen ſchienen unmittelbar auf den Biß zu
folgen. Sofort öffnete der Freund des Leidenden ſeine Leibbinde und entnahm ihr zwei Schlangen-
ſteine, jeder von der Größe einer kleinen Mandel, dunkelſchwarz von Farbe und äußerſt ſein geglättet,
und legte je einen auf die Wunde. Sie hingen feſt und ſogen alles Blut auf, welches aus den
Wunden ſtrömte, verblieben ungefähr drei oder vier Minuten, währenddem der Gefährte den Arm
des Leidenden von der Schulter gegen die Finger zu ſtrich und knetete, in derſelben Lage und fielen
endlich von ſelbſt ab. Das Leiden des Gebiſſenen ſchien damit beſeitigt zu ſein. Er bewegte ſeine
Hand, zog die Finger, bis die Gelenke knackten und wandte ſich zum Gehen, ohne Beſorgniß zu zeigen.
Während ſich Dieſes ereignet hatte, nahm ein anderer Jndier der Geſellſchaft ein kleines, einer
Wurzel ähnliches Stück Holz aus ſeinem Reiſeſacke und brachte daſſelbe vorſichtig in die Nähe des
Kopfes der Cobra, welche unmittelbar darauf den letzteren auf den Boden drückte, packte dann die
Schlange ohne jegliche Scheu und drehte ſie auf dem Grunde ſeines Körbchens in einen Teller
zuſammen. Die Wurzel, von welcher er verſicherte, daß ſie ſeiner Vornahme die vollſte Sicherheit
gewähre, nannte er „Naja-Thalic-Calango“ — Schlangenpflanzenwurzel.“

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[272/0294] Die Schlangen. Giftnattern. Schildvipern. immer mehr zunahm. Man erweiterte die Wunde und legte Queckſilber auf; endlich gelang es auch mit Mühe, der Kranken mehrere Pillen beizubringen. Die erſten blieben ohne Wirkung; nach der dritten wurden Stuhlausleerungen bewirkt und ein geringes Feuchtwerden der Haut bemerkt. Acht- zehn Stunden nach dem Biſſe erhielt die Kranke Gefühl, Geſicht und das Vermögen, zu ſchlucken, wieder; in den drei folgenden Tagen wurden die Ausdünſtungen unterhalten; nach acht bis zehn Tagen verſchwand die Mattigkeit, und ſie erholte ſich nun langſam. Ein Jndier, welcher am Fußknöchel gebiſſen worden war, hatte eine Viertelſtunde ſpäter ſeine Kinnladen feſt zuſammengezogen und ſchien todt zu ſein, zeigte jedoch Empfindung, als man die vier ſehr großen Bißwunden mit Luzienwaſſer (aus Aetzammoniak, Bernſteinöl, Wachsſeife und Weingeiſt beſtehend) befeuchtete. Man öffnete ihm die Kinnladen gewaltſam und trichterte ihm im buchſtäblichen Sinne des Wortes zwei Flaſchen erwärmten Madeirawein ein, fuhr auch mit dem äußerlichen Gebrauche des Luzienwaſſers ununterbrochen fort. Der Kranke war ſo unempfindlich, daß man ihn hätte für todt halten können, wenn er nicht von Zeit zu Zeit geathmet hätte, verblieb vierzig Stunden lang in dieſem Zuſtande und bekundete dann erſt Wiederkehr der Empfindung. Zwölf Stunden ſpäter begann er zu ſprechen, blieb aber noch mehrere Tage ſchwach und matt. Auch in dieſem Falle ſcheint der Weingeiſt geholfen zu haben: die neueren Aerzte haben alſo gewiß Recht, wenn ſie denſelben warm empfehlen. Die Eingeborenen Jndiens, insbeſondere die Schlangenfänger und Gaukler, wenden, außer den vorſtehend mitgetheilten, noch viele Gegenmittel bei Schlangenbiſſen an, halten dieſelben jedoch gewöhnlich geheim, ſodaß man noch heutigentages nicht weiß, welcher Art ſie und ihre Wirkungen ſind. Zwei ſehr beliebte Mittel ſcheinen der Beachtung werth zu ſein, obgleich die auf ſie bezüglichen Beobachtungen und Augaben der Europäer, welche längere Zeit in Jndien gelebt haben, noch ſehr viel zu wünſchen übrig laſſen. Das erſte iſt der Schlangenſtein, auf Ceylon „Pembu-Kelu“ genannt, deſſen Verwendung den Singaleſen wahrſcheinlich von den Schlangenbeſchwörern, welche von der Küſte Coromandel herüberkommen, gelehrt worden iſt. „Mehr als ein wohlverbürgter Fall von der erfolgreichen Anwendung dieſes Steines“, ſagt Tennent, „iſt mir von Leuten, welche Augenzeugen waren, erzählt worden. Bei einer Gelegenheit im März 1854 ſah einer meiner Freunde, als er mit einem Beamten der Regierung in der Nähe von Bintenne durch das Dſchungel ritt, einen Tamil, welcher mit einem Gefährten auf die Geſellſchaft zukam, plötzlich ſich in den Wald ſtürzen und mit einer Cobra de Capello zurückkehren, welche er mit beiden Händen am Kopfe und Schwanze gepackt hatte und feſthielt. Er rief den Gefährten zur Hilfe, um die Schlange in einem Deckelkörbchen unterzubringen, handhabte ſie aber ſo ungeſchickt, daß ſie ihn in den Finger biß und das Glied ein paar Augenblicke mit den Zähnen feſthielt, als ob ſie nicht im Stande ſei, dieſe zurückzuziehen. Das Blut floß, und die heftigſten Schmerzen ſchienen unmittelbar auf den Biß zu folgen. Sofort öffnete der Freund des Leidenden ſeine Leibbinde und entnahm ihr zwei Schlangen- ſteine, jeder von der Größe einer kleinen Mandel, dunkelſchwarz von Farbe und äußerſt ſein geglättet, und legte je einen auf die Wunde. Sie hingen feſt und ſogen alles Blut auf, welches aus den Wunden ſtrömte, verblieben ungefähr drei oder vier Minuten, währenddem der Gefährte den Arm des Leidenden von der Schulter gegen die Finger zu ſtrich und knetete, in derſelben Lage und fielen endlich von ſelbſt ab. Das Leiden des Gebiſſenen ſchien damit beſeitigt zu ſein. Er bewegte ſeine Hand, zog die Finger, bis die Gelenke knackten und wandte ſich zum Gehen, ohne Beſorgniß zu zeigen. Während ſich Dieſes ereignet hatte, nahm ein anderer Jndier der Geſellſchaft ein kleines, einer Wurzel ähnliches Stück Holz aus ſeinem Reiſeſacke und brachte daſſelbe vorſichtig in die Nähe des Kopfes der Cobra, welche unmittelbar darauf den letzteren auf den Boden drückte, packte dann die Schlange ohne jegliche Scheu und drehte ſie auf dem Grunde ſeines Körbchens in einen Teller zuſammen. Die Wurzel, von welcher er verſicherte, daß ſie ſeiner Vornahme die vollſte Sicherheit gewähre, nannte er „Naja-Thalic-Calango“ — Schlangenpflanzenwurzel.“

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/294>, abgerufen am 21.12.2024.