Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.Nutzen und Schaden. Frosch zu bereiten vermag. Eidechsen und Schlangen, welche Kinder mit einem einzigen Ruthen-schlage vernichten können, machen noch heute die gebildete Menschheit zittern, so vielfach sich die Natur- forscher auch bemüht haben, die zagen Seelen zu beschwichtigen. Für Den, welcher mit der unbefangenen Ruhe eines Weltweisen die Dinge sieht, wie sie sind, kann es kaum ein ergötzlicheres, nein, kaum ein betrübenderes Schauspiel geben als das Gebahren mancher Menschen, die sich gebildet nennen, einem Lurch gegenüber. Es gibt Das viel zu denken, viel zu fragen. Jst es nicht mehr als sonderbar, daß wir, die gewaltigen, erdbeherrschenden Menschen, wir, die wir uns fast ohne Einspruch als Halbgötter erklären lassen, denen Alles zur Liebe und Nichts zum Leide sein soll, vor deren Allmacht sich die sämmtlichen übrigen Geschöpfe beugen müssen, daß wir vor Wesen, welche so ungemein tief unter uns stehen, uns wahrhaft kindisch fürchten? Jst es nicht geradezu abscheulich, daß wir uns den Kriechthieren gegenüber kaum anders geberden, als unsere Zerrbilder, die Affen, es wirklich thun? -- Aller Belehrung, aller Beruhigung zum Trotz immer und ewig nur die eine Antwort: "Und sie wird dich in die Ferse stechen!" -- zur Bemäntelung einer feigen, unserer unwürdigen Furcht, zur Ver- schleierung des Bewußtseins einer unserer noch unwürdigeren Kenntnißlosigkeit! Die inzwischen um zwei Jahrtausende fortgeschrittene Welt läßt sich heutigentages noch von einem Moses beschämen; ja, sie läßt sich von jedem armen, rohgeistigen Schlangenbeschwörer Egyptens oder Jndiens an den Pranger stellen!" Jch war und bin weit entfernt, durch Vorstehendes die Meinung hervorrufen zu wollen, als Nutzen und Schaden. Froſch zu bereiten vermag. Eidechſen und Schlangen, welche Kinder mit einem einzigen Ruthen-ſchlage vernichten können, machen noch heute die gebildete Menſchheit zittern, ſo vielfach ſich die Natur- forſcher auch bemüht haben, die zagen Seelen zu beſchwichtigen. Für Den, welcher mit der unbefangenen Ruhe eines Weltweiſen die Dinge ſieht, wie ſie ſind, kann es kaum ein ergötzlicheres, nein, kaum ein betrübenderes Schauſpiel geben als das Gebahren mancher Menſchen, die ſich gebildet nennen, einem Lurch gegenüber. Es gibt Das viel zu denken, viel zu fragen. Jſt es nicht mehr als ſonderbar, daß wir, die gewaltigen, erdbeherrſchenden Menſchen, wir, die wir uns faſt ohne Einſpruch als Halbgötter erklären laſſen, denen Alles zur Liebe und Nichts zum Leide ſein ſoll, vor deren Allmacht ſich die ſämmtlichen übrigen Geſchöpfe beugen müſſen, daß wir vor Weſen, welche ſo ungemein tief unter uns ſtehen, uns wahrhaft kindiſch fürchten? Jſt es nicht geradezu abſcheulich, daß wir uns den Kriechthieren gegenüber kaum anders geberden, als unſere Zerrbilder, die Affen, es wirklich thun? — Aller Belehrung, aller Beruhigung zum Trotz immer und ewig nur die eine Antwort: „Und ſie wird dich in die Ferſe ſtechen!“ — zur Bemäntelung einer feigen, unſerer unwürdigen Furcht, zur Ver- ſchleierung des Bewußtſeins einer unſerer noch unwürdigeren Kenntnißloſigkeit! Die inzwiſchen um zwei Jahrtauſende fortgeſchrittene Welt läßt ſich heutigentages noch von einem Moſes beſchämen; ja, ſie läßt ſich von jedem armen, rohgeiſtigen Schlangenbeſchwörer Egyptens oder Jndiens an den Pranger ſtellen!“ Jch war und bin weit entfernt, durch Vorſtehendes die Meinung hervorrufen zu wollen, als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0027" n="15"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Nutzen und Schaden.</hi></fw><lb/> Froſch zu bereiten vermag. Eidechſen und Schlangen, welche Kinder mit einem einzigen Ruthen-<lb/> ſchlage vernichten können, machen noch heute die gebildete Menſchheit zittern, ſo vielfach ſich die Natur-<lb/> forſcher auch bemüht haben, die zagen Seelen zu beſchwichtigen. Für Den, welcher mit der unbefangenen<lb/> Ruhe eines Weltweiſen die Dinge ſieht, wie ſie ſind, kann es kaum ein ergötzlicheres, nein, kaum ein<lb/> betrübenderes Schauſpiel geben als das Gebahren mancher Menſchen, die ſich gebildet nennen, einem<lb/> Lurch gegenüber. Es gibt Das viel zu denken, viel zu fragen. Jſt es nicht mehr als ſonderbar, daß<lb/> wir, die gewaltigen, erdbeherrſchenden Menſchen, wir, die wir uns faſt ohne Einſpruch als Halbgötter<lb/> erklären laſſen, denen Alles zur Liebe und Nichts zum Leide ſein ſoll, vor deren Allmacht ſich die<lb/> ſämmtlichen übrigen Geſchöpfe beugen müſſen, daß wir vor Weſen, welche ſo ungemein tief unter<lb/> uns ſtehen, uns wahrhaft kindiſch fürchten? Jſt es nicht geradezu abſcheulich, daß wir uns den<lb/> Kriechthieren gegenüber kaum anders geberden, als unſere Zerrbilder, die Affen, es wirklich thun? —<lb/> Aller Belehrung, aller Beruhigung zum Trotz immer und ewig nur die eine Antwort: „Und ſie wird<lb/> dich in die Ferſe ſtechen!“ — zur Bemäntelung einer feigen, unſerer unwürdigen Furcht, zur Ver-<lb/> ſchleierung des Bewußtſeins einer unſerer noch unwürdigeren Kenntnißloſigkeit! Die inzwiſchen um<lb/> zwei Jahrtauſende fortgeſchrittene Welt läßt ſich heutigentages noch von einem Moſes beſchämen; ja,<lb/> ſie läßt ſich von jedem armen, rohgeiſtigen Schlangenbeſchwörer Egyptens oder Jndiens an den<lb/> Pranger ſtellen!“</p><lb/> <p>Jch war und bin weit entfernt, durch Vorſtehendes die Meinung hervorrufen zu wollen, als<lb/> bezwecke ich, den Kriechthieren durch obige Worte Freunde zu werben, der Viper und dem ihr ver-<lb/> wandten Gezücht ein Tröpflein ihres Giftes zu rauben, die Zähne des Krokodils zu ſtumpfen. Jch<lb/> weiß ſehr wohl, daß der Nutzen, welchen dieſe ganze Klaſſe dem Menſchen bringt, ein höchſt unbedeu-<lb/> tender genannt werden muß, und der Schaden, welchen einzelne uns bringen können, nicht unterſchätzt<lb/> werden darf. Der größte Theil der Kriechthiere nährt ſich von ſolchen Geſchöpfen, welche uns<lb/> ſchädlich werden, und diejenigen, welche Pflanzen freſſen, beeinträchtigen uns dadurch nicht im<lb/> Geringſten; aber eine wirkliche Bedeutung für uns haben dieſe ebenſo wenig als jene. Faſt alle<lb/> Eidechſen ohne Ausnahme und die meiſten der bei uns vorkommenden Schlangen nützen uns durch<lb/> Vertilgung von Mäuſen und anderen ſchädlichen Säugethieren, Kerbthieren, Schnecken, Würmern und<lb/> dergleichen; aber der Nahrungsverbrauch, welcher hier in Frage kommt, iſt ſo unendlich gering, daß<lb/> man den Nutzen wahrhaftig nicht hoch genug anſchlagen kann. Wer gern Schildkrötenſuppe ißt und<lb/> das Glück hat, in der Nähe einer Seeſtadt zu wohnen, mag ſich freuen, daß es Thiere gibt, welche ein<lb/> ſo leckeres Gericht und außerdem noch Schildpatt liefern; wer gern Kriechthiere in Gefangenſchaft<lb/> hält, hat vollkommen Recht, wenn er wegen der Freuden der Beobachtung dieſen Thieren dankbar iſt:<lb/> wer aber trotz alledem ſeine Bedenklichkeiten ſoweit ausdehnt, daß er alle Kriechthiere, wenigſtens alle<lb/> Schlangen, deren er habhaft werden kann, umbringt, richtet, wie ich ebenfalls ſchon früher geſagt habe,<lb/> dadurch kein Unglück an. Wir ſind berechtigt, ſchonungslos jede Grauſamkeit zu verurtheilen, welche<lb/> der Menſch am Thiere verübt, jeden <hi rendition="#g">unnützen</hi> Todſchlag eines ſolchen, welchen er ſich zu Schulden<lb/> kommen läßt: aber wir dürfen auch Jeden entſchuldigen, welcher, erſchreckt durch eine Natter, ihr den<lb/> Kopf zertritt; denn der Menſch gilt mehr als dieſes zwar harmloſe, aber doch auch unbedeutende<lb/> Geſchöpf. Und wenn nun der Forſcher, wie es geſchieht, ſogar eine Kreuzotter oder andere Gift-<lb/> ſchlangen vertheidigen will, weil ſie ſich von Mäuſen nähren, ſo meine ich denn doch, daß eine derartige<lb/> Aufmunterung zur Erhaltung des Beſtehenden viel zu weit geht. Alle Kreuzottern der Erde leiſten<lb/> und nützen noch nicht ſoviel als das verſchriene Geſchlecht der Eulen, als die mißachteten Buſſarde,<lb/> die ſcheelangeſehenen Jltiſſe und Wieſel; ein einzelner Buſſard leiſtet ungleich mehr als Hunderte dieſer<lb/> gefährlichen Thiere, an deren Biſſen durchſchnittlich jedes Jahr in Deutſchland allein zwei Menſchen<lb/> ihr Leben verlieren oder mindeſtens zu ſchwerem und oft ſehr langen Siechthum gebracht werden.<lb/> Eine Kreuzotter kann von Jedem mit einer unſchuldigen Schlange verwechſelt werden und eine ſolche<lb/> Verwechſelung die traurigſten Folgen haben. „Warum ſoll man Dem nicht auszuweichen ſuchen,<lb/> warum gerade hier vom Rechte des Stärkeren nicht Gebrauch machen? Es iſt beſſer, daß ſämmtliche<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [15/0027]
Nutzen und Schaden.
Froſch zu bereiten vermag. Eidechſen und Schlangen, welche Kinder mit einem einzigen Ruthen-
ſchlage vernichten können, machen noch heute die gebildete Menſchheit zittern, ſo vielfach ſich die Natur-
forſcher auch bemüht haben, die zagen Seelen zu beſchwichtigen. Für Den, welcher mit der unbefangenen
Ruhe eines Weltweiſen die Dinge ſieht, wie ſie ſind, kann es kaum ein ergötzlicheres, nein, kaum ein
betrübenderes Schauſpiel geben als das Gebahren mancher Menſchen, die ſich gebildet nennen, einem
Lurch gegenüber. Es gibt Das viel zu denken, viel zu fragen. Jſt es nicht mehr als ſonderbar, daß
wir, die gewaltigen, erdbeherrſchenden Menſchen, wir, die wir uns faſt ohne Einſpruch als Halbgötter
erklären laſſen, denen Alles zur Liebe und Nichts zum Leide ſein ſoll, vor deren Allmacht ſich die
ſämmtlichen übrigen Geſchöpfe beugen müſſen, daß wir vor Weſen, welche ſo ungemein tief unter
uns ſtehen, uns wahrhaft kindiſch fürchten? Jſt es nicht geradezu abſcheulich, daß wir uns den
Kriechthieren gegenüber kaum anders geberden, als unſere Zerrbilder, die Affen, es wirklich thun? —
Aller Belehrung, aller Beruhigung zum Trotz immer und ewig nur die eine Antwort: „Und ſie wird
dich in die Ferſe ſtechen!“ — zur Bemäntelung einer feigen, unſerer unwürdigen Furcht, zur Ver-
ſchleierung des Bewußtſeins einer unſerer noch unwürdigeren Kenntnißloſigkeit! Die inzwiſchen um
zwei Jahrtauſende fortgeſchrittene Welt läßt ſich heutigentages noch von einem Moſes beſchämen; ja,
ſie läßt ſich von jedem armen, rohgeiſtigen Schlangenbeſchwörer Egyptens oder Jndiens an den
Pranger ſtellen!“
Jch war und bin weit entfernt, durch Vorſtehendes die Meinung hervorrufen zu wollen, als
bezwecke ich, den Kriechthieren durch obige Worte Freunde zu werben, der Viper und dem ihr ver-
wandten Gezücht ein Tröpflein ihres Giftes zu rauben, die Zähne des Krokodils zu ſtumpfen. Jch
weiß ſehr wohl, daß der Nutzen, welchen dieſe ganze Klaſſe dem Menſchen bringt, ein höchſt unbedeu-
tender genannt werden muß, und der Schaden, welchen einzelne uns bringen können, nicht unterſchätzt
werden darf. Der größte Theil der Kriechthiere nährt ſich von ſolchen Geſchöpfen, welche uns
ſchädlich werden, und diejenigen, welche Pflanzen freſſen, beeinträchtigen uns dadurch nicht im
Geringſten; aber eine wirkliche Bedeutung für uns haben dieſe ebenſo wenig als jene. Faſt alle
Eidechſen ohne Ausnahme und die meiſten der bei uns vorkommenden Schlangen nützen uns durch
Vertilgung von Mäuſen und anderen ſchädlichen Säugethieren, Kerbthieren, Schnecken, Würmern und
dergleichen; aber der Nahrungsverbrauch, welcher hier in Frage kommt, iſt ſo unendlich gering, daß
man den Nutzen wahrhaftig nicht hoch genug anſchlagen kann. Wer gern Schildkrötenſuppe ißt und
das Glück hat, in der Nähe einer Seeſtadt zu wohnen, mag ſich freuen, daß es Thiere gibt, welche ein
ſo leckeres Gericht und außerdem noch Schildpatt liefern; wer gern Kriechthiere in Gefangenſchaft
hält, hat vollkommen Recht, wenn er wegen der Freuden der Beobachtung dieſen Thieren dankbar iſt:
wer aber trotz alledem ſeine Bedenklichkeiten ſoweit ausdehnt, daß er alle Kriechthiere, wenigſtens alle
Schlangen, deren er habhaft werden kann, umbringt, richtet, wie ich ebenfalls ſchon früher geſagt habe,
dadurch kein Unglück an. Wir ſind berechtigt, ſchonungslos jede Grauſamkeit zu verurtheilen, welche
der Menſch am Thiere verübt, jeden unnützen Todſchlag eines ſolchen, welchen er ſich zu Schulden
kommen läßt: aber wir dürfen auch Jeden entſchuldigen, welcher, erſchreckt durch eine Natter, ihr den
Kopf zertritt; denn der Menſch gilt mehr als dieſes zwar harmloſe, aber doch auch unbedeutende
Geſchöpf. Und wenn nun der Forſcher, wie es geſchieht, ſogar eine Kreuzotter oder andere Gift-
ſchlangen vertheidigen will, weil ſie ſich von Mäuſen nähren, ſo meine ich denn doch, daß eine derartige
Aufmunterung zur Erhaltung des Beſtehenden viel zu weit geht. Alle Kreuzottern der Erde leiſten
und nützen noch nicht ſoviel als das verſchriene Geſchlecht der Eulen, als die mißachteten Buſſarde,
die ſcheelangeſehenen Jltiſſe und Wieſel; ein einzelner Buſſard leiſtet ungleich mehr als Hunderte dieſer
gefährlichen Thiere, an deren Biſſen durchſchnittlich jedes Jahr in Deutſchland allein zwei Menſchen
ihr Leben verlieren oder mindeſtens zu ſchwerem und oft ſehr langen Siechthum gebracht werden.
Eine Kreuzotter kann von Jedem mit einer unſchuldigen Schlange verwechſelt werden und eine ſolche
Verwechſelung die traurigſten Folgen haben. „Warum ſoll man Dem nicht auszuweichen ſuchen,
warum gerade hier vom Rechte des Stärkeren nicht Gebrauch machen? Es iſt beſſer, daß ſämmtliche
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