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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Steignatter. Trauerschlange.
muthigste zu sein; da sie sich nöthigenfalls selbst gegen den Menschen mit Beißen zur Wehre setzt
und nicht ganz unbedeutende Wunden verursacht. Die Eingeborenen behaupten, daß sie dem
annähernden Hunde nach den Augen beißt, und mehr als einer durch sie blind geworden sei. Vor
dem Bisse breitet sie den Hinterkopf und sieht dann einer Giftschlange zum Täuschen ähnlich.

Die Länge dieser Art übersteigt zuweilen noch 3 Fuß. Die Färbung spielt in den verschiedensten
Abstufungen. Die meisten Stücke sehen gleichmäßig schwarz aus, mit einem Schimmer ins Bräun-
liche; nicht selten aber gewahrt man solche, bei denen letztere Färbung vorwiegt, oder andere, welche
entweder gleichmäßig grau oder auf grauem Grunde dunkler gefleckt sind u. s. w.



Trugschlaugen (Suspecta) nannte man früher gewisse, den Nattern im Aeußerlichen und in
der Lebensweise ähnliche Schlangen, in deren Gebiß sich verlängerte, seicht gefurchte Zähne finden.
"Die Schlangen dieser Unterordnung" (oder Zunst), sagt Karl Vogt, "haben einen langen, wohl-
ausgebildeten Oberkieser, der in seiner ganzen Ausdehnung mit Hakenzähnen besetzt ist, von denen die
vorderen stets solid, einer oder mehrere hintere dagegen, welche die übrigen an Größe übertreffen,
mit einer vorderen Furche oder Rinne versehen sind und so das Aussehen von Giftzähnen darbieten.
Trotz der Gegenwart dieser Zähne finden sich indeß in der That keine Giftdrüsen bei diesen Schlangen
vor, sondern es ist nur der Saft der gewöhnlichen, freilich bedeutend entwickelten Speicheldrüsen,
welcher durch diese Zähne in die Mundhöhle abgeleitet wird. Auch ist durchaus kein Beispiel
bekannt, daß ein Viß derselben eine giftige Wirkung gehabt hätte." Andere Forscher sind noch
heutigentages entgegengesetzter Ansicht und halten wenigstens einige Trugschlangen für entschieden
giftige Thiere, sich stützend auf die freilich in keiner Hinsicht verläßlichen Angaben der Eingeborenen
heißer Länder, in denen die Abtheilung zu vollster Entwickelung gelangt. Jn Südeuropa wird die
Zunft ebenfalls und zwar durch mehrere Arten vertreten; kein Schlangenfänger aber fürchtet diese
trotz ihrer Bissigkeit, und jede üble Nachrede, welche ihnen geworden, läßt sich höchst wahrscheinlich
auf die Vipern, nicht aber auf die Trugnattern beziehen.

Neuere Schlangenkundige, wie beispielsweise Jan, erkennen die Zunft übrigens gar nicht an,
legen also auf diese Zähne kein Gewicht.

Ueber die engere Eintheilung der hierher gehörigen Arten ist man verschiedener Ansicht, je nach-
dem man die Bildung des Gebisses für mehr oder minder bedeutsam hält. Jch will mich Jan
anschließen, welcher die Anzahl der Familien beschränkt hat.

Unter Baumschlangen (Dryophes) versteht man natterähnliche, jedoch äußerst schlank gebaute
Schlangen mit peitschenförmigem Leibe, langem oder länglichem, an der Schnauze oft zugespitztem
Kopfe und meist laubgrüner oder bräunlicher Färbung, welche ihr Leben fast gänzlich auf Bäumen
zubringen und an Kletterfertigkeit alle übrigen Ordnungsverwandten, mit Ausnahme der ihnen
ähnlichen Peitschennattern übertreffen. Sehr viele scheinen Nachtthiere zu sein, wie auch der längliche,
aber wagerecht quergestellte Stern vermuthen läßt.

Die Baumschlangen leben in den heißen Ländern beider Erdhälften, an geeigneten Oertlichkeiten
in sehr großer Anzahl. Fast alle Arten werden von den Eingeborenen für sehr giftig gehalten
und deshalb gefürchtet und verabscheut, während die sorgfältige Untersuchung ihres Gebisses heraus-
gestellt hat, daß sie vollkommen harmlos sind und die Schönheit ihrer Gestalt, die Zierlichkeit und
Anmuth ihrer Bewegung den unbefangenen Beobachter aufs Höchste fesseln muß. Solche Anschauung
theilen sogar die Siamesen; denn sie haben diesen Schlangen den dichterischen Namen "Sonnen-
strahlen" beigelegt. Aber auch unter den Europäern haben sich die zierlichen Thiere viele Freunde
erworben. "Stets war ich entzückt", schreibt Wucherer seinem Freunde Tennent, "wenn ich

Steignatter. Trauerſchlange.
muthigſte zu ſein; da ſie ſich nöthigenfalls ſelbſt gegen den Menſchen mit Beißen zur Wehre ſetzt
und nicht ganz unbedeutende Wunden verurſacht. Die Eingeborenen behaupten, daß ſie dem
annähernden Hunde nach den Augen beißt, und mehr als einer durch ſie blind geworden ſei. Vor
dem Biſſe breitet ſie den Hinterkopf und ſieht dann einer Giftſchlange zum Täuſchen ähnlich.

Die Länge dieſer Art überſteigt zuweilen noch 3 Fuß. Die Färbung ſpielt in den verſchiedenſten
Abſtufungen. Die meiſten Stücke ſehen gleichmäßig ſchwarz aus, mit einem Schimmer ins Bräun-
liche; nicht ſelten aber gewahrt man ſolche, bei denen letztere Färbung vorwiegt, oder andere, welche
entweder gleichmäßig grau oder auf grauem Grunde dunkler gefleckt ſind u. ſ. w.



Trugſchlaugen (Suspecta) nannte man früher gewiſſe, den Nattern im Aeußerlichen und in
der Lebensweiſe ähnliche Schlangen, in deren Gebiß ſich verlängerte, ſeicht gefurchte Zähne finden.
„Die Schlangen dieſer Unterordnung“ (oder Zunſt), ſagt Karl Vogt, „haben einen langen, wohl-
ausgebildeten Oberkieſer, der in ſeiner ganzen Ausdehnung mit Hakenzähnen beſetzt iſt, von denen die
vorderen ſtets ſolid, einer oder mehrere hintere dagegen, welche die übrigen an Größe übertreffen,
mit einer vorderen Furche oder Rinne verſehen ſind und ſo das Ausſehen von Giftzähnen darbieten.
Trotz der Gegenwart dieſer Zähne finden ſich indeß in der That keine Giftdrüſen bei dieſen Schlangen
vor, ſondern es iſt nur der Saft der gewöhnlichen, freilich bedeutend entwickelten Speicheldrüſen,
welcher durch dieſe Zähne in die Mundhöhle abgeleitet wird. Auch iſt durchaus kein Beiſpiel
bekannt, daß ein Viß derſelben eine giftige Wirkung gehabt hätte.“ Andere Forſcher ſind noch
heutigentages entgegengeſetzter Anſicht und halten wenigſtens einige Trugſchlangen für entſchieden
giftige Thiere, ſich ſtützend auf die freilich in keiner Hinſicht verläßlichen Angaben der Eingeborenen
heißer Länder, in denen die Abtheilung zu vollſter Entwickelung gelangt. Jn Südeuropa wird die
Zunft ebenfalls und zwar durch mehrere Arten vertreten; kein Schlangenfänger aber fürchtet dieſe
trotz ihrer Biſſigkeit, und jede üble Nachrede, welche ihnen geworden, läßt ſich höchſt wahrſcheinlich
auf die Vipern, nicht aber auf die Trugnattern beziehen.

Neuere Schlangenkundige, wie beiſpielsweiſe Jan, erkennen die Zunft übrigens gar nicht an,
legen alſo auf dieſe Zähne kein Gewicht.

Ueber die engere Eintheilung der hierher gehörigen Arten iſt man verſchiedener Anſicht, je nach-
dem man die Bildung des Gebiſſes für mehr oder minder bedeutſam hält. Jch will mich Jan
anſchließen, welcher die Anzahl der Familien beſchränkt hat.

Unter Baumſchlangen (Dryophes) verſteht man natterähnliche, jedoch äußerſt ſchlank gebaute
Schlangen mit peitſchenförmigem Leibe, langem oder länglichem, an der Schnauze oft zugeſpitztem
Kopfe und meiſt laubgrüner oder bräunlicher Färbung, welche ihr Leben faſt gänzlich auf Bäumen
zubringen und an Kletterfertigkeit alle übrigen Ordnungsverwandten, mit Ausnahme der ihnen
ähnlichen Peitſchennattern übertreffen. Sehr viele ſcheinen Nachtthiere zu ſein, wie auch der längliche,
aber wagerecht quergeſtellte Stern vermuthen läßt.

Die Baumſchlangen leben in den heißen Ländern beider Erdhälften, an geeigneten Oertlichkeiten
in ſehr großer Anzahl. Faſt alle Arten werden von den Eingeborenen für ſehr giftig gehalten
und deshalb gefürchtet und verabſcheut, während die ſorgfältige Unterſuchung ihres Gebiſſes heraus-
geſtellt hat, daß ſie vollkommen harmlos ſind und die Schönheit ihrer Geſtalt, die Zierlichkeit und
Anmuth ihrer Bewegung den unbefangenen Beobachter aufs Höchſte feſſeln muß. Solche Anſchauung
theilen ſogar die Siameſen; denn ſie haben dieſen Schlangen den dichteriſchen Namen „Sonnen-
ſtrahlen“ beigelegt. Aber auch unter den Europäern haben ſich die zierlichen Thiere viele Freunde
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[239/0261] Steignatter. Trauerſchlange. muthigſte zu ſein; da ſie ſich nöthigenfalls ſelbſt gegen den Menſchen mit Beißen zur Wehre ſetzt und nicht ganz unbedeutende Wunden verurſacht. Die Eingeborenen behaupten, daß ſie dem annähernden Hunde nach den Augen beißt, und mehr als einer durch ſie blind geworden ſei. Vor dem Biſſe breitet ſie den Hinterkopf und ſieht dann einer Giftſchlange zum Täuſchen ähnlich. Die Länge dieſer Art überſteigt zuweilen noch 3 Fuß. Die Färbung ſpielt in den verſchiedenſten Abſtufungen. Die meiſten Stücke ſehen gleichmäßig ſchwarz aus, mit einem Schimmer ins Bräun- liche; nicht ſelten aber gewahrt man ſolche, bei denen letztere Färbung vorwiegt, oder andere, welche entweder gleichmäßig grau oder auf grauem Grunde dunkler gefleckt ſind u. ſ. w. Trugſchlaugen (Suspecta) nannte man früher gewiſſe, den Nattern im Aeußerlichen und in der Lebensweiſe ähnliche Schlangen, in deren Gebiß ſich verlängerte, ſeicht gefurchte Zähne finden. „Die Schlangen dieſer Unterordnung“ (oder Zunſt), ſagt Karl Vogt, „haben einen langen, wohl- ausgebildeten Oberkieſer, der in ſeiner ganzen Ausdehnung mit Hakenzähnen beſetzt iſt, von denen die vorderen ſtets ſolid, einer oder mehrere hintere dagegen, welche die übrigen an Größe übertreffen, mit einer vorderen Furche oder Rinne verſehen ſind und ſo das Ausſehen von Giftzähnen darbieten. Trotz der Gegenwart dieſer Zähne finden ſich indeß in der That keine Giftdrüſen bei dieſen Schlangen vor, ſondern es iſt nur der Saft der gewöhnlichen, freilich bedeutend entwickelten Speicheldrüſen, welcher durch dieſe Zähne in die Mundhöhle abgeleitet wird. Auch iſt durchaus kein Beiſpiel bekannt, daß ein Viß derſelben eine giftige Wirkung gehabt hätte.“ Andere Forſcher ſind noch heutigentages entgegengeſetzter Anſicht und halten wenigſtens einige Trugſchlangen für entſchieden giftige Thiere, ſich ſtützend auf die freilich in keiner Hinſicht verläßlichen Angaben der Eingeborenen heißer Länder, in denen die Abtheilung zu vollſter Entwickelung gelangt. Jn Südeuropa wird die Zunft ebenfalls und zwar durch mehrere Arten vertreten; kein Schlangenfänger aber fürchtet dieſe trotz ihrer Biſſigkeit, und jede üble Nachrede, welche ihnen geworden, läßt ſich höchſt wahrſcheinlich auf die Vipern, nicht aber auf die Trugnattern beziehen. Neuere Schlangenkundige, wie beiſpielsweiſe Jan, erkennen die Zunft übrigens gar nicht an, legen alſo auf dieſe Zähne kein Gewicht. Ueber die engere Eintheilung der hierher gehörigen Arten iſt man verſchiedener Anſicht, je nach- dem man die Bildung des Gebiſſes für mehr oder minder bedeutſam hält. Jch will mich Jan anſchließen, welcher die Anzahl der Familien beſchränkt hat. Unter Baumſchlangen (Dryophes) verſteht man natterähnliche, jedoch äußerſt ſchlank gebaute Schlangen mit peitſchenförmigem Leibe, langem oder länglichem, an der Schnauze oft zugeſpitztem Kopfe und meiſt laubgrüner oder bräunlicher Färbung, welche ihr Leben faſt gänzlich auf Bäumen zubringen und an Kletterfertigkeit alle übrigen Ordnungsverwandten, mit Ausnahme der ihnen ähnlichen Peitſchennattern übertreffen. Sehr viele ſcheinen Nachtthiere zu ſein, wie auch der längliche, aber wagerecht quergeſtellte Stern vermuthen läßt. Die Baumſchlangen leben in den heißen Ländern beider Erdhälften, an geeigneten Oertlichkeiten in ſehr großer Anzahl. Faſt alle Arten werden von den Eingeborenen für ſehr giftig gehalten und deshalb gefürchtet und verabſcheut, während die ſorgfältige Unterſuchung ihres Gebiſſes heraus- geſtellt hat, daß ſie vollkommen harmlos ſind und die Schönheit ihrer Geſtalt, die Zierlichkeit und Anmuth ihrer Bewegung den unbefangenen Beobachter aufs Höchſte feſſeln muß. Solche Anſchauung theilen ſogar die Siameſen; denn ſie haben dieſen Schlangen den dichteriſchen Namen „Sonnen- ſtrahlen“ beigelegt. Aber auch unter den Europäern haben ſich die zierlichen Thiere viele Freunde erworben. „Stets war ich entzückt“, ſchreibt Wucherer ſeinem Freunde Tennent, „wenn ich

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/261>, abgerufen am 18.05.2024.