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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Schlingnatter.
daß man sie bei lebenden Stücken kaum sieht; sie sind aber so spitz, daß sie doch gleich einhäkeln. Die
Schlange wird zwar leicht so grimmig, daß sie sich selbst, Jhresgleichen, andere Schlangen etc. beißt,
versucht jedoch ihre Zähne an Steinen und Eisen, das man ihr vorhält, nicht gern. Wenn sie gereizt
ist, stellt sie sich fast wie eine Kreuzotter, ringelt sich zusammen, zieht den Hals ein, macht den Hinter-
kopf breit und sperrt beim Bisse oft den Rachen auf, soweit sie kann. Dieses boshafte Wesen hat sie
in üblen Ruf gebracht, und sie wird, weil man sie für giftig hält, sehr gefürchtet, ist auch wirklich in
dem Augenblicke, in welchem sie so voll Groll um sich schnappt, leicht mit einem Kreuzotterweibchen zu
verwechseln." -- "Mir selbst ist es begegnet", fügt Schinz hinzu, "daß ich eine solche Schlange für
eine Viper ansah, bis ich sie genauer untersucht hatte. Wenn man freilich den Kopf in der Nähe
sieht, ist die Täuschung für den Kenner bald gefunden: die großen Schilder auf dem Kopfe, der
dünnere, glänzendere Körper, welcher an der Sonne verschiedene Farben zeigt, unterscheiden sie sehr
leicht; ein Jrrthum ist aber doch zu gefährlich, und deshalb muß man genau nachsehen."

Wahrscheinlich lassen sich die verschiedenen Angaben leicht ausgleichen. Die Schlingnatter hat
gute und schlechte Launen. "Zuweilen", fährt Lenz fort, "zumal wenn das Wetter naßkalt ist, läßt sie
sich geduldig und ohne Gegenwehr fangen, meist aber sucht sie schnell zu entwischen und ist wirklich
recht flink, obschon man sie auf ebenem Boden leicht einholen kann; jedenfalls ist sie weit gewandter
als die Kreuzotter und Ringelnatter. Wenn man sie an der Schwanzspitze hält, hebt sie sich sehr
leicht mit dem Kopfe bis zur Hand empor."

Nicht selten theilt sie mit anderen Schlangen, beispielsweise mit Ringelnattern und Kreuzottern,
denselben Aufenthalt, verträgt sich auch in der Gefangenschaft längere Zeit mit ihnen, jedoch nur
solange, als es ihr eben behagt, und sie nicht hungrig ist. Auch sie zieht, wie bereits erwähnt, eine
bestimmte Art von Beute, Eidechsen nämlich, jeder anderen vor, wird aber kleinen Schlangen nicht
selten ebenfalls gefährlich und verzehrt, nach Erber's Beobachtungen, sogar junge Vipern, trotz ihrer
Giftzähne. Wyder scheint der Erste gewesen zu sein, welcher seine Beobachtungen über die Art und
Weise, wie sie sich der Beute bemächtigt, veröffentlicht hat; späteren Forschern aber verdanken wir
ausführlichere Schilderungen, die beste, meiner Ansicht nach, Dursy. Läßt man, so ungefähr drückt
er sich aus, einige lebende Eidechsen in den Behälter, in welchem sich Schlingnattern befinden, so
erkennen dieselben sogleich die ihnen drohende Gefahr und suchen in rasendem Laufen nach allen
Richtungen zu entkommen. Die ganze Gesellschaft geräth in die größte Aufregung, und in der ersten
Ueberraschung suchen die Nattern sich eiligst aus dem Staube zu machen. Dabei beißen sie oft so
wüthend um sich, daß sie unter einander selbst in Händel gerathen, ja mitunter gar ihren eigenen
Leib erfassen. "Auf diese geräuschvolle Einleitung folgt eine peinliche Pause. Hastig züngelnd und
mit erhobenem Kopfe überlegen die Schlangen ihren Angriffsplan, und mit halb geöffnetem Munde
sammeln die vor Schreck fast gebannten Eidechsen ihre Kräfte zur verzweifelten Gegenwehr. Plötzlich
fährt eine der Schlangen auf ihr Opfer los, streckt den vorher nach hinten und seitwärts gebogenen
Hals, und rasch dahingleitend, erfaßt sie mit weit geöffnetem Rachen die fliehende Eidechse. Jn
rasendem Wirbel sich drehend, umschlingt sie mit engen Windungen den Leib der auf den Rücken
geworfenen Echse, sodaß nur noch deren Kopf und Schweif den dichten Knäuel überragt.

"Nun folgt die schwere Arbeit des Verschlingens. Die Eidechse soll in ihrer ganzen Länge und
Dicke hinabgewürgt werden und zwar mit dem Kopfe vorn: das kostet viel Zeit und Mühe. Unsere
Natter hat daher auch keine große Eile damit, umzüngelt einstweilen ihr Opfer und wedelt mit dem
Schwanze nach Katzenart. Jetzt aber richtet sie sich hoch auf, beschreibt mit dem Halse einen senk-
rechten Bogen und erfaßt mit weit geöffnetem Rachen den Kopf ihres Opfers. Allmählich lösen sich
die Schlingen; es verschwindet der Kopf der Eidechse; langsam folgt ihr Leib; traurig winkt noch
zum Abschied ihr Schwanz, und erst nach Verlauf einer halben Stunde oder später ist sie durch den
weit ausgedehnten Schlund in den Magen der Natter eingefahren.

"Nicht immer wickelt sich dieses Geschäft so glatt ab; denn auch die bis zum Hals eingeschraubte
Eidechse lebt noch und hält sich mit geöffnetem Rachen zur verzweifelten Gegenwehr bereit. Faßt die

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Schlingnatter.
daß man ſie bei lebenden Stücken kaum ſieht; ſie ſind aber ſo ſpitz, daß ſie doch gleich einhäkeln. Die
Schlange wird zwar leicht ſo grimmig, daß ſie ſich ſelbſt, Jhresgleichen, andere Schlangen ꝛc. beißt,
verſucht jedoch ihre Zähne an Steinen und Eiſen, das man ihr vorhält, nicht gern. Wenn ſie gereizt
iſt, ſtellt ſie ſich faſt wie eine Kreuzotter, ringelt ſich zuſammen, zieht den Hals ein, macht den Hinter-
kopf breit und ſperrt beim Biſſe oft den Rachen auf, ſoweit ſie kann. Dieſes boshafte Weſen hat ſie
in üblen Ruf gebracht, und ſie wird, weil man ſie für giftig hält, ſehr gefürchtet, iſt auch wirklich in
dem Augenblicke, in welchem ſie ſo voll Groll um ſich ſchnappt, leicht mit einem Kreuzotterweibchen zu
verwechſeln.“ — „Mir ſelbſt iſt es begegnet“, fügt Schinz hinzu, „daß ich eine ſolche Schlange für
eine Viper anſah, bis ich ſie genauer unterſucht hatte. Wenn man freilich den Kopf in der Nähe
ſieht, iſt die Täuſchung für den Kenner bald gefunden: die großen Schilder auf dem Kopfe, der
dünnere, glänzendere Körper, welcher an der Sonne verſchiedene Farben zeigt, unterſcheiden ſie ſehr
leicht; ein Jrrthum iſt aber doch zu gefährlich, und deshalb muß man genau nachſehen.“

Wahrſcheinlich laſſen ſich die verſchiedenen Angaben leicht ausgleichen. Die Schlingnatter hat
gute und ſchlechte Launen. „Zuweilen“, fährt Lenz fort, „zumal wenn das Wetter naßkalt iſt, läßt ſie
ſich geduldig und ohne Gegenwehr fangen, meiſt aber ſucht ſie ſchnell zu entwiſchen und iſt wirklich
recht flink, obſchon man ſie auf ebenem Boden leicht einholen kann; jedenfalls iſt ſie weit gewandter
als die Kreuzotter und Ringelnatter. Wenn man ſie an der Schwanzſpitze hält, hebt ſie ſich ſehr
leicht mit dem Kopfe bis zur Hand empor.“

Nicht ſelten theilt ſie mit anderen Schlangen, beiſpielsweiſe mit Ringelnattern und Kreuzottern,
denſelben Aufenthalt, verträgt ſich auch in der Gefangenſchaft längere Zeit mit ihnen, jedoch nur
ſolange, als es ihr eben behagt, und ſie nicht hungrig iſt. Auch ſie zieht, wie bereits erwähnt, eine
beſtimmte Art von Beute, Eidechſen nämlich, jeder anderen vor, wird aber kleinen Schlangen nicht
ſelten ebenfalls gefährlich und verzehrt, nach Erber’s Beobachtungen, ſogar junge Vipern, trotz ihrer
Giftzähne. Wyder ſcheint der Erſte geweſen zu ſein, welcher ſeine Beobachtungen über die Art und
Weiſe, wie ſie ſich der Beute bemächtigt, veröffentlicht hat; ſpäteren Forſchern aber verdanken wir
ausführlichere Schilderungen, die beſte, meiner Anſicht nach, Durſy. Läßt man, ſo ungefähr drückt
er ſich aus, einige lebende Eidechſen in den Behälter, in welchem ſich Schlingnattern befinden, ſo
erkennen dieſelben ſogleich die ihnen drohende Gefahr und ſuchen in raſendem Laufen nach allen
Richtungen zu entkommen. Die ganze Geſellſchaft geräth in die größte Aufregung, und in der erſten
Ueberraſchung ſuchen die Nattern ſich eiligſt aus dem Staube zu machen. Dabei beißen ſie oft ſo
wüthend um ſich, daß ſie unter einander ſelbſt in Händel gerathen, ja mitunter gar ihren eigenen
Leib erfaſſen. „Auf dieſe geräuſchvolle Einleitung folgt eine peinliche Pauſe. Haſtig züngelnd und
mit erhobenem Kopfe überlegen die Schlangen ihren Angriffsplan, und mit halb geöffnetem Munde
ſammeln die vor Schreck faſt gebannten Eidechſen ihre Kräfte zur verzweifelten Gegenwehr. Plötzlich
fährt eine der Schlangen auf ihr Opfer los, ſtreckt den vorher nach hinten und ſeitwärts gebogenen
Hals, und raſch dahingleitend, erfaßt ſie mit weit geöffnetem Rachen die fliehende Eidechſe. Jn
raſendem Wirbel ſich drehend, umſchlingt ſie mit engen Windungen den Leib der auf den Rücken
geworfenen Echſe, ſodaß nur noch deren Kopf und Schweif den dichten Knäuel überragt.

„Nun folgt die ſchwere Arbeit des Verſchlingens. Die Eidechſe ſoll in ihrer ganzen Länge und
Dicke hinabgewürgt werden und zwar mit dem Kopfe vorn: das koſtet viel Zeit und Mühe. Unſere
Natter hat daher auch keine große Eile damit, umzüngelt einſtweilen ihr Opfer und wedelt mit dem
Schwanze nach Katzenart. Jetzt aber richtet ſie ſich hoch auf, beſchreibt mit dem Halſe einen ſenk-
rechten Bogen und erfaßt mit weit geöffnetem Rachen den Kopf ihres Opfers. Allmählich löſen ſich
die Schlingen; es verſchwindet der Kopf der Eidechſe; langſam folgt ihr Leib; traurig winkt noch
zum Abſchied ihr Schwanz, und erſt nach Verlauf einer halben Stunde oder ſpäter iſt ſie durch den
weit ausgedehnten Schlund in den Magen der Natter eingefahren.

„Nicht immer wickelt ſich dieſes Geſchäft ſo glatt ab; denn auch die bis zum Hals eingeſchraubte
Eidechſe lebt noch und hält ſich mit geöffnetem Rachen zur verzweifelten Gegenwehr bereit. Faßt die

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[227/0249] Schlingnatter. daß man ſie bei lebenden Stücken kaum ſieht; ſie ſind aber ſo ſpitz, daß ſie doch gleich einhäkeln. Die Schlange wird zwar leicht ſo grimmig, daß ſie ſich ſelbſt, Jhresgleichen, andere Schlangen ꝛc. beißt, verſucht jedoch ihre Zähne an Steinen und Eiſen, das man ihr vorhält, nicht gern. Wenn ſie gereizt iſt, ſtellt ſie ſich faſt wie eine Kreuzotter, ringelt ſich zuſammen, zieht den Hals ein, macht den Hinter- kopf breit und ſperrt beim Biſſe oft den Rachen auf, ſoweit ſie kann. Dieſes boshafte Weſen hat ſie in üblen Ruf gebracht, und ſie wird, weil man ſie für giftig hält, ſehr gefürchtet, iſt auch wirklich in dem Augenblicke, in welchem ſie ſo voll Groll um ſich ſchnappt, leicht mit einem Kreuzotterweibchen zu verwechſeln.“ — „Mir ſelbſt iſt es begegnet“, fügt Schinz hinzu, „daß ich eine ſolche Schlange für eine Viper anſah, bis ich ſie genauer unterſucht hatte. Wenn man freilich den Kopf in der Nähe ſieht, iſt die Täuſchung für den Kenner bald gefunden: die großen Schilder auf dem Kopfe, der dünnere, glänzendere Körper, welcher an der Sonne verſchiedene Farben zeigt, unterſcheiden ſie ſehr leicht; ein Jrrthum iſt aber doch zu gefährlich, und deshalb muß man genau nachſehen.“ Wahrſcheinlich laſſen ſich die verſchiedenen Angaben leicht ausgleichen. Die Schlingnatter hat gute und ſchlechte Launen. „Zuweilen“, fährt Lenz fort, „zumal wenn das Wetter naßkalt iſt, läßt ſie ſich geduldig und ohne Gegenwehr fangen, meiſt aber ſucht ſie ſchnell zu entwiſchen und iſt wirklich recht flink, obſchon man ſie auf ebenem Boden leicht einholen kann; jedenfalls iſt ſie weit gewandter als die Kreuzotter und Ringelnatter. Wenn man ſie an der Schwanzſpitze hält, hebt ſie ſich ſehr leicht mit dem Kopfe bis zur Hand empor.“ Nicht ſelten theilt ſie mit anderen Schlangen, beiſpielsweiſe mit Ringelnattern und Kreuzottern, denſelben Aufenthalt, verträgt ſich auch in der Gefangenſchaft längere Zeit mit ihnen, jedoch nur ſolange, als es ihr eben behagt, und ſie nicht hungrig iſt. Auch ſie zieht, wie bereits erwähnt, eine beſtimmte Art von Beute, Eidechſen nämlich, jeder anderen vor, wird aber kleinen Schlangen nicht ſelten ebenfalls gefährlich und verzehrt, nach Erber’s Beobachtungen, ſogar junge Vipern, trotz ihrer Giftzähne. Wyder ſcheint der Erſte geweſen zu ſein, welcher ſeine Beobachtungen über die Art und Weiſe, wie ſie ſich der Beute bemächtigt, veröffentlicht hat; ſpäteren Forſchern aber verdanken wir ausführlichere Schilderungen, die beſte, meiner Anſicht nach, Durſy. Läßt man, ſo ungefähr drückt er ſich aus, einige lebende Eidechſen in den Behälter, in welchem ſich Schlingnattern befinden, ſo erkennen dieſelben ſogleich die ihnen drohende Gefahr und ſuchen in raſendem Laufen nach allen Richtungen zu entkommen. Die ganze Geſellſchaft geräth in die größte Aufregung, und in der erſten Ueberraſchung ſuchen die Nattern ſich eiligſt aus dem Staube zu machen. Dabei beißen ſie oft ſo wüthend um ſich, daß ſie unter einander ſelbſt in Händel gerathen, ja mitunter gar ihren eigenen Leib erfaſſen. „Auf dieſe geräuſchvolle Einleitung folgt eine peinliche Pauſe. Haſtig züngelnd und mit erhobenem Kopfe überlegen die Schlangen ihren Angriffsplan, und mit halb geöffnetem Munde ſammeln die vor Schreck faſt gebannten Eidechſen ihre Kräfte zur verzweifelten Gegenwehr. Plötzlich fährt eine der Schlangen auf ihr Opfer los, ſtreckt den vorher nach hinten und ſeitwärts gebogenen Hals, und raſch dahingleitend, erfaßt ſie mit weit geöffnetem Rachen die fliehende Eidechſe. Jn raſendem Wirbel ſich drehend, umſchlingt ſie mit engen Windungen den Leib der auf den Rücken geworfenen Echſe, ſodaß nur noch deren Kopf und Schweif den dichten Knäuel überragt. „Nun folgt die ſchwere Arbeit des Verſchlingens. Die Eidechſe ſoll in ihrer ganzen Länge und Dicke hinabgewürgt werden und zwar mit dem Kopfe vorn: das koſtet viel Zeit und Mühe. Unſere Natter hat daher auch keine große Eile damit, umzüngelt einſtweilen ihr Opfer und wedelt mit dem Schwanze nach Katzenart. Jetzt aber richtet ſie ſich hoch auf, beſchreibt mit dem Halſe einen ſenk- rechten Bogen und erfaßt mit weit geöffnetem Rachen den Kopf ihres Opfers. Allmählich löſen ſich die Schlingen; es verſchwindet der Kopf der Eidechſe; langſam folgt ihr Leib; traurig winkt noch zum Abſchied ihr Schwanz, und erſt nach Verlauf einer halben Stunde oder ſpäter iſt ſie durch den weit ausgedehnten Schlund in den Magen der Natter eingefahren. „Nicht immer wickelt ſich dieſes Geſchäft ſo glatt ab; denn auch die bis zum Hals eingeſchraubte Eidechſe lebt noch und hält ſich mit geöffnetem Rachen zur verzweifelten Gegenwehr bereit. Faßt die 15*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/249>, abgerufen am 21.12.2024.