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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schlangen. Stummelfüßler. Nattern. Wassernattern.
des Neusiedler Sees eine Ringelnatter und beherbergte dieselbe seit jener Zeit in einem hierzu her-
gerichteten Glasbehälter. Obgleich er ihr entsprechende Nahrung bot, verschmähte sie doch hartnäckig
Futter und Wasser. Dieses Verhalten währte fort bis Mitte Septembers, in welchem Monate sie
ein einziges Mal Wasser trank, Futter aber noch verschmähte. Die Häutung erfolgte vollständig.

"Es fing an, mich zu interessiren, wie lange wohl das Thier werde hungern können, und deshalb
verweigerte ich von jetzt an Futter und Wasser. Der Käfig stand in meinem Zimmer; ich bewohnte
dasselbe allein, und es ist außer allem Zweifel, daß Niemand die Schlange fütterte. Der Winter
kam heran, die Schlange aber, obwohl sie versuchte, unter den Steinen und der mosbedeckten Erde
sich ein Lager zu bereiten, siel nicht in Winterschlaf, weil die Wärme nicht unter 8 bis 10 Grad R.
sank. Sie war zwar den Winter über nicht sehr lebhaft und lag zuweilen sogar längere Zeit dem
Anscheine nach leblos da; es verrieth mir aber doch die pfeilschnelle Bewegung der Zunge, wenn
ich den Käsig öffnete, daß sie noch lebe und nicht schlafe. Nur ein einziges Mal glaubte ich, sie sei
gestorben und gab Auftrag, den Leichnam aus dem Käfige zu entfernen; sie belebte sich jedoch in der
warmen Hand meines Sohnes wieder, fing an Schlingen zu bilden, nahm ein wenig ihr gereichtes
Wasser und setzte hierauf ihre unfreiwillige Hungerkur bis zum 26. April d. J. fort. An diesem
Tage war sie wieder ganz ermattet, und ich fürchtete ernstlich für ihr Leben. Da ich sie nun des ihr
von mir bereiteten Schicksals halber nicht opfern wollte, brachte ich ihr zwei Wassersalamander in
ihren Käfig. Sie bemerkte angenblicklich den Fraß, rollte sich auf und machte mehrere Umgänge in
ihrem Gefängnisse, blieb auf einmal liegen, hob das Köpfchen und strich sich mit demselben bald auf
der rechten, bald auf der linken Seite an einem Steine, wobei sie wechselsweise bald die eine, bald die
andere Seite des Rachens und endlich denselben ganz öffnete und dehnte. Mit außerordentlicher
Schnelligkeit stürzte sie sich hierauf auf einen Wassersalamander, verschlang denselben mit vorzüglicher
Freßlust, und bald war auch der zweite in ihrem Rachen verschwunden. Seit jener Zeit hat sie nun
öfter gefressen, ist ganz gesund und häutete sich vollständig am 11. Mai d. J.

"Trotzdem sie seit der Zeit ihrer Gefangenschaft abgemagert ist, so verräth doch kein einziges
Zeichen irgend einen krankhaften Zustand, und ihr ganzes Verhalten entspricht dem anderer Stücke,
welche ich ebenfalls in der Gefangenschaft hielt, ohne sie jedoch eine Hungerkur durchmachen zu lassen.
Selten dürfte es sein, daß ein Thier ohne Nahrung und ohne Winterschlaf dreihundert und elf Tage
zubrachte, und deshalb glaubte ich diesen Fall mittheilen zu sollen."

Obgleich die Ringelnatter in guten Jahren, wie schon bemerkt, gegen Ende März oder Anfangs
April zum Vorscheine kommt und bald darauf zum ersten Male sich häutet, also gewissermaßen ihr
Hochzeitskleid anlegt, schreitet sie doch selten vor Ende Mai's oder Anfangs Juni zur Paarung. Um
diese Zeit sieht man, gewöhnlich in den Morgenstunden, Männchen und Weibchen mehrfach umschlungen
in innigster Vereinigung liegen, wo immer möglich auf einer den Strahlen der Morgensonne aus-
gesetzten Stelle. Jhre Brunst beschäftigt sie so vollständig, daß man sich ihnen bis auf wenige
Schritte nähern kann, bevor sie unter lautem Zischen, in der oben angegebenen Weise sich gegenseitig
zerrend und hindernd, zu entfliehen suchen. Auf die Austragung der Eier im Mutterleibe scheint
die Witterung nicht ohne Einfluß zu sein, da man frischgelegte Eier zu verschiedenen Jahreszeiten
findet, die ersten Ende Juli's, die letzten im August und September. Jüngere Weibchen legen
deren funfzehn bis zwanzig, ältere fünfundzwanzig bis sechsunddreißig. Jn Gestalt und Größe
ähneln die Eier denen der Haustaube, unterscheiden sich aber, wie alle Kriechthiereier, durch ihre
weiche, biegsame, also wenig kalkhaltige Schale und im Jnnern durch die geringe Menge von
Eiweiß, welches nur eine dünne Schicht um den Dotter bildet. An der Luft trocknen sie allmählich
ein und verkümmern; im Wasser gehen sie ebenfalls zu Grunde, und das Eine oder das Andere beein-
trächtigt die Vermehrung dieser Schlangenart, welche eine außerordentliche sein müßte, wenn alle Keime
zur Entwickelung kämen. Gewöhnlich wählt die Alte mit vielem Geschick die günstigsten Stellen:
Haufen von Mist, Laub, Sägespänen, lockere Erde, Mulm, feuchtes Mos und dergleichen, welche
der Wärme ausgesetzt sind und doch eine mäßige Feuchtigkeit längere Zeit bewahren. Sie sucht hier

Die Schlangen. Stummelfüßler. Nattern. Waſſernattern.
des Neuſiedler Sees eine Ringelnatter und beherbergte dieſelbe ſeit jener Zeit in einem hierzu her-
gerichteten Glasbehälter. Obgleich er ihr entſprechende Nahrung bot, verſchmähte ſie doch hartnäckig
Futter und Waſſer. Dieſes Verhalten währte fort bis Mitte Septembers, in welchem Monate ſie
ein einziges Mal Waſſer trank, Futter aber noch verſchmähte. Die Häutung erfolgte vollſtändig.

„Es fing an, mich zu intereſſiren, wie lange wohl das Thier werde hungern können, und deshalb
verweigerte ich von jetzt an Futter und Waſſer. Der Käfig ſtand in meinem Zimmer; ich bewohnte
daſſelbe allein, und es iſt außer allem Zweifel, daß Niemand die Schlange fütterte. Der Winter
kam heran, die Schlange aber, obwohl ſie verſuchte, unter den Steinen und der mosbedeckten Erde
ſich ein Lager zu bereiten, ſiel nicht in Winterſchlaf, weil die Wärme nicht unter 8 bis 10 Grad R.
ſank. Sie war zwar den Winter über nicht ſehr lebhaft und lag zuweilen ſogar längere Zeit dem
Anſcheine nach leblos da; es verrieth mir aber doch die pfeilſchnelle Bewegung der Zunge, wenn
ich den Käſig öffnete, daß ſie noch lebe und nicht ſchlafe. Nur ein einziges Mal glaubte ich, ſie ſei
geſtorben und gab Auftrag, den Leichnam aus dem Käfige zu entfernen; ſie belebte ſich jedoch in der
warmen Hand meines Sohnes wieder, fing an Schlingen zu bilden, nahm ein wenig ihr gereichtes
Waſſer und ſetzte hierauf ihre unfreiwillige Hungerkur bis zum 26. April d. J. fort. An dieſem
Tage war ſie wieder ganz ermattet, und ich fürchtete ernſtlich für ihr Leben. Da ich ſie nun des ihr
von mir bereiteten Schickſals halber nicht opfern wollte, brachte ich ihr zwei Waſſerſalamander in
ihren Käfig. Sie bemerkte angenblicklich den Fraß, rollte ſich auf und machte mehrere Umgänge in
ihrem Gefängniſſe, blieb auf einmal liegen, hob das Köpfchen und ſtrich ſich mit demſelben bald auf
der rechten, bald auf der linken Seite an einem Steine, wobei ſie wechſelsweiſe bald die eine, bald die
andere Seite des Rachens und endlich denſelben ganz öffnete und dehnte. Mit außerordentlicher
Schnelligkeit ſtürzte ſie ſich hierauf auf einen Waſſerſalamander, verſchlang denſelben mit vorzüglicher
Freßluſt, und bald war auch der zweite in ihrem Rachen verſchwunden. Seit jener Zeit hat ſie nun
öfter gefreſſen, iſt ganz geſund und häutete ſich vollſtändig am 11. Mai d. J.

„Trotzdem ſie ſeit der Zeit ihrer Gefangenſchaft abgemagert iſt, ſo verräth doch kein einziges
Zeichen irgend einen krankhaften Zuſtand, und ihr ganzes Verhalten entſpricht dem anderer Stücke,
welche ich ebenfalls in der Gefangenſchaft hielt, ohne ſie jedoch eine Hungerkur durchmachen zu laſſen.
Selten dürfte es ſein, daß ein Thier ohne Nahrung und ohne Winterſchlaf dreihundert und elf Tage
zubrachte, und deshalb glaubte ich dieſen Fall mittheilen zu ſollen.“

Obgleich die Ringelnatter in guten Jahren, wie ſchon bemerkt, gegen Ende März oder Anfangs
April zum Vorſcheine kommt und bald darauf zum erſten Male ſich häutet, alſo gewiſſermaßen ihr
Hochzeitskleid anlegt, ſchreitet ſie doch ſelten vor Ende Mai’s oder Anfangs Juni zur Paarung. Um
dieſe Zeit ſieht man, gewöhnlich in den Morgenſtunden, Männchen und Weibchen mehrfach umſchlungen
in innigſter Vereinigung liegen, wo immer möglich auf einer den Strahlen der Morgenſonne aus-
geſetzten Stelle. Jhre Brunſt beſchäftigt ſie ſo vollſtändig, daß man ſich ihnen bis auf wenige
Schritte nähern kann, bevor ſie unter lautem Ziſchen, in der oben angegebenen Weiſe ſich gegenſeitig
zerrend und hindernd, zu entfliehen ſuchen. Auf die Austragung der Eier im Mutterleibe ſcheint
die Witterung nicht ohne Einfluß zu ſein, da man friſchgelegte Eier zu verſchiedenen Jahreszeiten
findet, die erſten Ende Juli’s, die letzten im Auguſt und September. Jüngere Weibchen legen
deren funfzehn bis zwanzig, ältere fünfundzwanzig bis ſechsunddreißig. Jn Geſtalt und Größe
ähneln die Eier denen der Haustaube, unterſcheiden ſich aber, wie alle Kriechthiereier, durch ihre
weiche, biegſame, alſo wenig kalkhaltige Schale und im Jnnern durch die geringe Menge von
Eiweiß, welches nur eine dünne Schicht um den Dotter bildet. An der Luft trocknen ſie allmählich
ein und verkümmern; im Waſſer gehen ſie ebenfalls zu Grunde, und das Eine oder das Andere beein-
trächtigt die Vermehrung dieſer Schlangenart, welche eine außerordentliche ſein müßte, wenn alle Keime
zur Entwickelung kämen. Gewöhnlich wählt die Alte mit vielem Geſchick die günſtigſten Stellen:
Haufen von Miſt, Laub, Sägeſpänen, lockere Erde, Mulm, feuchtes Mos und dergleichen, welche
der Wärme ausgeſetzt ſind und doch eine mäßige Feuchtigkeit längere Zeit bewahren. Sie ſucht hier

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[222/0244] Die Schlangen. Stummelfüßler. Nattern. Waſſernattern. des Neuſiedler Sees eine Ringelnatter und beherbergte dieſelbe ſeit jener Zeit in einem hierzu her- gerichteten Glasbehälter. Obgleich er ihr entſprechende Nahrung bot, verſchmähte ſie doch hartnäckig Futter und Waſſer. Dieſes Verhalten währte fort bis Mitte Septembers, in welchem Monate ſie ein einziges Mal Waſſer trank, Futter aber noch verſchmähte. Die Häutung erfolgte vollſtändig. „Es fing an, mich zu intereſſiren, wie lange wohl das Thier werde hungern können, und deshalb verweigerte ich von jetzt an Futter und Waſſer. Der Käfig ſtand in meinem Zimmer; ich bewohnte daſſelbe allein, und es iſt außer allem Zweifel, daß Niemand die Schlange fütterte. Der Winter kam heran, die Schlange aber, obwohl ſie verſuchte, unter den Steinen und der mosbedeckten Erde ſich ein Lager zu bereiten, ſiel nicht in Winterſchlaf, weil die Wärme nicht unter 8 bis 10 Grad R. ſank. Sie war zwar den Winter über nicht ſehr lebhaft und lag zuweilen ſogar längere Zeit dem Anſcheine nach leblos da; es verrieth mir aber doch die pfeilſchnelle Bewegung der Zunge, wenn ich den Käſig öffnete, daß ſie noch lebe und nicht ſchlafe. Nur ein einziges Mal glaubte ich, ſie ſei geſtorben und gab Auftrag, den Leichnam aus dem Käfige zu entfernen; ſie belebte ſich jedoch in der warmen Hand meines Sohnes wieder, fing an Schlingen zu bilden, nahm ein wenig ihr gereichtes Waſſer und ſetzte hierauf ihre unfreiwillige Hungerkur bis zum 26. April d. J. fort. An dieſem Tage war ſie wieder ganz ermattet, und ich fürchtete ernſtlich für ihr Leben. Da ich ſie nun des ihr von mir bereiteten Schickſals halber nicht opfern wollte, brachte ich ihr zwei Waſſerſalamander in ihren Käfig. Sie bemerkte angenblicklich den Fraß, rollte ſich auf und machte mehrere Umgänge in ihrem Gefängniſſe, blieb auf einmal liegen, hob das Köpfchen und ſtrich ſich mit demſelben bald auf der rechten, bald auf der linken Seite an einem Steine, wobei ſie wechſelsweiſe bald die eine, bald die andere Seite des Rachens und endlich denſelben ganz öffnete und dehnte. Mit außerordentlicher Schnelligkeit ſtürzte ſie ſich hierauf auf einen Waſſerſalamander, verſchlang denſelben mit vorzüglicher Freßluſt, und bald war auch der zweite in ihrem Rachen verſchwunden. Seit jener Zeit hat ſie nun öfter gefreſſen, iſt ganz geſund und häutete ſich vollſtändig am 11. Mai d. J. „Trotzdem ſie ſeit der Zeit ihrer Gefangenſchaft abgemagert iſt, ſo verräth doch kein einziges Zeichen irgend einen krankhaften Zuſtand, und ihr ganzes Verhalten entſpricht dem anderer Stücke, welche ich ebenfalls in der Gefangenſchaft hielt, ohne ſie jedoch eine Hungerkur durchmachen zu laſſen. Selten dürfte es ſein, daß ein Thier ohne Nahrung und ohne Winterſchlaf dreihundert und elf Tage zubrachte, und deshalb glaubte ich dieſen Fall mittheilen zu ſollen.“ Obgleich die Ringelnatter in guten Jahren, wie ſchon bemerkt, gegen Ende März oder Anfangs April zum Vorſcheine kommt und bald darauf zum erſten Male ſich häutet, alſo gewiſſermaßen ihr Hochzeitskleid anlegt, ſchreitet ſie doch ſelten vor Ende Mai’s oder Anfangs Juni zur Paarung. Um dieſe Zeit ſieht man, gewöhnlich in den Morgenſtunden, Männchen und Weibchen mehrfach umſchlungen in innigſter Vereinigung liegen, wo immer möglich auf einer den Strahlen der Morgenſonne aus- geſetzten Stelle. Jhre Brunſt beſchäftigt ſie ſo vollſtändig, daß man ſich ihnen bis auf wenige Schritte nähern kann, bevor ſie unter lautem Ziſchen, in der oben angegebenen Weiſe ſich gegenſeitig zerrend und hindernd, zu entfliehen ſuchen. Auf die Austragung der Eier im Mutterleibe ſcheint die Witterung nicht ohne Einfluß zu ſein, da man friſchgelegte Eier zu verſchiedenen Jahreszeiten findet, die erſten Ende Juli’s, die letzten im Auguſt und September. Jüngere Weibchen legen deren funfzehn bis zwanzig, ältere fünfundzwanzig bis ſechsunddreißig. Jn Geſtalt und Größe ähneln die Eier denen der Haustaube, unterſcheiden ſich aber, wie alle Kriechthiereier, durch ihre weiche, biegſame, alſo wenig kalkhaltige Schale und im Jnnern durch die geringe Menge von Eiweiß, welches nur eine dünne Schicht um den Dotter bildet. An der Luft trocknen ſie allmählich ein und verkümmern; im Waſſer gehen ſie ebenfalls zu Grunde, und das Eine oder das Andere beein- trächtigt die Vermehrung dieſer Schlangenart, welche eine außerordentliche ſein müßte, wenn alle Keime zur Entwickelung kämen. Gewöhnlich wählt die Alte mit vielem Geſchick die günſtigſten Stellen: Haufen von Miſt, Laub, Sägeſpänen, lockere Erde, Mulm, feuchtes Mos und dergleichen, welche der Wärme ausgeſetzt ſind und doch eine mäßige Feuchtigkeit längere Zeit bewahren. Sie ſucht hier

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/244>, abgerufen am 04.05.2024.