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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schlangen. Stummelfüßler. Nattern. Riesennattern.
jedoch auf einige Gruppen der Ordnung, welche sich von den Stummelfüßlern durch das Nichtvor-
handensein der Afterstummeln, durch die eigenthümliche Beschilderung und durch den Bau des Auges,
welches einen runden Stern hat, hinlänglich unterscheiden.

Alle Nattern und die verwandten, wegen ihres Zahnbaues von jenen getrennten Familien
kennzeichnen sich durch schlank gestreckten Leib, von dem sich der kleine, längliche Kopf deutlich absetzt,
und dessen Schwanz in eine lange Spitze ausläuft, sowie durch ihre Bedeckung, welche aus glatten
oder gekielten Schindelschuppen und auf der Unterseite aus Schildern besteht.

Bei den Nattern im engeren Sinne (Colubrina) tragen die Oberkiefer in einer ununterbrochenen
Reihe ungleiche Zähne, da die hinteren größer als die vorderen sind.

Vor anderen Schlangen zeichnen sich die Nattern aus durch die Schlankheit und Zierlichkeit
ihrer Gestalt, die Lebhaftigkeit ihrer oft prachtvollen und vielfach wechselnden Färbung, ihre Beweg-
lichkeit, Munterkeit und verhältnißmäßige Klugheit, sodaß man sie in gewisser Hinsicht wohl als die
höchststehenden Schlangen bezeichnen darf. Sie verbreiten sich über die ganze Erde, da sie, wenn
auch spärlich, noch bis gegen den Polarkreis hin gefunden werden, diesen vielleicht sogar noch über-
schreiten. Der Aufenthalt ist sehr verschieden. Viele Arten lieben feuchte Gegenden und Gewässer;
andere hingegen suchen mehr trockene Oertlichkeiten auf. Alle bis jetzt bekannten sind, wie schon der
Bau ihres Auges vermuthen läßt, echte Tagthiere, welche mit Einbruch der Nacht nach ihrem
Schlupfwinkel sich zurückziehen und in ihm bis zu den Vormittagsstunden des nächsten Tages
verweilen. Jn ihrer Lebensweise unterscheiden sich die verschiedenen Arten nicht unwesentlich, da
ja schon der Aufenthalt hierauf einen bedeutenden Einfluß ausübt; doch haben sie anderer-
seits auch wiederum Vieles mit einander gemein. Sie sind schnelle und bewegungsfähige Thiere,
schlängeln sich verhältnißmäßig rasch auf dem Boden fort, schwimmen, zum Theil mit überraschender
Fertigkeit, und klettern auch mehr oder weniger gut, einzelne von ihnen vorzüglich. Jhre Nahrung
besteht hauptsächlich aus kleinen Wirbelthieren aller Klassen, insbesondere aus Kriechthieren und
Lurchen; einzelne stellen jedoch auch kleinen Säugethieren, andere kleinen Vögeln und mehrere
entsprechend großen Fischen eifrig nach. Jn kälteren Gegenden ziehen sie sich im Spätherbste zu
ihrer Winterherberge zurück, verfallen hier in einen Zustand der Erstarrung und erscheinen erst nach
Eintritt des wirklichen Frühlings wieder, häuten sich und beginnen sodann ihr Fortpflanzungsgeschäft,
welches einzelne Arten von ihnen in merkwürdiger Weise erregen und zu Angriffen auf größere
Thiere geneigt machen soll. Mehrere Wochen später legt das Weibchen seine zehn bis dreißig Eier
an feuchtwarmen Orten ab, deren Zeitigung der Sonnenwärme überlassend. Die Jungen ernähren
sich anfänglich von kleinen, wirbellosen Thieren verschiedener Klassen, beginnen aber bald die Lebens-
weise ihrer Eltern.

Die Nattern bringen den Menschen keinen Nutzen, eher noch Schaden: Diejenigen also, welche
sie geschont wissen wollen, dürfen nicht vergessen, daß zu solcher Schonung eine genaue Kenntniß der
Schützlinge unbedingt erforderlich ist. Jn der Gefangenschaft halten die meisten Arten mehrere
Jahre aus, da sie ohne Besinnen aus Futter gehen und sich nach und nach an ihren Pfleger gewöhnen,
ja wirklich bis zu einem gewissen Grade zähmen lassen.



Einige ausländische Arten der Familie unterscheiden sich dadurch von den übrigen, daß die
Zähne ihres Oberkiefers nach hinten allmählich an Größe zunehmen, und sind deshalb in einer
besonderen Gruppe (Coryphodon), welcher einige Naturforscher sogar den Rang einer Familie
zusprechen, vereinigt worden. Wir wollen sie Riesennattern nennen, da sie sich auch durch ihre
verhältnißmäßige Größe auszeichnen. Jhr Leib ist kräftig, der Kopf deutlich vom Rumpfe abge-
setzt, die Schnauze stumpf, der Schwanz zugespitzt.

Die Schlangen. Stummelfüßler. Nattern. Rieſennattern.
jedoch auf einige Gruppen der Ordnung, welche ſich von den Stummelfüßlern durch das Nichtvor-
handenſein der Afterſtummeln, durch die eigenthümliche Beſchilderung und durch den Bau des Auges,
welches einen runden Stern hat, hinlänglich unterſcheiden.

Alle Nattern und die verwandten, wegen ihres Zahnbaues von jenen getrennten Familien
kennzeichnen ſich durch ſchlank geſtreckten Leib, von dem ſich der kleine, längliche Kopf deutlich abſetzt,
und deſſen Schwanz in eine lange Spitze ausläuft, ſowie durch ihre Bedeckung, welche aus glatten
oder gekielten Schindelſchuppen und auf der Unterſeite aus Schildern beſteht.

Bei den Nattern im engeren Sinne (Colubrina) tragen die Oberkiefer in einer ununterbrochenen
Reihe ungleiche Zähne, da die hinteren größer als die vorderen ſind.

Vor anderen Schlangen zeichnen ſich die Nattern aus durch die Schlankheit und Zierlichkeit
ihrer Geſtalt, die Lebhaftigkeit ihrer oft prachtvollen und vielfach wechſelnden Färbung, ihre Beweg-
lichkeit, Munterkeit und verhältnißmäßige Klugheit, ſodaß man ſie in gewiſſer Hinſicht wohl als die
höchſtſtehenden Schlangen bezeichnen darf. Sie verbreiten ſich über die ganze Erde, da ſie, wenn
auch ſpärlich, noch bis gegen den Polarkreis hin gefunden werden, dieſen vielleicht ſogar noch über-
ſchreiten. Der Aufenthalt iſt ſehr verſchieden. Viele Arten lieben feuchte Gegenden und Gewäſſer;
andere hingegen ſuchen mehr trockene Oertlichkeiten auf. Alle bis jetzt bekannten ſind, wie ſchon der
Bau ihres Auges vermuthen läßt, echte Tagthiere, welche mit Einbruch der Nacht nach ihrem
Schlupfwinkel ſich zurückziehen und in ihm bis zu den Vormittagsſtunden des nächſten Tages
verweilen. Jn ihrer Lebensweiſe unterſcheiden ſich die verſchiedenen Arten nicht unweſentlich, da
ja ſchon der Aufenthalt hierauf einen bedeutenden Einfluß ausübt; doch haben ſie anderer-
ſeits auch wiederum Vieles mit einander gemein. Sie ſind ſchnelle und bewegungsfähige Thiere,
ſchlängeln ſich verhältnißmäßig raſch auf dem Boden fort, ſchwimmen, zum Theil mit überraſchender
Fertigkeit, und klettern auch mehr oder weniger gut, einzelne von ihnen vorzüglich. Jhre Nahrung
beſteht hauptſächlich aus kleinen Wirbelthieren aller Klaſſen, insbeſondere aus Kriechthieren und
Lurchen; einzelne ſtellen jedoch auch kleinen Säugethieren, andere kleinen Vögeln und mehrere
entſprechend großen Fiſchen eifrig nach. Jn kälteren Gegenden ziehen ſie ſich im Spätherbſte zu
ihrer Winterherberge zurück, verfallen hier in einen Zuſtand der Erſtarrung und erſcheinen erſt nach
Eintritt des wirklichen Frühlings wieder, häuten ſich und beginnen ſodann ihr Fortpflanzungsgeſchäft,
welches einzelne Arten von ihnen in merkwürdiger Weiſe erregen und zu Angriffen auf größere
Thiere geneigt machen ſoll. Mehrere Wochen ſpäter legt das Weibchen ſeine zehn bis dreißig Eier
an feuchtwarmen Orten ab, deren Zeitigung der Sonnenwärme überlaſſend. Die Jungen ernähren
ſich anfänglich von kleinen, wirbelloſen Thieren verſchiedener Klaſſen, beginnen aber bald die Lebens-
weiſe ihrer Eltern.

Die Nattern bringen den Menſchen keinen Nutzen, eher noch Schaden: Diejenigen alſo, welche
ſie geſchont wiſſen wollen, dürfen nicht vergeſſen, daß zu ſolcher Schonung eine genaue Kenntniß der
Schützlinge unbedingt erforderlich iſt. Jn der Gefangenſchaft halten die meiſten Arten mehrere
Jahre aus, da ſie ohne Beſinnen aus Futter gehen und ſich nach und nach an ihren Pfleger gewöhnen,
ja wirklich bis zu einem gewiſſen Grade zähmen laſſen.



Einige ausländiſche Arten der Familie unterſcheiden ſich dadurch von den übrigen, daß die
Zähne ihres Oberkiefers nach hinten allmählich an Größe zunehmen, und ſind deshalb in einer
beſonderen Gruppe (Coryphodon), welcher einige Naturforſcher ſogar den Rang einer Familie
zuſprechen, vereinigt worden. Wir wollen ſie Rieſennattern nennen, da ſie ſich auch durch ihre
verhältnißmäßige Größe auszeichnen. Jhr Leib iſt kräftig, der Kopf deutlich vom Rumpfe abge-
ſetzt, die Schnauze ſtumpf, der Schwanz zugeſpitzt.

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[214/0236] Die Schlangen. Stummelfüßler. Nattern. Rieſennattern. jedoch auf einige Gruppen der Ordnung, welche ſich von den Stummelfüßlern durch das Nichtvor- handenſein der Afterſtummeln, durch die eigenthümliche Beſchilderung und durch den Bau des Auges, welches einen runden Stern hat, hinlänglich unterſcheiden. Alle Nattern und die verwandten, wegen ihres Zahnbaues von jenen getrennten Familien kennzeichnen ſich durch ſchlank geſtreckten Leib, von dem ſich der kleine, längliche Kopf deutlich abſetzt, und deſſen Schwanz in eine lange Spitze ausläuft, ſowie durch ihre Bedeckung, welche aus glatten oder gekielten Schindelſchuppen und auf der Unterſeite aus Schildern beſteht. Bei den Nattern im engeren Sinne (Colubrina) tragen die Oberkiefer in einer ununterbrochenen Reihe ungleiche Zähne, da die hinteren größer als die vorderen ſind. Vor anderen Schlangen zeichnen ſich die Nattern aus durch die Schlankheit und Zierlichkeit ihrer Geſtalt, die Lebhaftigkeit ihrer oft prachtvollen und vielfach wechſelnden Färbung, ihre Beweg- lichkeit, Munterkeit und verhältnißmäßige Klugheit, ſodaß man ſie in gewiſſer Hinſicht wohl als die höchſtſtehenden Schlangen bezeichnen darf. Sie verbreiten ſich über die ganze Erde, da ſie, wenn auch ſpärlich, noch bis gegen den Polarkreis hin gefunden werden, dieſen vielleicht ſogar noch über- ſchreiten. Der Aufenthalt iſt ſehr verſchieden. Viele Arten lieben feuchte Gegenden und Gewäſſer; andere hingegen ſuchen mehr trockene Oertlichkeiten auf. Alle bis jetzt bekannten ſind, wie ſchon der Bau ihres Auges vermuthen läßt, echte Tagthiere, welche mit Einbruch der Nacht nach ihrem Schlupfwinkel ſich zurückziehen und in ihm bis zu den Vormittagsſtunden des nächſten Tages verweilen. Jn ihrer Lebensweiſe unterſcheiden ſich die verſchiedenen Arten nicht unweſentlich, da ja ſchon der Aufenthalt hierauf einen bedeutenden Einfluß ausübt; doch haben ſie anderer- ſeits auch wiederum Vieles mit einander gemein. Sie ſind ſchnelle und bewegungsfähige Thiere, ſchlängeln ſich verhältnißmäßig raſch auf dem Boden fort, ſchwimmen, zum Theil mit überraſchender Fertigkeit, und klettern auch mehr oder weniger gut, einzelne von ihnen vorzüglich. Jhre Nahrung beſteht hauptſächlich aus kleinen Wirbelthieren aller Klaſſen, insbeſondere aus Kriechthieren und Lurchen; einzelne ſtellen jedoch auch kleinen Säugethieren, andere kleinen Vögeln und mehrere entſprechend großen Fiſchen eifrig nach. Jn kälteren Gegenden ziehen ſie ſich im Spätherbſte zu ihrer Winterherberge zurück, verfallen hier in einen Zuſtand der Erſtarrung und erſcheinen erſt nach Eintritt des wirklichen Frühlings wieder, häuten ſich und beginnen ſodann ihr Fortpflanzungsgeſchäft, welches einzelne Arten von ihnen in merkwürdiger Weiſe erregen und zu Angriffen auf größere Thiere geneigt machen ſoll. Mehrere Wochen ſpäter legt das Weibchen ſeine zehn bis dreißig Eier an feuchtwarmen Orten ab, deren Zeitigung der Sonnenwärme überlaſſend. Die Jungen ernähren ſich anfänglich von kleinen, wirbelloſen Thieren verſchiedener Klaſſen, beginnen aber bald die Lebens- weiſe ihrer Eltern. Die Nattern bringen den Menſchen keinen Nutzen, eher noch Schaden: Diejenigen alſo, welche ſie geſchont wiſſen wollen, dürfen nicht vergeſſen, daß zu ſolcher Schonung eine genaue Kenntniß der Schützlinge unbedingt erforderlich iſt. Jn der Gefangenſchaft halten die meiſten Arten mehrere Jahre aus, da ſie ohne Beſinnen aus Futter gehen und ſich nach und nach an ihren Pfleger gewöhnen, ja wirklich bis zu einem gewiſſen Grade zähmen laſſen. Einige ausländiſche Arten der Familie unterſcheiden ſich dadurch von den übrigen, daß die Zähne ihres Oberkiefers nach hinten allmählich an Größe zunehmen, und ſind deshalb in einer beſonderen Gruppe (Coryphodon), welcher einige Naturforſcher ſogar den Rang einer Familie zuſprechen, vereinigt worden. Wir wollen ſie Rieſennattern nennen, da ſie ſich auch durch ihre verhältnißmäßige Größe auszeichnen. Jhr Leib iſt kräftig, der Kopf deutlich vom Rumpfe abge- ſetzt, die Schnauze ſtumpf, der Schwanz zugeſpitzt.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/236>, abgerufen am 04.05.2024.