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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schlangen. Stummelfüßler. Pythonschlangen.
die kleinen Moschusthierchen leben, welche nicht blos von den Eingeborenen, sondern ebenso von den
dortigen Europäern gemeiniglich als Hirsche bezeichnet werden. Daß man in Jndien noch heutigen-
tages von den Angriffen der Tigerschlinger auf Menschen zu fabeln weiß, daß berühmte Maler
schauerliche Kämpfe zwischen Schlangen und Laskaren nach "verbürgten Thatsachen" dargestellt haben
und ihre Abbildung sogar von gläubigen "Forschern" in ihre Werke aufgenommen worden sind, trotz-
dem ein Blick auf das Bild sie von der Unwahrheit desselben belehren mußte: dies Alles wird
Denjenigen, welcher gewohnt ist, das Glaubliche von dem Unglaublichen zu sondern, nicht beirren
können. Aus den uns wirklich "verbürgten Thatsachen" geht zur Genüge hervor, daß etwaige
Angriffe der Pythons auf Menschen niemals absichtlich, sondern höchstens irrthümlich geschehen.
Einen so zu erklärenden Angriff hat der Wärter Cop im Thiergarten zu London zu erfahren gehabt.
Er hielt einer seiner hungerigen Pythons ein Huhn vor, wie er es beim Füttern zu thun gewohnt
war; die Schlange stürzte sich auf dasselbe, fehlte es, wahrscheinlich weil sie sich kurz vor der Häutung
befand und ihr Auge, wie es unter solchen Umständen gewöhnlich, getrübt war, packte seinen linken
Daumen und hatte sich im nächsten Augenblicke um seinen Arm und Hals gewunden. Cop war
allein, verlor jedoch die Geistesgegenwart nicht, sondern suchte mit der anderen Hand den Kopf der
Schlange zu packen, um sich von ihr zu befreien; leider aber hatte sich das Thier so um seinen eigenen
Kopf gewickelt, daß der Wärter diesen gar nicht fassen konnte und genöthigt war, sich mit ihr auf den
Boden des Käfigs zu legen, in der Hoffnung, so kräftiger mit ihr ringen zu können. Zwei Wärter
kamen dem Manne glücklicherweise rechtzeitig zur Hilfe und befreiten ihn nicht ohne Anstrengungen
von seinem Gegner, welcher ihm sonst möglicherweise das Schicksal Laokoon's bereitet haben würde.
Derartige Mißverständnisse können vorkommen; im Freien aber vergreift sich die Tigerschlange
schwerlich an dem Herrn der Erde, und ebensowenig wird sie ihren Namen bethätigen, d. h. sich
wirklich an den Königstiger wagen. Erfuhr doch Hutton, welcher während seines Aufenthaltes in
Jndien an Schlangen dieser Art Beobachtungen anstellte, daß eine seiner Gefangenen es für gut
befand, eine gepackte und umschlungene Katze wieder loszulassen, weil sich diese so nachdrücklich wehrte,
daß der Feind mit ihr Nichts auszurichten glaubte!

Ueber das Fortpflanzungsgeschäft der freilebenden Pythonschlangen fehlen uns immer noch
Beobachtungen; dagegen hat man solche wiederholt an Gefangenen anstellen können. Jm Jahre 1841
legte eine Tigerschlange des Pflanzengartens zu Paris, welche längere Zeit mit einem Männchen
derselben Art zusammen gelebt hatte, funfzehn Eier, rollte sich über denselben so zusammen, daß ihre
Schlingen einen Hohlkegel bildeten und blieb in dieser Stellung siebenundfunfzig Tage lang, jeden
sich Nähernden bedrohend. Während der ganzen Zeit dachte sie nicht ans Fressen und trank nur
wiederholt Wasser; als aber nach siebenundfunfzig Tagen acht Junge wirklich ausgeschlüpft waren
und sie die Bebrütung aufgegeben hatte, verzehrte sie alsbald ein Kaninchen und mehrere Pfund
Rindfleisch. Valenciennes, dem wir diese Beobachtung verdanken, untersuchte während der
Brutzeit die Wärme innerhalb des Kegels und fand, daß dieselbe 10 bis 12° höher war als die des
Käfigs. Ganz Dasselbe ist später in London geschehen, und deshalb scheint es gerechtfertigt zu sein,
wenn wir annehmen, daß die Pythonschlange wirklich eine außergewöhnliche Sorgfalt gegen ihre
Brut bethätige. Um die ausgeschlüpften Jungen bekümmern sich die Mütter übrigens nicht mehr
und ebensowenig um die tauben oder nicht zu vollständiger Entwickelung gelangten Eier; das Aus-
schlüpfen der Jungen scheint ihnen im Gegentheil ein Zeichen vom Ablaufe ihrer Brutzeit zu sein.
Die in Paris erbrüteten Jungen waren beim Ausschlüpfen einen halben Meter lang, wuchsen aber in
den ersten Tagen ihres Lebeus, obgleich sie keine Nahrung zu sich nahmen, bis zu 80 Millimeter,
häuteten sich dann zum ersten Male, begannen von nun an selbständig Jagd zu machen und waren
auch schon stark genug, Sperlinge abzuwürgen.

Zu derselben Sippe gehört die afrikanische Felsenschlange (Python-Hortulia-natalensis), ein
Python von sehr ansehnlicher Größe, dessen Artkennzeichen jedoch noch nicht mit genügender Sicherheit

Die Schlangen. Stummelfüßler. Pythonſchlangen.
die kleinen Moſchusthierchen leben, welche nicht blos von den Eingeborenen, ſondern ebenſo von den
dortigen Europäern gemeiniglich als Hirſche bezeichnet werden. Daß man in Jndien noch heutigen-
tages von den Angriffen der Tigerſchlinger auf Menſchen zu fabeln weiß, daß berühmte Maler
ſchauerliche Kämpfe zwiſchen Schlangen und Laskaren nach „verbürgten Thatſachen“ dargeſtellt haben
und ihre Abbildung ſogar von gläubigen „Forſchern“ in ihre Werke aufgenommen worden ſind, trotz-
dem ein Blick auf das Bild ſie von der Unwahrheit deſſelben belehren mußte: dies Alles wird
Denjenigen, welcher gewohnt iſt, das Glaubliche von dem Unglaublichen zu ſondern, nicht beirren
können. Aus den uns wirklich „verbürgten Thatſachen“ geht zur Genüge hervor, daß etwaige
Angriffe der Pythons auf Menſchen niemals abſichtlich, ſondern höchſtens irrthümlich geſchehen.
Einen ſo zu erklärenden Angriff hat der Wärter Cop im Thiergarten zu London zu erfahren gehabt.
Er hielt einer ſeiner hungerigen Pythons ein Huhn vor, wie er es beim Füttern zu thun gewohnt
war; die Schlange ſtürzte ſich auf daſſelbe, fehlte es, wahrſcheinlich weil ſie ſich kurz vor der Häutung
befand und ihr Auge, wie es unter ſolchen Umſtänden gewöhnlich, getrübt war, packte ſeinen linken
Daumen und hatte ſich im nächſten Augenblicke um ſeinen Arm und Hals gewunden. Cop war
allein, verlor jedoch die Geiſtesgegenwart nicht, ſondern ſuchte mit der anderen Hand den Kopf der
Schlange zu packen, um ſich von ihr zu befreien; leider aber hatte ſich das Thier ſo um ſeinen eigenen
Kopf gewickelt, daß der Wärter dieſen gar nicht faſſen konnte und genöthigt war, ſich mit ihr auf den
Boden des Käfigs zu legen, in der Hoffnung, ſo kräftiger mit ihr ringen zu können. Zwei Wärter
kamen dem Manne glücklicherweiſe rechtzeitig zur Hilfe und befreiten ihn nicht ohne Anſtrengungen
von ſeinem Gegner, welcher ihm ſonſt möglicherweiſe das Schickſal Laokoon’s bereitet haben würde.
Derartige Mißverſtändniſſe können vorkommen; im Freien aber vergreift ſich die Tigerſchlange
ſchwerlich an dem Herrn der Erde, und ebenſowenig wird ſie ihren Namen bethätigen, d. h. ſich
wirklich an den Königstiger wagen. Erfuhr doch Hutton, welcher während ſeines Aufenthaltes in
Jndien an Schlangen dieſer Art Beobachtungen anſtellte, daß eine ſeiner Gefangenen es für gut
befand, eine gepackte und umſchlungene Katze wieder loszulaſſen, weil ſich dieſe ſo nachdrücklich wehrte,
daß der Feind mit ihr Nichts auszurichten glaubte!

Ueber das Fortpflanzungsgeſchäft der freilebenden Pythonſchlangen fehlen uns immer noch
Beobachtungen; dagegen hat man ſolche wiederholt an Gefangenen anſtellen können. Jm Jahre 1841
legte eine Tigerſchlange des Pflanzengartens zu Paris, welche längere Zeit mit einem Männchen
derſelben Art zuſammen gelebt hatte, funfzehn Eier, rollte ſich über denſelben ſo zuſammen, daß ihre
Schlingen einen Hohlkegel bildeten und blieb in dieſer Stellung ſiebenundfunfzig Tage lang, jeden
ſich Nähernden bedrohend. Während der ganzen Zeit dachte ſie nicht ans Freſſen und trank nur
wiederholt Waſſer; als aber nach ſiebenundfunfzig Tagen acht Junge wirklich ausgeſchlüpft waren
und ſie die Bebrütung aufgegeben hatte, verzehrte ſie alsbald ein Kaninchen und mehrere Pfund
Rindfleiſch. Valenciennes, dem wir dieſe Beobachtung verdanken, unterſuchte während der
Brutzeit die Wärme innerhalb des Kegels und fand, daß dieſelbe 10 bis 12° höher war als die des
Käfigs. Ganz Daſſelbe iſt ſpäter in London geſchehen, und deshalb ſcheint es gerechtfertigt zu ſein,
wenn wir annehmen, daß die Pythonſchlange wirklich eine außergewöhnliche Sorgfalt gegen ihre
Brut bethätige. Um die ausgeſchlüpften Jungen bekümmern ſich die Mütter übrigens nicht mehr
und ebenſowenig um die tauben oder nicht zu vollſtändiger Entwickelung gelangten Eier; das Aus-
ſchlüpfen der Jungen ſcheint ihnen im Gegentheil ein Zeichen vom Ablaufe ihrer Brutzeit zu ſein.
Die in Paris erbrüteten Jungen waren beim Ausſchlüpfen einen halben Meter lang, wuchſen aber in
den erſten Tagen ihres Lebeus, obgleich ſie keine Nahrung zu ſich nahmen, bis zu 80 Millimeter,
häuteten ſich dann zum erſten Male, begannen von nun an ſelbſtändig Jagd zu machen und waren
auch ſchon ſtark genug, Sperlinge abzuwürgen.

Zu derſelben Sippe gehört die afrikaniſche Felſenſchlange (Python-Hortulia-natalensis), ein
Python von ſehr anſehnlicher Größe, deſſen Artkennzeichen jedoch noch nicht mit genügender Sicherheit

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[208/0230] Die Schlangen. Stummelfüßler. Pythonſchlangen. die kleinen Moſchusthierchen leben, welche nicht blos von den Eingeborenen, ſondern ebenſo von den dortigen Europäern gemeiniglich als Hirſche bezeichnet werden. Daß man in Jndien noch heutigen- tages von den Angriffen der Tigerſchlinger auf Menſchen zu fabeln weiß, daß berühmte Maler ſchauerliche Kämpfe zwiſchen Schlangen und Laskaren nach „verbürgten Thatſachen“ dargeſtellt haben und ihre Abbildung ſogar von gläubigen „Forſchern“ in ihre Werke aufgenommen worden ſind, trotz- dem ein Blick auf das Bild ſie von der Unwahrheit deſſelben belehren mußte: dies Alles wird Denjenigen, welcher gewohnt iſt, das Glaubliche von dem Unglaublichen zu ſondern, nicht beirren können. Aus den uns wirklich „verbürgten Thatſachen“ geht zur Genüge hervor, daß etwaige Angriffe der Pythons auf Menſchen niemals abſichtlich, ſondern höchſtens irrthümlich geſchehen. Einen ſo zu erklärenden Angriff hat der Wärter Cop im Thiergarten zu London zu erfahren gehabt. Er hielt einer ſeiner hungerigen Pythons ein Huhn vor, wie er es beim Füttern zu thun gewohnt war; die Schlange ſtürzte ſich auf daſſelbe, fehlte es, wahrſcheinlich weil ſie ſich kurz vor der Häutung befand und ihr Auge, wie es unter ſolchen Umſtänden gewöhnlich, getrübt war, packte ſeinen linken Daumen und hatte ſich im nächſten Augenblicke um ſeinen Arm und Hals gewunden. Cop war allein, verlor jedoch die Geiſtesgegenwart nicht, ſondern ſuchte mit der anderen Hand den Kopf der Schlange zu packen, um ſich von ihr zu befreien; leider aber hatte ſich das Thier ſo um ſeinen eigenen Kopf gewickelt, daß der Wärter dieſen gar nicht faſſen konnte und genöthigt war, ſich mit ihr auf den Boden des Käfigs zu legen, in der Hoffnung, ſo kräftiger mit ihr ringen zu können. Zwei Wärter kamen dem Manne glücklicherweiſe rechtzeitig zur Hilfe und befreiten ihn nicht ohne Anſtrengungen von ſeinem Gegner, welcher ihm ſonſt möglicherweiſe das Schickſal Laokoon’s bereitet haben würde. Derartige Mißverſtändniſſe können vorkommen; im Freien aber vergreift ſich die Tigerſchlange ſchwerlich an dem Herrn der Erde, und ebenſowenig wird ſie ihren Namen bethätigen, d. h. ſich wirklich an den Königstiger wagen. Erfuhr doch Hutton, welcher während ſeines Aufenthaltes in Jndien an Schlangen dieſer Art Beobachtungen anſtellte, daß eine ſeiner Gefangenen es für gut befand, eine gepackte und umſchlungene Katze wieder loszulaſſen, weil ſich dieſe ſo nachdrücklich wehrte, daß der Feind mit ihr Nichts auszurichten glaubte! Ueber das Fortpflanzungsgeſchäft der freilebenden Pythonſchlangen fehlen uns immer noch Beobachtungen; dagegen hat man ſolche wiederholt an Gefangenen anſtellen können. Jm Jahre 1841 legte eine Tigerſchlange des Pflanzengartens zu Paris, welche längere Zeit mit einem Männchen derſelben Art zuſammen gelebt hatte, funfzehn Eier, rollte ſich über denſelben ſo zuſammen, daß ihre Schlingen einen Hohlkegel bildeten und blieb in dieſer Stellung ſiebenundfunfzig Tage lang, jeden ſich Nähernden bedrohend. Während der ganzen Zeit dachte ſie nicht ans Freſſen und trank nur wiederholt Waſſer; als aber nach ſiebenundfunfzig Tagen acht Junge wirklich ausgeſchlüpft waren und ſie die Bebrütung aufgegeben hatte, verzehrte ſie alsbald ein Kaninchen und mehrere Pfund Rindfleiſch. Valenciennes, dem wir dieſe Beobachtung verdanken, unterſuchte während der Brutzeit die Wärme innerhalb des Kegels und fand, daß dieſelbe 10 bis 12° höher war als die des Käfigs. Ganz Daſſelbe iſt ſpäter in London geſchehen, und deshalb ſcheint es gerechtfertigt zu ſein, wenn wir annehmen, daß die Pythonſchlange wirklich eine außergewöhnliche Sorgfalt gegen ihre Brut bethätige. Um die ausgeſchlüpften Jungen bekümmern ſich die Mütter übrigens nicht mehr und ebenſowenig um die tauben oder nicht zu vollſtändiger Entwickelung gelangten Eier; das Aus- ſchlüpfen der Jungen ſcheint ihnen im Gegentheil ein Zeichen vom Ablaufe ihrer Brutzeit zu ſein. Die in Paris erbrüteten Jungen waren beim Ausſchlüpfen einen halben Meter lang, wuchſen aber in den erſten Tagen ihres Lebeus, obgleich ſie keine Nahrung zu ſich nahmen, bis zu 80 Millimeter, häuteten ſich dann zum erſten Male, begannen von nun an ſelbſtändig Jagd zu machen und waren auch ſchon ſtark genug, Sperlinge abzuwürgen. Zu derſelben Sippe gehört die afrikaniſche Felſenſchlange (Python-Hortulia-natalensis), ein Python von ſehr anſehnlicher Größe, deſſen Artkennzeichen jedoch noch nicht mit genügender Sicherheit

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/230>, abgerufen am 20.12.2024.