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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schlangen. Stummelfüßler. Wasserschlinger.
des Flusses und sanden zuletzt die Schlange in der Mündung eines schlammigen Flüßchens im Sonnen-
scheine liegen. Nachdem sie mit Wurfspießen getödtet worden war, bekam ich sie am folgenden Tage
zu sehen und ersuhr durch Messung, daß sie nicht eben zu den größeren Stücken gehörte, sondern bei
18 Fuß 9 Zoll Länge nur 16 Zoll im Umfange hielt."

Gerade von der Anakonda wird behauptet, daß sie wirklich zuweilen einen Menschen angreift,
und möglicherweise bezieht sich hierauf die in mehreren Naturgeschichten wiederholte Angabe des
Prinzen Moritz von Nassau, einstmaligen Statthalters von Brasilien, welcher versichert, daß
eine Holländerin vor seinen Augen durch eine Schlange verschlungen worden sei, was vielleicht besagen
will, daß gedachte Dame einmal von einer Schlange bedroht worden und in Lebensgefahr gekommen
ist, wovon der Statthalter gehört haben mag. Doch erzählt Schomburgk wörtlich Folgendes: "Jn
Morokko (einer Mission in Guyana) war noch Alles von dem Angriffe einer Riesenschlange auf zwei
Bewohner der Mission bestürzt. Ein Jndianer aus dieser war vor wenigen Tagen mit seiner Frau
nach Federwild den Fluß aufwärts gefahren. Eine aufgescheuchte Ente hatte der Schuß erreicht und
war auf das Ufer niedergefallen. Als der Jäger seiner Beute zueilt, wird er plötzlich von einer
großen Comutischlange (Anakonda) ergriffen. Jn Ermangelung jeder Vertheidigungswaffe (das
Gewehr hatte er im Corial zurückgelassen) ruft er seiner Frau zu, ihm ein großes Messer zu bringen.
Kaum ist die Frau an seiner Seite, so wird auch sie von dem Unthiere ergriffen und umschlungen, was
dem Jndianer glücklicherweise soviel Raum läßt, daß er den einen Arm frei bekommt und der
Schlange mehrere Wunden beibringen kann. Durch diese geschwächt, läßt sie endlich vom Angriffe
ab und ergreift die Flucht. Es war Dies der einzige Fall, der zu meiner Kenntuiß kam, daß die
Anakonda Menschen angegriffen." Höchst wahrscheinlich hatte es die Schlange auf die Ente, nicht
aber auf den Jndianer abgesehen gehabt, und in blinder Raubbegier an diesem sich vergriffen.
Jedoch mögen wirklich Fälle vorkommen, welche auch auf das Gegentheil hindeuten. "Zu Ega",
berichtet Bates, "hätte eine große Anakonda einst beinahe einen Knaben von zehn Jahren, den
Sohn eines meiner Nachbarn, gefressen. Vater und Sohn wollten wilde Früchte sammeln und
landeten an einer sandigen Uferstelle. Der Knabe blieb als Hüter des Bootes zurück; der Mann
drang in den Wald ein. Während jener nun im Wasser unter dem Schatten der Bäume spielte,
umringelte ihn eine große Anakonda, welche ungesehen soweit herangekommen, daß es für ihn
unmöglich wurde, zu flüchten. Sein Geschrei rief glücklicherweise rechtzeitig den Vater herbei, welcher
die Anakonda sofort am Kopfe ergriff, ihr die Kinnladen aufbrach und den Knaben befreite." Auch
Humboldt erwähnt ausdrücklich, daß die großen Wasserschlangen den Jndianern beim Baden
gefährlich werden. Demungeachtet können diese Ausnahmen die vom Prinzen aufgestellte Regel,
daß die Anakonda dem Menschen unschädlich ist und von Niemand gefürchtet, sie auch sehr leicht
getödtet wird, nicht umstoßen.

Nach reichlich genossener Mahlzeit wird die Anakonda, wie die Schlangen überhaupt, träge, so
bewegungslos aber, als man gefabelt hat, niemals. Alles, was man von der Nahrung und Unbe-
weglichkeit bei der Verdanung gesagt, hat, wie der Prinz hervorhebt, "etwas Wahrheit zu Grunde,
ist aber immer sehr übertrieben". Schomburgk bemerkt, daß der Geruch, welcher während der
Verdauung von ihr ausströmt, pestartig sei und meist zum Führer nach dem Lager der verdauenden
Schlange werde. Von was dieser Pestgeruch herrührt, ob von den sich zersetzenden Beutestücken oder
von gewissen Drüsen, welche namentlich in der Nähe des Afters liegen sollen, bleibt, laut Water-
ton,
noch fraglich.

Humboldt ist der erste Naturforscher, welcher erwähnt, daß die Anakonda, wenn die Gewässer
austrocknen, welche ihren Aufenthalt gebildet haben, sich in den Schlamm vergräbt und in einen
Zustand der Erstarrung fällt. "Häufig finden die Jndianer", sagt er, "ungeheure Riesenschlangen
in solchem Zustande, und man sucht sie, erzählt man, zu reizen oder mit Wasser zu begießen, um sie zu
erwecken." Ein solcher Winterschlaf findet übrigens nur in gewissen Theilen Südamerikas statt,
nicht aber da, wo weder Kälte, noch unerträgliche Hitze die mittlere Jahreswärme stören. Hier kann

Die Schlangen. Stummelfüßler. Waſſerſchlinger.
des Fluſſes und ſanden zuletzt die Schlange in der Mündung eines ſchlammigen Flüßchens im Sonnen-
ſcheine liegen. Nachdem ſie mit Wurfſpießen getödtet worden war, bekam ich ſie am folgenden Tage
zu ſehen und erſuhr durch Meſſung, daß ſie nicht eben zu den größeren Stücken gehörte, ſondern bei
18 Fuß 9 Zoll Länge nur 16 Zoll im Umfange hielt.“

Gerade von der Anakonda wird behauptet, daß ſie wirklich zuweilen einen Menſchen angreift,
und möglicherweiſe bezieht ſich hierauf die in mehreren Naturgeſchichten wiederholte Angabe des
Prinzen Moritz von Naſſau, einſtmaligen Statthalters von Braſilien, welcher verſichert, daß
eine Holländerin vor ſeinen Augen durch eine Schlange verſchlungen worden ſei, was vielleicht beſagen
will, daß gedachte Dame einmal von einer Schlange bedroht worden und in Lebensgefahr gekommen
iſt, wovon der Statthalter gehört haben mag. Doch erzählt Schomburgk wörtlich Folgendes: „Jn
Morokko (einer Miſſion in Guyana) war noch Alles von dem Angriffe einer Rieſenſchlange auf zwei
Bewohner der Miſſion beſtürzt. Ein Jndianer aus dieſer war vor wenigen Tagen mit ſeiner Frau
nach Federwild den Fluß aufwärts gefahren. Eine aufgeſcheuchte Ente hatte der Schuß erreicht und
war auf das Ufer niedergefallen. Als der Jäger ſeiner Beute zueilt, wird er plötzlich von einer
großen Comutiſchlange (Anakonda) ergriffen. Jn Ermangelung jeder Vertheidigungswaffe (das
Gewehr hatte er im Corial zurückgelaſſen) ruft er ſeiner Frau zu, ihm ein großes Meſſer zu bringen.
Kaum iſt die Frau an ſeiner Seite, ſo wird auch ſie von dem Unthiere ergriffen und umſchlungen, was
dem Jndianer glücklicherweiſe ſoviel Raum läßt, daß er den einen Arm frei bekommt und der
Schlange mehrere Wunden beibringen kann. Durch dieſe geſchwächt, läßt ſie endlich vom Angriffe
ab und ergreift die Flucht. Es war Dies der einzige Fall, der zu meiner Kenntuiß kam, daß die
Anakonda Menſchen angegriffen.“ Höchſt wahrſcheinlich hatte es die Schlange auf die Ente, nicht
aber auf den Jndianer abgeſehen gehabt, und in blinder Raubbegier an dieſem ſich vergriffen.
Jedoch mögen wirklich Fälle vorkommen, welche auch auf das Gegentheil hindeuten. „Zu Ega“,
berichtet Bates, „hätte eine große Anakonda einſt beinahe einen Knaben von zehn Jahren, den
Sohn eines meiner Nachbarn, gefreſſen. Vater und Sohn wollten wilde Früchte ſammeln und
landeten an einer ſandigen Uferſtelle. Der Knabe blieb als Hüter des Bootes zurück; der Mann
drang in den Wald ein. Während jener nun im Waſſer unter dem Schatten der Bäume ſpielte,
umringelte ihn eine große Anakonda, welche ungeſehen ſoweit herangekommen, daß es für ihn
unmöglich wurde, zu flüchten. Sein Geſchrei rief glücklicherweiſe rechtzeitig den Vater herbei, welcher
die Anakonda ſofort am Kopfe ergriff, ihr die Kinnladen aufbrach und den Knaben befreite.“ Auch
Humboldt erwähnt ausdrücklich, daß die großen Waſſerſchlangen den Jndianern beim Baden
gefährlich werden. Demungeachtet können dieſe Ausnahmen die vom Prinzen aufgeſtellte Regel,
daß die Anakonda dem Menſchen unſchädlich iſt und von Niemand gefürchtet, ſie auch ſehr leicht
getödtet wird, nicht umſtoßen.

Nach reichlich genoſſener Mahlzeit wird die Anakonda, wie die Schlangen überhaupt, träge, ſo
bewegungslos aber, als man gefabelt hat, niemals. Alles, was man von der Nahrung und Unbe-
weglichkeit bei der Verdanung geſagt, hat, wie der Prinz hervorhebt, „etwas Wahrheit zu Grunde,
iſt aber immer ſehr übertrieben“. Schomburgk bemerkt, daß der Geruch, welcher während der
Verdauung von ihr ausſtrömt, peſtartig ſei und meiſt zum Führer nach dem Lager der verdauenden
Schlange werde. Von was dieſer Peſtgeruch herrührt, ob von den ſich zerſetzenden Beuteſtücken oder
von gewiſſen Drüſen, welche namentlich in der Nähe des Afters liegen ſollen, bleibt, laut Water-
ton,
noch fraglich.

Humboldt iſt der erſte Naturforſcher, welcher erwähnt, daß die Anakonda, wenn die Gewäſſer
austrocknen, welche ihren Aufenthalt gebildet haben, ſich in den Schlamm vergräbt und in einen
Zuſtand der Erſtarrung fällt. „Häufig finden die Jndianer“, ſagt er, „ungeheure Rieſenſchlangen
in ſolchem Zuſtande, und man ſucht ſie, erzählt man, zu reizen oder mit Waſſer zu begießen, um ſie zu
erwecken.“ Ein ſolcher Winterſchlaf findet übrigens nur in gewiſſen Theilen Südamerikas ſtatt,
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[202/0224] Die Schlangen. Stummelfüßler. Waſſerſchlinger. des Fluſſes und ſanden zuletzt die Schlange in der Mündung eines ſchlammigen Flüßchens im Sonnen- ſcheine liegen. Nachdem ſie mit Wurfſpießen getödtet worden war, bekam ich ſie am folgenden Tage zu ſehen und erſuhr durch Meſſung, daß ſie nicht eben zu den größeren Stücken gehörte, ſondern bei 18 Fuß 9 Zoll Länge nur 16 Zoll im Umfange hielt.“ Gerade von der Anakonda wird behauptet, daß ſie wirklich zuweilen einen Menſchen angreift, und möglicherweiſe bezieht ſich hierauf die in mehreren Naturgeſchichten wiederholte Angabe des Prinzen Moritz von Naſſau, einſtmaligen Statthalters von Braſilien, welcher verſichert, daß eine Holländerin vor ſeinen Augen durch eine Schlange verſchlungen worden ſei, was vielleicht beſagen will, daß gedachte Dame einmal von einer Schlange bedroht worden und in Lebensgefahr gekommen iſt, wovon der Statthalter gehört haben mag. Doch erzählt Schomburgk wörtlich Folgendes: „Jn Morokko (einer Miſſion in Guyana) war noch Alles von dem Angriffe einer Rieſenſchlange auf zwei Bewohner der Miſſion beſtürzt. Ein Jndianer aus dieſer war vor wenigen Tagen mit ſeiner Frau nach Federwild den Fluß aufwärts gefahren. Eine aufgeſcheuchte Ente hatte der Schuß erreicht und war auf das Ufer niedergefallen. Als der Jäger ſeiner Beute zueilt, wird er plötzlich von einer großen Comutiſchlange (Anakonda) ergriffen. Jn Ermangelung jeder Vertheidigungswaffe (das Gewehr hatte er im Corial zurückgelaſſen) ruft er ſeiner Frau zu, ihm ein großes Meſſer zu bringen. Kaum iſt die Frau an ſeiner Seite, ſo wird auch ſie von dem Unthiere ergriffen und umſchlungen, was dem Jndianer glücklicherweiſe ſoviel Raum läßt, daß er den einen Arm frei bekommt und der Schlange mehrere Wunden beibringen kann. Durch dieſe geſchwächt, läßt ſie endlich vom Angriffe ab und ergreift die Flucht. Es war Dies der einzige Fall, der zu meiner Kenntuiß kam, daß die Anakonda Menſchen angegriffen.“ Höchſt wahrſcheinlich hatte es die Schlange auf die Ente, nicht aber auf den Jndianer abgeſehen gehabt, und in blinder Raubbegier an dieſem ſich vergriffen. Jedoch mögen wirklich Fälle vorkommen, welche auch auf das Gegentheil hindeuten. „Zu Ega“, berichtet Bates, „hätte eine große Anakonda einſt beinahe einen Knaben von zehn Jahren, den Sohn eines meiner Nachbarn, gefreſſen. Vater und Sohn wollten wilde Früchte ſammeln und landeten an einer ſandigen Uferſtelle. Der Knabe blieb als Hüter des Bootes zurück; der Mann drang in den Wald ein. Während jener nun im Waſſer unter dem Schatten der Bäume ſpielte, umringelte ihn eine große Anakonda, welche ungeſehen ſoweit herangekommen, daß es für ihn unmöglich wurde, zu flüchten. Sein Geſchrei rief glücklicherweiſe rechtzeitig den Vater herbei, welcher die Anakonda ſofort am Kopfe ergriff, ihr die Kinnladen aufbrach und den Knaben befreite.“ Auch Humboldt erwähnt ausdrücklich, daß die großen Waſſerſchlangen den Jndianern beim Baden gefährlich werden. Demungeachtet können dieſe Ausnahmen die vom Prinzen aufgeſtellte Regel, daß die Anakonda dem Menſchen unſchädlich iſt und von Niemand gefürchtet, ſie auch ſehr leicht getödtet wird, nicht umſtoßen. Nach reichlich genoſſener Mahlzeit wird die Anakonda, wie die Schlangen überhaupt, träge, ſo bewegungslos aber, als man gefabelt hat, niemals. Alles, was man von der Nahrung und Unbe- weglichkeit bei der Verdanung geſagt, hat, wie der Prinz hervorhebt, „etwas Wahrheit zu Grunde, iſt aber immer ſehr übertrieben“. Schomburgk bemerkt, daß der Geruch, welcher während der Verdauung von ihr ausſtrömt, peſtartig ſei und meiſt zum Führer nach dem Lager der verdauenden Schlange werde. Von was dieſer Peſtgeruch herrührt, ob von den ſich zerſetzenden Beuteſtücken oder von gewiſſen Drüſen, welche namentlich in der Nähe des Afters liegen ſollen, bleibt, laut Water- ton, noch fraglich. Humboldt iſt der erſte Naturforſcher, welcher erwähnt, daß die Anakonda, wenn die Gewäſſer austrocknen, welche ihren Aufenthalt gebildet haben, ſich in den Schlamm vergräbt und in einen Zuſtand der Erſtarrung fällt. „Häufig finden die Jndianer“, ſagt er, „ungeheure Rieſenſchlangen in ſolchem Zuſtande, und man ſucht ſie, erzählt man, zu reizen oder mit Waſſer zu begießen, um ſie zu erwecken.“ Ein ſolcher Winterſchlaf findet übrigens nur in gewiſſen Theilen Südamerikas ſtatt, nicht aber da, wo weder Kälte, noch unerträgliche Hitze die mittlere Jahreswärme ſtören. Hier kann

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/224>, abgerufen am 04.05.2024.