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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schlangen. Stummelfüßler. Wasserschlinger.
seinen Pfleger gewöhnt hat, kann man ihn recht gut behandeln. Zu seinem Wohlbesinden ist ein
geräumiger, warmer Käfig mit Stämmen und Aesten zum Klettern und ein in den Boden eingefügter
größerer Wassernapf zum Baden unerläßliche Bedingung. Die in den Thierschaubuden gebräuchlichen
Kisten entsprechen den Anforderungen des Thieres also in keiner Weise, und die wollenen Decken, in
welche man es wickelt, weil man glaubt, es dadurch zu erwärmen, haben eher ihr Bedenkliches,
als daß sie Nutzen brächten. Mehr als einmal nämlich hat man beobachtet, daß sich die gefangenen
Riesenschlangen, möglicherweise vom Hunger getrieben, darüber hermachten, ihr Deckbett zu ver-
schlingen. Eine Abgottschlange, welche in Berlin gehalten wurde, behielt die hinabgewürgte Woll-
decke fünf Wochen und einen Tag im Magen, trank während dem sehr viel und gab Beweise des
Unwohlseins zu erkennen, bis sie endlich nachts zwischen elf und zwölf Uhr die Wollmasse auszuspeien
begann, und sich mit Hilfe des Wärters auch des unverdaulichen Bissens glücklich entledigte. Aehn-
liches ist fast gleichzeitig im londoner Thiergarten und später im Pflanzengarten zu Paris geschehen.
Die Decke, welche die hier lebende, elf Fuß lange Abgottschlange hinabwürgte, war sieben Fuß lang
und fünf Fuß breit und blieb vom 22. August bis zum 20. September im Magen liegen. An diesem
Tage begann die Schlange den Rachen zu öffnen und ein Ende der Decke wieder hervorzutreiben; der
Wärter faßte dieses Ende, ohne zu ziehen; die Boaschlange wickelte den Schwanz um einen in ihrem
Käfige befindlichen Baum und zog sich selbst zurück, sodaß die ganze Decke unversehrt wieder hervor-
kam; doch hatte dieselbe die Form einer fünf Fuß langen Walze, welche an ihrer dicksten Stelle fünf
Fuß breit war. Die Schlange blieb nach dem Ereignisse zehn Tage matt, befand sich aber später
wieder ganz wohl.



Dieselben Länder, welche die Heimat der Abgottschlange sind, beherbergen die berühmte
Anakonda, ein durch die Lebensweise von der Verwandten sehr verschiedenes Mitglied der Familie,
welches die Sippe der Wasserschlinger (Eunectes) vertritt. Letztere unterscheidet sich von den
Riesenschlangen der vorigen Abtheilung durch die zwischen drei Schildern senkrecht gestellten, ver-
schließbaren Nasenlöcher und die Bekleidung des Kopfes, welche aus unregelmäßigen Schildern be-
steht. Der Kopf ist im Verhältniß zur Länge und Dicke des Leibes sehr klein, wenig von dem Halse
abgesetzt, länglich viereckig und platt gedrückt, die Schnauze zugerundet, der Rumpf dick, der Schwanz
stumpf und kurz.

Die Anakonda (Eunectes murinus) hat, nach der Angabe des Prinzen von Wied, welcher
sie ausführlich beschreibt, eine sehr beständige und bezeichnende Färbung. Die oberen Theile sind
dunkelolivenschwarz, die Kopfseite olivengrau, am unteren Kiefernrande mehr gilblich; vom Auge,
dessen Regenbogenhaut dunkel und unscheinbar ist, verläuft nach dem Hinterkopfe ein breiter,
schmuziggelbrother, oben dunkelschwarz eingefaßter Streifen und unter diesem, ebenfalls vom Auge
über den Mundwinkel schief hinab und dann wieder etwas aufwärts, ein schwarzbrauner, welcher
lebhaft gegen den vorigen absticht; die unteren Theile des Thieres bis zur halben Seitenhöhe sind
auf blaßgelbem Grunde mit schwärzlichen Flecken bestreut, welche an einigen Stellen zwei unter-
brochene Längslinien bilden; zur Seite dieser Flecken stehen ringförmige, schwarze, hohle, innen gelbe
Augenflecke in zwei Reihen, und vom Kopfe bis zum Ende des Schwanzes verlaufen auf der Oberseite
zwei Reihen von runden oder rundlichen, zum Theil gepaarten, zum Theil wechselständigen, schwarz-
braunen Flecken, welche auf dem Halse und über dem After regelmäßig neben einander, übrigens
aber dicht an einander stehen, sich auch wohl vereinigen.

Unter den Riesenschlangen der neuen Welt ist die Anakonda die riesigste. Auch die glaub-
würdigen Reisenden sprechen von Stücken, deren Länge über 30 Fuß betragen soll, wobei jedoch zu
bemerken, daß sie selbst nur solche von 14 bis 24 Fuß Länge erlegten. Eine Schlange dieser Art,

Die Schlangen. Stummelfüßler. Waſſerſchlinger.
ſeinen Pfleger gewöhnt hat, kann man ihn recht gut behandeln. Zu ſeinem Wohlbeſinden iſt ein
geräumiger, warmer Käfig mit Stämmen und Aeſten zum Klettern und ein in den Boden eingefügter
größerer Waſſernapf zum Baden unerläßliche Bedingung. Die in den Thierſchaubuden gebräuchlichen
Kiſten entſprechen den Anforderungen des Thieres alſo in keiner Weiſe, und die wollenen Decken, in
welche man es wickelt, weil man glaubt, es dadurch zu erwärmen, haben eher ihr Bedenkliches,
als daß ſie Nutzen brächten. Mehr als einmal nämlich hat man beobachtet, daß ſich die gefangenen
Rieſenſchlangen, möglicherweiſe vom Hunger getrieben, darüber hermachten, ihr Deckbett zu ver-
ſchlingen. Eine Abgottſchlange, welche in Berlin gehalten wurde, behielt die hinabgewürgte Woll-
decke fünf Wochen und einen Tag im Magen, trank während dem ſehr viel und gab Beweiſe des
Unwohlſeins zu erkennen, bis ſie endlich nachts zwiſchen elf und zwölf Uhr die Wollmaſſe auszuſpeien
begann, und ſich mit Hilfe des Wärters auch des unverdaulichen Biſſens glücklich entledigte. Aehn-
liches iſt faſt gleichzeitig im londoner Thiergarten und ſpäter im Pflanzengarten zu Paris geſchehen.
Die Decke, welche die hier lebende, elf Fuß lange Abgottſchlange hinabwürgte, war ſieben Fuß lang
und fünf Fuß breit und blieb vom 22. Auguſt bis zum 20. September im Magen liegen. An dieſem
Tage begann die Schlange den Rachen zu öffnen und ein Ende der Decke wieder hervorzutreiben; der
Wärter faßte dieſes Ende, ohne zu ziehen; die Boaſchlange wickelte den Schwanz um einen in ihrem
Käfige befindlichen Baum und zog ſich ſelbſt zurück, ſodaß die ganze Decke unverſehrt wieder hervor-
kam; doch hatte dieſelbe die Form einer fünf Fuß langen Walze, welche an ihrer dickſten Stelle fünf
Fuß breit war. Die Schlange blieb nach dem Ereigniſſe zehn Tage matt, befand ſich aber ſpäter
wieder ganz wohl.



Dieſelben Länder, welche die Heimat der Abgottſchlange ſind, beherbergen die berühmte
Anakonda, ein durch die Lebensweiſe von der Verwandten ſehr verſchiedenes Mitglied der Familie,
welches die Sippe der Waſſerſchlinger (Eunectes) vertritt. Letztere unterſcheidet ſich von den
Rieſenſchlangen der vorigen Abtheilung durch die zwiſchen drei Schildern ſenkrecht geſtellten, ver-
ſchließbaren Naſenlöcher und die Bekleidung des Kopfes, welche aus unregelmäßigen Schildern be-
ſteht. Der Kopf iſt im Verhältniß zur Länge und Dicke des Leibes ſehr klein, wenig von dem Halſe
abgeſetzt, länglich viereckig und platt gedrückt, die Schnauze zugerundet, der Rumpf dick, der Schwanz
ſtumpf und kurz.

Die Anakonda (Eunectes murinus) hat, nach der Angabe des Prinzen von Wied, welcher
ſie ausführlich beſchreibt, eine ſehr beſtändige und bezeichnende Färbung. Die oberen Theile ſind
dunkelolivenſchwarz, die Kopfſeite olivengrau, am unteren Kiefernrande mehr gilblich; vom Auge,
deſſen Regenbogenhaut dunkel und unſcheinbar iſt, verläuft nach dem Hinterkopfe ein breiter,
ſchmuziggelbrother, oben dunkelſchwarz eingefaßter Streifen und unter dieſem, ebenfalls vom Auge
über den Mundwinkel ſchief hinab und dann wieder etwas aufwärts, ein ſchwarzbrauner, welcher
lebhaft gegen den vorigen abſticht; die unteren Theile des Thieres bis zur halben Seitenhöhe ſind
auf blaßgelbem Grunde mit ſchwärzlichen Flecken beſtreut, welche an einigen Stellen zwei unter-
brochene Längslinien bilden; zur Seite dieſer Flecken ſtehen ringförmige, ſchwarze, hohle, innen gelbe
Augenflecke in zwei Reihen, und vom Kopfe bis zum Ende des Schwanzes verlaufen auf der Oberſeite
zwei Reihen von runden oder rundlichen, zum Theil gepaarten, zum Theil wechſelſtändigen, ſchwarz-
braunen Flecken, welche auf dem Halſe und über dem After regelmäßig neben einander, übrigens
aber dicht an einander ſtehen, ſich auch wohl vereinigen.

Unter den Rieſenſchlangen der neuen Welt iſt die Anakonda die rieſigſte. Auch die glaub-
würdigen Reiſenden ſprechen von Stücken, deren Länge über 30 Fuß betragen ſoll, wobei jedoch zu
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[200/0222] Die Schlangen. Stummelfüßler. Waſſerſchlinger. ſeinen Pfleger gewöhnt hat, kann man ihn recht gut behandeln. Zu ſeinem Wohlbeſinden iſt ein geräumiger, warmer Käfig mit Stämmen und Aeſten zum Klettern und ein in den Boden eingefügter größerer Waſſernapf zum Baden unerläßliche Bedingung. Die in den Thierſchaubuden gebräuchlichen Kiſten entſprechen den Anforderungen des Thieres alſo in keiner Weiſe, und die wollenen Decken, in welche man es wickelt, weil man glaubt, es dadurch zu erwärmen, haben eher ihr Bedenkliches, als daß ſie Nutzen brächten. Mehr als einmal nämlich hat man beobachtet, daß ſich die gefangenen Rieſenſchlangen, möglicherweiſe vom Hunger getrieben, darüber hermachten, ihr Deckbett zu ver- ſchlingen. Eine Abgottſchlange, welche in Berlin gehalten wurde, behielt die hinabgewürgte Woll- decke fünf Wochen und einen Tag im Magen, trank während dem ſehr viel und gab Beweiſe des Unwohlſeins zu erkennen, bis ſie endlich nachts zwiſchen elf und zwölf Uhr die Wollmaſſe auszuſpeien begann, und ſich mit Hilfe des Wärters auch des unverdaulichen Biſſens glücklich entledigte. Aehn- liches iſt faſt gleichzeitig im londoner Thiergarten und ſpäter im Pflanzengarten zu Paris geſchehen. Die Decke, welche die hier lebende, elf Fuß lange Abgottſchlange hinabwürgte, war ſieben Fuß lang und fünf Fuß breit und blieb vom 22. Auguſt bis zum 20. September im Magen liegen. An dieſem Tage begann die Schlange den Rachen zu öffnen und ein Ende der Decke wieder hervorzutreiben; der Wärter faßte dieſes Ende, ohne zu ziehen; die Boaſchlange wickelte den Schwanz um einen in ihrem Käfige befindlichen Baum und zog ſich ſelbſt zurück, ſodaß die ganze Decke unverſehrt wieder hervor- kam; doch hatte dieſelbe die Form einer fünf Fuß langen Walze, welche an ihrer dickſten Stelle fünf Fuß breit war. Die Schlange blieb nach dem Ereigniſſe zehn Tage matt, befand ſich aber ſpäter wieder ganz wohl. Dieſelben Länder, welche die Heimat der Abgottſchlange ſind, beherbergen die berühmte Anakonda, ein durch die Lebensweiſe von der Verwandten ſehr verſchiedenes Mitglied der Familie, welches die Sippe der Waſſerſchlinger (Eunectes) vertritt. Letztere unterſcheidet ſich von den Rieſenſchlangen der vorigen Abtheilung durch die zwiſchen drei Schildern ſenkrecht geſtellten, ver- ſchließbaren Naſenlöcher und die Bekleidung des Kopfes, welche aus unregelmäßigen Schildern be- ſteht. Der Kopf iſt im Verhältniß zur Länge und Dicke des Leibes ſehr klein, wenig von dem Halſe abgeſetzt, länglich viereckig und platt gedrückt, die Schnauze zugerundet, der Rumpf dick, der Schwanz ſtumpf und kurz. Die Anakonda (Eunectes murinus) hat, nach der Angabe des Prinzen von Wied, welcher ſie ausführlich beſchreibt, eine ſehr beſtändige und bezeichnende Färbung. Die oberen Theile ſind dunkelolivenſchwarz, die Kopfſeite olivengrau, am unteren Kiefernrande mehr gilblich; vom Auge, deſſen Regenbogenhaut dunkel und unſcheinbar iſt, verläuft nach dem Hinterkopfe ein breiter, ſchmuziggelbrother, oben dunkelſchwarz eingefaßter Streifen und unter dieſem, ebenfalls vom Auge über den Mundwinkel ſchief hinab und dann wieder etwas aufwärts, ein ſchwarzbrauner, welcher lebhaft gegen den vorigen abſticht; die unteren Theile des Thieres bis zur halben Seitenhöhe ſind auf blaßgelbem Grunde mit ſchwärzlichen Flecken beſtreut, welche an einigen Stellen zwei unter- brochene Längslinien bilden; zur Seite dieſer Flecken ſtehen ringförmige, ſchwarze, hohle, innen gelbe Augenflecke in zwei Reihen, und vom Kopfe bis zum Ende des Schwanzes verlaufen auf der Oberſeite zwei Reihen von runden oder rundlichen, zum Theil gepaarten, zum Theil wechſelſtändigen, ſchwarz- braunen Flecken, welche auf dem Halſe und über dem After regelmäßig neben einander, übrigens aber dicht an einander ſtehen, ſich auch wohl vereinigen. Unter den Rieſenſchlangen der neuen Welt iſt die Anakonda die rieſigſte. Auch die glaub- würdigen Reiſenden ſprechen von Stücken, deren Länge über 30 Fuß betragen ſoll, wobei jedoch zu bemerken, daß ſie ſelbſt nur ſolche von 14 bis 24 Fuß Länge erlegten. Eine Schlange dieſer Art,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/222>, abgerufen am 04.05.2024.