"Auch in der Gefangenschaft verliert dieser Vogel seine natürliche Lebendigkeit und Heiterkeit nicht. Er geht leicht ans Futter, zerstört aber auch aus lauter Vergnügen in einem Tage mehr, als zwei Handwerker in zwei Tagen herstellen können. Jedenfalls darf Niemand glauben, daß die Spechte so dumme, verlorene und vernachlässigte Geschöpfe sind, als man oft angenommen hat."
Keiner der amerikanischen Forscher scheint in Erfahrung gebracht zu haben, daß die Goldspechte bei geeigneter Pflege jahrelang im Käfig gehalten werden können. Wie leicht sie sich an die Gefangen- schaft gewöhnen, geht am besten daraus hervor, daß sie selbst eine Seereise aushalten. Der Hamburger Thiergarten erhielt vor drei Jahren vier Stück dieser schönen Vögel, und einer von ihnen lebt heutigen Tages noch. Er macht durchaus keine besonderen Ansprüche an das Futter, jedenfalls nicht mehr, als ein anderer Kerbthierfresser; denn er begnügt sich mit einfachem Drosselfutter, nur daß dasselbe mit mehr Ameiseneiern gewürzt ist, als es bei Drosseln nothwendig. Die in Rede stehenden Gold- spechte zeichneten sich von Anfang an durch ein zahmes und zutrauliches Wesen aus. Sie lernten ihren Wärter kennen, kamen bald auf seinen Ruf herbei und nahmen ihm die dargereichte Nahrung, besonders wenn dieselbe in noch lebenden Würmern bestand, aus der Hand. "Für den Vogelkundigen", sagt mein Bruder, welcher dieselben Gefangenen vor mir beschrieb, "ist der von ihnen bewohnte Käfig ein höchst anziehender Gegenstand. Man kann hier in aller Muße die so auffallenden Bewegungen der Spechte überhaupt beobachten; man kann sehen, wie sie rasch und geschickt an den Baumstämmen innerhalb ihres Käfigs emporklettern, wie kräftig sie sich in die Rinde derselben ein- haken, wie sicher sie sich zu befestigen wissen, wie umfassend sie ihren Schnabel zu gebrauchen verstehen; man kann selbst ihren Flug studiren: denn gar nicht selten machen sie wenigstens Versuche, in dieser Weise sich zu bewegen. An diesen Gefangenen habe ich beobachtet, daß sie auch im Schlafe ihre liebste Stellung annehmen. Daß die Spechte Baumhöhlungen zu ihrer Nachtherberge wählen, war mir durch die Beobachtung unserer deutschen Arten bekannt geworden; nichts desto weniger überraschte es mich, zu sehen, daß sie nicht nach anderer Vögel Art sich einfach auf den Boden der Höhle niedersetzten, sondern sich, wie bereits bemerkt, an den Wandungen derselben in der Kletterstellung aufhängen. Jch ersah daraus, daß ihnen diese Stellung leichter wird, als jede andere." Das Ueberraschendste, was ich erfahren konnte, war, diese Gefangenen im Frühjahr des Jahres 1865 zur Fortpflanzung schreiten zu sehen. Sie haben mir dadurch bewiesen, daß sie sich in der Gefangenschaft so wohl befanden, wie sich ein seiner Freiheit beraubter Vogel überhaupt befinden kann. Der beginnende Frühling verfehlte auch auf sie seine Wirkung nicht. Das Männchen gab seinen Jubel durch jauchzendes Aufschreien und wiederholtes Trommeln kund. Es lockte in der von Audubon beschriebenen Weise, liebkoste das Weibchen wiederholt und trieb mit ihm überhaupt alle Spiele, wie sie der Paarung vorauszugehen pflegen. Eines Morgens fand der Wärter ein Ei am Boden des Käfigs, wenige Tage darauf ein zweites. Meine Hoffnung, möglicherweise Junge zu erzielen, ging aber leider nicht in Erfüllung. Das Weibchen begann plötzlich zu kränkeln und lag eines Morgens todt im Käfig. Es war, anscheinend an Erschöpfung in Folge allzuschneller Entwicklung der Eier, zu Grunde gegangen. Wahrhaft rührend war es, zu beobachten, wie traurig das Männchen fortan sich geberdete. Tagelang, ohne Unterbrechung fast, rief es nach dem Weibchen; es trommelte im Uebermaß seiner Sehnsucht wie früher in der Jubellust seiner Liebe; es hatte nicht einmal in den Nachtstunden Ruhe. Später wurde, es ruhiger und zuletzt still; seine frühere Heiterkeit hat es aber nicht wieder erlangt, und jetzt zumal, nachdem ihm auch die Gefährten gestorben sind, ist es recht schweigsam geworden. Jch habe selbstver- ständlich geeigneten Orts augenblicklich lebende Goldspechte bestellt; Amerika aber ist, trotz unserer ausgezeichneten Verbindungen, doch sehr weit, und es bleibt deshalb fraglich, ob wir jemals wieder so glücklich sein werden, mehrere dieser anziehenden Geschöpfe zu gleicher Zeit lebend zu haben.
Jn den südlichen Staaten Nordamerikas tritt zu dem Goldspecht ein ihm sehr ähnlicher Ver- wandter, welcher auch in Tejas und namentlich in Mejiko vorkommt und deshalb Colaptes mexicanus genannt worden ist. Er ähnelt dem Goldspecht ebensowohl in der Färbung wie in der
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Goldſpecht.
„Auch in der Gefangenſchaft verliert dieſer Vogel ſeine natürliche Lebendigkeit und Heiterkeit nicht. Er geht leicht ans Futter, zerſtört aber auch aus lauter Vergnügen in einem Tage mehr, als zwei Handwerker in zwei Tagen herſtellen können. Jedenfalls darf Niemand glauben, daß die Spechte ſo dumme, verlorene und vernachläſſigte Geſchöpfe ſind, als man oft angenommen hat.“
Keiner der amerikaniſchen Forſcher ſcheint in Erfahrung gebracht zu haben, daß die Goldſpechte bei geeigneter Pflege jahrelang im Käfig gehalten werden können. Wie leicht ſie ſich an die Gefangen- ſchaft gewöhnen, geht am beſten daraus hervor, daß ſie ſelbſt eine Seereiſe aushalten. Der Hamburger Thiergarten erhielt vor drei Jahren vier Stück dieſer ſchönen Vögel, und einer von ihnen lebt heutigen Tages noch. Er macht durchaus keine beſonderen Anſprüche an das Futter, jedenfalls nicht mehr, als ein anderer Kerbthierfreſſer; denn er begnügt ſich mit einfachem Droſſelfutter, nur daß daſſelbe mit mehr Ameiſeneiern gewürzt iſt, als es bei Droſſeln nothwendig. Die in Rede ſtehenden Gold- ſpechte zeichneten ſich von Anfang an durch ein zahmes und zutrauliches Weſen aus. Sie lernten ihren Wärter kennen, kamen bald auf ſeinen Ruf herbei und nahmen ihm die dargereichte Nahrung, beſonders wenn dieſelbe in noch lebenden Würmern beſtand, aus der Hand. „Für den Vogelkundigen“, ſagt mein Bruder, welcher dieſelben Gefangenen vor mir beſchrieb, „iſt der von ihnen bewohnte Käfig ein höchſt anziehender Gegenſtand. Man kann hier in aller Muße die ſo auffallenden Bewegungen der Spechte überhaupt beobachten; man kann ſehen, wie ſie raſch und geſchickt an den Baumſtämmen innerhalb ihres Käfigs emporklettern, wie kräftig ſie ſich in die Rinde derſelben ein- haken, wie ſicher ſie ſich zu befeſtigen wiſſen, wie umfaſſend ſie ihren Schnabel zu gebrauchen verſtehen; man kann ſelbſt ihren Flug ſtudiren: denn gar nicht ſelten machen ſie wenigſtens Verſuche, in dieſer Weiſe ſich zu bewegen. An dieſen Gefangenen habe ich beobachtet, daß ſie auch im Schlafe ihre liebſte Stellung annehmen. Daß die Spechte Baumhöhlungen zu ihrer Nachtherberge wählen, war mir durch die Beobachtung unſerer deutſchen Arten bekannt geworden; nichts deſto weniger überraſchte es mich, zu ſehen, daß ſie nicht nach anderer Vögel Art ſich einfach auf den Boden der Höhle niederſetzten, ſondern ſich, wie bereits bemerkt, an den Wandungen derſelben in der Kletterſtellung aufhängen. Jch erſah daraus, daß ihnen dieſe Stellung leichter wird, als jede andere.“ Das Ueberraſchendſte, was ich erfahren konnte, war, dieſe Gefangenen im Frühjahr des Jahres 1865 zur Fortpflanzung ſchreiten zu ſehen. Sie haben mir dadurch bewieſen, daß ſie ſich in der Gefangenſchaft ſo wohl befanden, wie ſich ein ſeiner Freiheit beraubter Vogel überhaupt befinden kann. Der beginnende Frühling verfehlte auch auf ſie ſeine Wirkung nicht. Das Männchen gab ſeinen Jubel durch jauchzendes Aufſchreien und wiederholtes Trommeln kund. Es lockte in der von Audubon beſchriebenen Weiſe, liebkoſte das Weibchen wiederholt und trieb mit ihm überhaupt alle Spiele, wie ſie der Paarung vorauszugehen pflegen. Eines Morgens fand der Wärter ein Ei am Boden des Käfigs, wenige Tage darauf ein zweites. Meine Hoffnung, möglicherweiſe Junge zu erzielen, ging aber leider nicht in Erfüllung. Das Weibchen begann plötzlich zu kränkeln und lag eines Morgens todt im Käfig. Es war, anſcheinend an Erſchöpfung in Folge allzuſchneller Entwicklung der Eier, zu Grunde gegangen. Wahrhaft rührend war es, zu beobachten, wie traurig das Männchen fortan ſich geberdete. Tagelang, ohne Unterbrechung faſt, rief es nach dem Weibchen; es trommelte im Uebermaß ſeiner Sehnſucht wie früher in der Jubelluſt ſeiner Liebe; es hatte nicht einmal in den Nachtſtunden Ruhe. Später wurde, es ruhiger und zuletzt ſtill; ſeine frühere Heiterkeit hat es aber nicht wieder erlangt, und jetzt zumal, nachdem ihm auch die Gefährten geſtorben ſind, iſt es recht ſchweigſam geworden. Jch habe ſelbſtver- ſtändlich geeigneten Orts augenblicklich lebende Goldſpechte beſtellt; Amerika aber iſt, trotz unſerer ausgezeichneten Verbindungen, doch ſehr weit, und es bleibt deshalb fraglich, ob wir jemals wieder ſo glücklich ſein werden, mehrere dieſer anziehenden Geſchöpfe zu gleicher Zeit lebend zu haben.
Jn den ſüdlichen Staaten Nordamerikas tritt zu dem Goldſpecht ein ihm ſehr ähnlicher Ver- wandter, welcher auch in Tejas und namentlich in Mejiko vorkommt und deshalb Colaptes mexicanus genannt worden iſt. Er ähnelt dem Goldſpecht ebenſowohl in der Färbung wie in der
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Goldſpecht.
„Auch in der Gefangenſchaft verliert dieſer Vogel ſeine natürliche Lebendigkeit und Heiterkeit
nicht. Er geht leicht ans Futter, zerſtört aber auch aus lauter Vergnügen in einem Tage mehr,
als zwei Handwerker in zwei Tagen herſtellen können. Jedenfalls darf Niemand glauben, daß die
Spechte ſo dumme, verlorene und vernachläſſigte Geſchöpfe ſind, als man oft angenommen hat.“
Keiner der amerikaniſchen Forſcher ſcheint in Erfahrung gebracht zu haben, daß die Goldſpechte
bei geeigneter Pflege jahrelang im Käfig gehalten werden können. Wie leicht ſie ſich an die Gefangen-
ſchaft gewöhnen, geht am beſten daraus hervor, daß ſie ſelbſt eine Seereiſe aushalten. Der Hamburger
Thiergarten erhielt vor drei Jahren vier Stück dieſer ſchönen Vögel, und einer von ihnen lebt heutigen
Tages noch. Er macht durchaus keine beſonderen Anſprüche an das Futter, jedenfalls nicht mehr,
als ein anderer Kerbthierfreſſer; denn er begnügt ſich mit einfachem Droſſelfutter, nur daß daſſelbe
mit mehr Ameiſeneiern gewürzt iſt, als es bei Droſſeln nothwendig. Die in Rede ſtehenden Gold-
ſpechte zeichneten ſich von Anfang an durch ein zahmes und zutrauliches Weſen aus. Sie lernten
ihren Wärter kennen, kamen bald auf ſeinen Ruf herbei und nahmen ihm die dargereichte Nahrung,
beſonders wenn dieſelbe in noch lebenden Würmern beſtand, aus der Hand. „Für den Vogelkundigen“,
ſagt mein Bruder, welcher dieſelben Gefangenen vor mir beſchrieb, „iſt der von ihnen bewohnte
Käfig ein höchſt anziehender Gegenſtand. Man kann hier in aller Muße die ſo auffallenden
Bewegungen der Spechte überhaupt beobachten; man kann ſehen, wie ſie raſch und geſchickt an den
Baumſtämmen innerhalb ihres Käfigs emporklettern, wie kräftig ſie ſich in die Rinde derſelben ein-
haken, wie ſicher ſie ſich zu befeſtigen wiſſen, wie umfaſſend ſie ihren Schnabel zu gebrauchen verſtehen;
man kann ſelbſt ihren Flug ſtudiren: denn gar nicht ſelten machen ſie wenigſtens Verſuche, in dieſer
Weiſe ſich zu bewegen. An dieſen Gefangenen habe ich beobachtet, daß ſie auch im Schlafe ihre
liebſte Stellung annehmen. Daß die Spechte Baumhöhlungen zu ihrer Nachtherberge wählen, war mir
durch die Beobachtung unſerer deutſchen Arten bekannt geworden; nichts deſto weniger überraſchte es
mich, zu ſehen, daß ſie nicht nach anderer Vögel Art ſich einfach auf den Boden der Höhle niederſetzten,
ſondern ſich, wie bereits bemerkt, an den Wandungen derſelben in der Kletterſtellung aufhängen. Jch
erſah daraus, daß ihnen dieſe Stellung leichter wird, als jede andere.“ Das Ueberraſchendſte, was
ich erfahren konnte, war, dieſe Gefangenen im Frühjahr des Jahres 1865 zur Fortpflanzung ſchreiten
zu ſehen. Sie haben mir dadurch bewieſen, daß ſie ſich in der Gefangenſchaft ſo wohl befanden, wie
ſich ein ſeiner Freiheit beraubter Vogel überhaupt befinden kann. Der beginnende Frühling verfehlte
auch auf ſie ſeine Wirkung nicht. Das Männchen gab ſeinen Jubel durch jauchzendes Aufſchreien
und wiederholtes Trommeln kund. Es lockte in der von Audubon beſchriebenen Weiſe, liebkoſte das
Weibchen wiederholt und trieb mit ihm überhaupt alle Spiele, wie ſie der Paarung vorauszugehen
pflegen. Eines Morgens fand der Wärter ein Ei am Boden des Käfigs, wenige Tage darauf ein
zweites. Meine Hoffnung, möglicherweiſe Junge zu erzielen, ging aber leider nicht in Erfüllung.
Das Weibchen begann plötzlich zu kränkeln und lag eines Morgens todt im Käfig. Es war,
anſcheinend an Erſchöpfung in Folge allzuſchneller Entwicklung der Eier, zu Grunde gegangen.
Wahrhaft rührend war es, zu beobachten, wie traurig das Männchen fortan ſich geberdete. Tagelang,
ohne Unterbrechung faſt, rief es nach dem Weibchen; es trommelte im Uebermaß ſeiner Sehnſucht wie
früher in der Jubelluſt ſeiner Liebe; es hatte nicht einmal in den Nachtſtunden Ruhe. Später wurde,
es ruhiger und zuletzt ſtill; ſeine frühere Heiterkeit hat es aber nicht wieder erlangt, und jetzt zumal,
nachdem ihm auch die Gefährten geſtorben ſind, iſt es recht ſchweigſam geworden. Jch habe ſelbſtver-
ſtändlich geeigneten Orts augenblicklich lebende Goldſpechte beſtellt; Amerika aber iſt, trotz unſerer
ausgezeichneten Verbindungen, doch ſehr weit, und es bleibt deshalb fraglich, ob wir jemals wieder
ſo glücklich ſein werden, mehrere dieſer anziehenden Geſchöpfe zu gleicher Zeit lebend zu haben.
Jn den ſüdlichen Staaten Nordamerikas tritt zu dem Goldſpecht ein ihm ſehr ähnlicher Ver-
wandter, welcher auch in Tejas und namentlich in Mejiko vorkommt und deshalb Colaptes
mexicanus genannt worden iſt. Er ähnelt dem Goldſpecht ebenſowohl in der Färbung wie in der
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/97>, abgerufen am 23.11.2024.
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