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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Mantelmöve.
durch den ärgsten Sturm nicht beirren und stößt, wenn sie Beute gewahrt, mit großer Kraft aus
ziemlicher Höhe auf das Wasser herab, bis zu einer gewissen Tiefe in dasselbe eindringend. An
Selbstbewußtsein und Muth, aber auch an Raublust, Gier und Gefräßigkeit übertrifft sie die meisten
Verwandten; dabei ist sie neidisch, hämisch und verhältnißmäßig ungesellig, obgleich sie nur
ausnahmsweise einzeln gesehen wird. Dem Menschen weicht sie außer der Brutzeit ebenso vorsichtig
aus, als sie ihn während derselben muthig angreift. Jhre Stimme klingt tief und heiser, wie "Ach,
ach, ach", in der Erregung wie "Kjau", welcher letztere Ausdruck aber sehr verschieden betont
werden kann.

Fische verschiedener Größe bilden ihre Hauptnahrung, Aas von Säugethieren oder Fischen eine sehr
beliebte Speise; nebenbei fängt sie sich Lemminge und andere Wühlmäuse, junge und kranke Vögel,
welche sie erlangen kann, raubt den schwächeren Seevögeln die Eier weg oder sucht sich am Strande
allerlei Gewürm und Kleingethier zusammen. Sind ihr die Schalen gewisser Krebse und Weichthiere
zu hart, so fliegt sie mit der Beute auf und läßt sie aus bedeutender Höhe herab auf Felsen fallen, um
sie zu zerschellen. Jn der Gefangenschaft gewöhnt sie sich bald an Brot und sieht in diesem schließlich
einen Leckerbissen.

Während meiner Reise in Norwegen und Lappland habe ich die Mantelmöve oft gesehen, ihre
Brutplätze aber erst im nördlichsten Theile des Landes, am Porsangerfjord, gefunden. Einzelne
Silbermöven, ihre gewöhnlichen Nistgefährten, beobachtete ich auch schon auf den Vogelbergen der
Lofodden, und hier stets auf dem Gipfel der Berge; Mantelmöven aber konnte ich hier trotz des
eifrigsten Suchens nicht entdecken. Eine Jnsel im Porsangerfjord wurde von mehreren hundert der
beiden Arten bevölkert. Die Nester standen auf dem Moorboden, nicht gerade nahe zusammen, aber
doch auch selten weiter als funfzig Schritt von einander entfernt, die von beiden Arten zwischen und
neben einander, als ob die ganze Ansiedelung nur von einer einzigen Art gebildet worden wäre.
Mehrere waren sehr hübsch gerundete und auch mit feinen Flechten sorgfältig ausgekleidete
Vertiefungen, andere nachlässiger gebaut. Drei große, starkschalige, grobkörnige, glanzlose, auf
grünlichgrauem Grunde braun und aschgrau, öl- und schwarzbraun getüpfelte und gefleckte Eier
bildeten das Gelege und wurden von beiden Eltern ängstlich und sorgfältig bewacht.

Ein ungeheurer Aufruhr erhob sich, als ich die Jnsel betrat. Diejenigen, welche gerade mit
Brüten beschäftigt waren, blieben sitzen und ließen mich bis auf wenige Schritte an sich herankommen,
gleichsam, als hofften sie, daß mich die Wachthabenden zurückschrecken würden. Letztere hatten sich
unter lautem Geschrei erhoben und umschwebten mich in geringer Entfernung, beständig von oben
nach mir herabstoßend, dann wieder sich erhebend, kreisend und von neuem zum Angriffe übergehend.
Mehrere Male flogen sie dicht an meinem Kopfe vorüber, daß ich mit den Flügelspitzen berührt
wurde; zu einem Angriffe mit dem scharfen Schnabel erdreisteten sie sich jedoch nicht. Jn mehreren
Nestern befanden sich kleine Junge, welche sich bei Annäherung sofort zwischen den Flechten und
Grashalmen zu verbergen suchten und auch in der That trefflich verbargen.

Später habe ich das Brutgeschäft an Gefangenen, welche ich pflegte, beobachten können. Das
Paar hatte sich einen geeigneten Platz des Geheges, welcher durch einen Busch verdeckt war, zum Nisten
ausgesucht, hier eine vorgefundene Vertiefung einfach ausgekleidet und drei Eier gelegt. Letztere
wurden vorzugsweise vom Weibchen bebrütet; das Männchen hielt sich jedoch stets in dessen Nähe
auf und verrieth es dem Weibchen sofort, wenn ich mich nahte. Um andere Menschen bekümmerte
das Paar sich nicht; denn es hatte bald erfahren, daß ich allein zum Störenfried wurde. Näherte
ich mich dem Neste mehr als gewöhnlich, so eilten beide Eltern schreiend auf mich zu, griffen mich
dreist an und bissen mich, zuweilen sehr empfindlich, in die Beine. Nach sechsundzwanzigtägiger
Brutzeit schlüpften die Jungen aus, wurden bald nach dem Abtrocknen aus dem Neste geführt,
anfänglich aber jeden Abend wieder in dasselbe zurückgebracht. Uebertages treiben sie sich zwischen
dem Gebüsch umher, jede Warnung ihrer Eltern sofort beachtend. Letztere kannten meine Stimme
so genau, daß ich sie blos anzureden brauchte, um ihre Besorgniß wachzurufen. Auf den Anruf

Mantelmöve.
durch den ärgſten Sturm nicht beirren und ſtößt, wenn ſie Beute gewahrt, mit großer Kraft aus
ziemlicher Höhe auf das Waſſer herab, bis zu einer gewiſſen Tiefe in daſſelbe eindringend. An
Selbſtbewußtſein und Muth, aber auch an Raubluſt, Gier und Gefräßigkeit übertrifft ſie die meiſten
Verwandten; dabei iſt ſie neidiſch, hämiſch und verhältnißmäßig ungeſellig, obgleich ſie nur
ausnahmsweiſe einzeln geſehen wird. Dem Menſchen weicht ſie außer der Brutzeit ebenſo vorſichtig
aus, als ſie ihn während derſelben muthig angreift. Jhre Stimme klingt tief und heiſer, wie „Ach,
ach, ach“, in der Erregung wie „Kjau“, welcher letztere Ausdruck aber ſehr verſchieden betont
werden kann.

Fiſche verſchiedener Größe bilden ihre Hauptnahrung, Aas von Säugethieren oder Fiſchen eine ſehr
beliebte Speiſe; nebenbei fängt ſie ſich Lemminge und andere Wühlmäuſe, junge und kranke Vögel,
welche ſie erlangen kann, raubt den ſchwächeren Seevögeln die Eier weg oder ſucht ſich am Strande
allerlei Gewürm und Kleingethier zuſammen. Sind ihr die Schalen gewiſſer Krebſe und Weichthiere
zu hart, ſo fliegt ſie mit der Beute auf und läßt ſie aus bedeutender Höhe herab auf Felſen fallen, um
ſie zu zerſchellen. Jn der Gefangenſchaft gewöhnt ſie ſich bald an Brot und ſieht in dieſem ſchließlich
einen Leckerbiſſen.

Während meiner Reiſe in Norwegen und Lappland habe ich die Mantelmöve oft geſehen, ihre
Brutplätze aber erſt im nördlichſten Theile des Landes, am Porſangerfjord, gefunden. Einzelne
Silbermöven, ihre gewöhnlichen Niſtgefährten, beobachtete ich auch ſchon auf den Vogelbergen der
Lofodden, und hier ſtets auf dem Gipfel der Berge; Mantelmöven aber konnte ich hier trotz des
eifrigſten Suchens nicht entdecken. Eine Jnſel im Porſangerfjord wurde von mehreren hundert der
beiden Arten bevölkert. Die Neſter ſtanden auf dem Moorboden, nicht gerade nahe zuſammen, aber
doch auch ſelten weiter als funfzig Schritt von einander entfernt, die von beiden Arten zwiſchen und
neben einander, als ob die ganze Anſiedelung nur von einer einzigen Art gebildet worden wäre.
Mehrere waren ſehr hübſch gerundete und auch mit feinen Flechten ſorgfältig ausgekleidete
Vertiefungen, andere nachläſſiger gebaut. Drei große, ſtarkſchalige, grobkörnige, glanzloſe, auf
grünlichgrauem Grunde braun und aſchgrau, öl- und ſchwarzbraun getüpfelte und gefleckte Eier
bildeten das Gelege und wurden von beiden Eltern ängſtlich und ſorgfältig bewacht.

Ein ungeheurer Aufruhr erhob ſich, als ich die Jnſel betrat. Diejenigen, welche gerade mit
Brüten beſchäftigt waren, blieben ſitzen und ließen mich bis auf wenige Schritte an ſich herankommen,
gleichſam, als hofften ſie, daß mich die Wachthabenden zurückſchrecken würden. Letztere hatten ſich
unter lautem Geſchrei erhoben und umſchwebten mich in geringer Entfernung, beſtändig von oben
nach mir herabſtoßend, dann wieder ſich erhebend, kreiſend und von neuem zum Angriffe übergehend.
Mehrere Male flogen ſie dicht an meinem Kopfe vorüber, daß ich mit den Flügelſpitzen berührt
wurde; zu einem Angriffe mit dem ſcharfen Schnabel erdreiſteten ſie ſich jedoch nicht. Jn mehreren
Neſtern befanden ſich kleine Junge, welche ſich bei Annäherung ſofort zwiſchen den Flechten und
Grashalmen zu verbergen ſuchten und auch in der That trefflich verbargen.

Später habe ich das Brutgeſchäft an Gefangenen, welche ich pflegte, beobachten können. Das
Paar hatte ſich einen geeigneten Platz des Geheges, welcher durch einen Buſch verdeckt war, zum Niſten
ausgeſucht, hier eine vorgefundene Vertiefung einfach ausgekleidet und drei Eier gelegt. Letztere
wurden vorzugsweiſe vom Weibchen bebrütet; das Männchen hielt ſich jedoch ſtets in deſſen Nähe
auf und verrieth es dem Weibchen ſofort, wenn ich mich nahte. Um andere Menſchen bekümmerte
das Paar ſich nicht; denn es hatte bald erfahren, daß ich allein zum Störenfried wurde. Näherte
ich mich dem Neſte mehr als gewöhnlich, ſo eilten beide Eltern ſchreiend auf mich zu, griffen mich
dreiſt an und biſſen mich, zuweilen ſehr empfindlich, in die Beine. Nach ſechsundzwanzigtägiger
Brutzeit ſchlüpften die Jungen aus, wurden bald nach dem Abtrocknen aus dem Neſte geführt,
anfänglich aber jeden Abend wieder in daſſelbe zurückgebracht. Uebertages treiben ſie ſich zwiſchen
dem Gebüſch umher, jede Warnung ihrer Eltern ſofort beachtend. Letztere kannten meine Stimme
ſo genau, daß ich ſie blos anzureden brauchte, um ihre Beſorgniß wachzurufen. Auf den Anruf

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[871/0923] Mantelmöve. durch den ärgſten Sturm nicht beirren und ſtößt, wenn ſie Beute gewahrt, mit großer Kraft aus ziemlicher Höhe auf das Waſſer herab, bis zu einer gewiſſen Tiefe in daſſelbe eindringend. An Selbſtbewußtſein und Muth, aber auch an Raubluſt, Gier und Gefräßigkeit übertrifft ſie die meiſten Verwandten; dabei iſt ſie neidiſch, hämiſch und verhältnißmäßig ungeſellig, obgleich ſie nur ausnahmsweiſe einzeln geſehen wird. Dem Menſchen weicht ſie außer der Brutzeit ebenſo vorſichtig aus, als ſie ihn während derſelben muthig angreift. Jhre Stimme klingt tief und heiſer, wie „Ach, ach, ach“, in der Erregung wie „Kjau“, welcher letztere Ausdruck aber ſehr verſchieden betont werden kann. Fiſche verſchiedener Größe bilden ihre Hauptnahrung, Aas von Säugethieren oder Fiſchen eine ſehr beliebte Speiſe; nebenbei fängt ſie ſich Lemminge und andere Wühlmäuſe, junge und kranke Vögel, welche ſie erlangen kann, raubt den ſchwächeren Seevögeln die Eier weg oder ſucht ſich am Strande allerlei Gewürm und Kleingethier zuſammen. Sind ihr die Schalen gewiſſer Krebſe und Weichthiere zu hart, ſo fliegt ſie mit der Beute auf und läßt ſie aus bedeutender Höhe herab auf Felſen fallen, um ſie zu zerſchellen. Jn der Gefangenſchaft gewöhnt ſie ſich bald an Brot und ſieht in dieſem ſchließlich einen Leckerbiſſen. Während meiner Reiſe in Norwegen und Lappland habe ich die Mantelmöve oft geſehen, ihre Brutplätze aber erſt im nördlichſten Theile des Landes, am Porſangerfjord, gefunden. Einzelne Silbermöven, ihre gewöhnlichen Niſtgefährten, beobachtete ich auch ſchon auf den Vogelbergen der Lofodden, und hier ſtets auf dem Gipfel der Berge; Mantelmöven aber konnte ich hier trotz des eifrigſten Suchens nicht entdecken. Eine Jnſel im Porſangerfjord wurde von mehreren hundert der beiden Arten bevölkert. Die Neſter ſtanden auf dem Moorboden, nicht gerade nahe zuſammen, aber doch auch ſelten weiter als funfzig Schritt von einander entfernt, die von beiden Arten zwiſchen und neben einander, als ob die ganze Anſiedelung nur von einer einzigen Art gebildet worden wäre. Mehrere waren ſehr hübſch gerundete und auch mit feinen Flechten ſorgfältig ausgekleidete Vertiefungen, andere nachläſſiger gebaut. Drei große, ſtarkſchalige, grobkörnige, glanzloſe, auf grünlichgrauem Grunde braun und aſchgrau, öl- und ſchwarzbraun getüpfelte und gefleckte Eier bildeten das Gelege und wurden von beiden Eltern ängſtlich und ſorgfältig bewacht. Ein ungeheurer Aufruhr erhob ſich, als ich die Jnſel betrat. Diejenigen, welche gerade mit Brüten beſchäftigt waren, blieben ſitzen und ließen mich bis auf wenige Schritte an ſich herankommen, gleichſam, als hofften ſie, daß mich die Wachthabenden zurückſchrecken würden. Letztere hatten ſich unter lautem Geſchrei erhoben und umſchwebten mich in geringer Entfernung, beſtändig von oben nach mir herabſtoßend, dann wieder ſich erhebend, kreiſend und von neuem zum Angriffe übergehend. Mehrere Male flogen ſie dicht an meinem Kopfe vorüber, daß ich mit den Flügelſpitzen berührt wurde; zu einem Angriffe mit dem ſcharfen Schnabel erdreiſteten ſie ſich jedoch nicht. Jn mehreren Neſtern befanden ſich kleine Junge, welche ſich bei Annäherung ſofort zwiſchen den Flechten und Grashalmen zu verbergen ſuchten und auch in der That trefflich verbargen. Später habe ich das Brutgeſchäft an Gefangenen, welche ich pflegte, beobachten können. Das Paar hatte ſich einen geeigneten Platz des Geheges, welcher durch einen Buſch verdeckt war, zum Niſten ausgeſucht, hier eine vorgefundene Vertiefung einfach ausgekleidet und drei Eier gelegt. Letztere wurden vorzugsweiſe vom Weibchen bebrütet; das Männchen hielt ſich jedoch ſtets in deſſen Nähe auf und verrieth es dem Weibchen ſofort, wenn ich mich nahte. Um andere Menſchen bekümmerte das Paar ſich nicht; denn es hatte bald erfahren, daß ich allein zum Störenfried wurde. Näherte ich mich dem Neſte mehr als gewöhnlich, ſo eilten beide Eltern ſchreiend auf mich zu, griffen mich dreiſt an und biſſen mich, zuweilen ſehr empfindlich, in die Beine. Nach ſechsundzwanzigtägiger Brutzeit ſchlüpften die Jungen aus, wurden bald nach dem Abtrocknen aus dem Neſte geführt, anfänglich aber jeden Abend wieder in daſſelbe zurückgebracht. Uebertages treiben ſie ſich zwiſchen dem Gebüſch umher, jede Warnung ihrer Eltern ſofort beachtend. Letztere kannten meine Stimme ſo genau, daß ich ſie blos anzureden brauchte, um ihre Beſorgniß wachzurufen. Auf den Anruf

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 871. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/923>, abgerufen am 23.11.2024.