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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Allgemeines.
Gesellschaft scheint sie zu sesseln, und wenn sie es vermögen, machen sie sich kein Bedenken daraus, die
Mitbewohner eines Brutberges zu bestehlen und zu berauben. Dem Menschen mißtrauen sie aller-
orten und unter allen Umständen; gleichwohl erscheinen sie immer und immer wieder in seiner Nähe,
besuchen jeden Hafen, jede Ortschaft an der Küste, umkreisen jedes Schiff, welches in See geht oder
dem Lande sich nähert, soweit es eben zulässig erscheint, weil sie durch Erfahrung gelernt haben,
daß aus dem menschlichen Haushalte immer etwas Brauchbares für sie abfällt. Nach längerer
Beobachtung lernen sie nicht blos die Oertlichkeit, sondern auch einzelne Personen unterscheiden,
zeigen sich demgemäß da, wo sie oft und ungestört Beute machen durften, äußerst zutraulich oder
richtiger dreist, während sie eine ihnen zugefügte Unbill nicht sogleich vergessen. Eine irgendwie
geschädigte Möve pflegt allen anderen Mittheilung zu machen, wie denn überhaupt unter ihnen das
größte Einvernehmen herrscht, sobald es gilt, einer gemeinschaftlichen Gefahr zu begegnen, einem
gemeinschaftlichen Feinde zu widerstehen: Raubvögel, Raubmöven und Kolkraben oder Krähen werden
von allen Möven, welche in der Nähe sind, gleichzeitig angegriffen und gewöhnlich auch in die Flucht
geschlagen. Außer der Brutzeit kann es geschehen, daß man auch einzelne alte Möven sieht; während
der Brutzeit aber vereinigen sich alle Arten zu Gesellschaften, welche nicht selten zu ungeheueren
Scharen anwachsen. Schon im nördlichen Deutschland gibt es Mövenberge, welche von mehreren
hundert Paaren bewohnt werden; weiter oben im Norden kann man Ansiedelungen sehen, deren
Anzahl keine Schätzung zuläßt. Auch hier halten sich die größeren Arten der Familie minder eng
zusammen als die kleineren; diese aber bedecken in buchstäblichem Sinne des Wortes ganze Felsen-
wände oder Berge, benutzen jeden Raum, welcher sich darbietet und legen ein Nest so dicht neben dem
anderen an, daß die brütenden Alten sich drängen. Die Nester sind je nach dem Standorte ver-
schieden, da, wo es an Baustoffen nicht mangelt, einigermaßen ausgebaut, d. h. aus trockenen
Wasser- und Strandflechten locker und kunstlos errichtet, da, wo solche Stoffe fehlen, so einfach als
möglich hergerichtet. Zwei bis vier große, eigestaltige, starkschalige, grobkörnige, auf schmuzig- oder
braungrünlichem oder grünbräunlichem Grunde aschgrau und schwarzbraun gefleckte Eier bilden das
Gelege und werden vom Männchen und Weibchen wechselsweise drei bis vier Wochen lang bebrütet,
bei schlechtem Wetter anhaltender als bei gutem. Beide Eltern zeigen eine außerordentliche Anhäng-
lichkeit an die Brut und vergessen, wenn sie dieselbe gefährdet sehen, jede Rücksicht. Die Jungen
kommen in einem dichten, gefleckten Dunenkleide zur Welt und verlassen das Nest da, wo sie Dies
können, schon in den ersten Tagen, fortan am Strande sich umhertreibend und nöthigenfalls zwischen
Bodenerhebungen sich verbergend oder im Wasser Zuflucht suchend; diejenigen aber, welche auf den
Gesimsen steiler Felsenwände erbrütet wurden, müssen hier aushalten, bis ihnen die Schwingen
gewachsen sind: denn zu einem Sprunge von oben herab in die Tiefe, wie er bei so vielen anderen
Schwimmvögeln üblich ist, entschließen die Möven sich nicht. Anfänglich erhalten die Jungen halb
verdaute Nahrung von den Alten vorgewürgt, später werden sie mit frisch gefangenen oder auf-
gelesenen thierischen Stoffen geäzt. Nach dem Ausfluge verweilen sie noch einige Zeit in Gesellschaft
ihrer Eltern, verlassen nunmehr aber die Brutplätze und zerstreuen sich mit den anderen nach allen
Seiten hin.

Jm hohen Norden der Erde zählt man die Möven nicht blos zu den schönsten, sondern auch zu
den nützlichsten Vögeln und hegt und pflegt sie ebenso wie die übrigen Kinder des Meeres, welche
alljährlich auf den Vogelbergen erscheinen. Möveneier bilden für einzelne Grundbesitzer Norwegens
einen wesentlichen Theil des Ertrages ihres Gutes, werden von den Landeigenthümern gern gegessen,
auf Meilen weit versandt und verhältnißmäßig theuer verwerthet, und Mövenfedern müssen den
ärmeren Nordländern die Eiderdunen oder Gänsefedern, welche die reicheren zur Füllung ihrer Betten
benutzen, ersetzen. An dem Fleische der alten Möven finden nur die Mongolen des Nordens Geschmack;
Junge hingegen werden auch von den Jsländern und Grönländern gern gegessen und geben, geschickt
zubereitet, wirklich ein erträgliches Gericht; doch schätzt man Eier und Federn überall höher als
das Wildpret. Jn einigen Gegenden werden alljährlich große Jagden auf Möven abgehalten, mehr

Allgemeines.
Geſellſchaft ſcheint ſie zu ſeſſeln, und wenn ſie es vermögen, machen ſie ſich kein Bedenken daraus, die
Mitbewohner eines Brutberges zu beſtehlen und zu berauben. Dem Menſchen mißtrauen ſie aller-
orten und unter allen Umſtänden; gleichwohl erſcheinen ſie immer und immer wieder in ſeiner Nähe,
beſuchen jeden Hafen, jede Ortſchaft an der Küſte, umkreiſen jedes Schiff, welches in See geht oder
dem Lande ſich nähert, ſoweit es eben zuläſſig erſcheint, weil ſie durch Erfahrung gelernt haben,
daß aus dem menſchlichen Haushalte immer etwas Brauchbares für ſie abfällt. Nach längerer
Beobachtung lernen ſie nicht blos die Oertlichkeit, ſondern auch einzelne Perſonen unterſcheiden,
zeigen ſich demgemäß da, wo ſie oft und ungeſtört Beute machen durften, äußerſt zutraulich oder
richtiger dreiſt, während ſie eine ihnen zugefügte Unbill nicht ſogleich vergeſſen. Eine irgendwie
geſchädigte Möve pflegt allen anderen Mittheilung zu machen, wie denn überhaupt unter ihnen das
größte Einvernehmen herrſcht, ſobald es gilt, einer gemeinſchaftlichen Gefahr zu begegnen, einem
gemeinſchaftlichen Feinde zu widerſtehen: Raubvögel, Raubmöven und Kolkraben oder Krähen werden
von allen Möven, welche in der Nähe ſind, gleichzeitig angegriffen und gewöhnlich auch in die Flucht
geſchlagen. Außer der Brutzeit kann es geſchehen, daß man auch einzelne alte Möven ſieht; während
der Brutzeit aber vereinigen ſich alle Arten zu Geſellſchaften, welche nicht ſelten zu ungeheueren
Scharen anwachſen. Schon im nördlichen Deutſchland gibt es Mövenberge, welche von mehreren
hundert Paaren bewohnt werden; weiter oben im Norden kann man Anſiedelungen ſehen, deren
Anzahl keine Schätzung zuläßt. Auch hier halten ſich die größeren Arten der Familie minder eng
zuſammen als die kleineren; dieſe aber bedecken in buchſtäblichem Sinne des Wortes ganze Felſen-
wände oder Berge, benutzen jeden Raum, welcher ſich darbietet und legen ein Neſt ſo dicht neben dem
anderen an, daß die brütenden Alten ſich drängen. Die Neſter ſind je nach dem Standorte ver-
ſchieden, da, wo es an Bauſtoffen nicht mangelt, einigermaßen ausgebaut, d. h. aus trockenen
Waſſer- und Strandflechten locker und kunſtlos errichtet, da, wo ſolche Stoffe fehlen, ſo einfach als
möglich hergerichtet. Zwei bis vier große, eigeſtaltige, ſtarkſchalige, grobkörnige, auf ſchmuzig- oder
braungrünlichem oder grünbräunlichem Grunde aſchgrau und ſchwarzbraun gefleckte Eier bilden das
Gelege und werden vom Männchen und Weibchen wechſelsweiſe drei bis vier Wochen lang bebrütet,
bei ſchlechtem Wetter anhaltender als bei gutem. Beide Eltern zeigen eine außerordentliche Anhäng-
lichkeit an die Brut und vergeſſen, wenn ſie dieſelbe gefährdet ſehen, jede Rückſicht. Die Jungen
kommen in einem dichten, gefleckten Dunenkleide zur Welt und verlaſſen das Neſt da, wo ſie Dies
können, ſchon in den erſten Tagen, fortan am Strande ſich umhertreibend und nöthigenfalls zwiſchen
Bodenerhebungen ſich verbergend oder im Waſſer Zuflucht ſuchend; diejenigen aber, welche auf den
Geſimſen ſteiler Felſenwände erbrütet wurden, müſſen hier aushalten, bis ihnen die Schwingen
gewachſen ſind: denn zu einem Sprunge von oben herab in die Tiefe, wie er bei ſo vielen anderen
Schwimmvögeln üblich iſt, entſchließen die Möven ſich nicht. Anfänglich erhalten die Jungen halb
verdaute Nahrung von den Alten vorgewürgt, ſpäter werden ſie mit friſch gefangenen oder auf-
geleſenen thieriſchen Stoffen geäzt. Nach dem Ausfluge verweilen ſie noch einige Zeit in Geſellſchaft
ihrer Eltern, verlaſſen nunmehr aber die Brutplätze und zerſtreuen ſich mit den anderen nach allen
Seiten hin.

Jm hohen Norden der Erde zählt man die Möven nicht blos zu den ſchönſten, ſondern auch zu
den nützlichſten Vögeln und hegt und pflegt ſie ebenſo wie die übrigen Kinder des Meeres, welche
alljährlich auf den Vogelbergen erſcheinen. Möveneier bilden für einzelne Grundbeſitzer Norwegens
einen weſentlichen Theil des Ertrages ihres Gutes, werden von den Landeigenthümern gern gegeſſen,
auf Meilen weit verſandt und verhältnißmäßig theuer verwerthet, und Mövenfedern müſſen den
ärmeren Nordländern die Eiderdunen oder Gänſefedern, welche die reicheren zur Füllung ihrer Betten
benutzen, erſetzen. An dem Fleiſche der alten Möven finden nur die Mongolen des Nordens Geſchmack;
Junge hingegen werden auch von den Jsländern und Grönländern gern gegeſſen und geben, geſchickt
zubereitet, wirklich ein erträgliches Gericht; doch ſchätzt man Eier und Federn überall höher als
das Wildpret. Jn einigen Gegenden werden alljährlich große Jagden auf Möven abgehalten, mehr

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[869/0919] Allgemeines. Geſellſchaft ſcheint ſie zu ſeſſeln, und wenn ſie es vermögen, machen ſie ſich kein Bedenken daraus, die Mitbewohner eines Brutberges zu beſtehlen und zu berauben. Dem Menſchen mißtrauen ſie aller- orten und unter allen Umſtänden; gleichwohl erſcheinen ſie immer und immer wieder in ſeiner Nähe, beſuchen jeden Hafen, jede Ortſchaft an der Küſte, umkreiſen jedes Schiff, welches in See geht oder dem Lande ſich nähert, ſoweit es eben zuläſſig erſcheint, weil ſie durch Erfahrung gelernt haben, daß aus dem menſchlichen Haushalte immer etwas Brauchbares für ſie abfällt. Nach längerer Beobachtung lernen ſie nicht blos die Oertlichkeit, ſondern auch einzelne Perſonen unterſcheiden, zeigen ſich demgemäß da, wo ſie oft und ungeſtört Beute machen durften, äußerſt zutraulich oder richtiger dreiſt, während ſie eine ihnen zugefügte Unbill nicht ſogleich vergeſſen. Eine irgendwie geſchädigte Möve pflegt allen anderen Mittheilung zu machen, wie denn überhaupt unter ihnen das größte Einvernehmen herrſcht, ſobald es gilt, einer gemeinſchaftlichen Gefahr zu begegnen, einem gemeinſchaftlichen Feinde zu widerſtehen: Raubvögel, Raubmöven und Kolkraben oder Krähen werden von allen Möven, welche in der Nähe ſind, gleichzeitig angegriffen und gewöhnlich auch in die Flucht geſchlagen. Außer der Brutzeit kann es geſchehen, daß man auch einzelne alte Möven ſieht; während der Brutzeit aber vereinigen ſich alle Arten zu Geſellſchaften, welche nicht ſelten zu ungeheueren Scharen anwachſen. Schon im nördlichen Deutſchland gibt es Mövenberge, welche von mehreren hundert Paaren bewohnt werden; weiter oben im Norden kann man Anſiedelungen ſehen, deren Anzahl keine Schätzung zuläßt. Auch hier halten ſich die größeren Arten der Familie minder eng zuſammen als die kleineren; dieſe aber bedecken in buchſtäblichem Sinne des Wortes ganze Felſen- wände oder Berge, benutzen jeden Raum, welcher ſich darbietet und legen ein Neſt ſo dicht neben dem anderen an, daß die brütenden Alten ſich drängen. Die Neſter ſind je nach dem Standorte ver- ſchieden, da, wo es an Bauſtoffen nicht mangelt, einigermaßen ausgebaut, d. h. aus trockenen Waſſer- und Strandflechten locker und kunſtlos errichtet, da, wo ſolche Stoffe fehlen, ſo einfach als möglich hergerichtet. Zwei bis vier große, eigeſtaltige, ſtarkſchalige, grobkörnige, auf ſchmuzig- oder braungrünlichem oder grünbräunlichem Grunde aſchgrau und ſchwarzbraun gefleckte Eier bilden das Gelege und werden vom Männchen und Weibchen wechſelsweiſe drei bis vier Wochen lang bebrütet, bei ſchlechtem Wetter anhaltender als bei gutem. Beide Eltern zeigen eine außerordentliche Anhäng- lichkeit an die Brut und vergeſſen, wenn ſie dieſelbe gefährdet ſehen, jede Rückſicht. Die Jungen kommen in einem dichten, gefleckten Dunenkleide zur Welt und verlaſſen das Neſt da, wo ſie Dies können, ſchon in den erſten Tagen, fortan am Strande ſich umhertreibend und nöthigenfalls zwiſchen Bodenerhebungen ſich verbergend oder im Waſſer Zuflucht ſuchend; diejenigen aber, welche auf den Geſimſen ſteiler Felſenwände erbrütet wurden, müſſen hier aushalten, bis ihnen die Schwingen gewachſen ſind: denn zu einem Sprunge von oben herab in die Tiefe, wie er bei ſo vielen anderen Schwimmvögeln üblich iſt, entſchließen die Möven ſich nicht. Anfänglich erhalten die Jungen halb verdaute Nahrung von den Alten vorgewürgt, ſpäter werden ſie mit friſch gefangenen oder auf- geleſenen thieriſchen Stoffen geäzt. Nach dem Ausfluge verweilen ſie noch einige Zeit in Geſellſchaft ihrer Eltern, verlaſſen nunmehr aber die Brutplätze und zerſtreuen ſich mit den anderen nach allen Seiten hin. Jm hohen Norden der Erde zählt man die Möven nicht blos zu den ſchönſten, ſondern auch zu den nützlichſten Vögeln und hegt und pflegt ſie ebenſo wie die übrigen Kinder des Meeres, welche alljährlich auf den Vogelbergen erſcheinen. Möveneier bilden für einzelne Grundbeſitzer Norwegens einen weſentlichen Theil des Ertrages ihres Gutes, werden von den Landeigenthümern gern gegeſſen, auf Meilen weit verſandt und verhältnißmäßig theuer verwerthet, und Mövenfedern müſſen den ärmeren Nordländern die Eiderdunen oder Gänſefedern, welche die reicheren zur Füllung ihrer Betten benutzen, erſetzen. An dem Fleiſche der alten Möven finden nur die Mongolen des Nordens Geſchmack; Junge hingegen werden auch von den Jsländern und Grönländern gern gegeſſen und geben, geſchickt zubereitet, wirklich ein erträgliches Gericht; doch ſchätzt man Eier und Federn überall höher als das Wildpret. Jn einigen Gegenden werden alljährlich große Jagden auf Möven abgehalten, mehr

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 869. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/919>, abgerufen am 23.11.2024.