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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Raubseeschwalbe.
als regelmäßiger Wintergast auf; an der Westküste Afrikas hat man sie ebenfalls gefunden; das
atlantische Meer scheint sie jedoch nicht zu überfliegen. Jm Jnneren Deutschlands gehört sie zu den
seltenen Jrrlingen: wahrscheinlich sind ihr die Ströme nicht fischreich oder groß genug. Sie trifft
auf Sylt gewöhnlich in der letzten Hälfte des April ein und verläßt den Brutort im August wieder,
um fortan umherzuschweifen.

Naumann sagt, daß sie nur am Meere gefunden wird und sich höchst selten einige Meilen von
der Küste entfernt. Diese Behauptung gilt jedoch nicht für die Winterszeit, wie aus dem Obigen zur
Genüge hervorgeht und noch ersichtlicher wird, wenn ich sage, daß unser Vogel nicht blos an den
Strandseen, sondern auch an den tiefer im Jnneren Afrikas liegenden Binnengewässern zeitweilig einen
längeren Aufenthalt nimmt.

Da, wo die Raubseeschwalbe vorkommt, wird sie gewiß von Niemandem übersehen: sie muß die
allgemeine Beachtung auf sich lenken. Gewöhnlich sieht man sie fliegend in einer Höhe von etwa
vierzig bis funfzig Fuß über dem Wasserspiegel fortstreichen, den Kopf mit dem auf weithin
glänzenden rothen Schnabel senkrecht nach unten gerichtet, die großen Schwingen langsam bewegend
und von Zeit zu Zeit stoßtauchend auf das Wasser herabstürzend. Nur der Ungeübte kann sie mit
einer Möve verwechseln; denn wenn ihre Bewegungen auch langsamer und träger sind als die ver-
wandter Arten, behalten sie doch das Gepräge derselben vollständig bei. Um auszuruhen, begibt sich
der Vogel nach kiesigen Uferstellen, und hier pflegt er dann eine wohl geschlossene Reihe zu bilden,
indem alle Glieder einer ruhenden Gesellschaft sich dicht neben einander niederlassen und ihren Kopf
dem Wasser zukehren. An der Bewegungslosigkeit einer solchen Gesellschaft, welche jedes Umher-
trippeln zu meiden scheint, unterscheidet man sie auf den ersten Blick von einer Mövenschar, in welcher
doch einige umherzulaufen pflegen. Auf größeren Wasserflächen läßt sich die fischende Raubsee-
schwalbe auch wohl zeitweilig und auf Minuten schwimmend nieder, hält sich dann aber gewöhnlich
auf einer und derselben Stelle, ohne zu rudern, und erhebt sich bald wieder in die Luft. Die
Stimme ist lauter, rauher und kreischender als die anderer Arten, sonst jedoch wenig verschieden; auch
sie besteht nur aus dem häßlichen "Kriäh" oder "Kräik". Dem Menschen weicht unsere Seeschwalbe
ängstlich aus, weil sie sehr vorsichtig und scheu ist. An Geselligkeitstrieb scheint sie den Verwandten
nachzustehen. Zum Brüten sammelt zwar auch sie sich scharenweise, nach der Brutzeit aber lebt und
arbeitet jede möglichst für sich allein und gesellt sich blos auf dem Ruheplatze zu den Artgenossen.
Neid und Habgier scheinen in ihrem Wesen besonders ausgeprägt zu sein; außerdem zeichnet sie
sich durch Muth und Kampflust, welche freilich auch eine große Unverträglichkeit bedingen, vor
letzteren aus.

Die Raubseeschwalbe ist wirklich ein Räuber. Jhre Hauptnahrung bilden Fische, und sie
erbeutet und verschlingt solche von ziemlich bedeutender Größe; gelegentlich aber überfällt sie auch
große Strand- und Wasservögel, insbesondere, wenn diese schwimmen, und schlingt sie mit demselben
Behagen hinab, mit welchem kleinere Arten Kerbthiere zu sich nehmen. Jn Jndien jagt sie, laut
Jerdon, den Krebsen eifrig nach, obwohl sie auch hier vorzugsweise mit der Fischerei im eigentlichen
Sinne des Wortes sich beschäftigt. Schilling war der Erste, welcher sie verdächtigte, die Eier der
am Strande brütenden Vögel aufzulesen, da er beobachtete, daß sich Möven und Seeschwalben
der Umgegend unter furchtbarem Geschrei erhoben, wenn diese Räuberin sich zeigte, wüthend auf
sie herabstießen und sie zu vertreiben suchten, während sie ruhig ihre Straße fortzog und sich nur
wenig um die Verfolgung kümmerte; andere Beobachter haben seinen Verdacht bestätigt gefunden.

Naumann besuchte die berühmte Ansiedelung auf Sylt, welche noch heutigentages besteht und
auf dem nördlichsten Ende der Jnsel sich befindet. Die Eier, sagt er, liegen auf dem bloßen Sande
in einer kleinen Vertiefung, welche die Vögel selbst scharren, nicht ganz nah am Wasser, doch im
Angesichte desselben. Die Nester sind, wo ihrer viele beisammen nisten, kaum zwei Fuß von einander
entfernt. Jn einem Neste liegen meistens zwei, selten drei Eier, nie mehr. An Größe und in der

Raubſeeſchwalbe.
als regelmäßiger Wintergaſt auf; an der Weſtküſte Afrikas hat man ſie ebenfalls gefunden; das
atlantiſche Meer ſcheint ſie jedoch nicht zu überfliegen. Jm Jnneren Deutſchlands gehört ſie zu den
ſeltenen Jrrlingen: wahrſcheinlich ſind ihr die Ströme nicht fiſchreich oder groß genug. Sie trifft
auf Sylt gewöhnlich in der letzten Hälfte des April ein und verläßt den Brutort im Auguſt wieder,
um fortan umherzuſchweifen.

Naumann ſagt, daß ſie nur am Meere gefunden wird und ſich höchſt ſelten einige Meilen von
der Küſte entfernt. Dieſe Behauptung gilt jedoch nicht für die Winterszeit, wie aus dem Obigen zur
Genüge hervorgeht und noch erſichtlicher wird, wenn ich ſage, daß unſer Vogel nicht blos an den
Strandſeen, ſondern auch an den tiefer im Jnneren Afrikas liegenden Binnengewäſſern zeitweilig einen
längeren Aufenthalt nimmt.

Da, wo die Raubſeeſchwalbe vorkommt, wird ſie gewiß von Niemandem überſehen: ſie muß die
allgemeine Beachtung auf ſich lenken. Gewöhnlich ſieht man ſie fliegend in einer Höhe von etwa
vierzig bis funfzig Fuß über dem Waſſerſpiegel fortſtreichen, den Kopf mit dem auf weithin
glänzenden rothen Schnabel ſenkrecht nach unten gerichtet, die großen Schwingen langſam bewegend
und von Zeit zu Zeit ſtoßtauchend auf das Waſſer herabſtürzend. Nur der Ungeübte kann ſie mit
einer Möve verwechſeln; denn wenn ihre Bewegungen auch langſamer und träger ſind als die ver-
wandter Arten, behalten ſie doch das Gepräge derſelben vollſtändig bei. Um auszuruhen, begibt ſich
der Vogel nach kieſigen Uferſtellen, und hier pflegt er dann eine wohl geſchloſſene Reihe zu bilden,
indem alle Glieder einer ruhenden Geſellſchaft ſich dicht neben einander niederlaſſen und ihren Kopf
dem Waſſer zukehren. An der Bewegungsloſigkeit einer ſolchen Geſellſchaft, welche jedes Umher-
trippeln zu meiden ſcheint, unterſcheidet man ſie auf den erſten Blick von einer Mövenſchar, in welcher
doch einige umherzulaufen pflegen. Auf größeren Waſſerflächen läßt ſich die fiſchende Raubſee-
ſchwalbe auch wohl zeitweilig und auf Minuten ſchwimmend nieder, hält ſich dann aber gewöhnlich
auf einer und derſelben Stelle, ohne zu rudern, und erhebt ſich bald wieder in die Luft. Die
Stimme iſt lauter, rauher und kreiſchender als die anderer Arten, ſonſt jedoch wenig verſchieden; auch
ſie beſteht nur aus dem häßlichen „Kriäh“ oder „Kräik“. Dem Menſchen weicht unſere Seeſchwalbe
ängſtlich aus, weil ſie ſehr vorſichtig und ſcheu iſt. An Geſelligkeitstrieb ſcheint ſie den Verwandten
nachzuſtehen. Zum Brüten ſammelt zwar auch ſie ſich ſcharenweiſe, nach der Brutzeit aber lebt und
arbeitet jede möglichſt für ſich allein und geſellt ſich blos auf dem Ruheplatze zu den Artgenoſſen.
Neid und Habgier ſcheinen in ihrem Weſen beſonders ausgeprägt zu ſein; außerdem zeichnet ſie
ſich durch Muth und Kampfluſt, welche freilich auch eine große Unverträglichkeit bedingen, vor
letzteren aus.

Die Raubſeeſchwalbe iſt wirklich ein Räuber. Jhre Hauptnahrung bilden Fiſche, und ſie
erbeutet und verſchlingt ſolche von ziemlich bedeutender Größe; gelegentlich aber überfällt ſie auch
große Strand- und Waſſervögel, insbeſondere, wenn dieſe ſchwimmen, und ſchlingt ſie mit demſelben
Behagen hinab, mit welchem kleinere Arten Kerbthiere zu ſich nehmen. Jn Jndien jagt ſie, laut
Jerdon, den Krebſen eifrig nach, obwohl ſie auch hier vorzugsweiſe mit der Fiſcherei im eigentlichen
Sinne des Wortes ſich beſchäftigt. Schilling war der Erſte, welcher ſie verdächtigte, die Eier der
am Strande brütenden Vögel aufzuleſen, da er beobachtete, daß ſich Möven und Seeſchwalben
der Umgegend unter furchtbarem Geſchrei erhoben, wenn dieſe Räuberin ſich zeigte, wüthend auf
ſie herabſtießen und ſie zu vertreiben ſuchten, während ſie ruhig ihre Straße fortzog und ſich nur
wenig um die Verfolgung kümmerte; andere Beobachter haben ſeinen Verdacht beſtätigt gefunden.

Naumann beſuchte die berühmte Anſiedelung auf Sylt, welche noch heutigentages beſteht und
auf dem nördlichſten Ende der Jnſel ſich befindet. Die Eier, ſagt er, liegen auf dem bloßen Sande
in einer kleinen Vertiefung, welche die Vögel ſelbſt ſcharren, nicht ganz nah am Waſſer, doch im
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[857/0907] Raubſeeſchwalbe. als regelmäßiger Wintergaſt auf; an der Weſtküſte Afrikas hat man ſie ebenfalls gefunden; das atlantiſche Meer ſcheint ſie jedoch nicht zu überfliegen. Jm Jnneren Deutſchlands gehört ſie zu den ſeltenen Jrrlingen: wahrſcheinlich ſind ihr die Ströme nicht fiſchreich oder groß genug. Sie trifft auf Sylt gewöhnlich in der letzten Hälfte des April ein und verläßt den Brutort im Auguſt wieder, um fortan umherzuſchweifen. Naumann ſagt, daß ſie nur am Meere gefunden wird und ſich höchſt ſelten einige Meilen von der Küſte entfernt. Dieſe Behauptung gilt jedoch nicht für die Winterszeit, wie aus dem Obigen zur Genüge hervorgeht und noch erſichtlicher wird, wenn ich ſage, daß unſer Vogel nicht blos an den Strandſeen, ſondern auch an den tiefer im Jnneren Afrikas liegenden Binnengewäſſern zeitweilig einen längeren Aufenthalt nimmt. Da, wo die Raubſeeſchwalbe vorkommt, wird ſie gewiß von Niemandem überſehen: ſie muß die allgemeine Beachtung auf ſich lenken. Gewöhnlich ſieht man ſie fliegend in einer Höhe von etwa vierzig bis funfzig Fuß über dem Waſſerſpiegel fortſtreichen, den Kopf mit dem auf weithin glänzenden rothen Schnabel ſenkrecht nach unten gerichtet, die großen Schwingen langſam bewegend und von Zeit zu Zeit ſtoßtauchend auf das Waſſer herabſtürzend. Nur der Ungeübte kann ſie mit einer Möve verwechſeln; denn wenn ihre Bewegungen auch langſamer und träger ſind als die ver- wandter Arten, behalten ſie doch das Gepräge derſelben vollſtändig bei. Um auszuruhen, begibt ſich der Vogel nach kieſigen Uferſtellen, und hier pflegt er dann eine wohl geſchloſſene Reihe zu bilden, indem alle Glieder einer ruhenden Geſellſchaft ſich dicht neben einander niederlaſſen und ihren Kopf dem Waſſer zukehren. An der Bewegungsloſigkeit einer ſolchen Geſellſchaft, welche jedes Umher- trippeln zu meiden ſcheint, unterſcheidet man ſie auf den erſten Blick von einer Mövenſchar, in welcher doch einige umherzulaufen pflegen. Auf größeren Waſſerflächen läßt ſich die fiſchende Raubſee- ſchwalbe auch wohl zeitweilig und auf Minuten ſchwimmend nieder, hält ſich dann aber gewöhnlich auf einer und derſelben Stelle, ohne zu rudern, und erhebt ſich bald wieder in die Luft. Die Stimme iſt lauter, rauher und kreiſchender als die anderer Arten, ſonſt jedoch wenig verſchieden; auch ſie beſteht nur aus dem häßlichen „Kriäh“ oder „Kräik“. Dem Menſchen weicht unſere Seeſchwalbe ängſtlich aus, weil ſie ſehr vorſichtig und ſcheu iſt. An Geſelligkeitstrieb ſcheint ſie den Verwandten nachzuſtehen. Zum Brüten ſammelt zwar auch ſie ſich ſcharenweiſe, nach der Brutzeit aber lebt und arbeitet jede möglichſt für ſich allein und geſellt ſich blos auf dem Ruheplatze zu den Artgenoſſen. Neid und Habgier ſcheinen in ihrem Weſen beſonders ausgeprägt zu ſein; außerdem zeichnet ſie ſich durch Muth und Kampfluſt, welche freilich auch eine große Unverträglichkeit bedingen, vor letzteren aus. Die Raubſeeſchwalbe iſt wirklich ein Räuber. Jhre Hauptnahrung bilden Fiſche, und ſie erbeutet und verſchlingt ſolche von ziemlich bedeutender Größe; gelegentlich aber überfällt ſie auch große Strand- und Waſſervögel, insbeſondere, wenn dieſe ſchwimmen, und ſchlingt ſie mit demſelben Behagen hinab, mit welchem kleinere Arten Kerbthiere zu ſich nehmen. Jn Jndien jagt ſie, laut Jerdon, den Krebſen eifrig nach, obwohl ſie auch hier vorzugsweiſe mit der Fiſcherei im eigentlichen Sinne des Wortes ſich beſchäftigt. Schilling war der Erſte, welcher ſie verdächtigte, die Eier der am Strande brütenden Vögel aufzuleſen, da er beobachtete, daß ſich Möven und Seeſchwalben der Umgegend unter furchtbarem Geſchrei erhoben, wenn dieſe Räuberin ſich zeigte, wüthend auf ſie herabſtießen und ſie zu vertreiben ſuchten, während ſie ruhig ihre Straße fortzog und ſich nur wenig um die Verfolgung kümmerte; andere Beobachter haben ſeinen Verdacht beſtätigt gefunden. Naumann beſuchte die berühmte Anſiedelung auf Sylt, welche noch heutigentages beſteht und auf dem nördlichſten Ende der Jnſel ſich befindet. Die Eier, ſagt er, liegen auf dem bloßen Sande in einer kleinen Vertiefung, welche die Vögel ſelbſt ſcharren, nicht ganz nah am Waſſer, doch im Angeſichte deſſelben. Die Neſter ſind, wo ihrer viele beiſammen niſten, kaum zwei Fuß von einander entfernt. Jn einem Neſte liegen meiſtens zwei, ſelten drei Eier, nie mehr. An Größe und in der

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 857. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/907>, abgerufen am 23.11.2024.