Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Elfenbeinschnabel.
unter der Verbindungsstelle eines großen Zweiges in den Stamm gehauen. Je nach den Umständen
ist die Höhlung mehr oder weniger tief, manchmal nicht tiefer als zehn Zoll, zuweilen aber auch bis
zu drei Fuß und mehr. Der Durchmesser der Nesthöhle, welche ich untersuchte, betrug etwa 7 Zoll;
das Eingangsloch ist jedoch nie größer, als daß der Vogel gerade einschlüpfen kann. Beide Gatten
des Paares arbeiten an der Aushöhlung und lösen sich wechselseitig ab. Während der eine meiselt,
wartet der andere außen und feuert ihn an. Jch habe mich an Bäume herangeschlichen, während die
Spechte gerade mit dem Bau ihres Nestes beschäftigt waren, und wenn ich mein Ohr gegen die
Rinde legte, konnte ich deutlich jeden Schlag, welchen sie ausführten, vernehmen. Zweimal habe ich
beobachtet, daß die Elfenbeinschnäbel, nachdem sie mich am Fuße des Baumes gesehen hatten, das
Nest verließen. Jn Kentucky und Jndiana brüten sie selten mehr als einmal im Jahre, in den
südlichen Staaten zweimal. Das erste Gelege besteht gewöhnlich aus sechs Eiern von reinweißer
Farbe, welche auf einigen Spänen am Grunde der Höhle gelegt werden. Die Jungen sieht man
schon vierzehn Tage vor ihrem Ausfliegen zum Eingangsloch herausschauen. Jhr Jugendkleid ähnelt
dem des Weibchens, doch fehlt ihnen noch die Holle; diese aber wächst rasch heran, und gegen den Herbst
hin gleichen sie ihrer Mutter schon sehr. Die Männchen erhalten die Schönheit ihres Gefieders erst
im nächsten Frühjahr."

"Die Nahrung besteht hauptsächlich in Käfern, Larven und großen Würmern; sobald aber die
Beeren in den Wäldern reifen, frißt der Vogel gierig von diesen. Jch habe gesehen, daß er sich mit
den Nägeln an die Weinreben hängt, in derselben Stellung wie unsere Meisen. Auch Persimon-
pflaumen sucht er sich zusammen, wenn diese Frucht gereift ist; niemals aber geht er Korn oder
Gartenfrüchte an, obgleich man ihn zuweilen auf den in den Getreidefeldern stehenden Bäumen
arbeiten sieht. Seine Kraft ist so groß, daß er Rindenstückchen von sieben bis acht Zoll Länge mit
einem einzigen Schlage des mächtigen Schnabels abspalten kann, und wenn er einmal bei einem
dürren Baum begonnen hat, schält er oft die Rinde auf zwanzig bis dreißig Fuß Fläche in wenigen
Stunden ab."

"Wenn er verwundet wurde und zum Boden fiel, sucht er so schnell als möglich einen nahe-
stehenden Baum zu erreichen und steigt an ihm mit der größten Schnelligkeit bis zu den Gipfelzweigen
empor, duckt sich nieder und versteckt sich hier. Während er aufsteigt, bewegt er sich in Schrauben-
linien rund um den Baum und stößt bei jedem Sprunge fast sein "Pät pät pät" aus, schweigt aber,
sobald er einen sichern Platz erreichte. Tödtlich verwundet, krallt er sich oft so fest in die Rinde, daß
er noch mehrere Stunden nach seinem Tode hängen bleibt. Wenn man ihn mit der Hand faßt, so
lange er noch lebt, verwundet er heftig mit dem Schnabel und den Klauen, stößt aber dabei traurige
und klägliche Schreie aus."

Wilson versuchte einen Elfenbeinschnabel in der Gefangenschaft zu halten, fand aber, daß Dies
seine Schwierigkeiten hat. Der in Rede stehende Specht war ein alter Vogel, welcher erst verwundet und
dann ergriffen wurde. Er schrie in der bereits angegebenen Weise wie ein kleines Kind und erschreckte
dadurch das Pferd Wilson's so, daß es seinen Reiter in Lebensgefahr brachte. Als dieser mit
seinem schreienden Vogel durch die Straßen von Wilmington ritt, rannten alle Weiber ängstlich an
Thür und Fenster, um sich über den entsetzlichen Lärm zu unterrichten, und vor dem Wirthshaus
mußte unser Forscher ein wahres Kreuzfeuer von Fragen aushalten. Schließlich brachte er den Elfen-
beinschnabel auf seinem Zimmer unter und verließ dasselbe, um für sein Roß Sorge zu tragen. Als
er nach etwa einer Stunde zurückkehrte, fand er, daß der gewaltige Vogel sich beinah schon befreit
hatte. Er war an den Gewänden des Fensters emporgeklettert und hatte die Zimmerwände fast
durchbrochen. Da Wilson ihn zeichnen wollte, verzieh er ihm den Fluchtversuch und band ihn, um
einen ferneren zu verhüten, mit einer Kette an das dicke Bein eines Mahagonitisches. Hierauf verließ
er das Zimmer abermals, um Futter zu suchen. Beim Zurückkommen vernahm er schon auf der
Treppe, daß der Specht wieder arbeitete, und als er in das Zimmer trat, sah er zu seinem Entsetzen
den Tisch anstatt auf vier, nur noch auf drei Beinen stehen. Während Wilson zeichnete, brachte

5*

Elfenbeinſchnabel.
unter der Verbindungsſtelle eines großen Zweiges in den Stamm gehauen. Je nach den Umſtänden
iſt die Höhlung mehr oder weniger tief, manchmal nicht tiefer als zehn Zoll, zuweilen aber auch bis
zu drei Fuß und mehr. Der Durchmeſſer der Neſthöhle, welche ich unterſuchte, betrug etwa 7 Zoll;
das Eingangsloch iſt jedoch nie größer, als daß der Vogel gerade einſchlüpfen kann. Beide Gatten
des Paares arbeiten an der Aushöhlung und löſen ſich wechſelſeitig ab. Während der eine meiſelt,
wartet der andere außen und feuert ihn an. Jch habe mich an Bäume herangeſchlichen, während die
Spechte gerade mit dem Bau ihres Neſtes beſchäftigt waren, und wenn ich mein Ohr gegen die
Rinde legte, konnte ich deutlich jeden Schlag, welchen ſie ausführten, vernehmen. Zweimal habe ich
beobachtet, daß die Elfenbeinſchnäbel, nachdem ſie mich am Fuße des Baumes geſehen hatten, das
Neſt verließen. Jn Kentucky und Jndiana brüten ſie ſelten mehr als einmal im Jahre, in den
ſüdlichen Staaten zweimal. Das erſte Gelege beſteht gewöhnlich aus ſechs Eiern von reinweißer
Farbe, welche auf einigen Spänen am Grunde der Höhle gelegt werden. Die Jungen ſieht man
ſchon vierzehn Tage vor ihrem Ausfliegen zum Eingangsloch herausſchauen. Jhr Jugendkleid ähnelt
dem des Weibchens, doch fehlt ihnen noch die Holle; dieſe aber wächſt raſch heran, und gegen den Herbſt
hin gleichen ſie ihrer Mutter ſchon ſehr. Die Männchen erhalten die Schönheit ihres Gefieders erſt
im nächſten Frühjahr.“

„Die Nahrung beſteht hauptſächlich in Käfern, Larven und großen Würmern; ſobald aber die
Beeren in den Wäldern reifen, frißt der Vogel gierig von dieſen. Jch habe geſehen, daß er ſich mit
den Nägeln an die Weinreben hängt, in derſelben Stellung wie unſere Meiſen. Auch Perſimon-
pflaumen ſucht er ſich zuſammen, wenn dieſe Frucht gereift iſt; niemals aber geht er Korn oder
Gartenfrüchte an, obgleich man ihn zuweilen auf den in den Getreidefeldern ſtehenden Bäumen
arbeiten ſieht. Seine Kraft iſt ſo groß, daß er Rindenſtückchen von ſieben bis acht Zoll Länge mit
einem einzigen Schlage des mächtigen Schnabels abſpalten kann, und wenn er einmal bei einem
dürren Baum begonnen hat, ſchält er oft die Rinde auf zwanzig bis dreißig Fuß Fläche in wenigen
Stunden ab.“

„Wenn er verwundet wurde und zum Boden fiel, ſucht er ſo ſchnell als möglich einen nahe-
ſtehenden Baum zu erreichen und ſteigt an ihm mit der größten Schnelligkeit bis zu den Gipfelzweigen
empor, duckt ſich nieder und verſteckt ſich hier. Während er aufſteigt, bewegt er ſich in Schrauben-
linien rund um den Baum und ſtößt bei jedem Sprunge faſt ſein „Pät pät pät“ aus, ſchweigt aber,
ſobald er einen ſichern Platz erreichte. Tödtlich verwundet, krallt er ſich oft ſo feſt in die Rinde, daß
er noch mehrere Stunden nach ſeinem Tode hängen bleibt. Wenn man ihn mit der Hand faßt, ſo
lange er noch lebt, verwundet er heftig mit dem Schnabel und den Klauen, ſtößt aber dabei traurige
und klägliche Schreie aus.“

Wilſon verſuchte einen Elfenbeinſchnabel in der Gefangenſchaft zu halten, fand aber, daß Dies
ſeine Schwierigkeiten hat. Der in Rede ſtehende Specht war ein alter Vogel, welcher erſt verwundet und
dann ergriffen wurde. Er ſchrie in der bereits angegebenen Weiſe wie ein kleines Kind und erſchreckte
dadurch das Pferd Wilſon’s ſo, daß es ſeinen Reiter in Lebensgefahr brachte. Als dieſer mit
ſeinem ſchreienden Vogel durch die Straßen von Wilmington ritt, rannten alle Weiber ängſtlich an
Thür und Fenſter, um ſich über den entſetzlichen Lärm zu unterrichten, und vor dem Wirthshaus
mußte unſer Forſcher ein wahres Kreuzfeuer von Fragen aushalten. Schließlich brachte er den Elfen-
beinſchnabel auf ſeinem Zimmer unter und verließ daſſelbe, um für ſein Roß Sorge zu tragen. Als
er nach etwa einer Stunde zurückkehrte, fand er, daß der gewaltige Vogel ſich beinah ſchon befreit
hatte. Er war an den Gewänden des Fenſters emporgeklettert und hatte die Zimmerwände faſt
durchbrochen. Da Wilſon ihn zeichnen wollte, verzieh er ihm den Fluchtverſuch und band ihn, um
einen ferneren zu verhüten, mit einer Kette an das dicke Bein eines Mahagonitiſches. Hierauf verließ
er das Zimmer abermals, um Futter zu ſuchen. Beim Zurückkommen vernahm er ſchon auf der
Treppe, daß der Specht wieder arbeitete, und als er in das Zimmer trat, ſah er zu ſeinem Entſetzen
den Tiſch anſtatt auf vier, nur noch auf drei Beinen ſtehen. Während Wilſon zeichnete, brachte

5*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0081" n="67"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Elfenbein&#x017F;chnabel.</hi></fw><lb/>
unter der Verbindungs&#x017F;telle eines großen Zweiges in den Stamm gehauen. Je nach den Um&#x017F;tänden<lb/>
i&#x017F;t die Höhlung mehr oder weniger tief, manchmal nicht tiefer als zehn Zoll, zuweilen aber auch bis<lb/>
zu drei Fuß und mehr. Der Durchme&#x017F;&#x017F;er der Ne&#x017F;thöhle, welche ich unter&#x017F;uchte, betrug etwa 7 Zoll;<lb/>
das Eingangsloch i&#x017F;t jedoch nie größer, als daß der Vogel gerade ein&#x017F;chlüpfen kann. Beide Gatten<lb/>
des Paares arbeiten an der Aushöhlung und lö&#x017F;en &#x017F;ich wech&#x017F;el&#x017F;eitig ab. Während der eine mei&#x017F;elt,<lb/>
wartet der andere außen und feuert ihn an. Jch habe mich an Bäume herange&#x017F;chlichen, während die<lb/>
Spechte gerade mit dem Bau ihres Ne&#x017F;tes be&#x017F;chäftigt waren, und wenn ich mein Ohr gegen die<lb/>
Rinde legte, konnte ich deutlich jeden Schlag, welchen &#x017F;ie ausführten, vernehmen. Zweimal habe ich<lb/>
beobachtet, daß die Elfenbein&#x017F;chnäbel, nachdem &#x017F;ie mich am Fuße des Baumes ge&#x017F;ehen hatten, das<lb/>
Ne&#x017F;t verließen. Jn Kentucky und Jndiana brüten &#x017F;ie &#x017F;elten mehr als einmal im Jahre, in den<lb/>
&#x017F;üdlichen Staaten zweimal. Das er&#x017F;te Gelege be&#x017F;teht gewöhnlich aus &#x017F;echs Eiern von reinweißer<lb/>
Farbe, welche auf einigen Spänen am Grunde der Höhle gelegt werden. Die Jungen &#x017F;ieht man<lb/>
&#x017F;chon vierzehn Tage vor ihrem Ausfliegen zum Eingangsloch heraus&#x017F;chauen. Jhr Jugendkleid ähnelt<lb/>
dem des Weibchens, doch fehlt ihnen noch die Holle; die&#x017F;e aber wäch&#x017F;t ra&#x017F;ch heran, und gegen den Herb&#x017F;t<lb/>
hin gleichen &#x017F;ie ihrer Mutter &#x017F;chon &#x017F;ehr. Die Männchen erhalten die Schönheit ihres Gefieders er&#x017F;t<lb/>
im näch&#x017F;ten Frühjahr.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Die Nahrung be&#x017F;teht haupt&#x017F;ächlich in Käfern, Larven und großen Würmern; &#x017F;obald aber die<lb/>
Beeren in den Wäldern reifen, frißt der Vogel gierig von die&#x017F;en. Jch habe ge&#x017F;ehen, daß er &#x017F;ich mit<lb/>
den Nägeln an die Weinreben hängt, in der&#x017F;elben Stellung wie un&#x017F;ere Mei&#x017F;en. Auch Per&#x017F;imon-<lb/>
pflaumen &#x017F;ucht er &#x017F;ich zu&#x017F;ammen, wenn die&#x017F;e Frucht gereift i&#x017F;t; niemals aber geht er Korn oder<lb/>
Gartenfrüchte an, obgleich man ihn zuweilen auf den in den Getreidefeldern &#x017F;tehenden Bäumen<lb/>
arbeiten &#x017F;ieht. Seine Kraft i&#x017F;t &#x017F;o groß, daß er Rinden&#x017F;tückchen von &#x017F;ieben bis acht Zoll Länge mit<lb/>
einem einzigen Schlage des mächtigen Schnabels ab&#x017F;palten kann, und wenn er einmal bei einem<lb/>
dürren Baum begonnen hat, &#x017F;chält er oft die Rinde auf zwanzig bis dreißig Fuß Fläche in wenigen<lb/>
Stunden ab.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wenn er verwundet wurde und zum Boden fiel, &#x017F;ucht er &#x017F;o &#x017F;chnell als möglich einen nahe-<lb/>
&#x017F;tehenden Baum zu erreichen und &#x017F;teigt an ihm mit der größten Schnelligkeit bis zu den Gipfelzweigen<lb/>
empor, duckt &#x017F;ich nieder und ver&#x017F;teckt &#x017F;ich hier. Während er auf&#x017F;teigt, bewegt er &#x017F;ich in Schrauben-<lb/>
linien rund um den Baum und &#x017F;tößt bei jedem Sprunge fa&#x017F;t &#x017F;ein &#x201E;Pät pät pät&#x201C; aus, &#x017F;chweigt aber,<lb/>
&#x017F;obald er einen &#x017F;ichern Platz erreichte. Tödtlich verwundet, krallt er &#x017F;ich oft &#x017F;o fe&#x017F;t in die Rinde, daß<lb/>
er noch mehrere Stunden nach &#x017F;einem Tode hängen bleibt. Wenn man ihn mit der Hand faßt, &#x017F;o<lb/>
lange er noch lebt, verwundet er heftig mit dem Schnabel und den Klauen, &#x017F;tößt aber dabei traurige<lb/>
und klägliche Schreie aus.&#x201C;</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Wil&#x017F;on</hi> ver&#x017F;uchte einen Elfenbein&#x017F;chnabel in der Gefangen&#x017F;chaft zu halten, fand aber, daß Dies<lb/>
&#x017F;eine Schwierigkeiten hat. Der in Rede &#x017F;tehende Specht war ein alter Vogel, welcher er&#x017F;t verwundet und<lb/>
dann ergriffen wurde. Er &#x017F;chrie in der bereits angegebenen Wei&#x017F;e wie ein kleines Kind und er&#x017F;chreckte<lb/>
dadurch das Pferd <hi rendition="#g">Wil&#x017F;on&#x2019;s</hi> &#x017F;o, daß es &#x017F;einen Reiter in Lebensgefahr brachte. Als die&#x017F;er mit<lb/>
&#x017F;einem &#x017F;chreienden Vogel durch die Straßen von Wilmington ritt, rannten alle Weiber äng&#x017F;tlich an<lb/>
Thür und Fen&#x017F;ter, um &#x017F;ich über den ent&#x017F;etzlichen Lärm zu unterrichten, und vor dem Wirthshaus<lb/>
mußte un&#x017F;er For&#x017F;cher ein wahres Kreuzfeuer von Fragen aushalten. Schließlich brachte er den Elfen-<lb/>
bein&#x017F;chnabel auf &#x017F;einem Zimmer unter und verließ da&#x017F;&#x017F;elbe, um für &#x017F;ein Roß Sorge zu tragen. Als<lb/>
er nach etwa einer Stunde zurückkehrte, fand er, daß der gewaltige Vogel &#x017F;ich beinah &#x017F;chon befreit<lb/>
hatte. Er war an den Gewänden des Fen&#x017F;ters emporgeklettert und hatte die Zimmerwände fa&#x017F;t<lb/>
durchbrochen. Da <hi rendition="#g">Wil&#x017F;on</hi> ihn zeichnen wollte, verzieh er ihm den Fluchtver&#x017F;uch und band ihn, um<lb/>
einen ferneren zu verhüten, mit einer Kette an das dicke Bein eines Mahagoniti&#x017F;ches. Hierauf verließ<lb/>
er das Zimmer abermals, um Futter zu &#x017F;uchen. Beim Zurückkommen vernahm er &#x017F;chon auf der<lb/>
Treppe, daß der Specht wieder arbeitete, und als er in das Zimmer trat, &#x017F;ah er zu &#x017F;einem Ent&#x017F;etzen<lb/>
den Ti&#x017F;ch an&#x017F;tatt auf vier, nur noch auf drei Beinen &#x017F;tehen. Während <hi rendition="#g">Wil&#x017F;on</hi> zeichnete, brachte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">5*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0081] Elfenbeinſchnabel. unter der Verbindungsſtelle eines großen Zweiges in den Stamm gehauen. Je nach den Umſtänden iſt die Höhlung mehr oder weniger tief, manchmal nicht tiefer als zehn Zoll, zuweilen aber auch bis zu drei Fuß und mehr. Der Durchmeſſer der Neſthöhle, welche ich unterſuchte, betrug etwa 7 Zoll; das Eingangsloch iſt jedoch nie größer, als daß der Vogel gerade einſchlüpfen kann. Beide Gatten des Paares arbeiten an der Aushöhlung und löſen ſich wechſelſeitig ab. Während der eine meiſelt, wartet der andere außen und feuert ihn an. Jch habe mich an Bäume herangeſchlichen, während die Spechte gerade mit dem Bau ihres Neſtes beſchäftigt waren, und wenn ich mein Ohr gegen die Rinde legte, konnte ich deutlich jeden Schlag, welchen ſie ausführten, vernehmen. Zweimal habe ich beobachtet, daß die Elfenbeinſchnäbel, nachdem ſie mich am Fuße des Baumes geſehen hatten, das Neſt verließen. Jn Kentucky und Jndiana brüten ſie ſelten mehr als einmal im Jahre, in den ſüdlichen Staaten zweimal. Das erſte Gelege beſteht gewöhnlich aus ſechs Eiern von reinweißer Farbe, welche auf einigen Spänen am Grunde der Höhle gelegt werden. Die Jungen ſieht man ſchon vierzehn Tage vor ihrem Ausfliegen zum Eingangsloch herausſchauen. Jhr Jugendkleid ähnelt dem des Weibchens, doch fehlt ihnen noch die Holle; dieſe aber wächſt raſch heran, und gegen den Herbſt hin gleichen ſie ihrer Mutter ſchon ſehr. Die Männchen erhalten die Schönheit ihres Gefieders erſt im nächſten Frühjahr.“ „Die Nahrung beſteht hauptſächlich in Käfern, Larven und großen Würmern; ſobald aber die Beeren in den Wäldern reifen, frißt der Vogel gierig von dieſen. Jch habe geſehen, daß er ſich mit den Nägeln an die Weinreben hängt, in derſelben Stellung wie unſere Meiſen. Auch Perſimon- pflaumen ſucht er ſich zuſammen, wenn dieſe Frucht gereift iſt; niemals aber geht er Korn oder Gartenfrüchte an, obgleich man ihn zuweilen auf den in den Getreidefeldern ſtehenden Bäumen arbeiten ſieht. Seine Kraft iſt ſo groß, daß er Rindenſtückchen von ſieben bis acht Zoll Länge mit einem einzigen Schlage des mächtigen Schnabels abſpalten kann, und wenn er einmal bei einem dürren Baum begonnen hat, ſchält er oft die Rinde auf zwanzig bis dreißig Fuß Fläche in wenigen Stunden ab.“ „Wenn er verwundet wurde und zum Boden fiel, ſucht er ſo ſchnell als möglich einen nahe- ſtehenden Baum zu erreichen und ſteigt an ihm mit der größten Schnelligkeit bis zu den Gipfelzweigen empor, duckt ſich nieder und verſteckt ſich hier. Während er aufſteigt, bewegt er ſich in Schrauben- linien rund um den Baum und ſtößt bei jedem Sprunge faſt ſein „Pät pät pät“ aus, ſchweigt aber, ſobald er einen ſichern Platz erreichte. Tödtlich verwundet, krallt er ſich oft ſo feſt in die Rinde, daß er noch mehrere Stunden nach ſeinem Tode hängen bleibt. Wenn man ihn mit der Hand faßt, ſo lange er noch lebt, verwundet er heftig mit dem Schnabel und den Klauen, ſtößt aber dabei traurige und klägliche Schreie aus.“ Wilſon verſuchte einen Elfenbeinſchnabel in der Gefangenſchaft zu halten, fand aber, daß Dies ſeine Schwierigkeiten hat. Der in Rede ſtehende Specht war ein alter Vogel, welcher erſt verwundet und dann ergriffen wurde. Er ſchrie in der bereits angegebenen Weiſe wie ein kleines Kind und erſchreckte dadurch das Pferd Wilſon’s ſo, daß es ſeinen Reiter in Lebensgefahr brachte. Als dieſer mit ſeinem ſchreienden Vogel durch die Straßen von Wilmington ritt, rannten alle Weiber ängſtlich an Thür und Fenſter, um ſich über den entſetzlichen Lärm zu unterrichten, und vor dem Wirthshaus mußte unſer Forſcher ein wahres Kreuzfeuer von Fragen aushalten. Schließlich brachte er den Elfen- beinſchnabel auf ſeinem Zimmer unter und verließ daſſelbe, um für ſein Roß Sorge zu tragen. Als er nach etwa einer Stunde zurückkehrte, fand er, daß der gewaltige Vogel ſich beinah ſchon befreit hatte. Er war an den Gewänden des Fenſters emporgeklettert und hatte die Zimmerwände faſt durchbrochen. Da Wilſon ihn zeichnen wollte, verzieh er ihm den Fluchtverſuch und band ihn, um einen ferneren zu verhüten, mit einer Kette an das dicke Bein eines Mahagonitiſches. Hierauf verließ er das Zimmer abermals, um Futter zu ſuchen. Beim Zurückkommen vernahm er ſchon auf der Treppe, daß der Specht wieder arbeitete, und als er in das Zimmer trat, ſah er zu ſeinem Entſetzen den Tiſch anſtatt auf vier, nur noch auf drei Beinen ſtehen. Während Wilſon zeichnete, brachte 5*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/81
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/81>, abgerufen am 02.05.2024.