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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Jungfernkranich.
nicht gern aufgeben mochten, nach einer Jagd aber stets verließen. Dasselbe ersuhr Radde. "Als
ich ihnen auf den Feldern einige Schwanenhälse legte, um sie zu fangen, und als Lockspeise den Buch-
weizen brauchte, gelang es auch wirklich, mit diesen Mitteln einen alten Vogel zu bekommen; jedoch
wurden die übrigen so vorsichtig und scheu, daß sie jenes Feld in der Folge ganz vermieden und sich nicht
mehr nahe kommen ließen." Jn der Gefangenschaft gewöhnen sie sich rasch ein, und wenn man sich
mit ihnen abgibt, werden sie ebenso zahm wie graue Kraniche, pflanzen sich auch, falls man ihnen
größere Freiheit gewährt, ohne sonderliche Umstände fort. Jn ihrer Heimat beginnen sie Ende
Aprils die tanzartigen Bewegungen, welche sie während der Paarungszeit auszuführen pflegen,
bleiben aber noch geschart; denn sie legen nicht vor Ende Mai's. Hinsichtlich der Fortpflanzung
selbst unterscheiden sie sich vielleicht nur dadurch von dem grauen Kraniche, daß sie auch auf ziemlich
trockenen Stellen nisten. Die zwei Eier ähneln denen des letztgenannten in Gestalt und Färbung,
sind aber, der Größe des Vogels entsprechend, etwas kleiner. Beide Geschlechter brüten abwechselnd,
das Weibchen selbstverständlich länger als das Männchen, welches dagegen treue Wacht hält und sich
nahende Feinde wüthend angreift. Ende Juli's stellen die Alten mit den Jungen bereits Flug-
übungen an, und bald darauf sammeln sie sich wieder in Flüge.

Pallas erzählt, daß die Kirgisen die Jungfernkraniche eifrig verfolgen und da, wo diese selten
sind, für ein Stück gern fünf Schafe oder eine Stute tauschweise hingeben, weil sie die schwarzen
Kehlfedern zu einem sonderbaren Kopfputze verwenden. Zwei Kranichhälse werden abgezogen, auf
Stöcken getrocknet und wie Hörner auf der Kopfhaube befestigt. Jn Jndien jagt man den Vogel
mit Edelfalken, hauptsächlich des Vergnügens halber, welches die Baize gewährt, obgleich auch das
Wildpret hochgeachtet wird. Eine solche Jagd währt längere Zeit, da der verfolgte Jungfernkranich
zwei bis drei Meilen durchfliegt, bevor der Falk sich seiner bemächtigen kann. Ersterer sucht das
Wild stets am Rücken zu packen; denn wenn sich auch der Kranich nicht mit dem Schnabel vertheidigt,
kann er doch, am Halse gepackt, mit den scharfen Klauen gefährliche Wunden beibringen. Zuweilen
geschieht es, daß andere dem angegriffenen Falken zu Hilfe eilen und den Falken zum Abzuge zwingen.

Seit Errichtung des Akklimatisationsgartens in Moskau erhalten die Thierhändler alljährlich
viele Jungfernkraniche, welche als Nestjunge in der Wolgagegend gesammelt wurden, und der Preis
des schönen Vogels ist demgemäß bereits so gesunken, daß er den des grauen Kranichs kaum übersteigt.



Die meisten Vogelkundigen sehen zwei schöne Stelzvögel Afrikas als Kraniche an und reihen sie
mit diesen in eine und dieselbe Familie ein: ich sehe in ihnen Vertreter einer besonderen Gruppe,
welche von der Kranichfamilie getrennt werden muß, weil zwischen beiden, streng genommen, keine
Aehnlichkeit vorhanden ist, ebensowohl, was Leibesbau und Befiederung als was Lebensweise und
Betragen anlangt.

Die Kronenkraniche (Balearicae) kennzeichnen: kräftiger Leib, mittellanger Hals, großer
Kopf, mittellanger, kräftiger, kegelförmiger, längs der Firste sanft gerundeter Schnabel, langläufige
und langzehige, ziemlich stark bekrallte Füße, sehr breit zugerundete Flügel, in denen die vierte
Schwinge die längste ist, kurzer, gerade abgeschnittener Schwanz und reichhaltiges Gefieder, welches
auf dem Vorderscheitel einen sammtartigen Busch bildet, am Hinterkopfe sich zu borstenartigen, von
der Wurzel an schraubenförmig gewundenen, nach oben strahlig sich ausbreitenden, borstenartigen
Gebilden umwandelt, am Halse und auf der Vorderbrust sich verlängert, auf den Flügeldecken sich
zerschleist und die dickwulstigen Wangen, sowie die Kehle unbekleidet läßt. Die Geschlechter unter-
scheiden sich nur sehr wenig durch die Größe, die Jungen durch die unreinen, jedoch im Wesent-
lichen gleichartigen Farben.

Jungfernkranich.
nicht gern aufgeben mochten, nach einer Jagd aber ſtets verließen. Daſſelbe erſuhr Radde. „Als
ich ihnen auf den Feldern einige Schwanenhälſe legte, um ſie zu fangen, und als Lockſpeiſe den Buch-
weizen brauchte, gelang es auch wirklich, mit dieſen Mitteln einen alten Vogel zu bekommen; jedoch
wurden die übrigen ſo vorſichtig und ſcheu, daß ſie jenes Feld in der Folge ganz vermieden und ſich nicht
mehr nahe kommen ließen.“ Jn der Gefangenſchaft gewöhnen ſie ſich raſch ein, und wenn man ſich
mit ihnen abgibt, werden ſie ebenſo zahm wie graue Kraniche, pflanzen ſich auch, falls man ihnen
größere Freiheit gewährt, ohne ſonderliche Umſtände fort. Jn ihrer Heimat beginnen ſie Ende
Aprils die tanzartigen Bewegungen, welche ſie während der Paarungszeit auszuführen pflegen,
bleiben aber noch geſchart; denn ſie legen nicht vor Ende Mai’s. Hinſichtlich der Fortpflanzung
ſelbſt unterſcheiden ſie ſich vielleicht nur dadurch von dem grauen Kraniche, daß ſie auch auf ziemlich
trockenen Stellen niſten. Die zwei Eier ähneln denen des letztgenannten in Geſtalt und Färbung,
ſind aber, der Größe des Vogels entſprechend, etwas kleiner. Beide Geſchlechter brüten abwechſelnd,
das Weibchen ſelbſtverſtändlich länger als das Männchen, welches dagegen treue Wacht hält und ſich
nahende Feinde wüthend angreift. Ende Juli’s ſtellen die Alten mit den Jungen bereits Flug-
übungen an, und bald darauf ſammeln ſie ſich wieder in Flüge.

Pallas erzählt, daß die Kirgiſen die Jungfernkraniche eifrig verfolgen und da, wo dieſe ſelten
ſind, für ein Stück gern fünf Schafe oder eine Stute tauſchweiſe hingeben, weil ſie die ſchwarzen
Kehlfedern zu einem ſonderbaren Kopfputze verwenden. Zwei Kranichhälſe werden abgezogen, auf
Stöcken getrocknet und wie Hörner auf der Kopfhaube befeſtigt. Jn Jndien jagt man den Vogel
mit Edelfalken, hauptſächlich des Vergnügens halber, welches die Baize gewährt, obgleich auch das
Wildpret hochgeachtet wird. Eine ſolche Jagd währt längere Zeit, da der verfolgte Jungfernkranich
zwei bis drei Meilen durchfliegt, bevor der Falk ſich ſeiner bemächtigen kann. Erſterer ſucht das
Wild ſtets am Rücken zu packen; denn wenn ſich auch der Kranich nicht mit dem Schnabel vertheidigt,
kann er doch, am Halſe gepackt, mit den ſcharfen Klauen gefährliche Wunden beibringen. Zuweilen
geſchieht es, daß andere dem angegriffenen Falken zu Hilfe eilen und den Falken zum Abzuge zwingen.

Seit Errichtung des Akklimatiſationsgartens in Moskau erhalten die Thierhändler alljährlich
viele Jungfernkraniche, welche als Neſtjunge in der Wolgagegend geſammelt wurden, und der Preis
des ſchönen Vogels iſt demgemäß bereits ſo geſunken, daß er den des grauen Kranichs kaum überſteigt.



Die meiſten Vogelkundigen ſehen zwei ſchöne Stelzvögel Afrikas als Kraniche an und reihen ſie
mit dieſen in eine und dieſelbe Familie ein: ich ſehe in ihnen Vertreter einer beſonderen Gruppe,
welche von der Kranichfamilie getrennt werden muß, weil zwiſchen beiden, ſtreng genommen, keine
Aehnlichkeit vorhanden iſt, ebenſowohl, was Leibesbau und Befiederung als was Lebensweiſe und
Betragen anlangt.

Die Kronenkraniche (Balearicae) kennzeichnen: kräftiger Leib, mittellanger Hals, großer
Kopf, mittellanger, kräftiger, kegelförmiger, längs der Firſte ſanft gerundeter Schnabel, langläufige
und langzehige, ziemlich ſtark bekrallte Füße, ſehr breit zugerundete Flügel, in denen die vierte
Schwinge die längſte iſt, kurzer, gerade abgeſchnittener Schwanz und reichhaltiges Gefieder, welches
auf dem Vorderſcheitel einen ſammtartigen Buſch bildet, am Hinterkopfe ſich zu borſtenartigen, von
der Wurzel an ſchraubenförmig gewundenen, nach oben ſtrahlig ſich ausbreitenden, borſtenartigen
Gebilden umwandelt, am Halſe und auf der Vorderbruſt ſich verlängert, auf den Flügeldecken ſich
zerſchleiſt und die dickwulſtigen Wangen, ſowie die Kehle unbekleidet läßt. Die Geſchlechter unter-
ſcheiden ſich nur ſehr wenig durch die Größe, die Jungen durch die unreinen, jedoch im Weſent-
lichen gleichartigen Farben.

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[729/0775] Jungfernkranich. nicht gern aufgeben mochten, nach einer Jagd aber ſtets verließen. Daſſelbe erſuhr Radde. „Als ich ihnen auf den Feldern einige Schwanenhälſe legte, um ſie zu fangen, und als Lockſpeiſe den Buch- weizen brauchte, gelang es auch wirklich, mit dieſen Mitteln einen alten Vogel zu bekommen; jedoch wurden die übrigen ſo vorſichtig und ſcheu, daß ſie jenes Feld in der Folge ganz vermieden und ſich nicht mehr nahe kommen ließen.“ Jn der Gefangenſchaft gewöhnen ſie ſich raſch ein, und wenn man ſich mit ihnen abgibt, werden ſie ebenſo zahm wie graue Kraniche, pflanzen ſich auch, falls man ihnen größere Freiheit gewährt, ohne ſonderliche Umſtände fort. Jn ihrer Heimat beginnen ſie Ende Aprils die tanzartigen Bewegungen, welche ſie während der Paarungszeit auszuführen pflegen, bleiben aber noch geſchart; denn ſie legen nicht vor Ende Mai’s. Hinſichtlich der Fortpflanzung ſelbſt unterſcheiden ſie ſich vielleicht nur dadurch von dem grauen Kraniche, daß ſie auch auf ziemlich trockenen Stellen niſten. Die zwei Eier ähneln denen des letztgenannten in Geſtalt und Färbung, ſind aber, der Größe des Vogels entſprechend, etwas kleiner. Beide Geſchlechter brüten abwechſelnd, das Weibchen ſelbſtverſtändlich länger als das Männchen, welches dagegen treue Wacht hält und ſich nahende Feinde wüthend angreift. Ende Juli’s ſtellen die Alten mit den Jungen bereits Flug- übungen an, und bald darauf ſammeln ſie ſich wieder in Flüge. Pallas erzählt, daß die Kirgiſen die Jungfernkraniche eifrig verfolgen und da, wo dieſe ſelten ſind, für ein Stück gern fünf Schafe oder eine Stute tauſchweiſe hingeben, weil ſie die ſchwarzen Kehlfedern zu einem ſonderbaren Kopfputze verwenden. Zwei Kranichhälſe werden abgezogen, auf Stöcken getrocknet und wie Hörner auf der Kopfhaube befeſtigt. Jn Jndien jagt man den Vogel mit Edelfalken, hauptſächlich des Vergnügens halber, welches die Baize gewährt, obgleich auch das Wildpret hochgeachtet wird. Eine ſolche Jagd währt längere Zeit, da der verfolgte Jungfernkranich zwei bis drei Meilen durchfliegt, bevor der Falk ſich ſeiner bemächtigen kann. Erſterer ſucht das Wild ſtets am Rücken zu packen; denn wenn ſich auch der Kranich nicht mit dem Schnabel vertheidigt, kann er doch, am Halſe gepackt, mit den ſcharfen Klauen gefährliche Wunden beibringen. Zuweilen geſchieht es, daß andere dem angegriffenen Falken zu Hilfe eilen und den Falken zum Abzuge zwingen. Seit Errichtung des Akklimatiſationsgartens in Moskau erhalten die Thierhändler alljährlich viele Jungfernkraniche, welche als Neſtjunge in der Wolgagegend geſammelt wurden, und der Preis des ſchönen Vogels iſt demgemäß bereits ſo geſunken, daß er den des grauen Kranichs kaum überſteigt. Die meiſten Vogelkundigen ſehen zwei ſchöne Stelzvögel Afrikas als Kraniche an und reihen ſie mit dieſen in eine und dieſelbe Familie ein: ich ſehe in ihnen Vertreter einer beſonderen Gruppe, welche von der Kranichfamilie getrennt werden muß, weil zwiſchen beiden, ſtreng genommen, keine Aehnlichkeit vorhanden iſt, ebenſowohl, was Leibesbau und Befiederung als was Lebensweiſe und Betragen anlangt. Die Kronenkraniche (Balearicae) kennzeichnen: kräftiger Leib, mittellanger Hals, großer Kopf, mittellanger, kräftiger, kegelförmiger, längs der Firſte ſanft gerundeter Schnabel, langläufige und langzehige, ziemlich ſtark bekrallte Füße, ſehr breit zugerundete Flügel, in denen die vierte Schwinge die längſte iſt, kurzer, gerade abgeſchnittener Schwanz und reichhaltiges Gefieder, welches auf dem Vorderſcheitel einen ſammtartigen Buſch bildet, am Hinterkopfe ſich zu borſtenartigen, von der Wurzel an ſchraubenförmig gewundenen, nach oben ſtrahlig ſich ausbreitenden, borſtenartigen Gebilden umwandelt, am Halſe und auf der Vorderbruſt ſich verlängert, auf den Flügeldecken ſich zerſchleiſt und die dickwulſtigen Wangen, ſowie die Kehle unbekleidet läßt. Die Geſchlechter unter- ſcheiden ſich nur ſehr wenig durch die Größe, die Jungen durch die unreinen, jedoch im Weſent- lichen gleichartigen Farben.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 729. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/775>, abgerufen am 16.07.2024.